OHNE FOLGEN

Bei Vernehmungen trifft Polizeibeamte eine gewisse Fürsorgepflicht. So zum Beispiel, wenn der Beschuldigte zwar zunächst einen Anwalt sprechen will, aber darauf verzichtet, weil er diesen nicht bezahlen kann. Dazu der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 18. Oktober 2005:

Allerdings wäre es, nachdem der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung am 28. August 2002 auf die Frage, ob er einen Rechtsanwalt nehmen wolle, dies nicht verneinte, sondern lediglich erklärte, er könne sich keinen Rechtsanwalt leisten, und damit klar geworden war, dass der Angeklagte eigentlich einen Rechtsanwalt konsultieren wollte, sich dazu aber allein durch durch seine Mittellosigkeit gehindert sah, angezeigt gewesen, den so inzident geäußerten Wunsch des Angeklagten nach einem Verteidiger nicht zu übergehen.

Der Angeklagte hätte zunächst darüber belehrt werden sollen, dass fehlende Mittel einen ersten Kontakt zu einem Rechtsanwalt nicht ausschließen, da dieser in Fällen der vorliegenden Art in der Regel trotzdem im Hinblick auf die später zu erwartende Pflichtverteidigerbestellung sofort tätig wird, und dass dem Beschuldigten deshalb die Möglichkeit gegeben werden kann, einen Rechtsanwalt seines Vertrauens zu kontaktieren oder – gegebenenfalls – den anwaltlichen Notdienst anzurufen.

Leider stuft das Gericht den Verfahrensverstoß als „nicht gravierend“ ein. Deshalb sei die Aussage des Beschuldigten trotzdem verwertbar. Letztlich werden also erneut wichtige Verfahrensregeln aufgestellt, welche Polizeibeamte sich noch nicht einmal merken müssen. Ihre Verletzung bleibt nämlich folgenlos.

(1 StR 114/05)

VEREINFACHTE BEARBEITUNG

In einer Ermittlungsakte findet sich – ohne jeden sonstigen Zusammenhang – folgender handschriftliche Satz meines Mandanten:

Ich hab alles gemacht was mich vorgeworfen.

Offensichtlich erschien dies dem Sachbearbeiter bei der Kripo, der die angeblichen Ladendiebstähle auf den Tisch bekam, auch etwas dünn. Jedenfalls hielt er eine Anmerkung für nötig:

Das Formular sei dem Tatverdächtigen nach der Tat von den einschreitenden Polizeibeamten vorgelegt worden. Das alles im Rahmen der vereinfachten Anzeigenbearbeitung. Das Geständnis beziehe sich aber auf alle Taten, auch die einige Tage zuvor.

Das ist doch ein Musterbeispiel für Bürokratieabbau. Demnächst: Blanko-Geständnisse vom Abreißblock.

HÖLLENSTOFFE

Telepolis berichtet, wie Kunden von Versandhändlern ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Und das nur, weil sie legale Chemikalien bestellt haben, die sich in jedem Chemiebaukasten finden. Staatsanwaltschaften sollen hinter den Bestellungen Bombenbastler vermuten und massenweise Ermittlungsverfahren lostreten. Von bis zu 1.700 Hausdurchsuchungen ist die Rede.

(Danke an Tilman Hausherr für den Link)

PRINCESS: STREITWERTE IN BEWEGUNG

von Diplom-Jurist Sascha Kremer

Die Berichterstattung hat (leider) wenig genutzt: Immer noch melden sich regelmäßig schockierte (Privat-)Personen, denen eine Abmahnung in Sachen „Princess“ zugegangen ist (siehe Abmahnungen wegen Princess und Princess: Stand der Dinge).

Zwischenzeitlich scheint allerdings die abmahnende Kanzlei zumindest ein wenig den Überblick verloren zu haben: Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfassen zwar häufig Unterlassungs- und Auskunftsansprüche (vgl. §§ 14 Abs. 5, 19 Abs. 3 MarkenG), zuweilen aber auch nur Unterlassungsansprüche, obwohl die Sachverhalte grundsätzlich vergleichbar sind. In der Regel handelt es sich nämlich um Angebote auf eBay, bei denen Schmuckstücke aller Art in der Auktionstitelzeile unter Verwendung der Bezeichnung „Princess“ angeboten werden.

