Geringwertig

Bei Strafverfahren wegen Diebstahls kann sich ein Anwalt besonders lohnen. Ich habe schon einige Male hinten im Saal gesessen und auf meine Sache gewartet. Dabei konnte ich dann staunend anhören, wie ein Angeklagter wegen schweren Diebstahls verurteilt wurde. Sei es, weil er für den Diebstahl eingebrochen ist, ein Auto geknackt hat oder „gewerbsmäßig“ handelte (zum Beispiel um seine Drogensucht zu finanzieren).

Das ist an sich Alltagsgeschäft. Schwummerig wird einem als Verteidiger aber, wenn man dann mitbekommt, wie viel die Diebesbeute wert war. Ich erinnere mich an den vor drei Tagen gekauften Kuli, der angeblich 23 Euro kostete. An das drei Jahre alte Handy mit einem Neupreis von 99 Euro. Oder an eine Staffel der Simpsons für 43,99 Euro.

Bei allen Fällen hätte man sich gut gegen die Verurteilung wegen schweren Diebstahls wehren können, bei der nichts mehr unter einer Haftstrafe von immerhin drei Monaten läuft. Denn bei allen Gegenständen wäre die Frage berechtigt gewesen, ob es sich nicht um „geringwertige Sachen“ im Sinne des Gesetzes handelt. Eine Verurteilung wegen schweren Diebstahls ist nämlich nicht zulässig, wenn die Beute nicht einen bestimmten Wert erreicht.

Wie hoch dieser Wert ist, wird sehr unterschiedlich gesehen. Zu DM-Zeiten pendelten wir noch bei 50 Mark. Dies wurde in eine 25-Euro-Grenze umgewandelt, die nach gut zehn Jahren aber kaum noch haltbar sein dürfte. Allerdings wird sie von vielen Staatsanwälten und Richtern immer noch angewandt.

Luft ist wegen der Preisentwicklung auf jeden Fall nur nach oben – wenn man gegen die in den Köpfen festsitzenden Zahlen argumentiert. So hat das Kammergericht Berlin jetzt entschieden, acht Päckchen Zigaretten im Wert von 27,20 Euro seien noch geringwertige Sachen. Es gibt auch Entscheidungen, die einen Mindestwert von 50 Euro ansetzen.

Selbst wenn das Gericht nicht so hoch gehen will, lässt sich gut mit dem „Wert“ im Sinne des Gesetzes argumentieren. Dieser liegt bei gebrauchten Sachen natürlich meist deutlich unter dem Anschaffungspreis. Bei überteuerten Geschäften könnte man auch damit argumentieren, der tatsächliche Wert liege niedriger als der im Laden verlangte Preis.

Quelle des Links

Schottern bringt Knast

11 Uhr: Die Demonstranten probieren eine neue Taktik aus: In kleineren Gruppen versuchen sie immer wieder, auf die Gleise zu stürmen. Dabei verteilen sie sich auf mehreren hundert Metern Länge. Gelingt es einer Aktivistengruppe, an die Schienen zu kommen, tragen sie für kurze Zeit Schotter ab – werden aber sofort wieder von den Polizisten verdrängt.“

Ist den Aktivisten gegen den Castortransport eigentlich klar, was sie da tun? Ich fürchte, sie halten das „Schottern“ nur für eine originelle Weiterentwicklung des passiven Widerstands durch Blockaden. Ist es aber nicht. Das liegt am Strafgesetzbuch. Aktionen, welche die Sicherheit des Bahnverkehrs beeinträchtigen, werden nach § 315 Strafgesetzbuch bestraft. Gerichte werden das Schottern ohne viel Aufhebens als eine Beschädigung oder Beseitigung von Anlagen ansehen (§ 315 Absatz 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch) oder zumindest als „ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff“ (§ 315 Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch). Nicht ganz zu Unrecht übrigens.

