Den Richter kann man sich auch sparen

Rettet den Richtervorbehalt forderte vor einigen Tagen Zeit online. Angesichts mancher Entscheidungen frage ich mich allerdings, ob damit wirklich viel gewonnen wäre. Als Beispiel folgender Fall:

Jemand ergaunert mit einer gefälschten Unterschrift und einer Maestrokarte zweifelhaften Ursprungs bei einem Elektrohändler einen Finanzierungsvertrag, über den er gleich ein neues iPhone 4 mitnehmen kann. Der Schaden beträgt 696 Euro. Strafrechtlich ist das Betrug und Urkundenfälschung.

Der ermittelnde Polizeibeamte war clever. Er wusste, dass die deutschen Mobilfunkanbieter problemlos feststellen können, mit welchem Handy telefoniert wird. Möglich macht das die IMEI-Nummer. Jedes Mobiltelefon hat diese individuelle Kennung. Die IMEI-Nummer wird von den Providern auch gemeinsam mit Gesprächsdaten gespeichert.

Es lag also nahe, einmal bei Vodafone, Telekom, O2 und E-Plus nachzufragen, ob und mit welcher SIM-Karte das iPhone genutzt wird. Hierfür bedarf es nicht nur eines richterlichen Beschlusses, sondern es müssen auch rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Unter anderem jene, wonach es sich um eine “Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung” handeln muss.

Als Beispiele nennt das Gesetz die in § 100a Absatz 2 Strafprozessordnung genannten Delikte. Man braucht nur einen Blick auf den Katalog zu werfen, um zu erkennen, dass es sich ausschließlich um schwerste und schwere Straftaten handelt. Bei Betrug und Urkundenfälschung bedeutet dies etwa, dass der Schaden besonders hoch (so ab 50.000 Euro) sein muss oder etwa eine Bande agiert hat.

Nichts davon war der Fall. So ein alltäglicher Betrug mit noch nicht mal 1.000 Euro Schaden ist keine “Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung”. Sonst wäre nämlich praktisch alles eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung. An sich hätte die Idee des Polizeibeamten also schon auf dem Schreibtisch des Staatsanwalts platzen müssen. Doch wie das halt so bei modernen Strafverfolgern ist: Versuchen kann man es ja mal…

Ich weiß nicht, ob die Amtsrichterin den vorformulierten Antrag überhaupt gelesen hat. Mir wäre es fast wohler, wenn sie blind unterschrieben hätte. Jedenfalls war wohl zumindest dem Staatsanwalt, im ungünstigeren Fall auch der Richterin klar, dass man besser gar nicht den Versuch macht, in der vorgeschriebenen Begründung den Fall konkret mit dem Gesetz in Einklang zu bringen.

So steht es dann auch kurz und bündig, überdies reichlich nebulös im positiven Beschluss:

Es handelt sich aufgrund der Vorgehensweise um eine erhebliche Tat.

Wie gesagt, bei so einer Arbeitsweise oder derart gering ausgeprägtem Skrupel vor dem Gesetz kann man sich den Richter auch sparen.

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Keine Wellness für rechten Politiker

Dass Hotels und Fluggesellschaften mitunter einen robusten und mehr als fragwürdigen Umgang mit Minderheiten pflegen, kann man fast täglich in der Zeitung lesen. Vor allem Behinderte werden gern mal als Gäste zweiter Klasse behandelt – auch aus Sorge vor Beschwerden “normaler” Reisender.

Es kann aber auch Menschen treffen, die zumindest äußerlich eher unauffällig sein dürften. So etwa den Vorsitzenden der NPD. Dem erteilte ein Hotel Hausverbot, als er zu einem von seiner Frau gebuchten Wellness-Kurzurlaub anreisen wollte.

Begründung des Hotels: Die politische Überzeugung des unerwünschten Gastes sei nicht mit dem Ziel zu vereinbaren, jedem Gast nach Möglichkeit ein exzellentes Wohlfühlerlebnis zu bieten. Der NPD-Vorsitzende wendet hiergegen ein, er habe sich bei privaten Aufenthalten in Hotels nie gegenüber anderen Gästen politisch geäußert, und er wolle dies auch künftig nicht tun.

Bisher hat der Politiker vor den Gerichten verloren. Die Sache scheint dem Bundesgerichtshof aber nun offenbar wichtig genug, um mündlich über die Grenzen privater Hausverbote zu verhandeln. Am Freitag dieser Woche gibt es also einen Showdown vor dem höchsten deutschen Zivilgericht.

Ob der NPD-Vorsitzende für den Termin ein Hotelzimmer braucht und wie lange er danach suchte, ist nicht bekannt.

