Geisterfahrer des Lebens

Die Nebenklägerin im Prozess gegen Jörg Kachelmann ist heute mit einem kleinen Schauspiel aufgefallen. Bei der Fahrt zum Gericht hielt sie ein Buch vors Gesicht und damit in die Objektive der versammelten Presse. Titel: „Der Soziopath von nebenan. Die Skrupellosen: ihre Lügen, Taktiken und Tricks.“

Die Aussage der amerikanischen Autorin Martha Stout: Mindestens einer von 25 Mitmenschen hat kein Gewissen und keine Gefühle gegenüber Mitmenschen. Ihm fehlt die Fähigkeit, Scham, Schuld oder Reue zu empfinden. Oft verbergen diese Soziopathen ihre Regungslosigkeit hinter einer Maske der Freundlichkeit und Verbindlichkeit.

Es lohnt sich, die Rezensionen bei Amazon zu lesen:

Dieses Buch kann eine Erklärungshilfe für die oft verständnislos zurückgebliebenen Opfer gewissenloser Menschen sein.

Es gibt „böse“ Menschen!

Sie sind die schaurigen Geisterfahrer des Lebens, die sich wundern, weshalb Ihnen alle entgegenkommen und noch frechgrinsend den Finger zeigen. Welch verstörender Gedanke. Umso mehr, als diese Persönlichkeitsstörung als unheilbar gilt und fast nie festgestellt wird, da der Otto-Normal-Soziopath (aus Funk und Fernsehen auch als Psychopath bekannt) nur selten serienkillend mit der Kettensäge durch die Nachbarschaft zieht. Viele bleiben strafrechtlich unauffällig…

Bei Amazon.com gibt es noch 291 weitere Besprechungen. Kostprobe:

After feeling the pain inflicted by a sociopath, this book gives cold comfort that to be human is to be naive in the eyes of a sociopath. Our humanity is our weakness and their ability to imitate humans is their strength. If you are the trusting sort it will be used against you and you will be duped and deceived again and again.

Das Signal war also überlegt und sehr gut inszeniert. Immerhin ist die Absenderin ja auch Journalistin. Der (innerliche) Katzenjammer dürfte sich aber schnell einstellen, wenn der Kick abgeklungen ist, den so ein inszeniertes Signal auslöst. Die Nebenklägerin dokumentiert nämlich ihren eigenen überbordenden Hass auf den Ex-Freund. Außerdem zeigt sie, dass sie sich zu einer Mission berufen fühlt: Aufklärung über die wirklich „bösen“ Menschen unter uns.

Ob die Botschaft ein paar Prozent Glaubwürdigkeit wert war, die der Frau mit dem heutigen Auftritt abhanden gekommen sind? Immerhin wird die Inszenierung ihrerseits in Fachbüchern fortleben. Als Musterbeispiel für Aggravation. Damit hätten wir womöglich schon zwei Geisterfahrer.

Nachschlag

Eine erfreuliche Nachricht für alle, die schon bei der aktuell laufenden Buchverlosung mitgemacht haben. Autor Tim Oliver Feicke legt wegen der großen Resonanz (bisher über 700 Teilnehmer) noch mal fünf Bücher seines Werks „Komme nicht zum Termin, bin in Südsee: Aktenperlen aus der Justiz“ drauf.

Wir verlosen also nicht fünf, sondern insgesamt zehn der druckfrischen Bände. Damit es zeitlich nicht zu knapp wird, verlängert sich der Teilnahmeschluss auf Donnerstag, 28. Oktober.

Für die Teilnahme genügt auch ein Kommentar zu diesem Beitrag. Die zehn Bücher werden unter allen Teilnehmern verlost, egal in welchem Beitrag sie gepostet haben. Bitte die gültige E-Mail-Adresse nicht vergessen.

Legales Windows 7

Computerhersteller Lenovo verkauft mit neuen Computern nicht irgendein Windows 7. Sondern „legales Windows 7“:

Das lässt den Kunden natürlich ruhig schlafen. Ob damit aber auch eine Aussage über das Windows 7 verbunden ist, welches die Konkurrenz ohne Zusatz unter die Leute bringt? Werbung mit Selbstverständlichkeiten ist ja wettbewerbsrechtlich nicht ganz ungefährlich…

(Danke an Jonas Breyer für den den Screenshot)

Teilen Sie uns mit…

Als Bürger hat man ja so seine Rechte. Als Zeuge muss man etwa nichts sagen oder schreiben, wenn das Ordnungsamt einen „Anhörungsbogen“ schickt. Anders sieht es nur aus, wenn einen der Richter vorlädt – was dann doch eher selten passiert. Von der üblichen Drohung mit dem Fahrtenbuch kann man auch halten, was man will. Nach meiner Erfahrung beißen bellende Hunde meistens nicht.