Natürlich wird beim polizeilich und medial überwachten Schottern die Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis kein Thema sein. Allerdings sollten sich diejenigen, die zu dieser neuen Form des Protestes greifen, über die möglichen Folgen klar sein. Unter sechs Monaten Freiheitsstrafe läuft bei einem gefährlichen Eingriff in den Schienenverkehr normalerweise nichts. Selbst bei einem minderschweren Fall drohen noch drei Monate Haft.

Bei so manchen Interviews habe ich das Gefühl, die Aktivisiten wissen zwar, dass sie Ärger mit dem Gesetz bekommen, denken aber eher an Konsequenzen wie fürs Schwarzfahren oder den ersten Diebstahl im Drogeriemarkt. Damit dürften sie aber deutlich daneben liegen. Was schade ist, denn durch den unbedarften Abschied von der Gewaltfreiheit verbauen sich gerade junge Leute heute ihre persönliche Zukunft.

Die Verantwortung tragen jene Oberaktivisten, die das Schottern als Bagatelle darstellen. Das ist es nicht. Aber beim bösen Erwachen vor Gericht sind die Schönfärber dann ja nicht mehr dabei.

Gespräche, die ich lieber nicht führe

Monatelang gingen mir Abmahnanwälte auf die Nerven, weil sie ihre stets gleich lautenden Stellungnahmen per Fax schickten. Diese Briefe kamen im Fünfer- oder Zehnerpack, waren jeweils immer ein Dutzend oder mehr Seiten lang und blockierten regelmäßig am späten Nachmittag den Faxanschluss.

Ich hatte überlegt, ob ich den faxfreudigen Abmahnern ein Clearing-Verfahren vorschlage, so wie es die Banken untereinander praktizieren. Da wird ja auch nicht jeder Überweisungsbetrag einzeln geschickt. Stattdessen wird zu bestimmten Stichzeiten geguckt, für wen sich aus den wechselseitigen Zahlvorgängen ein Überschuss ergibt; nur dieser Betrag wird transferiert.

Meine Idee für die Abmahnanwälte war: Wir tauschen nur noch aus, wen wir vertreten und beziehen uns ansonsten auf die ohnehin bekannten Textbausteine. Bevor ich das in die Tat umsetzen konnte, hat just die faxwütigste unter den Abmahnkanzleien den Wahnsinn zurückgefahren. Ich habe sogar wieder normale Briefe von denen erhalten. Falls das auf mutigen Kollegenprotest gegen den Faxterror zurückzuführen ist, bedanke ich mich auf diesem Weg.

So wie die Faxe abnahmen, so haben die Telefonate zugenommen. Nachdem ich bereits vorgestern mit einem Abmahnanwalt telefonieren musste, war heute schon wieder ein Gespräch erforderlich.

Gut, es war vielleicht auch ein bisschen meine Schuld. Hatte ich im betreffenden Fall doch nicht das übliche Antwortschreiben geschickt, sondern die Gegenseite erst mal darauf hingewiesen, dass ich die angebliche Verletzungshandlung nicht nachvollziehen kann. Es ging um angeblich illegales Filesharing. Die Abmahnanwälte nannten in ihrem Brief aber nur die festgestellte IP-Adresse, eine Uhrzeit und die angeblich getauschte Datei.

Das war mir dann doch etwas dünn, denn getreu dem Grundsatz „Wer, was, wann, wo“ könnte man ja zumindest sagen, in welchem Filesharing-Netzwerk sich das Ganze abgespielt haben soll. Der auf der Gegenseite zuständige Anwalt tat so, als könne er nicht nachvollziehen, warum mich das interessiert. Die Geschichte habe sich halt „im Internet“ abgespielt. Außerdem wisse mein Mandant doch sehr genau, was er Böses gemacht habe.

So simpel ist sie also, die Welt? Nach diesen Maßstäben könnte man es vielleicht sogar dabei belassen, nur noch IP-Adressen abzugreifen und zu behaupten, über diese Adresse sei irgendwann irgendwas aus dem Film- oder Musikkatalog der werten Mandatschaft getauscht worden.

Ich habe mich darum bemüht, nicht zu eskalieren. Deshalb war meine Ansage: Wenn mir die Tauschbörse genannt wird, in der sich alles abgespielt haben soll, bin ich ja zufrieden. Das kann ich dann meinem Mandanten sagen. Und der wird sich überlegen, ob und wie er reagiert. Zum Beispiel mit einer Unterlassungserklärung.