Terminsvorschau des Bundesgerichtshofs

Gericht: Sturheit ist keine Frage des Alters

Bloß weil es, selbstverständlich mit Ausnahme von Silvio Berlusconi, mit der Leistungsfähigkeit im Alter bergab geht, darf die Führerscheinbehörde keine Zweifel an der Fahreignung eines Bürgers hegen. Ohne konkrete Anhaltspunkte, dass der Betreffende wirklich körperlich bedingte Ausfallerscheinungen beim Autofahren hat, darf das Amt ihn deshalb auch nicht zu einem ärztlichen Gutachten verpflichten. Das hat das Verwaltungsgericht Saarlouis im Fall eines 80-jährigen Autofahrers entschieden.

Der Senior hatte beim Ausparken einen Blechschaden verursacht. Die Polizei nahm den Unfall auf. In ihrer Anzeige vermerkten die Beamten, der Autofahrer habe etwas verwirrt gewirkt und seine Schuld nicht eingesehen. Aber das sind Reaktionen auf einen Unfall, die nach Auffassung der Richter in jeder Altersklasse vorkommen:

Weder ein Mangel an Einsicht noch bloße Sturheit lassen das Vorliegen altersbedingter Einschränkungen der Kraftfahreignung als naheliegend erscheinen.

Eine Behörde braucht also in jedem Fall mehr Belege für ein Eignungsgutachten als das Alter des Betroffenen und irgendwelche Reaktionen, die mit seinem konkreten Fahrverhalten nichts zu tun haben. Der Antragsteller muss sich nun erst mal nicht untersuchen lassen und darf weiter Auto fahren.

Verwaltungsgericht Saarlouis, Beschluss vom 28. September 2011, Aktenzeichen 10 L 790/11

Ungebührlichkeitszuschlag

Womöglich ist der Mandant auf der Autobahn zu schnell gefahren. Was den Zivilpolizistinnen im Wagen hinter ihm nicht gefiel. Sie winkten ihn an der nächsten Ausfahrt raus, hielten aber nicht gleich an.

Vielmehr zockelten sie, meinen Mandanten im Schlepptau, noch stattliche drei Kilometer weiter. Vorbei an diversen Bushaltestellen und Parkbuchten. Bis zu einem abgelegenen Waldparkplatz, der zu einem Zoo gehört. Dort war es nicht nur menschenleer, sondern mangels Beleuchtung auch verdammt dunkel.

Mein Mandant war dementsprechend begeistert. Was er den beiden Beamtinnen auch deutlich sagte. Aber erst zum Schluss, als sie ihm bereits mitgeteilt hatten, er sei mit 160 Stundenkilometern gemessen worden. (Was gar nicht so dramatisch gewesen wäre, denn beim Einsatz eines ungeeichten Tachos müssen grundsätzlich 20 % des Ablesewertes als Toleranz abgezogen werden.) Die verantwortliche Polizistin reagierte auf die Kritik etwas angesäuert. Man trennte sich wohl in eisigem Schweigen.

Heute bedauert mein Mandant, dass er sich eine Ungebührlichkeit geleistet hat. Im Anhörungsbogen, der ein paar Tage später eintraf, hat sich die vorgeworfene Geschwindigkeit nämlich erhöht. Auf 180 Stundenkilometer. Und ja, mein Mandant ist sicher, dass an Ort und Stelle von 20 Kilometern weniger die Rede war.

Nichts – und das 72 Monate

Ich liebe die Vorschläge von Schuldnerberatungen:

Der Schuldner kann keine Zahlungen leisten. Diese Summe wird prozentual, entsprechend des Anteils an den Gesamtverbindlichkeiten, auf alle Gläubiger verteilt und 1 x jährlich zur Auszahlung gebracht. Dies gilt für einen Zeitraum von 72 Monaten.

Ein wirklich vielversprechendes Angebot. Wer würde dazu schon nein sagen?

“Fremdgelder”, die es gar nicht gibt

Betrüger haben sich anscheinend international tätige Anwaltskanzleien als Angriffsziele ausgesucht. Die Rechtsanwaltskammer Hamburg veröffentlicht den Erfahrungsbericht eines Anwalts, dessen Sozietät um rund eine halbe Million US-Dollar geprellt werden sollte.

Die “Vorarbeiten” sahen so aus:

Anfang September 2011 wurden wir über unser Shanghaier Büro von einem vermeintlich japanischen Unternehmen kontaktiert. Dieses gab an, eine Kaufpreisforderung in Höhe von ca. 1,9 Millionen USD gegen eine tatsächlich existierende Firma in Hannover zu haben. Es wurde eine Passkopie des Anfragers übermittelt.

