Keine Fahrprüfung, aber legal am Steuer

Darf jemand in Deutschland legal Auto fahren, obwohl er nie eine Fahrprüfung gemacht hat? Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beantwortet diese Frage mit einem (vorläufigen) Ja – und gibt einer Gesetzeslücke schuld.

Die Geschichte beginnt damit, dass eine Frau aus Niederbayern Auto fahren wollte, obwohl sie nie eine theoretische oder praktische Fahrprüfung abgelegt hat. Sie kaufte im Sommer 2008 über einen Vermittler einen totalgefälschten philippinischen „Führerschein“. Auf den Philippinen war sie nie gewesen.

Nur zwei Wochen nach dem Kauf ließ sie über den Vermittler unter Angabe eines ungarischen Scheinwohnsitzes die Umschreibung dieses philippinischen „Führerscheins“ in einen ungarischen Führerschein beantragen. Die ungarischen Behörden stellten ihr daraufhin anstandslos einen ungarischen Führerschein aus.

Als die Polizei gegen den Vermittler ermittelte, stieß sie auf Namen und Adresse der Kundin. Das Landratsamt Passau verbot der Frau sofort, mit ihrem ungarischen Führerschein in Deutschland Auto zu fahren. Dagegen klagte die Frau – beim Bayerischen Verwaltungsgerichshof hatte ihr Eilantrag Erfolg.

Die Richter meinen, der ungarische Führerschein weise nicht nur die philippinische Fahrerlaubnis nach. Vielmehr vermittele das Dokument ein “eigenes ungarisches Recht”. Diese eigenständige ungarische Fahrerlaubnis sei gültig, so lange sie nicht von Ungarn zurückgenommen worden sei.

Die deutschen Behörden seien machtlos. Der deutsche Gesetzgeber habe nämlich versäumt, von einer EU-rechtlichen Ermächtigungsnorm Gebrauch zu machen. Nach einer Vorschrift aus der EU-Führerschein-Richtlinie hätte festgelegt werden können, dass ein von einem anderen EU-Mitgliedsstaat (hier: Ungarn) umgetauschter Führerschein eines Drittlandes (hier: der Philippinen) in Deutschland nicht anerkannt wird. Eine solche Vorschrift gebe es aber in Deutschland noch nicht.

Der Beschluss im Eilverfahren gestattet der Frau nun in Deutschland Auto zu fahren, obwohl sie niemals eine Fahrprüfung gemacht hat. Dies gilt zumindest so lange, bis das Gericht die Hauptsache geprüft hat. Die Behördenvertreter wollen darauf drängen, dass das die Frau doch wieder das Auto stehen lassen muss. Ihrer Meinung nach sperrt bereits der gefälsche philippinische Führerschein “rechtliche Anschlussbetrachtungen”.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 3. Mai 2011, Aktenzeichen, 11 C 10.2938

Kinderlärm kein Grund für Klagen mehr

Wer sich über Kinderlärm aufregt, wird künftig vor Gericht kaum noch Chancen haben. Der Bundesrat billigte heute die Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes. Diese Änderung sieht vor, dass Geräusche von Kindergärten, Spielplätzen und ähnlichen Einrichtungen nicht länger als “schädliche Umwelteinwirkung” angesehen werden können.

Damit wird Anliegern weitgehend die Möglichkeit entzogen, gegen Kinderlärm zu klagen. Der Bundestag hat das Gesetz bereits verabschiedet, so dass es nach der heutigen Zustimmung des Bundesrates bald in Kraft treten wird.

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Irgendwas muss schiefgelaufen sein

Massengentest: Richterliche Anordnung gegen Verweigerer

„Weisungen des Inhabers … wie z.B. die Annahmeverweigerung für un- oder teiladressierte Werbesendungen, werden von der Deutschen Post nicht berücksichtigt“

Haben Unternehmen auf Facebook nichts zu suchen?