Da im Gerichtsbezirk des OLG Stuttgart (ebenso wie in einigen anderen Gerichtsbezirken auch) der Streitwert für Unterlassungs- und Auskunftsansprüche in Markenangelegenheiten im einstweiligen Verfügungsverfahren und im anschließenden Hauptsacheverfahren gleich hoch angesetzt wird, hatte sich für gewerbliche „Princess-Verletzer“ auf eBay zuletzt ein Streitwert von 75.000,- EUR als Regelbemessung durchgesetzt.

Allerdings war sowohl dem LG Stuttgart als auch den abmahnenden Anwälten durchgegangen, dass sich die 75.000,- EUR nur auf solche Verfahren bezogen, in denen sowohl Unterlassungs- als auch Auskunftsansprüche geltend gemacht wurden.

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UNHEIMLICH WICHTIG

Die Beklagte hatte zwei Wochen Zeit, auf die Klage zu erwidern. Verhandlungstermin am Amtsgericht war eine knappe Woche später. Am Tag des Fristablaufs meldete sich eine Anwältin bei Gericht und bat darum, den Termin aufzuheben. Begründung:

Der Geschäftsführer der Beklagten ist nicht nur wichtig. Er ist unheimlich wichtig. Unter anderem muss er einen Event organisieren, der am Tag nach der Verhandlung stattfindet. Dorthin kommen nicht nur Leute, die schon mal bei RTL waren. Sondern richtige Stars. Wie soll der arme Geschäftsführer es bei diesem Stress noch ins Amtsgericht schaffen?

Der Richter wies den Mann darauf hin, dass er doch gar nicht kommen muss. Sein persönliches Erscheinen war nicht angeordnet. Außerdem konnte der Richter nicht erkennen, dass es in den 14 Tagen seit Zustellung der Klage nicht möglich gewesen sein soll, die Anwältin in der Sache zu informieren. Im Verlegungsantrag stand dazu jedenfalls nichts. O-Ton Richter: „Wenn man die Sachen bis zu letzten Tag liegen lässt, muss man halt auch die Konsequenzen tragen.“

Manchmal finde ich es richtig gut, wenn Richter eisern sind. Vor allem, wenn für mich ein Anerkenntnisurteil rausspringt.

ALLERGISCH

Gerade mit der Rechtsabteilung eines großen deutschen Konzerns telefoniert. Es geht darum, ob man sich in einem Arbeitsgerichtsprozess gütlich einigen kann. „Grundsätzlich“, sagte mein Gesprächspartner, „sind wir zu allem bereit. Nur auf das Wort Abfindung reagiert der Vorstand allergisch.“

Womöglich kommt mein Mandant jetzt zu einem üppigen „14. Gehalt“.

BEDROHUNG

Es gibt daran zwar viel zu mäkeln, aber das Amtsgericht Düsseldorf legt seinem Strafurteil von heute Mittag folgenden Sachverhalt zugrunde:

Herr C. hatte sich in einer Drehtür mit Herrn B. gestritten. Nach dem Streit verfolgte Herr C. seinen Kontrahenten über die viel befahrene Straße. Auf dem Weg brach er von einem Strauch einen Zweig ab, der ziemlich spitz war. Mit dem erhobenen Zweig lief Herr C. weiter und schrie: „Ich steche dir die Augen aus.“ Dabei kam er ungefähr drei bis vier Meter an Herrn B. heran. B. flüchtete sich dann in den Eingang des Bürohauses, in dem er arbeitet. Herr C. versuchte nicht, ihm ins Haus zu folgen. Er ging enfach weg.

Wegen was kann man Herrn C. verurteilen? Das Amtsgericht meint, er habe sich wegen § 241 Strafgesetzbuch strafbar gemacht:

Bedrohung

Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. …

Es stellen sich viele Fragen. War die „Drohung“ tatsächlich ernst gemeint? Handelt es sich bei der angekündigten Tat tatsächlich um ein Verbrechen? Über all das kann man diskutieren.

Der Fehler liegt woanders, nämlich im rechtlichen Bereich. Bedrohung liegt vor, wenn der Täter die Begehung eines Verbrechens ankündigt, das in der Zukunft liegt. Hier meinte Herr C. aber offensichtlich nicht, dass er seinem Kontrahenten irgendwann – in den nächsten Stunden, morgen, übermorgen, in drei Wochen – die Augen ausstechen wird. Vielmehr hatte das Geschehen ja offensichtlich schon begonnen. Jedenfalls kann ich die Verfolgung mit einem erhobenen, spitzen Stock problemlos mit den angeblichen Worten von Herrn C. in Einklang bringen.