Unabhängig davon, dass man auch als „Zeuge“ mit dem Ordnungsamt sowieso nicht kommunizieren muss, gibt es im für jedermann noch besondere Rechte. Das Zeugnisverweigerungsrecht zum Beispiel, wenn man nahe Verwandte belasten müsste. Oder die Möglichkeit, nichts zu sagen, wenn man sich selbst in die Pfanne hauen könnte. Das ist jener Paragraf, den auch das Landgericht Mannheim im Fall Kachelmann lieber unter den Tisch gekehrt hätte.

Über diese Rechte ist der Bürger natürlich zu belehren. Auch die Stadt Emden, Fachdienst Öffentliche Sicherheit und Straßenverkehr, tut dies selbstverständlich. Allerdings in ziemlich holpriger Art und Weise:

Wohl dem, der wie ich ein Aufbaustudium Bürokratendeutsch absolviert hat. Besonders gefällt mir allerdings dieser Satz:

Teilen Sie uns daher … auch die Personalien der verantwortlichen Fahrzeugführerin / des verantwortlichen Fahrzeugführers mit, selbst wenn Sie von Ihrem Zeugnis- / Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen.

Leser Maik R. hat mir dieses Kleinod nicht zur zugesandt, sondern es auch treffend kommentiert:

Ich bin zwar juristischer Laie, aber das klingt für mich widersinnig. Entweder ich verweigere die Angaben oder nicht.

Allmachtsfantasien

Ist es bei Straßenverkehrsdelikten erforderlich, dass ein Richter die Blutprobe anordnet? Darüber wird gerade heftig diskutiert. Fakt ist aber: Noch steht der Richtervorbehalt im Gesetz. Staatsanwalt oder Polizei dürfen die Blutprobe nur bei „Gefahr im Verzuge“ anordnen.

Wann ist Gefahr im Verzuge gegeben? Dazu sind in letzter Zeit viele Urteile ergangen. Sie weichen im Ergebnis durchaus voneinander ab. Einige Punkte sind jedoch klar. Gefahr im Verzug liegt nie vor, wenn die Blutprobe zu einer Tageszeit angeordnet wird, zu der man einen Ermittlungsrichter problemlos erreichen kann.

Das scheint Mitarbeitern einer Polizeibehörde in Nordrhein-Westfalen schlichtweg nicht bekannt zu sein. Dummerweise aber auch nicht dem zuständigen Staatsanwalt. Diese durchaus bemerkenswerte Kombination an Unwissenheit und/oder Unlust führte zu einer Vergewaltigung der Strafprozessordnung, wie selbst ich sie schon lange nicht mehr erlebt habe.

Es war ein normaler Donnerstag. Um 13.38 Uhr geriet mein Mandant in Verdacht, alkoholisiert Auto gefahren zu sein. Eine Zeugin hatte ihn angezeigt. Zwei Streifenwagen sausten los, trafen meinen Mandanten in seiner Wohnung an. Nach einiger Diskussion musste mein Mandant mit zur Wache. Dort riefen die Polizeibeamten den zuständigen Staatsanwalt an. Nach dem Gespräch vermerken sie, der Staatsanwalt habe die Blutprobe angeordnet.

Da kein Polizeiarzt aufzutreiben war, wurde mein Mandant ins Krankenhaus gebracht. Dort verweigerte er die Blutprobe mit dem Hinweis, die Polizei dürfe die Blutprobe nicht anordnen. Der Polizeibeamte erklärte ihm hierauf, er müsse die Blutprobe dulden, denn, so heißt es in der Strafanzeige, der Staatsanwalt habe die Blutprobe angeordnet.

Mein Mandant weigerte sich weiter. Statt mal darüber nachzudenken, warum er das tut, forderten die Beamten Verstärkung an. Sie „fixierten“ meinen Mandanten mit Gewalt auf einer stählernen Liege. Der Krankenhausarzt entnahm die Blutprobe.