Brummifahrer fotografiert sein „bestes Stück“

Sparkasse möchte keinen Bankräuber beschäftigen

Schweizer Polizei duldet keine Kifferfotos

Alice (Schwarzer) im Wunderland

„Nevertheless, I would like to be in Thailand again in December when my oldest daughter gets married. By that time my sister may be ruling the country.“

Schön ironisch

Die Schließung von kino.to führt nicht nur zu Diskussionen, sondern auch zu kreativen Aktionen. Eine davon ist sicherlich, das Sächsische Innenministerium abzumahnen, weil die wahrscheinlich von der Polizei gestaltete temporäre Startseite von kino.to kein Impressum hatte.

Eine Filmseite und ihre Anwälte haben das jetzt tatsächlich umgesetzt. Schön ironisch und ein herrlicher PR-Stunt, der – je nach Reaktion des Ministeriums – noch wunderbar weitergehen kann.

Mehr aber auch nicht.

Der Lady-Gaga-Hacker und die Panik vor dem Internet

Mit 18 Monaten Freiheitsstrafe hat das Amtsgericht Duisburg heute einen Jugendlichen bedacht, der schon im Vorfeld des Prozesses als “Lady-Gaga-Hacker” bekannt geworden ist (Hintergrundgeschichte bei Spiegel online). Immerhin setzte das Gericht die Strafe zur Bewährung aus, sofern der 18-Jährige innerhalb von sechs Monaten seine “Hacker-Sucht” behandeln lässt und Arbeitsstunden leistet.

Das Urteil fällt sicher zufällig auf den Tag, an dem Innenminister Hans-Peter Friedrich das Cyber-Abwehrzentrum einweiht und 63 % der Teilnehmer einer Umfrage der Tagesschau die Bedrohung aus dem Netz als “real” empfinden. Dennoch passt das Verdikt des Duisburger Amtsgerichts in die möglicherweise gerade aufkeimende Internethysterie – es ist nämlich knochenhart.

Wenn man den Berichten glauben darf, ist der gerade volljährig gewordene Angeklagte nicht vorbestraft. Er hat seine Taten gestanden. Selbst das Gericht sieht  Bedarf, dass er seine “Internetsucht” in den Griff bekommt. Dabei helfen ihm auch seine Eltern.

Alles Umstände, die zunächst mal für den Angeklagten sprechen. Wie das Gericht trotzdem zu anderthalb Jahren Bewährungsstrafe kommen konnte, ist für mich unerfindlich.

Sicher, der 18-Jährige soll in die Computer von Popstars und Plattenfirmen eingedrungen sein, teilweise intime Fotos und noch nicht veröffentlichte Songs entwendet haben. Aber ihn deswegen schon als Hacker zu titulieren, ist fast zu hoch gegriffen. Er profitierte nämlich von der Sorglosigkeit seiner Opfer, denen er ohne größere Probleme Trojaner unterjubeln konnte.

Rund 15.000 Euro soll er “erpresst” haben, vorrangig hat er seinen prominenten Opfern aber “Shouts” abgenötigt. Das sind O-Töne der Stars, in denen diese über den Empfänger goldene Worte verlieren. Wohl etwas, das in der Fanszene nicht mit Gold aufzuwiegen ist.

Mir fallen nur wenige Verfahren, in denen einer meiner jugendlichen Mandanten seine Gerichtskarriere gleich mit einer Haftstrafe begonnen hat. Es gibt da lediglich einen Totschlag und mehrere Vergewaltigungen. Außerdem natürlich Intensivtäter, die nicht nur in Serie raubten, sondern dabei auch übel Gewalt angewandt haben, bevor sie dann nach meist langer Zeit festgenommen wurden.

Der Lady-Gaga-Hacker spielt in einer anderen Liga. Er hat getrickst, geschwindelt und abgezockt. So wie es etwa junge Leute tun, die Kreditkartendaten phishen und unter falschem Namen online einkaufen. Bei Ersttätern bringt das normalerweise eine Latte Arbeitsstunden. Oder vielleicht ein paar Wochenenden Jugendarrest.

