Zensursula: ein Störfaktor in der Wikipedia

Visualisierung spielt eine große Rolle – gerade in der Politik. Vor der Bundestagswahl gab es auf Netzpolitik zum Beispiel die Remixe von CDU-Wahlplakaten. Den Protagonisten Wolfgang Schäuble traf es nicht nur mit diesen Remixen, sondern auch die ebenso bekannte "Schäublone” brachte die politische Stimmung auf den Punkt und war ein entsprechender Renner.

Ähnlich zugkräftig war auch die Darstellung Ursula von der Leyens, die sich mit dem mittlerweile in Deutschland beerdigten Internetsperren (Zugangserschwerungsgesetz) sicher nicht das einzige, aber bestimmt das größte Fiasko ihrer Karriere eingehandelt hat. Nichts brachte “Zensursula” in geschickter Anknüpfung an die Schäuble-Kritik so schön auf den Punkt wie dieses Motiv:

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Momentan gibt es Bestrebungen, die Zugänglichkeit dieses Bildes einzuschränken. In der Wikipedia läuft seit dem 18. Juni 2011 ein Löschungsantrag. Der Antragsteller meint, das Foto sei urheberrechtlich geschützt, die Bearbeitung habe nicht zu einem eigenständigen Werk geführt. Deshalb soll das Motiv verschwinden.

In der Diskussion wird bereits die Frage gestellt, wo denn der potenzielle Kläger ist. Jedenfalls scheint der Antragsteller nicht der Fotograf zu sein. Der Fotograf hat sich, so weit bekannt, auch bisher noch nie gegen die Bearbeitung seines Bildes gewandt. Es spricht also vieles dafür, dass hier niemand seine Rechte verletzt sieht, möglicherweise sogar gar kein Problem mit der Verwendung seines Bildes hat.

Mit dieser Auffassung wäre der Fotograf auch gut beraten. Wir haben ähnliche Fragen bei der Remix-Aktion von Netzpolitik mit den Machern diskutiert und sind zusammenfassend zum Ergebnis gekommen, dass Urheberrechte in solchen Fällen zurückstehen. Auch von der zunächst angesäuerten Fotografin, die damals die CDU-Politiker abgelichtet hatte, war in der Folge nichts mehr zu hören. (Die CDU selbst hielt sich ja gleich bedeckt, weil sie genau wusste, dass es besser ist, die Remixe zu ertragen als Rechtsstreite anzuzetteln, die das Ganze in galaktische Aufmerksamkeitssphären schaukeln.)

Bei “Zensursula” ist es nicht anders. Wer auch immer Urheber des Fotos ist, er wird die Verbreitung dieser Abbildung juristisch nicht unterbinden können. Sie wird ohnehin ihren verdienten Platz in Geschichts- und Sozialkundebüchern finden. Deshalb wäre es schade, wenn die Wikipedia auf fadenscheinige Gründe hereinfiele und das Motiv löscht.

(via @jensferner)

Was Staatsanwälte wirklich lähmt

Für Frau F. war die Sache ärgerlich genug. Jemand hatte bei einem Bezahldienst ihren Account geknackt und online zwei “Dienstleistungen” gekauft. Der Gesamtschaden betrug rund 100 Euro. Frau F. erstattete Strafanzeige. Ihr war dabei auch klar, dass es schwierig werden wird, an den Täter zu kommen.

Die Antwort der Staatsanwaltschaft  Köln überraschte sie dann doch. Darin wird ihr lapidar mitgeteilt, dass man gar nicht ermitteln kann. Wörtlich heißt es in dem Schreiben aus Mai 2011:

… können sich Tathinweise nur aus den angefallenen Internetverbindungsdaten ergeben. Ermittlungen zum Inhaber einer dynamischen IP-Adresse können nur durch Abfrage der Bestandsdaten unter Nutzung der beim Provider vorhandenen Verkehrsdaten ermittelt werden. Die Speicherung solcher Daten ist nach der Entscheidung des BVerfG … zur sog. Vorratsdatenspeicherung … unzulässig, weil das zugrunde liegende Gesetz nichtig ist. Eine verfassungskonforme Regelung gibt es bisher nicht. Somit stehen diese Daten nicht zur Verfügung.

Andere Ermittlungsansätze sind nicht vorhanden. Weitere Nachforschungen versprechen zur Zeit keinen Erfolg.