Bemerkenswerterweise war der gegnerische Kollege einfach nicht in der Lage, mir zu sagen, um welche Tauschbörse es geht. Er erzählte weiter vom großen, weiten Internet. Außerdem habe sich noch kein anderer Anwalt mit so einer Frage an ihn gewandt. Darauf konnte ich nur sagen, dass ich schon viele Filesharing-Abmahnungen gesehen habe. Aber noch keine, in der nicht wenigstens die verwendete Tauschbörse festgehalten war.

Die Frage, ob seine Mandantin vielleicht Tauschbörsenüberwachung light in Auftrag gegeben hat oder das Personal in Form unterbezahlter Studenten einfach nicht richtig eingewiesen wurde, wies der Kollege empört zurück. Die Überwachung sei technisch einwandfrei, da gebe es auch „wasserdichte Gutachten“ zu.

Wir kamen insgesamt auf keinen grünen Zweig. Jetzt muss mein Mandant überlegen, ob er die Unterlassungserklärung nicht vielleicht doch vorsorglich abgibt, natürlich ohne Anerkenntnis von Kosten. Es wäre ja sein Geld, das in einem möglichen Rechtsstreit auf dem Spiel steht. So interessant die Frage, was die Abmahner im Zweifel an Fakten präsentieren müssen, auch sein mag.

Ich persönlich grübele auch noch, wieso der gegnerische Anwalt nicht einfach eMule gesagt hat – auch wenn er es in Wirklichkeit gar nicht weiß. Immerhin hätte ich ja kaum erwidern können, (nachfolgender Satzteil ist fiktiv) das stimmt nicht, denn mein Mandant ist grundsätzlich nur bei Bittorrent unterwegs.

Vielleicht sollte ich telefonisch für diese Leute einfach nicht mehr erreichbar sein.

Geld zurück fürs Wasserbett

Wer online einkauft, hat ein mindestens zweiwöchiges Widerrufsrecht – ohne großes Wenn und Aber. Darüber stöhnen viele Bestellshops, zumal sie im Regelfall nicht nur den Kaufpreis erstatten, sondern auch die gesamten Portokosten übernehmen müssen.

Aber es gibt eine Möglichkeit, widerrufenden Kunden Kontra zu geben. Das Kaufrecht sieht nämlich einen Wertersatz vor, wenn der Kunde den Kaufgegenstand genutzt hat. Den Abzug des Wertverlustes predigten deshalb immer mehr juristische Berater als möglichen Weg, um die lästige Widerrufsquote langfristig zu senken. Ein Bettenverkäufer hat die Sache nun überreizt – und damit allen Onlineverkäufern einen Bärendienst erwiesen.

Der Kunde bestellte ein Wasserbett, befüllte es, lag Probe und kam zum Schluss, dass er den Kaufvertrag lieber widerruft. Bezahlt hatte er 1.265 Euro. Der Verkäufer erstattete aber nur 258 Euro, den Wert der Heizung. Das Wasserbett selbst sei durch die Nutzung wertlos geworden. Deshalb stehe ihm der restliche Kaufpreis als Wertersatz zu.

So geht es nicht, entschied heute der Bundesgerichtshof. Die Richter machen eine klare Ansage: Jeder Kunde hat das Recht, Ware zu testen. Was normalerweise im Geschäft vor Ort möglich ist, kann der Kunde bei Bestellungen aber erst nach der Lieferung zu Hause machen. Die Probenutzung der Kaufsache führe demnach weder zum Verlust des Widerrufsrechts noch zu einem Anspruch des Verkäufers auf Wertersatz. Auch nicht im Fall des Wasserbettes, das schon durch einmaliges Befüllen möglicherweise wertlos geworden sei.

Bestellte Handys und Computer dürfen somit hochgefahren, online gekaufte Kleidung darf anprobiert werden. Bei Widerruf gibt es trotzdem den vollen Kaufpreis zurück – auch wenn Onlineshops sicher auch künftig gern das Gegenteil behaupten werden.