Natürlich kann man diskutieren, ob Jugendgerichte grundsätzlich zu milde urteilen. Aber so will es nun mal das Gesetz. Dessen Vorgabe lautet nämlich “Erziehung vor Strafe”. Deshalb ist es durchaus richtig und nach meiner Meinung glücklicherweise auch üblich, nicht sofort die Keule Jugendknast zu schwingen. Nicht umsonst sieht das Gesetz für Jugendliche etliche Sanktionsmöglichkeiten vor, die niederschwelliger sind als Gefängnis. 

Ich fürchte, im Duisburger Fall haben der Druck der Öffentlichkeit und die aufkeimende Internetpanik eine unheilvolle Rolle gespielt. Das Ergebnis ist ein übermäßig hartes Urteil.

Auch wenn es der Stammtisch vielleicht anders sieht.

Wie ich mich fast um 1.000 Euro brachte

Ich habe gepennt. Aber wenigstens geht das Versäumnis nicht zu Lasten eines Mandanten. Es trifft vielmehr mich selbst und hätte mich knapp 1.000 Euro kosten können.

Gegen meinen Mandanten liefen eine Vielzahl von Verfahren. Ich war in diesen Sachen als Verteidiger tätig, meist schon im Vorverfahren. In einer größeren Sache lag vor rund einem Jahr die Anklage vor. Das Gericht bestellte mich dann auch gleich zum Pflichtverteidiger.

Erst nach meiner Beiordnung zum Pflichtverteidiger sammelte der Strafrichter die anderen, kleineren Verfahren ein, die mittlerweile auf zwei Sachen eingedampft und bei anderen Richtern gelandet waren. Alle Angelegenheiten wurden einheitlich verhandelt.

Ich stellte wie üblich den Kostenerstattungsantrag und erlebte eine Überraschung. Der Rechtspfleger weigerte sich, mir die Anwaltsgebühren zu erstatten, die in den beiden kleineren Verfahren angefallen waren, bevor sie mit der großen Sache verbunden wurden.

Ich sage es nur ungern, aber damit hatte er sogar recht. Die Beiordnung als Pflichtverteidiger wirkt zwar zeitlich zurück. Diese Rückwirkung tritt aber nur für das Verfahren ein, in dem die Beiordnung erfolgt. Dummerweise waren die kleineren Sachen aber erst nach meiner Bestellung zum Pflichtverteidiger zu diesen Verfahren hinzugenommen worden. Was nichts anderes bedeutet, als dass für diese Sachen eben keine Rückwirkung eintritt.

An sich hätten mir für die beiden Sachen rund 1.000 Euro zugestanden. Wenn ich nur daran gedacht hätte, beim Gericht gleich einen “Erstreckungsantrag” zu stellen. Mein Fehler, aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Ich schrieb also an den Richter, schilderte ihm mein Versäumnis und bat höflich darum, die Erstreckung noch nachträglich anzuordnen. Große Hoffnung hatte ich nicht, immerhin war das Verfahren schon längst rechtskräftig beendet.

Andererseits gibt es keine Regelung, die so eine nachträgliche Entscheidung untersagt. Trotzdem war ich heute mehr als positiv überrascht, als die Antwort auf meinen Antrag eintrudelte. Sie bestand aus einem Satz: “… wird die Erstreckung auf die hinzuverbundenen Verfahren angeordnet.”

Das hat mich sehr gefreut. Immerhin habe ich in den anderen Verfahren ja auch gearbeitet. Das hat der Richter offensichtlich anerkannt, statt mir aus meinem Versäumnis einen Strick zu drehen.

Nun kann ich gegen den ursprünglichen Kostenbeschluss, der die Gebühren ablehnte, Beschwerde einlegen. Die ist zum Glück in diesem Fall nicht fristgebunden. Da die Rechtsgrundlage für meinen Zahlungsanspruch nun wenigstens nachträglich hergestellt ist, bin ich ausgesprochen guter Dinge, dass das zunächst verweigerte Honorar demnächst auf meinem Konto eingeht.