Der Brief klingt erst mal wie unverhohlene Reklame für die Vorratsdatenspeicherung. Lieber Bürger, hätten wir die Vorratsdatenspeicherung, könnten wir Ihnen gerne und zuverlässig helfen. Aber so sind uns die Hände gebunden, die Verbrecher gehen uns durch die Lappen. Das Internet ist ein rechtsfreier Raum. Sie wissen schon.

Schenken wir uns die Propaganda und kommen zum eigentlichen Punkt. Nämlich der Dreistigkeit, mit der die die Staatsanwaltschaft hier ihre eigene Unlust, pflichtgemäß eine Straftat aufzuklären, ummantelt.

Ohne Vorratsdaten, sagt das Schreiben, können wir nichts machen. Also fangen wir erst gar nicht an. Die Aussage ist irreführend.

Wie kann man ohne Ermittlungen sagen, es handele sich um eine dynamische IP? Es gibt genug Provider, die statische IP-Adressen vergeben. Die dazu gehörenden Daten des Anschlussinhabers müssten auf Anfrage der Polizei auch herausgegeben werden. Das hat mit Vorratsdatenspeicherung nicht das Geringste zu tun.

Ein weiterer Punkt: Woher weiß ich ohne Nachfrage beim Provider, dass dieser nicht vielleicht doch noch Daten gespeichert hat? Nur die wenigsten Internetanbieter speichern gar keine Verkehrsdaten. Die weitaus meisten Provider halten sehr wohl fest, welche IP-Adresse ihren Kunden in welchem Zeitraum zugewiesen war. Lediglich die Speicherdauer ist unterschiedlich; sie reicht nach meiner Erfahrung von wenigen Stunden bis zu etlichen Wochen. Bei entschiedenem Nachfragen tauchen mitunter auch noch Monate, ja ein, zwei Jahre alte Datensätze auf. Das habe ich schon mehrfach erlebt.

Wie falsch die Staatsanwaltschaft Köln mit ihren Argumenten liegt, zeigt sich schon an den tausenden Abmahnungen, die jede Woche an Filesharer gehen. Würden die Provider nicht wenigstens für einen begrenzten Zeitraum IP-Adressen dokumentieren, wären die Abmahnwellen längst verflacht.

Sind beim Provider aber noch solche nun mal gespeicherten Daten vorhanden, die eine Verknüpfung von IP-Adresse und Anschlussinhaber ermöglichen, müssen diese nach einer Anordnung durch ein Zivilgericht auch an die Rechteinhaber herausgegeben werden.

Auch wenn die Musik- und Filmindustrie ausgezeichnete Lobbyarbeit macht – dass sie besseren Zugriff auf solche Daten hat als ein Polizist oder gar ein Staatsanwalt, ist kaum zu erwarten. Es ist auch tatsächlich nicht der Fall.

Mit der Vorratsdatenspeicherung, die einen extra Speichergrund für die Strafverfolgung bereitstellte, haben diese ohnehin möglicherweise noch vorhandenen Daten nichts zu tun. Ein anderer Punkt wäre allerdings die Frage, ob eventuelle Vorratsdaten überhaupt für so ein (Bagatell-)Delikt verwendet werden dürften. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts dürfen solche Daten nämlich grundsätzlich nur zur Verfolgung schwerer Straftaten und zur Abwehr erheblicher Gefahren genutzt werden. Es ist also eher so, dass Vorratsdaten der Staatsanwaltschaft Köln ohnehin kaum weitergeholfen hätten – was die Argumentation im Kern unredlich macht.

Die außerdem ins Feld geführte Behauptung, ohne Vorratsdatenspeicherung gebe es im Fall von Frau F. keine Ermittlungsansätze, ist jedenfalls Nonsens. Aber eine bequeme Möglichkeit, sich die an sich fällige Arbeit gleich zu sparen. Dass der abschlägig beschiedene und argumentativ übervorteilte Bürger gleich noch Fan der Vorratsdatenspeicherung wird, scheint mir fast nur wie ein willkommener Nebeneffekt.

Amazon: Gut gehütete Links für Kunden

Die Umtauschbereitschaft von Amazon ist legendär gut, aber man muss sich meist durch Menüs hangeln, Formulare ausfüllen, Vorfragen beantworten und Belegnummern eintippen.