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 3. November 2010 – VIII ZR 337/09)

Links 566

WLAN-Haftung: Zwingt das Europarecht deutsche Gerichte zur Umkehr?

Die unzitierte Ehefrau

Abmahnbetrüger klauen Identität eines Anwalts

„Für die im vorliegenden Verfahren anzustellende Prognose, ob der Kläger künftig straffällig werden könnte, kommt es nicht auf die Verwertung abgeurteilter Straftaten an. Maßgeblich ist vielmehr der Umstand, dass in der Vergangenheit gegen den Kläger viele Ermittlungsverfahren geführt worden sind. Ob diese Verfahren zu einer Verurteilung geführt haben, ist bei der vorzunehmenden Einschätzung nicht zu berücksichtigen, denn bereits die bloße Durchführung von Ermittlungsverfahren indiziert die Notwendigkeit der Beschaffung sächlicher Hilfsmittel, die aus der erkennungsdienstlichen Behandlung gewonnen werden.“

GEZ-Kontrolleurin zeigt den Hitlergruß

Medikamentenkoffer

Hinter der Freiwilligkeit wartet der Zwang

Wenn ich einen Passat Kombi hätte und die Polizei von mir eine Speichelprobe erbäte, würde sich die Zahl der unkooperativen Bürger auf zwei erhöhen. Bislang hat lediglich ein Autobesitzer, der im Rahmen der Fahndung nach dem verschwundenen Mirco aufgesucht wurde, die Abgabe einer Speichelprobe für eine DNA-Untersuchung verweigert. Mehrere hundert angesprochene Halter von Passats sollen die Wünsche der Polizei dagegen erfüllt haben, heißt es in Zeitungsberichten. Die Polizei spricht von einer „sensationellen“ Resonanz.

Welcher Druck auf zögernde Passatbesitzer ausgeübt wurde, weiß ich nicht. Nach außen betont die Polizei, jede Speichelprobe sei freiwillig. Wer sie verweigere, mache sich deswegen noch nicht verdächtig. Die Wirklichkeit dürfte anders aussehen. Die Boulevardpresse zeigt schon mal den Weg und fragt, ob der Verweigerer nur ein Querulant ist. Oder ob er was zu verbergen hat…

Das ist die Dynamik hinter solchen Massentests. Die Unschuldsvermutung wird umgedreht – wenn auch zunächst nur ein wenig. Das Instrument zur faktischen Umkehr der Beweislast sind alle, die auf die Freiwiligkeit pfeifen. Natürlich ist der Entschluss jedes einzelnen zu respektieren, auf seine Bürgerrechte zu verzichten. „Ich habe ja nichts zu verbergen“ – dieser banale Spruch wird hier ausgelebt. Vermutlich noch mit dem guten Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Andererseits würde die Beweislastumkehr nicht klappen, wenn sich mehr Menschen verweigerten.

Wer es dagegen ernst nimmt mit der Freiwilligkeit und – mit mindestens ebensolchem Recht – keinen Grund sieht, in Verkehrung rechtsstaatlicher Grundsätze seine Unschuld zu beweisen, wird durch die Bereitwilligen isoliert – und damit selbstverständlich verdächtig. Der Verweigerer kann jedenfalls sicher sein, dass er nun fieberhaft durchleuchtet wird und unter Erklärungsdruck gerät. Sollte auch nur ein Fitzelchen Unklarheit bleiben, wird sich auch ein Richter finden, der die DNA-Probe anordnet und eine Durchsuchung gleich dazu.

Über den kreuzbraven Spruch von der Freiwilligkeit wird man dann nur noch lachen können. Er ist ein Lippenbekenntnis, mehr nicht. In Wirklichkeit heiligt der Zweck die Mittel. Völlig unabhängig davon, welches Ergebnis am Ende der Untersuchung steht, sollte das ein gewisses Unbehagen hinterlassen. Und Mut machen, auch mal nein zu sagen.