Wenn das Geschehen aber schon begonnen hat, stellt sich aber doch eine andere Frage: Haben wir es schon mit einer versuchten Körperverletzung zu tun? Oder befinden wir uns noch im Vorbereitungsstadium. Das wäre straflos.

Seltsamerweise hat der Richter darauf bestanden, dass die Verfolgung mit dem erhobenen Stock noch strafloses Vorbereitungsstadium war. Sinngemäß erklärte er: Herr C. hatte noch nicht zur unmittelbaren Verwirklichung des Tatbestandes angesetzt. Deshalb liege noch kein Versuch vor. Das könnte man natürlich hinterfragen, aber das ist nicht meine Aufgabe.

Was aber nicht geht, ist aus dem im Vorbereitungsstadium dahin gesagten Satz eine eigenständige Bedrohung zu basteln. Das würde also ein Verhalten strafbar machen, das an sich – da noch kein Versuch – derzeit straflos ist. Diesen Sinn hat der Bedrohungstatbestand aber mit Sicherheit nicht.

Ich werde das schriftliche Urteil sorgfältig lesen. Vielleicht ist es eine der wenigen Sachen am Amtsgericht, bei denen nicht Berufung, sondern eine Revision mehr Erfolg verspricht.

Einen Teilerfolg gab es wenigstens schon. Wegen angeblicher Beleidigungen wurde Herr C. freigesprochen.

DREI TAGE

Eine Einspruchsentscheidung der Bundesagentur für Arbeit ist bei uns am 8. März 2005 eingegangen. Am 8. April 2005 haben wir dagegen Klage eingereicht.

Die Bundesagentur für Arbeit hält die Klage für verspätet. Angeblich soll der Bescheid am 3. März 2005 zur Post gegeben worden sein. Dann folgen schlaue Ausführungen:

Ein schriftlicher Verwaltungsakt gilt gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe bei der Post als bekannt gegeben. Somit gilt die Einspruchsentscheidung am 7. März 2005 als bekannt gegeben. Fristende war mithin der 7. April 2005.

Wenn man schon zitiert, muss man auch richtig zitieren. Die Dreitagesregel gilt nämlich nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder (wie hier) später zugegangen ist. Außerdem: „Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.“

Da möchte ich mal sehen, wie sie beweisen wollen, dass unser Eingangsstempel auf dem Original eine Fälschung ist. Dass die Abgabenordnung 1977 mit der nackten Behördenrealität 2005 sowieso nicht im Einklang steht, belegt schon der Schriftsatz ans Finanzgericht. Der Brief datiert vom 5. Dezember 2005. Acht Tage später traf er dort tatsächlich ein.

SICHERHEIT

Laut Reisebüro konnte meine Mandantin ihre kleine Enkelin im Flugzeug auf dem Schoß sitzen lassen. Davon wollte die Dame beim Einchecken allerdings nichts wissen. Sie kassierte noch einmal 57 Euro zusätzlich – für einen eigenen Sitzplatz des Kindes.

Begründet wurde das mit der Sicherheit. „Stellen Sie sich mal vor, es kommt zum Druckabfall. Dann sitzen vier Leute in der Reihe, aber nur drei Sauerstaoffmasken fallen runter.“ Meine Mandantin hatte dafür großes Verständnis. Sie bezahlte das Geld auch wirklich gerne. Denn natürlich geht ihr nichts über die Sicherheit ihrer Enkelin.

Nach dem Einsteigen stellte sich heraus, dass für das Kind doch kein Sitzplatz vorhanden war. Kein Problem, meinte die Stewardess, fliegt die Kleine halt auf dem Schoß der Oma mit. Sicherheit? „Sie müssen dem Kind dann halt alle paar Sekunden Ihre Maske auf die Nase drücken.“

Nach der Landung wollte meine Mandantin allerdings ihre 57,00 € zurück. Auf eine Antwort der Flugggesellschaft wartet sie bisher vergebens, trotz zweimaliger Mahnung.

Mal sehen, ob man wenigstens mit Anwälten spricht.

SPAZIERGANG

In einem Gebührenprozess berechnet ein Münchner Anwalt die „persönliche Abgabe der Vollmacht und des Fristverlängerungsantrags beim Bundesfinanzhof“. Immerhin eine Stunde hat er dafür gebraucht, obwohl die Luftlinie nur einige hundert Meter beträgt.

232,00 € soll der Spaziergang kosten. Wieso der Anwalt nicht eine Angestellte oder ein Fax geschickt hat, will er uns bislang nicht verraten.