Menschliche Ansprechpartner sind nicht so Amazons Ding. Obwohl es sie gibt, einen kostenlosen Rückrufservice sogar inklusive. Einen Kundenberater von Amazon bringt man über folgenden Direktlink dazu, sich zur Wunschzeit zu melden: Amazon-Callcenter. Normalerweise muss man erst nervige Vorfragen beantworten. 

Ein simples E-Mail-Formular ohne die üblichen Vorfragen gibt es übrigens auch: E-Mail-Formular.

Danke an Frank Nocke, der die anscheinend gut gehüteten Links ausgegraben und bereits getestet hat.

Ein Preis – auch für die Leser

Ich habe es gestern schon getwittert, möchte die Nachricht aber auch an dieser Stelle nachtragen: Das law blog ist gestern in Köln neben DRadio Wissen mit dem Grimme Online Award in der Kategorie “Information” ausgezeichnet worden.

Dass es am Ende zu einem Preis gereicht hat, war für mich schon eine große Überraschung. Immerhin gab es gab es in dieser Gruppe starke Konkurrenz, zum Beispiel das kritisch hinter die Kulissen blickende Militär-Blog “Augen geradeaus”  von Thomas Wiegold. Oder das immer informative  Audioblog “Was mit Medien” von Daniel Fiene und Herrn Pähler.

Immerhin blieb es spannend bis zum Moment, als der Laudator auf der Bühne der Vulkanhalle den berühmten Umschlag öffnete. Selbst notorische Insider waren offenbar dieses Jahr an der strikten Geheimhaltung des Grimme Instituts gescheitert. Ich hatte vor der Verleihung nämlich einige Tipps bekommen, diese gingen fürs law blog aber interessanterweise in die Richtung “Es wird wohl nicht reichen”.

Die Jury hat nicht nur entschieden, sondern zu den Preisträgern auch schöne Texte verfasst. Zum law blog heißt es etwa:

Seit Jahren bietet er uns einen qualitativ hochwertigen Blick hinter die Kulissen des juristischen Betriebs und zeigt und zwischen verständlichen Erläuterungen der Paragrafen vor allem die menschliche Seite. Vetters Blog immunisiert gegen das beklemmend kafkaeske Gefühl, das Nichtjuristen in Rechtsfällen erfasst. Denn unter mancher Robe wird eine Jeans getragen, deren Träger gegen Fehler von Gerichten  und gegnerischen Parteien kämpft, und nicht die Rolex, sondern die Bürokratie sind schwer zu (er)tragen.

Wichtig für die Jury war aber auch die stets lebhafte Diskussion im law blog. Moderatorin Amelie Fried staunte über die vielen Kommentare, welche die Beiträge nach sich ziehen. Auch der Einspielfilm auf der Bühne lobte die lebhafte Community im law blog.

Der Preis gehört also nicht nur mir (und Florian Holzhauer, der ruhigen Hand im Maschinenraum), sondern auch zu einem guten Stück den Kommentatoren. Ich bedanke mich an dieser Stelle deshalb bei euch allen, und das gilt ausdrücklich auch für all jene, die meine Meinung nicht teilen oder aufzeigen, wo ich mal fachlich falsch liegen könnte.

Auf der Seite des Grimme Instituts gibt es schon nähere Informationen zu den Preisträgern und dem Abend in der Vulkanhalle.

Ein Brief im Nirgendwo

Mit Strafanzeigen ist so manche ARGE schnell bei der Hand. Auch einen meiner Mandanten hat es getroffen. Angeblich hatte er einen Minijob nicht rechtzeitig angezeigt. Das soll zu einigen Euro Überzahlung geführt haben.

Zum Tatvorwurf habe ich mich so geäußert:

Es ist richtig, dass Herr H. Sozialleistungen bezogen hat. Mein Mandant, der in seiner Kundenakte beim Arbeitsamt als „motiviert“ beschrieben wird, bemühte sich aber stets um einen neuen Job.

Glücklicherweise fand er zum 05.01.2010 eine Beschäftigung bei der Firma J. Es handelte sich allerdings anfangs nur um eine geringfügige Beschäftigung mit einem Monatsentgelt von € 400,00. Die wöchentliche Arbeitszeit sollte 11,5 Stunden betragen.

Herr H. teilte der ARGE diesen Sachverhalt unmittelbar nach Vertragsschluss mit Schreiben vom 23.12.2009 mit. Das Schreiben füge ich in Kopie bei. Das Schreiben hat mein Mandant per Post geschickt.