Von vornherein lustlos

Ich frage mich, wofür manche Kommissare bezahlt werden. In einem Betrugsfall reichte die vage Aussage einer Zeugin, um gleich anzunehmen, dass mein Mandant der Täter ist. Dabei sagte die Zeugin, zusammengefasst, nur:

Wenn Sie mich so fragen, kann das eigentlich nur der Soundso gewesen sein. Das ist der einzige Straftäter bei uns im Dorf.

Das ist natürlich ein Hammerbeweis. Ich habe in einer Verteidigungsschrift zusammengestellt, was man sonst so hätte machen können. Statt sich willkürlich auf eine Person einzuschießen. Das Ganze natürlich im Vertrauen auf die Angabe meines Mandanten, er habe mit der Sache nichts zu tun.

Nachfolgend nur die wichtigsten Punkte:

Es stellt sich die Frage, wieso die Polizei nicht weitere Ermittlungsansätze verfolgt hat. Diese Ermittlungsansätze liegen auf der Hand.

Insbesondere könnte man prüfen, ob und wer unter der fraglichen Handynumer erreichbar ist. Wieso man da nicht einfach mal anruft, kann ich nicht nachvollziehen.

Außerdem ist es nicht zutreffend, dass der E-Mail-Provider keine Auskünfte erteilt. Der auf Blatt 49 angeführte Grund, es handele sich um ein amerikanisches Unternehmen, deshalb sei eine Anfrage von vornherein aussichtslos, scheint doch sehr weit hergeholt. Auch amerikanische Unternehmen geben deutschen Ermittlungsbehörden nach meiner Kenntnis Auskunft. Sie tun dies natürlich nicht, sofern man es nicht versucht.

Im Übrigen ist nicht nachvollziehbar, wieso bei PayPal nicht der weitere Zahlungsweg eruiert wird. Die Gelder sollen laut PayPal für Dienstleistungen in Anspruch genommen worden sein. PayPal könnte mitteilen, an welche Dienstleister das Guthaben weitergeleitet worden ist. Über deren Transaktionsnummer ließe sich dann feststellen, wer gegebenenfalls dort etwas bestellt oder eine Dienstleistung in Anspruch genommen hat. Wieso man hier nicht nachfragt, bleibt das Geheimnis der Polizei.

Überdies ist es nach meiner Kenntnis so, dass PayPal bei einer Kontoeröffnung die Kundenadresse wenigstens auf Plausibilität prüft. Hierzu werden Auskunfteien abgefragt. Sofern es sich um rein fiktive Adressen handelt, wird die Kontoeröffnung abgelehnt. Die Annahme der Polizei, es handele sich ohnehin um eine Scheinadresse, ist deshalb aus der Luft gegriffen. Man hätte zumindest mal gucken können, ob sich der angebliche Verkäufer vielleicht doch an der Adresse aufhält.

Aber ich wette drauf, stattdessen wird schon über eine Hausdurchsuchung bei meinem Mandanten nachgedacht.

Ohne weitere Ankündigung

Die Düsseldorfer ARGE sitzt auf einem hohen Ross.

Mit einem Schreiben wird jetzt ein Widerspruch als „unzulässig“ zurückgewiesen, den ich vorsorglich für eine Mandantin eingelegt hatte. Geradezu genüsslich erklärt mir die Widerspruchsstelle: Das Schreiben, mit dem die ARGE über 1.000 Euro zurückgefordert habe, sei gar kein Verwaltungsakt gewesen. Denn es habe sich um eine versehentliche Überzahlung gehandelt. Eine Überzahlung sei aber ein „zivilrechtlicher Rückzahlungsanspruch“, der nicht nicht per Verwaltungsakt geltend gemacht werden könne. Nur Verwaltungsakte seien mit dem Widerspruch anfechtbar, weshalb ich den falschen Rechtsbehelf eingelegt hätte.