LAN-Party 0.5

Mein Mandant hat viel Zeit, und die verbringt er an seiner X-Box. Oder am Computer. Bei einer Hausdurchsuchung wurden bei ihm einige USB-Sticks und Festplatten gefunden, auf denen sich die ursprünglich vorhandenen Daten rekonstruieren ließen und damit zu den früheren Eigentümern führten. Alle Datenträger stammten aus Wohnungseinbrüchen – und genau die will der Staatsanwalt jetzt meinem Mandanten anhängen.

Die Begründung klingt plausibel: Wer mehrere USB-Sticks und Festplatten besitzt, die aus Wohnungseinbrüchen stammen, muss der Einbrecher sein. Oder zumindest ein Hehler, was bei der Strafe dann kaum einen Unterschied macht.

Auf den zweiten Blick ist die Sache aber nicht ganz so klar. Immerhin hatte mein Mandant mehr als 50 USB-Sticks in seiner Wohnung. Und gut zwei Dutzend Festplatten. Alle nachweislich bespielt mit Programmen, Spielen, Musik und Filmen. Das meiste Zeug war nicht mit Straftaten in Verbindung zu bringen.

Well, sagt mein Mandant, ich tausche halt jede Menge Datenzeugs. Das läuft in Kneipen, Parks und mitten auf der Straße. Gibt’s du mir deinen Stick mit Sachen drauf, geb ich dir meinen. Hast du ‘ne Festplatte, kriegst du eine von mir. Sozusagen eine LAN-Party 0.5. Zurückgetauscht wird da logischerweise nicht, weil die Hardware sich vom Wert ja nichts tut.

Dass das so abgeht, weiß ich auch von anderen Mandanten. Die können wirklich aus jeder Hosentasche einen USB-Stick kramen. Deshalb halte ich es – im Gegensatz zum Staatsanwalt – für gar nicht mal so lächerlich, wie sich mein Mandant verteidigt.

Eine Anklage wird es wohl geben. Mal schauen, ob das Gericht etwas mehr Zugang zu jugendlichen Lebensstilen hat. Ein Argument wird sicher noch wichtig werden: Wenn mein Mandant ein Einbrecher oder Hehler ist, warum wurde nicht mal der Hauch von Diebesgut bei ihm gefunden, auf dem man keine Bits und Bytes speichern kann?

Dem Gerichtsstand werden die Flügel gestutzt

Überraschende Nachricht aus Hamburg: Das Landgericht in der Hansestadt verneint den fliegenden Gerichtsstand beim Domainstreitigkeiten. Das Gericht weigerte sich, einen Prozess zu bearbeiten, bei dem es keinen Bezugspunkt zu Hamburg erkennen konnte – außer dass der Klägeranwalt dort seine Kanzlei hat.

Die Klägerin ist eine Gemeinde im Landgerichtsbezirk Lübeck, der Beklagte wohnt in Kassel, technisch wird die Domain in Aachen betreut. Normalerweise hält sich das Landgerichten Hamburg auch in solchen Konstellationen für zuständig. Das gilt insbesondere für die Pressekammern. Die Begründung ist stets, dass Inhalte im Internet überall abrufbar sind und die Rechtsverletzung somit an jedem Ort eintritt – Hamburg eingeschlossen.

Hier ging der Streit um die Domain als solche. Zumindest hier liegt es wirklich nahe zu fordern, dass im Zuständigkeitsbereich des Gericht tatsächlich “eine Interessenkollision eingetreten sein kann”. Diese war für die zuständige Kammer aber nicht ersichtlich.

Zu hoffen bleibt, dass diese naheliegende Einsicht auch mal den Hamburger Pressekammern Einzug hält. Immerhin gibt es in Deutschland den Anspruch auf den “gesetzlichen Richter”. Wenn eine Veröffentlichung im Internet dazu führt, dass jedes beliebige deutsche Gericht angerufen werden kann, entwertet diese Praxis den Gedanken des gesetzlichen Richters jedenfalls vollständig.

Dass sich in Hamburg durchgreifend etwas bewegt, dürfte aber unwahrscheinlich sein. Gerade die Pressekammern würden sich damit ja ihre über Jahre erworbene gesamtdeutsche Wichtigkeit amputieren und nicht mehr so im Blickpunkt stehen. Zu so viel Demut bedürfte es wohl anderer Egos auf der Richterbank. Diese sind aber derzeit nicht in Sicht.