Mein Mandant hörte in der Folgezeit nichts von der ARGE. Er ging deshalb davon aus, dass der geringfügige Nebenverdienst nicht zu einer Anrechnung auf die monatlichen Sozialleistungen führt.

Es wäre zu überprüfen, wo die ARGE das Schreiben meines Mandanten abgeheftet hat. In der Ermittlungsakte ist es jedenfalls nicht aufzufinden. Herr H. hat aber mit seinem Brief der Meldepflicht genügt. 

Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren eingestellt, und zwar wegen fehlenden Tatverdachts. Das ist extrem erfreulich.

Ich überlege jetzt nur, ob der Brief meines Mandanten doch noch irgendwo aufgetaucht ist. Oder sollte die Einstellung gar schon Folge des Gerichtsurteils sein, wonach Bürger nicht gezwungen sind, Behördenbriefe per Einschreiben zu schicken?

WLAN-Sharing bleibt riskant

WLAN-Sharing klang nach einer guten Idee, doch die Rechtslage in Deutschland bleibt weiter ungeklärt. Der Internetanbieter 1 & 1 hat sich mit FON außergerichtlich geeinigt. Damit ist ein Rechtsstreit erledigt, der bereits bis zum Bundesgerichtshof gekommen war. Ein höchstrichterliches Urteil wird somit zum WLAN-Sharing zunächst nicht ergehen.

1 & 1 hatte sich dagegen gewehrt, dass FON seinen Teilnehmern wechselseitig Zugang zu allen WLAN ermöglicht, so dass diese auch unterwegs surfen können. Das Modell bewerteten Gerichte als Ausbeutung des Geschäftsmodells von 1 & 1. Über die Einzelheiten der Einigung sollen die Kontrahenten Stillschweigen vereinbart haben.

Jeder Anschlussinhaber muss sich ohnehin fragen, ob die Risiken des WLAN-Sharing für ihn beherrschbar sind. Illegales Filesharing über den Anschluss kann zu Abmahnungen führen, auch wenn der Anschlussinhaber gar nichts davon wusste. Ein noch größeres Risiko ist, für den (denkbaren) Tausch von Kinderpornografie oder anderen strafbaren Inhalten belangt zu werden.

Die Polizei hat fast immer nur die IP-Adresse des Anschlusses als Anknüpfungspunkt. Fast reflexartig wird bei möglichen Straftaten dann eine Hausdurchsuchung beantragt. Die allermeisten Richter nicken solche Beschlüsse willig ab. Auch wenn dann beim Anschlussinhaber nichts Strafbares gefunden wird, nimmt ihm niemand den Ärger und die Kosten ab, die mit einer Hausdurchsuchung und einem Ermittlungsverfahren verbunden sind.

WLAN-Sharing kann man in Deutschland eigentlich nur einigermaßen sorglos anbieten, wenn der Anbieter ein virtuelles Netzwerk zur Verfügung stellt. Dann kommt die Exit-IP-Adresse von seinem Server, so dass der einzelne WLAN-Betreiber bei entsprechenden weiteren Vorkehrungen nicht zu ermitteln sein dürfte.

Bericht auf heise.de

Überhaft, Verzicht und Verständigung

Heute habe ich kräftig an der Strafprozessordnung gebogen – aber wenigstens im Interesse meines Mandanten. Die Ausgangssituation:

Herr B. war wegen etlicher Einbrüche angeklagt. Wegen der Vorwürfe und weil er sich acht Monate vor der Polizei versteckte und erst auf einem Düsseldorfer Marktplatz geschnappt werden konnte, ging Herr B. auch in Untersuchungshaft. Die Untersuchungshaft wurde dann nach kurzer Zeit unterbrochen, weil gegen Herrn B. ein rechtskräftiger Strafbefehl über 120 Tagessätze vorliegt. Diese Geldstrafe hat er nicht bezahlt (und kann sie auch nicht zahlen), so dass Herr B. nun 120 Tage abzusitzen hatte. Davon sind noch dreieinhalb Monate übrig.

In der Hauptverhandlung zeigte sich das Gericht sehr fair. Deshalb erzielten wir eine Verständigung über eine günstige Haftstrafe; Bewährung war unmöglich drin. Das Gericht war sogar bereit, den Haftbefehl im Verfahren wegen der Einbrüche aufzuheben. Dann wäre Herr B. frei gewesen, bis das Urteil rechtskräftig ist. Herr B. wäre also draußen geblieben, bis über eine Revision entschieden ist.