Außerdem erhielten wir diverse Dokumente, die ihrem äußeren Anschein nach einen normalen kaufmännischen Vorgang zu dokumentieren schienen.

Bevor wir an den Gegner herantreten konnten, hatte die Mandantschaft
diesen bereits informiert. Der Gegner meldete sich daraufhin per Email, uns anzukündigen, dass er zur Vermeidung einer streitigen Auseinandersetzung in Kürze eine halbe Million USD an uns zahlen werde. Mit Email wurde uns sodann vom Schuldner bestätigt, dass die Zahlung „abgeschickt“ wurde und bei uns „abgegeben“ werden würde.

Die Anwälte waren aber vom Bundeskriminalamt, das wohl schon in vergleichbaren Fällen ermittelt, vorgewarnt. Sie kündigten sofort das Mandat, das wahrscheinlich ohnehin keines war. Ansonsten wäre es wahrscheinlich wie folgt gelaufen:

Wir erhalten einen Verrechnungsscheck über 500.000,00 USD, den wir zum Einzug geben und der uns bedingungsgemäß am nächsten Banktag gutgeschrieben wird („Eingang vorbehalten“). Sodann werden wir gebeten, wegen des dringenden Liquiditätsbedarfes der Mandantin den Fremdgeldbetrag schnellstmöglich an diese weiterzuleiten, dabei jedoch unser Honorar einzubehalten. Wenige Tage später käme der Rückscheck und wir säßen auf einem Schaden von einer halben Million USD.

Wer also einen Scheck auf dem eigenen Konto einlöst, darf sich zwar über den Eingang freuen, sollte sich aber nicht in Sicherheit wiegen. Zwar schreibt die eigene Bank den Scheckbetrag meist innerhalb von ein, zwei Tagen gut. Dies geschieht aber immer unter dem Vorbehalt, dass die Bank des Scheckausstellers das Geld tatsächlich überweist.

Platzt der Scheck, wird auch die Gutschrift auf dem eigenen Konto rückgängig gemacht. Und dabei spielt es keine Rolle, ob der Scheckempfänger das vermeintlich erhaltene Geld vielleicht schon an Dritte gezahlt hat. Im Zweifel zahlt also der leichtgläubige Scheckempfänger zunächst die Zeche. Ob und von wem er sein Geld wiederkriegt, ist dann seine Sache.

Wer auf Nummer Sicher gehen will, lässt sich also von der eigenen Bank bestätigen, dass sie das Geld bekommen hat und die Gutschrift deshalb wasserdicht ist. Ich werde bei mir im Büro auch gleich noch mal darauf hinweisen…

Staatsanwaltschaft lässt sich bestehlen

Wenig Freude an seiner Beute dürfte ein Bilderdieb haben, der sich ausgerechnet im Panzerschrank der Staatsanwaltschaft Essen bediente. Aus dem Tresor verschwand zwischen 2005 und 2006 ein beschlagnahmtes Gemälde, bei dem es sich um einen echten Renoir gehandelt haben könnte. Aber, so das Landgericht Dortmund, nicht hat.

Der Eigentümer des Gemäldes, gegen den strafrechtlich ermittelt wurde, wollte sich verständlicherweise nicht damit abfinden, dass offensichtlich Langfinger ausgerechnet zur  Asservatenkammer einer deutschen Staatsanwaltschaft Zugang haben. Für seinen aus der Obhut der Strafverfolger verschwundenen Renoir, der ein nach dem Motiv “Mädchen mit Orange” heißen soll, verlangte er vom Land Nordrhein-Westfalen 32 Millionen Euro Schadensersatz.

Das Landgericht Dortmund verhandelte heute die Klage. Pech für den Eigentümer: Ein Kunstsachverständiger hat 2005 das Bild in der Behörde angesehen und Fotos davon gemacht. Der Eigentümer des Bildes bestritt heute zwar vor Gericht, dass die Fotos des Sachverständigen das Gemälde zeigen. Die Richter glaubten aber dem Sachverständigen und legten die Bilder einer weiteren Expertin vor, die sich besonders gut mit Renoirs auskennen soll.

Diese Sachverständige kam zu einem eindeutigen Ergebnis. Das vermeintliche Original sei nur ein billiger Faksimiledruck und ohne eigenen Wert. Das Gericht glaubte ihr und wies die Klage heute ab. Das Land Nordrhein-Westfalen, so hieß es in der mündlichen Urteilsbegründung, habe seine Pflichten verletzt. Der Kläger gehe aber leer aus, weil er keinen Schaden habe.