Juristisch ist das korrekt. Bis auf den Umstand, dass es sich keineswegs um eine versehentliche Überzahlung handelte. Ich frage mich nur, wieso die schlaue ARGE dann nach ihrem angeblich rein zivilrechtlichen Schreiben nicht zum Amtsgericht gegangen ist und dort geklagt hat. Vielmehr hat sie das Hauptzolllamt als „Vollstreckungsstelle“ beauftragt. Als Grundlage für seine Tätigkeit nannte das Hauptzollamt seltsamerweise einen „Bescheid vom 14. Januar 2010“. Das ist komischerweise genau der Tag, auf den auch das angeblich rein zivilrechtliche Aufforderungsschreiben datiert.

Natürlich zeigte das Hauptzollamt als Vollstreckungsstelle gleich mal die Waffen. Meiner Mandantin wurde angedroht, eventuelles Gehalt zu pfänden, das Konto einzufrieren und „bewegliche Sachen (z.B. Ihr Kraftfahrzeug)“ wegzunehmen. Und zwar „ohne weitere Ankündigung“.

Das mit der rein zivilrechtlichen Forderung scheint in den unteren Etagen der ARGE nicht bekannt zu sein. Ansonsten müsste man ja fast annehmen, dass hier wider besseres Wissen eine von vorne bis hinten rechtswidrige Drohkulisse aufgebaut wird in der Hoffnung, dass der eingeschüchterte Kunde kuscht und zahlt.

Ich hoffe deshalb, so was ist ein Einzelfall. Immerhin hatte mein unzulässiger „Widerspruch“ einen greifbaren Erfolg. Die darin enthaltene Drohung mit einer einstweiligen Verfügung hatte nämlich den Effekt, dass mir immerhin zugesagt wurde, die Vollstreckung auszusetzen. Aber nicht bis die ARGE sich ein Urteil beim Amtsgericht besorgt hat, sondern „bis zur endgültigen Entscheidung über Ihren Widerspruch“.

Da würde es mich jetzt nicht wundern, wenn sich in den nächsten Tagen das Hauptzollamt wieder meldet…

„EU-Recht, Sie verstehen“

Heute hatte ich mal wieder einen Abmahnanwalt am Telefon. Der wollte mir erzählen, es spiele überhaupt keine Rolle, ob meine Mandantin selbst das Liedgut der von seiner Kanzlei vertretenen Plattenfirma in eine Tauschbörse gestellt hat. „Als Anschlussinhaberin haftet sie so oder so“, sagte der Kollege.

Ich fragte ihn, welchen Teil meiner ausführlichen Stellungnahme er nicht verstanden hat. Wie sich herausstellte, hatte er sie gar nicht gelesen. Er war nur beauftragt, telefonisch nachzuhaken, ob wir nicht doch ein paar Euro zahlen wollen. Man könne sich ja verständigen. Irgendwo. Irgendwie. Irgendwann. Seine Worthülsen klangen so überzeugend wie die einer x-beliebigen Hotline, die Kunden in Serie erklärt, Elektrogeräte seien von der Gewährleistung ausgeschlossen. „EU-Recht, Sie verstehen.“

Wir trennten uns im Unfrieden. Vor allem weil der Anrufer es so gar nicht verstehen wollte, wieso ich meiner Mandantin nicht dazu raten möchte, „wenigstens irgendwas“ zu zahlen. Wobei ihm die fünf Euro, die ich spontan aus eigener Tasche anbot, nur um endlich wieder arbeiten zu können, dann überraschenderweise doch zu wenig waren.

Jedenfalls wird die Arbeit des Kollegen nicht einfacher werden, wenn sich ein Urteil des Amtsgerichts Frankfurt/Main rumspricht. Danach haftet der Anschlussinhaber nämlich auf gar nix, sofern er Mitsurfern gesagt hat, dass sie keine Urheberrechtsverletzungen begehen sollen.

Im entschiedenen Fall stand fest, dass ein Freund des Anschlussinhabers eine Tauschbörse genutzt hatte. Dabei hatte ihm der Anschlussinhaber vorher ausdrücklich erklärt, dass er so was nicht duldet.

Diese Belehrung reichte nach Auffassung des Gerichts aus. Nur wenn der Anschlussinhaber konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch seines Internetanschlusses habe, müsse er den Nutzer noch stärker bremsen.