Dummerweise gab es aber noch den Strafbefehl. Den bezog das Gericht in seine Entscheidung über die Einbrüche zwar mit ein, es fällte also ein Gesamturteil. Jedoch hätte ich Herrn B. so nicht aus dem Gericht mitnehmen können, denn das umfassende Urteil des Landgerichts wäre heute ja nicht rechtskräftig geworden, so dass es den Strafbefehl (und die Anordnung über die Freiheitsstrafe wegen der nicht gezahlten Geldstrafe) nicht ersetzen konnte. Selbst wenn das Landgericht also “seinen” Haftbefehl wegen der Einbrüche aufgehoben hätte, hätte noch “Überhaft” wegen des nach wie vor wirksamen Strafbefehls und der damit verbundenen Haftanordnung vorgelegen.

Herr B. wollte heute aber unbedingt nach Hause. Das kann ich nachvollziehen, denn was hilft ihm der Zeitgewinn Revisionsgeplänkel, wenn er den Ausgang weitgehend im Gefängnis abwarten muss? Eine Freilassung war somit nur möglich, wenn das Urteil heute rechtskräftig würde. Da fingen die Probleme an.

Wir hatten ja eine Verständigung erzielt. Für diesen Fall bestimmt die Strafprozessordnung, dass ein Rechtsmittelverzicht unzulässig ist. Strenggenommen hätte diese Vorschrift, die den Angeklagten schützen soll, jetzt dazu geführt, dass Herr B. noch eine Woche im Gefängnis bleiben muss, bis das Urteil rechtskräftig wird (sofern nicht noch schriftlich Revision eingelegt wird).

Es gab nur zwei Möglichkeiten: den an sich unzulässigen Rechtsmittelverzicht. Oder ins Protokoll aufnehmen, dass die Verständigung doch gescheitert ist. Obwohl das gar nicht der Fall war, weil sich alle daran halten wollten. Schließlich hatten wir nicht ohne Grund lang im Richterzimmer verhandelt.

Ich habe es dann so gelöst, das wir bis zum Ende der Sitzung keinen Rechtsmittelverzicht erklärt haben. Diesen Verzicht schoben wir in einer  gesonderten Erklärung gegenüber dem Protokollführer, der mit dem Sitzungsende wohl als “Urkundsbeamter der Geschäftsstelle” fungierte, nach. So wurde auch optisch dokumentiert, dass das Gericht keinesfalls auf einen Rechtsmittelverzicht gedrängt hat. Ich fand das besser, als eine offenkundige Lüge, nämlich das Scheitern der Verständigung, zu protokollieren.

Ganz astrein ist das alles nicht, aber das Ergebnis rechtfertigt ja so manches. Mein Mandant war jedenfalls sehr glücklich, dass er erst mal wieder frei ist. Am wichtigsten ist für ihn, dass er als Selbststeller eine gute Chance auf offenen Vollzug hat, wenn ihn in Kürze die Ladung zum Strafantritt erreicht.

Minister bietet Richterin “Nachhilfe”

Persönliche Post von unzufriedenen Innenministern bekommen Amtsrichter eher selten. Das ist auch gut so, denn Urteilsschelte mit persönlicher Anrede, verbunden mit gönnerhaften Angeboten könnte als Druck “von oben” angesehen werden. So was verträgt sich schlecht mit der richterlichen Unabhängigkeit. Der schleswig-holsteinische Innenminister Klaus Schlie hat diese Vorgaben nun missachtet – er rüfftelte eine Elmshorner Amtsrichterin in einem quasi-offenen Brief.

Die Richterin hatte einen Polizisten wegen des Einsatzes von Pfefferspray wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Obwohl die Entscheidung nicht rechtskräftig ist und noch nicht mal die Urteilsgründe vorliegen, schrieb der Innenminister die Richterin an und äußerte Unverständnis über das Urteil.

Schlie merkt an, Polizisten seien immer häufiger mit gefährlichen Situationen konfrontiert, in denen sie sekundenschnell entscheiden müssten. Ob und welche Mittel zum Einsatz kämen, könnten nur die Beamten selbst entscheiden. Im Kern spricht Schlie der Richterin das Recht und wohl auch die Fähigkeit ab, über den Sachverhalt zu urteilen. Gönnerhaft lädt er sie zu einer Nachtfahrt mit Beamten ein, damt sie sich selbst mal ein Bild von den Belastungen machen kann.