Mit einem Richter hat niemand gesprochen – obwohl mein Mandant die Polizisten ja nun weiß Gott drauf gestoßen hat. Es gab noch nicht mal den Versuch, einen Richter zu erreichen. Obwohl der Ort zum Einzugsbereich eines der größten Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen gehört. An diesem Gericht sind jeden Werktag mindestens zwei Ermittlungsrichter im Einsatz. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Dass Polizeibeamte sich nicht um die Rechtslage scheren, muss einen nicht wundern. Zu eingefahren scheint noch die jahrzehntelange, dann aber vom Bundesverfassungsgericht gestoppte Praxis, bei jeder vermeintlichen Alkoholfahrt „Gefahr im Verzuge“ zu bejahen. Dass sich da so mancher Beamte angestammte Kompetenzen nicht nehmen lassen will, mag ein natürlicher Reflex sein. Zumal er gleichzeitig auf Arbeitsvermeidung gerichtet ist.

Aber schon hier balanciert die Polizei auf dem Drahtseil. Es gibt Urteile, die ein komplettes Beweisverwertungsverbot jedenfalls annehmen, wenn der Richtervorbehalt nicht in – aus Unwissen gespeistem – gutem Glauben ausgehebelt wird. Sondern „willkürlich“.

Diese Willkür liegt im vorliegenden Fall allerdings weniger bei der Polizei. Unbegreiflich ist an sich eher die Attitüde des Staatsanwalts, der die Blutprobe mal so einfach anordnet, statt pflichtgemäß den Richter zu fragen. Unkenntnis wird man einer Person in dieser Stellung ja wohl kaum unterstellen können. Obwohl das fast noch der schmeichelhafteste Erklärungsansatz wäre. Neben einer Scheißegal-Haltung gegenüber dem Gesetz. Oder Allmachtsfantasien.

Brisant wird die Sache dadurch, dass meinem Mandanten ja nicht nur die Alkoholfahrt zur Last gelegt wird. Die Polizei hat es sich natürlich nicht nehmen lassen, ihn auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte anzuzeigen. Der Widerstand ist aber dann nicht strafbar, wenn die Handlungen der Polizeibeamten selbst rechtswidrig waren.

Darüber werden wir jetzt mal ganz intensiv diskutieren.

„Aktenperlen“ zu gewinnen

Die Erschienen zu 2) und 3) befinden sich seit der Eheschließung der Erschienen zu 1) und 4) im Jahre 1994 in deren Haushalt und werden seitdem wie gemeinsame Kinder gehalten.

In der Familiensache werden wir beantragen, zu erkennen, was rechtens ist.

Tim Feicke sitzt als Richter an der Quelle juristischer Stilblüten. Was lag also näher, als diese „Aktenperlen“ zu sammeln und als Buch herauszugeben? Überdies ist Tim Feicke Karikaturist. Seine Zeichnungen über den täglichen Wahnsinn in der Justiz erscheinen in der Deutschen Richterzeitung, im „Notar“ und der RENOpraxis – und nun auch erstmals in der druckfrischen Stilblütensammlung „Komme nicht zum Termin, bin in Südsee“.

Für die Leser des law blog hat der Autor fünf zehn Exemplare des Buches spendiert. Die Bände verlosen wir unter allen Teilnehmern. Wer mitmachen möchte, hinterlässt bitte bis Donnerstag, 28. Oktober 2010, zu diesem Beitrag einen Kommentar mit gültiger E-Mail-Adresse. Die Gewinner werden über die angegebene E-Mail-Adresse benachrichtigt.

Alle, die kein Glück haben, können das Buch auch für 7,80 € kaufen.

Hier geht’s zur Seite von Tim Feicke.

Ggf. polizeilich vorführen

Die Polizei lädt eine Zeugin zur Vernehmung vor. Die Zeugin kommt nicht. Der zuständige Polizeibeamte schreibt einen Vermerk. Dann schickt er die Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft, „zur weiteren Veranlassung“.

Jemand mit einer sehr krakeligen Unterschrift findet es bei der Staatsanwaltschaft weniger gut, dass die Zeugin nicht kommt. Offenbar erwartet er sich wichtige Angaben von ihr. Unter der Überschrift „Vfg.“ (Verfügung) wird die Akte postwendend an die Polizei zurückbeordert. Verbunden mit folgender Anweisung:

… die Zeugin ggf. polizeilich vorzuführen und dort zur Sache zu vernehmen.

Das dürfte den zuständigen Polizeibeamten verdutzt haben. Er schreibt einen Vermerk, wonach er mit dem „Herrn Dezernenten bei der StA“ telefoniert hat. Mit folgendem Ergebnis:

Die Verfügung ist nach Rücksprache als gegenstandslos zu betrachten.