Die Entscheidung setzt sich von der Auffassung anderer Gerichte ab, die den Anschlussinhaber immer gleich als „Täter“ oder „Störer“ ansehen und ihm Aufsichts- und Kontrollpflichten für alle Personen aufbürden, die er bei sich online gehen lässt. Allerdings wird auch in diesen Urteilen meist kaum was dazu gesagt, wie so eine Kontrolle möglich sein soll, ohne zu Hause gleich den Überwachungsstaat auszurufen.

Ein nettes Urteil, das sofort den Weg in meine Musterantwort gefunden hat. So wird es dann auch der Abmahnkollege bald lesen können. Vorausgesetzt, er wird den Telefonjob los und darf eines Tages auch mal Akten bearbeiten.

AG Frankfurt a.M., Urt. vom 25.03.2010 – 30 C 2598/08-25

Schwarzfahrer, die keine sind

Schwarzfahrer, die in Wirklichkeit keine sind, scheint es öfter zu geben. Ich habe ja schon mehrfach davon berichtet, dass etwa die Rheinbahn in Düsseldorf Besitzer von nicht übertragbaren, aber vergessenen Zeitfahrausweisen wegen Schwarzfahrens anzeigt, obwohl ein ein Blick in die Kundenkartei den Vorwurf entkräften würde.

Mit einem ähnlichen Fall hatte jetzt das Amtsgericht Nürtingen zu tun. Ein Fahrgast hatte zwar den bezahlten Fahrausweis bei sich. Aber die „Bonuscard“, mit der er die Fahrkarte zu einem günstigen Tarif verwerben konnte, konnte er bei der Kontrolle nicht vorzeigen. Diese Bonuscard hätte er aber ebenfalls präsentieren müssen – so jedenfalls die Geschäftsbedingungen des Verkehrsbetriebs.

Das Amtsgericht stufte den Mann nicht als Schwarzfahrer ein:

Der Umstand, dass der Angeklagte unter Verstoß gegen die AGB der S AG und damit vertragswidrig den Berechtigungsnachweis (Bonuscard) nicht mit sich führte, ändert nichts an dem Umstand, dass der Angeklagte die Fahrt tatsächlich bezahlt hatte.

Das ist korrekt. Es spielt für den Straftatbestand nun mal keine Rolle, ob der Fahrgast einen Fahrausweis bei sich hat oder nicht. So lange er nämlich die Fahrt bezahlt hat, kann er gar keinen Vorsatz haben, „das Entgelt nicht zu entrichten“. Denn er hat ja bereits bezahlt.

Wer eine nicht übertragbare Fahrkarte hat, darf diese also auch mal vergessen. Er wird auch nicht dadurch zum Schwarzfahrer, weil er die Karte nicht nachträglich vorzeigt und eine Bearbeitungsgebühr entrichtet. Hierzu ist er gegenüber dem Verkehrsunternehmen vielleicht vertraglich verpflichtet. Aber die Beförderungsbedingungen können das Strafgesetz eben nicht zu Lasten des Beschuldigten zurechtbiegen.

So sieht es im Ergebnis auch das Amtsgericht Nürtingen. Zu den Vertragsklauseln und den Strafanzeigen des Verkehrsbetriebs heißt es im Urteil:

Sollte die Anzeige der S AG nur als Sanktion gegen den Angeklagten wegen der Nichtzahlung der Bearbeitungsgebühr – eines ausschließlich zivilrechtlichen Vorgangs – erstattet worden sein, kann das jedenfalls nicht akzeptiert werden.

AG Nürtingen, Urteil vom 25.10.2010, 13 Ds 86 Js 67074/10

Flattr im Oktober

Der Flattr-Button im law blog wird nach wie vor anstellig genutzt. Im Oktober kamen über den Mikro-Bezahldienst Flattr 321,21 Euro zusammen.

Leider hatte ich letzten Monat vergessen, das Ergebnis für September zu erwähnen. Das hole ich bei dieser Gelegenheit nach. Im September kamen 275,38 Euro über Flattr rein.