Opposition, eine Richtervereinigung und sogar der Justizminister sind nicht glücklich mit dem Brief des Innenministers, berichtet shz.de. Zu recht, denn so ein Brief ist ein dreister Versuch, eine Richterin einzuschüchtern nach dem Motto: Wir haben dich im Blick.

Schon vom Ansatz her sind die Ausführungen des Ministers (nachzulesen hier) verfehlt. Es ist die Aufgabe einer Strafrichterin, bestimmte Lebenssachverhalte zu beurteilen. Wenn sie es mit der Anklage gegen eine Polizisten zu tun hat, gilt das auch und uneingeschränkt für die Arbeit des Polizisten. Der Richterin hier mangelnde Fähigkeit oder Einsicht zu unterstellen und ihr eine nächtliche Streifenfahrt anzudienen, ist schon deswegen ein Affront, weil noch nicht mal die Urteilsgründe vorliegen.

Sicher hat auch in Innenminister das Recht, Urteile zu kritisieren – sobald sie inhaltlich bekannt sind. Aber darauf wollte Schlie nicht warten. Überdies missachtet der Minister auch grob jede Etikette. So hat er die Richterin nicht nur unter Namensnennung angeschrieben, sondern Kopien dieses Schreibens auch noch “den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landespolizei” zugesandt.

Dass hier gegen die Richterin ein Pranger aufgemacht wird, wiegt nach meiner Meinung sogar noch schwerer als die verbale Fehlleistung des Innenministers. Und das gilt unabhängig davon, ob das Urteil in weiteren Instanzen Bestand haben wird.

Nachtrag: Der Justizminister schreibt dem Innenminister

Disco-Schufa

In Osnabrück haben sich jetzt Polizei und Discobetreiber zu einer Disco-Schufa zusammengetan. Die Tanztempel unterrichten sich gegenseitig über die Namen gewalttätiger Gäste oder solcher, die sie dafür halten. Ein in einer Diskothek ausgesprochenes Hausverbot soll zunächst für weitere 17 Etablissements gelten. Die Polizei ist auch mit im Boot. Sie will den Betroffenen an Freitagen, Samstagen und vor Feiertagen Aufenthaltsverbote für die Osnabrücker Gastronomieviertel erteilen.

Was sich im Bericht der Osnabrücker Zeitung so fabelhaft anhört, ist juristisch möglicherweise auf dünnem Fundament gebaut.

Das automatisch übertragene Hausverbot ist schon zivilrechtlich unzulässig. Die Discothek X kann sich nicht darauf berufen, dass jemand in der Discothek Y “aufgefallen” ist und ihn deshalb vorsorglich aussperren. Hausverbote sind nach der Rechtsprechung nämlich nur wirksam zwischen den jeweiligen Vertragspartnern.

Es gibt auch datenschutzrechtliche Probleme. Die Weitergabe der Hausverbote ist eine Datenübermittlung, die nach dem Bundesdatenschutzgesetz nur “zur Wahrung der berechtigten Interessen eines Dritten oder zur Abwehr für die öffentliche Sicherheit” zulässig ist”.

Das berechtigte Interesse (für die Zukunft) sehe ich schon nicht. Ob und unter welchen Umständen jemand angeblich gewalttätig geworden ist, sagt nicht unbedingt etwas darüber aus, dass er es auch künftig tun wird. Auch Türsteher sind zum Beispiel oft keine Friedenslämmer, auch wenn natürlich immer die bösen Gäste angefangen haben. Die Quote unberechtigt ausgesprochener Hausverbote ist mit Sicherheit beträchtlich. Das bestätigen auch gerne Strafrichter, denn Prozesse um Disco-Schlägereien enden meist in einem Fiasko. Spätestens mit Vernehmung des 51. Zeugen ist nämlich klar, dass die Wahrheit nie ans Licht kommen wird.

Auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit könnte man nur annehmen, wenn Fakten eine glasklare Wiederholungsgefahr belegen. Dann wäre das Kriterium aber nicht das Hausverbot von Szenewirt Oliver, sondern die rechtskräftige Verurteilung durch ein Gericht. Hierüber dürften die Ermittlungsbehörden andersrum den Diskotheken aber interesssanterweise gar keine Auskunft geben, da die Strafprozessordnung für freihändige Informationen an die lokale Gastronomie keine Rechtsgrundlage kennt.