Landgericht Hamburg, Beschuss vom 9. Juni 2011, Aktenzeichen 303 O 197/10

Internet-Law zum gleichen Thema

Korrigiert

Heute erreichte mich die Bitte einer Leserin, einen von ihr abgegebenen Kommentar zu berichtigen. Sie hatte zu schnell auf den Senden-Button gedrückt und einen Tippfehler übersehen. Nur ein Buchstabe war falsch, aber dennoch kann das wurmen. (Die Edit-Funktion mussten wir ja wegen Missbrauchsmöglichkeiten leider schließen.)

Ich habe den Schreibfehler soeben gerne korrigiert.

Aber, so möchte ich anfügen, eines Einschreibens/Rückscheins hätte es für die Bitte doch eher nicht bedurft.

Staat oder Taschenspieler?

Menschenunwürdige Haftbedingungen sind ein Thema – nicht nur in anderen Ländern. Auch in Deutschland klagen Gefangene gegen unzumutbare Verhältnisse. Die Verfahren richten sich meist gegen zu kleine Zellen, Überbelegung und nicht abgetrennte Toiletten bei Mehrfachunterbringung (älterer Bericht im law blog). Viele Gefangene erstreiten sich eine Geldentschädigung. Und der Staat ist sich oft nicht zu schade, alles zu versuchen, damit er den Klägern letztlich doch keinen Cent zahlen muss.

Die Justiz in Bochum ahnte wohl, dass an den Beschwerden eines Gefangenen was dran sein dürfte. Sie wartete gar nicht den Ausgang des Prozesses ab, sondern pfändete gleich die Ansprüche, die der Betroffene gegen den Staat geltend machte. So sollte das Geld von der einen öffentlichen Hand in die andere öffentliche Hand fließen und letztlich zur Tilgung von Verfahrenskosten dienen, die der Gefangene dem Staat noch schuldete.

Der Bundesgerichtshof zeigte der nordrhein-westfälischen Justiz jetzt die rote Karte:

Eine   Zulassung der  Pfändung   eines aus einer menschenunwürdigen       Haftunterbringung       herrührenden       Entschädigungsanspruchs zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der   Prävention   ebenso   ins  Leere   laufen   lassen   wie   die   Zulassung   einer   Aufrechnung. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen. Der Staat würde sich auf diese Weise eine    Befriedigung     der   wirtschaftlich  wertlosen      Forderung     verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs verfolgten Zweck umgehen.

Als Zweck der Geldentschädigung sehen die Richter nämlich nicht nur die Genugtuung für den Betroffenen an, sondern auch die Prävention. Der Staat solle durch eine spürbare Zahlung künftig vor Menschenrechtsverletzungen abgehalten werden. Diese Abschreckungswirkung geht aber natürlich gegen Null, wenn die Entschädigung einfach mit anderen Forderungen aufgerechnet werden kann.

Das Verhalten der Justiz verstößt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gegen Treu und Glauben. Es ist demgemäß unzulässig.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom vom 05.Mai 2011 – VII ZB 17/10

Gericht: DDoS-Attacken sind strafbar

In letzter Zeit traf es Kreditkartenfirmen, das BKA, die GVU und die spanische Polizei. Ihre Webseiten waren einige Zeit nicht erreichbar, weil “Hacker” DDoS-Attacken gestartet hatten. Dabei werden Server so mit Anfragen überflutet, dass sie die Segel strecken. Bislang war fraglich, ob und wie sich deutsche Organisatoren oder Teilnehmer von DDoS-Attacken strafbar machen. Das Landgericht Düsseldorf hat das jetzt als erstes Gericht bejaht und einen Angeklagten wegen Computersabotage verurteilt.