Für den Ruf der Essener Staatsanwaltschaft dürfte der Prozess in doppelter Hinsicht nicht förderlich sein. Die Behörde hat sich nämlich nicht nur beklauen lassen. Sie hat es bis heute auch nicht geschafft, den Täter zu ermitteln.

Milde gegenüber zu Guttenberg

Es wird wahrscheinlich keine Anklage gegen Karl-Theodor zu Guttenberg erhoben. Das berichtet Zeit online. Die Staatsanwaltschaft Hof soll erwägen, das Verfahren wegen der plagiierten Doktorarbeit des früheren Verteidigungsministers gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen.

Strafrecht sollte unbeeinflusst bleiben von Politik. Vor diesem Hintergrund bin ich der Meinung, so eine Einstellung geht durchaus in Ordnung. Guttenberg hat zwar abgeschrieben und damit Urheberrechte verletzt. Wenn ich die bekannten Taten des Ex-Politikers mit anderen Fällen vergleiche, ist das Ergebnis ziemlich eindeutig: Auch ein Beschuldigter ohne Promibonus (bzw. –malus) müsste nicht damit rechnen, vor Gericht gezerrt zu werden – die Zuständigkeit eines umsichtigen Staatsanwalts vorausgesetzt.

Für die alltäglichen Urheberrechtsverletzungen, z.B. Filesharing, bringen die Strafverfolger schon länger kein Interesse mehr auf. Für sie gilt die Anweisung, selbst Fälle mit einigen hundert raubkopierten Liedern einfach einzustellen. Sogar bei Festplatten mit tausenden MP3s und Filmen zweifelhafter Herkunft wird nicht groß gefragt, sondern im Normalfall ohne weitere Ermittlungen gleich ein Auge zugedrückt.

Natürlich geht es im Fall zu Guttenberg nicht nur um Massenware, das heißt möglichst preisgünstiges Futter für den iPod. Er hat durch sein Verhalten seiner Universität, seinen Professoren und der Wissenschaft insgesamt geschadet. Aber in der Folgezeit hat sich ja herausgestellt, dass er nicht allein auf weiter Flur plagiiert hat. Auch andere Ertappte haben mittlerweile ihren Doktortitel abgegeben.

Der wirtschaftliche Schaden seines Verhaltens wird kaum messbar sein. Er ist, zumindest nach meiner Kenntnis nicht vorbestraft. Die Gefahr, dass er ohne einen Gang vor den Strafrichter erneut böse Dinge tun wird, ist sicher auch nicht größer als bei einem Beschuldigten, dessen Name es nie in die Presse schafft.

Eine Einstellung gegen Geldauflage lässt das Gesetz zu, wenn die Auflage das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung auf Null reduziert und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Wenn man mal den Namen zu Guttenberg und den Riesenwirbel um die Sache selbst ausblendet, darf die Staatsanwaltschaft Hof mit gutem Grund milde sein.

Jack-Bauer-Stil

Der Reemtsma-Entführer Thomas Drach hat sich heute zum Auftakt eines neuen Prozesses gegen ihn geweigert, beim Transport vom Gefängnis ins Gericht eine Augenbinde zu tragen. Das Gericht hatte die Binde zwar nicht angeordnet, aber die mit dem Transport beauftragte Sondereinheit der Hamburger Polizei hielt sie für erforderlich. Nachdem Drach sich weigerte, die Binde aufzusetzen, ordnete das Gericht seine Zwangsvorführung für den Nachmittag an – einschließlich des “Sehschutzes”.

Solche Maßnahmen kennt man in der Öffentlichkeit ansonsten nur vom Bundeskriminalamt. Dessen Mitarbeiter lassen es sich insbesondere bei der Festnahme von Terrorverdächtigen nicht nehmen, die Beschuldigten bei der Landung des Hubschraubers am Bundesgerichtshof in Karlsruhe in roter Gefangenenkluft und überdies blind zum Ermittlungsrichter zu führen. Zufälligerweise geschieht dies immer so, dass die am Geländerand postierten Paparazzi stets einen Schnappschuss kernig dahinschreitender Beamter und guantanamomäßig gefesselter Verdächtiger machen können.

Nun also ein ähnliches Prozedere beim Reemtsma-Entführer. Auch wenn dieser als gefährlich und fluchtgeneigt eingestuft wird, begibt sich das Gericht mit der Augenbinde auf rechtlich unsicheres Terrain.