Das “berechtigte Interesse” könnte man dann ja auch bei Kneipen, Imbissbuden und Restaurants sehen. Oder bei Kinos und Tankstellen Tankstellen. Eine branchenübergreifende Hausverbots-Schufa, die ja dann der nächste Schritt wäre, könnte schnell zu Stigmatisierung, Ausgrenzung und Diskriminierung führen. Es spricht also viel dafür, auch in einem Diskotheken-Verbund kein berechtigtes Interesse zu erkennen.

Aber selbst wenn wir das berechtigte Interesse einfach bejahen, müsste nach dem Gesetz noch feststehen, dass kein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen gegen die Weitergabe seiner Daten spricht. Diese Regelung ist mit ein Grund dafür, warum wir bei Banken eine Schufa-Klausel unterschreiben müssen. Die Weitergabe negativer Daten über uns widerspricht fast immer unserem Interesse – deshalb benötigen solche Auskunfteien praktisch immer unser Einverständnis für die Datenweitergabe.

Die “Qualität” eines Hausverbots ist gegenüber Tatbeständen bei privaten Bankgeschäften (rechtskräftiger Titel, Insolvenanmeldung) regelmäßig höchst nebulös, seine Rechtfertigung fast immer fraglich. Schon von daher wird man kaum dahin kommen, ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen zu verneinen.

Eine merkwürdige Rolle spielt auch die Polizei. Sie will Aufenthaltsverbote aussprechen, die es in sich haben. Die Osnabrücker Zeitung:

Ab sofort bekommen Disco-Schläger zeitlich befristete Aufenthaltsverbote für sechs Zonen im Stadtgebiet, in denen sich die 18 Lokale befinden.

In den Nächten vor Samstag, Sonntag oder einem Feiertag (20 bis 8 Uhr) dürfen sich die polizeilich registrierten Gewalttäter nicht in diesen Zonen blicken lassen. Tun sie es doch, ist eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs fällig. Im Wiederholungsfall könne die Polizei einen notorischen Schläger auch in Gewahrsam nehmen oder ein Zwangsgeld verhängen.

Sonderlich verhältnismäßig klingt das nicht. Die Polizei wird außerdem gut daran tun, die Aufenthaltsverbote nur aufgrund eigener Erkenntnisse zu verhängen und nicht aufgrund standardmäßig gemeldeter Hausverbote in Diskotheken. Ansonsten dürften die Platzverweise vor dem Verwaltungsgericht schneller purzeln, als es den Initiatoren lieb sein kann.

Die Diskotheken, aber auch die Polizei sind gesetzlich verpflichtet, Betroffenen Auskunft über gespeicherte Daten, ihre Herkunft und den Verwendungszweck zu geben. Es wird sicher interessant sein, ob und wie sorgfältig die Anfragen von Osnabrückern, die keinen Eintrag in der Disco-Schufa wünschen, beantwortet werden. 

Mörder Handtasche

Vor einiger Zeit habe ich darüber geschrieben, dass Staatsanwälte und Richter oft Probleme haben, eine einfache Körperverletzung eine einfache Körperverletzung sein zu lassen. Da wird dann gern nach einem “gefährlichen Werkzeug” gesucht – und es irgendwie schon gefunden. Zuletzt musste der Bundesgerichtshof einschreiten und einem kreativen Landgericht erklären, dass Körperteile schon begrifflich keine “Werkzeuge” sein können.

Nach solchen Weihen strebt nun auch das Amtsgericht Köln. Dort war eine Frau angeklagt, die mit ihrer Friseur nicht einverstanden war. Im Rahmen des Streitgesprächs versetzte sie ihrer Haardesignerin einen Schlag mit der Handtasche gegen den Kopf. Das Amtsgericht wertete die Handtasche als gefährliches Werkzeug, weil sie mit Metallbügeln versehen war.

Nach diversen Presseberichten überlegt die Täterin, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. Das würde ich ihr auch dringend raten, schon damit wir für einen weiteren Alltagsgegenstand erfahren, ob dieser ein gefährliches Werkzeug  sein kann. Bügel hin oder her, ich tippe auf nein.