Nach einigen Monaten ist mir klar, welche Beiträge am meisten geflattrt werden. Einen kleinen Aufschluss geben auch die Flattr-Charts für Oktober bei Carta.

Ich mache mir allerdings hierzu keine weiteren Gedanken. Denn ich will auch künftig nicht auf irgendeinen Quote schielen. Sondern (möglichst) weiter über das schreiben, was mich am Tagesgeschehen beschäftigt oder mir bei der Arbeit über den Weg kommt. Unabhängig von der Frage, ob der Eintrag möglichst viele Flattr erwarten lässt. Was allerdings auch nicht heißt, dass mich das hohe Ranking des law blog in den Flattr-Übersichten nicht freut.

Deshalb vielen Dank an alle, die bei Flattr mitmachen und dabei auch an dieses Blog denken.

Alle bisherigen Monatsergebnisse:

Oktober 2010 321,21
September 2010 275,38 Euro
August 2010 346,66 Euro
Juli 2010 265,78 Euro
Juni 2010 247,68 Euro
Mai 2010 33,03 Euro

Nach dem Klick die Flattr-Ergebnisse für alle Beiträge im September und Oktober 2010. Weiterlesen

Fax ist Fax – selbst bei der Justiz

Zentralfax, Sachgebietsfax, Geschäftsstellenfax, Verwaltungsabteilungsfax, Arbeitsplatzfax: So manche Justizbehörde sendet zwar von den unterschiedlichsten Faxanschlüssen, will die Antworten aber gerne kanalisieren. So heißt es dann auf den Briefbögen und Internetseiten, fristwahrende Sendungen seien nur an bestimmte Faxnummern zulässig.

Dieser Praxis erteilt das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Absage. Weil das Zentralfax des Gerichts nicht funktionierte, hatte ein Anwalt, der eine Frist wahren musste, seinen Schriftsatz nachts auf das Fax der Pressestelle geschickt. Auch wenn es sich um einen Anschluss der „Verwaltung“ handelte, sehen die Richter keinen Grund für Sonderregeln und stellten fest, das Fax war pünktlich. Aus der Begründung:

Die Verwaltung des Oberlandesgerichts unterhält mehrere Empfangsgeräte für Fernkopien in ihrer Verantwortung. Die Geräte sind regelmäßig nicht einzelnen Spruchkörpern zugeordnet, naturgemäß gerade auch das zentrale Empfangsgerät nicht. Was dort auf einem der Geräte eingeht, ist in die Verantwortung der Verwaltung des Oberlandesgerichts gelangt.

Die Eingänge auf den Geräten werden, wenn sie die Rechtsprechung betreffen, nicht anders als Eingänge auf sonstigem Wege, erst von der Verwaltung an die den Spruchkörpern zugeordneten Geschäftsstellen geleitet. Auf diese Verteilung kommt es für die Wahrung einer Frist niemals an.

Bei dieser Sachlage wäre es nicht sachgerecht, aus der Zuordnung eines bestimmten Geräts zu einer bestimmten Verwaltungsaufgabe, hier der des Pressesprechers, die Konsequenz zu ziehen, Eingänge dort als von der allgemeinen Verteilung innerhalb des Gerichts ausgeschlossen zu betrachten und Eingänge, die die Rechtsprechungstätigkeit der Spruchkörper betreffen, wie „Irrläufer“ zwischen verschiedenen Behörden zu behandeln.

Das entspricht einem guten alten Grundsatz über den Zugang von Erklärungen, so wie er Jurastudenten in jeder Anfängervorlesung Bürgerliches Recht beigebracht wird. Danach muss die interne Organisation des Empfängers nicht Sorge des Absenders sein. Kommt die Nachricht rechtzeitig auf einem nach außen kommunizierten Empfangskanal an, ist damit die Frist gewahrt. Es ist Sache des Empfängers, die Nachricht an den richtigen internen Adressaten weiter zu leiten.

Warum sich ausgerechnet die Justiz nicht daran halten sollte, wäre wohl auch eher schwer zu vermitteln.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2010 I-20 U 206/09