Drach ist derzeit Strafgefangener, so dass für ihn in erster Linie die Vorschriften des Strafvollzugs und nicht die für Untersuchungsgefangene gelten. Danach ist es Sache des Anstaltsleiters, die Sicherungsmaßnahmen für einen Transport zu klären. Das Hamburger Strafvollzugsgesetz, aber auch das des Bundes kennen als “besondere Sicherungmaßnahme” in diesem Zusammenhang nur die Fesselung des Gefangenen. Andere Maßnahmen sind auch nicht entsprechend erlaubt. Eine entsprechende Anordnung des Anstaltsleiters wäre also rechtswidrig.

Was das Gericht anordnen darf, ist dagegen nicht so genau geregelt. Nach dem Gerichtsverfassungsgesetz steht dem Vorsitzenden die “Sitzungspolizei” zu. Die sitzungspolizeiliche Gewalt beginnt und endet aber spätestens am Gerichtsgebäude, das heißt die Ausführung des Transports kann das Gericht nicht über seine Befugnisse im Rahmen der Sitzungspolizei steuern.

Bleiben nur die Regelungen über die Untersuchungshaft. Wenn man sie denn anwenden will, obwohl Drach ja in Strafhaft sitzt, kann das Gericht zur Abwendung einer Fluchtgefahr “Beschränkungen” anordnen. Dazu kann auch die Fesselung des Angeklagten gehören. Auch eine “Blendung” des Angeklagten ist sicher eine denkbare Maßnahme – auch wenn sie in der Fachliteratur, die ich zu Rate gezogen habe, noch nicht einmal erwähnt wird.

Ich persönlich meine, dass ein Gericht die Maßnahme nicht anordnen kann. Wenn die Regeln für den Strafvollzug einen eindeutigen Katalog enthalten, der Augenbinden gerade nicht vorsieht, wird man diese bei der Untersuchungshaft kaum in den ohnehin sehr schwammigen Begriff “Beschränkung” einsortieren können. Fluchtgefahr bleibt ja Fluchtgefahr, unabhängig ob sie im Strafvollzug oder in der Untersuchungshaft auftritt. Warum sollte einem Anstaltsleiter für seinen Strafgefangenen bei einem Transport weniger erlaubt sein als einem Gerichtsvorsitzenden?

Letztlich bleiben ohnehin zwei Fragen. Die nach der Verhältnismäßigkeit. Und ob Augenbinden noch mit dem Anrecht eines jeden Menschen vereinbar sind, vom Staat nicht zu einem bloßen Objekt herabgewürdigt zu werden. Drachs Anwalt bezeichnete den Transport seines Mandanten heute als “Angriff auf die Menschenwürde”. Dem würde ich zustimmen. Außerdem tut martialisches Auftreten der Staatsmacht, noch dazu im Jack-Bauer-Stil, einem demokratischen Gemeinwesen niemals gut. 

Facebook erleichtert Polizeiarbeit

Ich erzähle schon länger, dass Facebook bei der Polizei als Fahndungshilfe angekommen ist. Gerade im Bereich der Jugendkriminalität schauen Beamte gern auf die Pinnwände von Beschuldigten und Zeugen. Der Satz “Den kenne ich nicht, nie gesehen” geht dann bei einschlägigen Party- und Ausflugsfotos mitunter nach hinten los.

Ein anderes Beispiel, noch dazu aus dem eher harmlosen Bereich der Ordnungswidrigkeiten, kursiert derzeit im Netz. Da teilt die Polizei einer vermeintlichen Temposünderin mit, sie sei über Fotos auf der Facebook-Seite ihres Ehemannes als Fahrerin identifiziert worden. Der Ehemann ist der Halter des Wagens.

Das Schreiben (Quelle) sieht so aus:

111013a

Darf die Polizei so was überhaupt? Ja, lautet die Antwort jedenfalls im Fall Facebook. Sofern der Inhalt der Seiten öffentlich, wenn auch vielleicht nur für Facebook-Mitglieder, zugänglich ist, darf auch die Polizei drauf schauen. Das ist dann im Kern eine ganz normale Ermittlungsarbeit, die vom Auftrag der Polizei gedeckt ist.

Ein Beamter darf ja auch die Zeitung lesen. Nachbarn befragen. Oder sich sogar vor der Haustür der “Verdächtigen” auf die Lauer legen, um zu sehen, ob sie dem Messbild ähnlich sieht. So was war bisher durchaus auch üblich. Die Bezirksbeamten in Nordrhein-Westfalen verbringen einen guten Teil ihres Arbeitstages mit der Ermittlung von Temposündern.

Wie man sieht, macht Facebook für sie die Sache nicht nur einfacher. Sondern auch bequemer.