Nachtrag: Es gibt auch den Killer-Rettich

Flächendeckende Bespitzelung

Wenn man der Polizei technische Möglichkeiten gibt, werden sie genutzt. Ob das auch rechtlich erlaubt ist, scheint häufig nachrangig – wie ein aktuelles Beispiel aus Dresden zeigt. Für die Antinazidemo am 19. Februar hat die Polizei eine großflächige Funkzellenauswertung durchgeführt, um Bewegungsprofile zu erstellen. Die Standort- und Kommunikationsdaten der Handys tausender Demonstranten wurden nach einem Bericht der taz lückenlos erfasst. Gleiches gilt aber auch für die Daten von Dresdner Bürgern, die gar nicht demonstrieren waren.

Herausgekommen ist die Überwachung, weil die Polizei offenbar der Versuchung nicht widerstehen konnte, den angehäuften Datenschatz rechtswidrig zu nutzen. Offiziell sollen Gewalthandlungen gegen Polizeibeamte Anlass für die Funkzellenauswertung gewesen sein. Jedoch tauchten Handydaten nach und nach auch in Ermittlungsakten auf, in denen es um ganz andere, jedenfalls nicht mit Gewalt verbundene Vorwürfe ging – etwa kleinere Verstöße gegen das Versammlungsgesetz.

Grundsätzlich darf eine Funkzellenauswertung nur durch den Richter erlaubt werden. Allein in Eilfällen kann auch ein Staatsanwalt die Anordnung treffen. Beachtet werden müssen nach dem Gesetz einige wichtige Dinge. Die Maßnahme muss zielgerichtet sein, sich also auf die Ermittlung von konkreten Verantwortlichen für eine bestimmte Straftat beziehen. Es darf keine anderen, weniger einschneidenden Möglichkeiten geben, die Sache aufzuklären. Und die Erhebung der Daten muss in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen.

Selbst wenn man unterstellt, dass Gewalt gegen Polizeibeamte die Auswertung rechtfertigte, durften die Daten nur für die Ermittlungen wegen dieser Taten verwendet werden. Stattdessen scheinen sie aber in beliebige andere, kleinere Verfahren eingeflossen zu sein. So berichtet die taz, die Verbindungs- und Standortdaten des Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele tauchten in einer Emittlungsakte auf – obwohl sich das Verfahren noch nicht mal gegen ihn richtet.

Die Demonstration war von einem Riesenaufgebot Beamter überwacht. Schon von daher wird man nicht ernstlich annehmen können, kleinere Delikte könnten nur durch Funkzellendaten geklärt werden. Letztlich fehlt es aber so eklatant an der Verhältnismäßigkeit, dass selbst die Staatsanwaltschaft Dresden die Daten nicht mehr sehen möchte. Die Behörde hat laut taz der Polizei verboten, die Handydaten weiter in Drittverfahren einfließen zu lassen.

Unschön an der ganzen Sache ist, dass es bei der Dresdner Polizei offenbar keinerlei Sensibilität für die Brisanz der Maßnahme gab. Das lässt nur wenige Rückschlüsse zu. Keiner davon ist erfreulich.

Entweder war der angebliche Anlass für die Funkzellenauswertung nur vorgeschoben und man plante von vornherein, die Bewegungs- und Kommunikationsprofile für alle Verfahren rund um die Demo zu nutzen. Dann wären ein Staatsanwalt oder gar ein Richter angelogen worden.

Oder man konnte später einfach der Versuchung nicht widerstehen, den Datenschatz zu heben. Das wäre eine krasse Verkennung der Rechtslage, wobei sich auch hier wieder die Frage stellt: Wurde hier bewusst auf dem Rechtsstaat rumgetrampelt – oder sind die Verantwortlichen einfach so doof?

Was für besonders viel Unbehagen sorgen sollte: Niemand kann sich hier zurücklehnen nach dem Motto, wer ins Raster gerät, ist doch am am Ende selbst schuld. Irgendwas wird schon dran gewesen sein. Hierfür sind Funkzellenauswertungen zu gleichmacherisch. Die Daten jedes Bürgers werden gnadenlos erfasst und überprüft, bloß weil er sich im räumlichen Bereich der Funkzelle befunden hat.

Der eine oder andere Dresdner wird sich noch gut daran erinnern, wann im Ort zuletzt flächendeckend bespitzelt wurde. Es ist also völlig korrekt, wenn die Betroffenen ein gerichtliches Nachspiel ankündigen.

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