Der Angeklagte hatte die Webseiten von Firmen lahmgelegt. Dann forderte er Geld, um weitere Probleme dieser Art zu vermeiden. Neben der DDoS-Attacke ein klarer Fall von Erpressung, und um dieses weit schwerere Delikt ging es dem Landgericht Düsseldorf vorrangig. Deshalb enthält die Urteilsbegründung auch keine näheren Ausführungen zu der Frage, ob die Datenangriffe des Angeklagten tatsächlich unter § 303b Strafgesetzbuch fallen. Das Landgericht Düsseldorf sieht dies offensichtlich als unproblematisch an.

Jedoch liegt es nahe, dass auch andere Gerichte DDoS-Angriffe als strafbar betrachten. Abseits von Auslegungsfragen enthält nämlich die Gesetzesbegründung der vor einigen Jahren geänderten Vorschrift ausdrücklich den Hinweis, dass mit ihr auch DDoS-Attacken erfasst sein sollen.

Bislang gab es zu dem Thema nur ein anderes Urteil, auf das sich Hacker immer gern beriefen. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte 2006, es galt noch altes Recht, Organisatoren einer Online-Demo auf der Webseite der Lufthansa freigesprochen. Die damaligen Angeklagten hatten dazu aufgerufen, zu einer bestimmten Zeit für zwei Stunden massenweise online bei der Lufthansa vorbei zu schauen. Das Gericht sah diese zeitlich befristete Störung noch als hinnehmbar an.

Allerdings unterscheidet sich der Fall der Online-Demo auch von einer DDoS-Attacke im engeren Sinn. Letztere wird nämlich nicht über die Mausklicks einzelner Besucher gesteuert. Vielmehr wird Software eingesetzt, die quasi maschinengewehrartig Anfragen an den Server richtet. Andererseits können natürlich auch normale “Nutzer” während einer DDoS-Attacke als vermeintliche Angreifer mit ihrer IP-Adresse auffallen, bloß weil sie die Seite besuchen (wollen). Eine andere Möglichkeit: Vielleicht ist der Computer des Betroffenen ebenfalls gehackt und nun Teil eines Botnetzes, das die Rechenpower für den DDoS-Angriff dezentral bereitstellt.

Gerade die unabsichtliche Teilnahme an einer DDoS-Attacke kann juristische Probleme aufwerfen. Denn an sich tun erst einmal alle Computer, die mit Servern Kontakt aufnehmen, ständig genau das, was im Strafgesetzbuch steht. Sie übermitteln Daten. Als Abgrenzungsmerkmal bleibt somit nur die “Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen”. Es kommt also darauf an, ob und was der User mit seiner “Anfrage” bezweckte.

Die Sache liegt demnach nicht anders als beim Hackerparagrafen. Ob es sich um ein strafbares Hackertool oder ein zulässiges Programm handelt, machen die Gerichte im Grenzbereich an der Absicht des Verdächtigen fest. Das ist natürlich hochproblematisch, weil auch Volljuristen Menschen noch nicht in den Kopf schauen können. Fehlurteile sind also programmiert, und zwar in beide Richtungen.

Klar ist nunmehr jedoch: Wer sich an DDoS-Attacken aktiv und wissentlich beteiligt, geht ein strafrechtliches Risiko ein.

Internet-Law zum gleichen Thema

Glücksspielreform: Segeln unter falscher Flagge

Kinderpornografie sollte in Deutschland der Türöffner für Internetsperren sein. Doch das Zugangserschwerungsgesetz erwies sich als so heikel für den Rechtsstaat, dass selbst die CDU nun für seine Abschaffung gestimmt hat. Das hindert andere jedoch nicht daran, weiter an der Einführung von Internetsperren zu arbeiten. So planen derzeit die Ministerpräsidenten der Länder Websperren und damit staatliche Zensur. Dabei geht es ihnen noch nicht mal um Kriminalität. Vielmehr sollen Deutsche keine Möglichkeit mehr haben, online bei ausländischen Lotto- und Wettanbietern zu tippen.

Derzeit liegen die Pläne bei der EU in Brüssel. Wie zu hören ist, werden dort kritische Fragen gestellt. Kein Wunder, denn die gesamten Pläne für eine Reform des Glücksspiels sind nach einem neuen Gutachten verfassungs- und europarechtswidrig.

Der Heidelberger Staatsrechtler Prof. Dr. Bernd Grzeszick hat sich im Auftrag des Londoner Wettanbieters Betfair den Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages angesehen und kommt – auch abseits des die Öffentlichkeit am meisten interessierenden Komplexes der Websperren – zu einem vernichtenden Ergebnis. Nach seiner Auffassung wird der aktuelle Entwurf, dessen Verabschiedung die Ministerpräsidenten diese Woche auf Oktober verschoben haben, vor dem Europäischen Gerichtshof und den deutschen Gerichten scheitern.

Grzeszick zeigt auf, wie unlogisch und in sich widersprüchlich die geplanten Regelungen gestaltet sind. Das allerdings ist kein Missgeschick, sondern einem Dilemma geschuldet. Nach außen müssen die Ministerpräsidenten der Länder so tun, als wollten sie die Deutschen vor den “Gefahren” des Glücksspiels schützen.  In Wirklichkeit ist ihr vorrangiges Ziel aber, die Milliardenerlöse aus Lotto, Toto und staatlichen Spielbanken für ihre Kassen zu erhalten.

Dieses bestehende Monopol lässt sich aber nur verteidigen, wenn die Gefahren des Glücksspiel bis ins Groteske beschworen werden. Der Europäische Gerichtshof hatte nämlich in einem Grundsatzurteil nicht feststellen können, dass in anderen EU-Ländern durch freies Glücksspiel messbare Not und wahrnehmbares Elend entstehen. Er stellte die Deutschen also vor die Wahl: Glücksspielkontrolle ist nur zulässig, wenn das Risiko für die “Volksgesundheit” nicht nur einseitig bei privatem, sondern konsequent auch bei öffentlichem Glücksspiel bejaht wird. Was dann unter anderem die Folge hatte, dass Hartz-IV-Empfänger möglicherweise keine Lottoscheine mehr abgeben dürfen.

Das permanente Segeln unter falscher Flagge bedingt natürlich auch juristische Verrrenkungen, die das neue Gutachten Punkt für Punkt beleuchtet. Für private Sportwetten sieht der Gesetzentwurf etwa lediglich sieben Konzessionen vor. Dagegen ist der Markt für Geldautomaten und Pferdewetten weiter für eine unbeschränkte Zahl privater Anbieter offen. Und das, obwohl gerade die Geldautomaten in Gaststätten und Spielhallen als besonders suchtgefährlich gelten. Ebenso kann wohl auch kaum jemand erklären, wieso ein Fußball- oder Formel 1 – Tipp mehr Suchtpotenzial bietet als eine Pferdewette.

Der Heidelberger Professor kritisiert zahlreiche weitere Punkte. Dazu gehören die staatlichen Pläne, künftig selbst (wieder) Lotto und Spielbankangebote online anzubieten. Das sei gerade kein geeigneter Schritt, um die angeblich so gefährdeten Deutschen vor Glücksspiel zu schützen.

Europarechtlich hält der Gutachter die Pläne für nicht vereinbar mit der garantierten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Auf nationaler Ebene sei die verfassungsrechtlich garantierte Berufsfreiheit nicht nur strapaziert, sondern faktisch außer Kraft gesetzt.

Die geplante weitere Abschottung der Deutschen vom Glücksspiel birgt also auch abseits der geplanten Netzsperren juristische Sprengkraft.

Anzeichen für ein Einlenken der Politik gibt es nicht. Die Ministerpräsidenten, so wird gemunkelt, sollen die Verabschiedung des Glücksspielstaatsvertrages bewusst auf den Oktober verschoben haben. Bis zum Jahresende muss wegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nämlich eine Neuregelung her. Bei einer möglichst späten Verabschiedung wäre der Zeitdruck in den Länderparlamenten, die alle zustimmen müssen, viel größer. Somit dürften die Chancen steigen, dass Kritiker gar nicht erst gehört und das Gesetz einfach durchgewunken wird.

Das komplette Gutachten von Prof. Dr. Bernd Grzeszick (PDF)