Ich nehme an, der Polizist hat höflich gefragt, auf welcher Grundlage er die Zeugin einsacken und „dort“, d.h. auf dem Kriminalkommissariat, zur Sache vernehmen soll. Wo es eine gesetzliche Pflicht für Zeugen, mit der Polizei sprechen oder gar auf der Wache zu erscheinen, doch gar nicht gibt.

Der Staatsanwalt würde wahrscheinlich sagen, jeder hat mal einen schlechten Tag. Oder er wollte die Polizei halt mal testen. Spaß muss schließlich sein.

Schwarzsurfen in offenem WLAN nicht strafbar

Das „Schwarzsurfen“ in unverschlüsselt betriebenen fremden WLAN-Funknetzwerken ist nicht strafbar. Dies hat das Landgericht Wuppertal in einem Beschluss festgestellt.

Anlass für die Entscheidung war eine sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen einen Nichteröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 03.08.2010. Die Staatsanwaltschaft hatte vor dem Amtsgericht die Eröffnung
der Hauptverhandlung gegen einen Angeschuldigten beantragt, dem sie vorwarf, mit seinem Laptop einen Ort in Wuppertal aufgesucht zu haben, an dem er sich in ein offenes und über einen WLAN-Router unverschlüsselt betriebenes fremdes Funknetzwerk
eingewählt haben soll.

Das Amtsgericht hatte eine Strafbarkeit dieses Verhaltens verneint. Die 5. große Strafkammer des Landgerichts hat diese rechtliche Bewertung nun bestätigt. Eine Strafbarkeit gemäß §§ 89 Satz 1, 148 Abs. 1 Nr. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) hält die Kammer nicht für gegeben, da der Einwählende nicht zwischen anderen Kommunikationspartnern vertraulich ausgetauschte Nachrichten wahrnehme, die § 89
Satz 1 TKG unterfielen, sondern der Einwählende selbst Teilnehmer eines Kommunikationsvorgangs werde.

Das Verhalten erfülle auch nicht den Tatbestand des unbefugten Abrufens oder Sich-
Verschaffens personenbezogener Daten gemäß §§ 43 Abs. 2 Nr. 3, 44 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Weder bei dem Einwählen in das unverschlüsselt betriebene Funknetzwerk noch der anschließend hierüber erfolgenden Nutzung des Internetzugangs würden personenbezogene Daten im Sinne von § 3 Abs. 1 BDSG
abgerufen.

Auch Straftatbestände des Strafgesetzbuchs hält die Kammer nicht für erfüllt. Eine Strafbarkeit wegen eines Ausspähens von Daten gemäß § 202a StGB, wegen eines Abfangens von Daten gemäß § 202b StGB, wegen eines versuchten Computerbetruges gemäß §§ 263a Abs. 1 und 2, 263 Abs. 2, 22 StGB sowie wegen eines Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a StGB sei nicht gegeben.

Landgericht Wuppertal, Beschluss vom 19. Oktober 2010, 25 Qs 177/10

Anständige Arbeit für Kölner Richter

Zwischen der Ambahnindustrie und dem Landgericht Köln gibt es eine innige Beziehung. Die Abmahnanwälte stellen fast alle Anträge an das Landgericht Köln, wenn sie einen Provider zur Offenlegung verpflichten wollen, zu welchem Anschluss eine des Filesharings verdächtige IP-Adresse gehört. Das Landgericht Köln hat sich diese Spitzenstellung dadurch verdient, dass es Anträge ohne Erbarmen durchwinkt. Die zu hunderten, ja womöglich tausenden ergehenden Beschlüsse gleichen sich in der Begründung bis aufs Komma. Die zuständigen Richter dürften anständige Fallzahlen haben – und damit einen sehr bequemen Job.

Bei anderen Gerichten haben es die Abmahner auch versucht. Doch dort hält man sich aber etwas genauer ans Gesetz. Zulässig ist der Auskunftsbeschluss nämlich nur, wenn eine gewerbliche Urheberrechtsverletzung dargelegt wird. Nach den Kölner Richtern ist das regelmäßig schon der Fall, wenn das fragliche Lied oder der fragliche Film noch irgendwo im Handel angeboten wird. Andere Landgerichte haben die Abmahnindustrie abblitzen lassen, wenn diese die Gewerblichkeit nicht belegen konnten. Wie praktisch, dass der „fliegende Gerichtsstand“ für Internetdelikte das Landgericht Köln auch für Rechteinhaber zuständig macht, die in Hamburg, Berlin oder Leipzig sitzen.

Anschlussinhaber, die durch solche Beschlüsse „enttarnt“ wurden und Abmahnschreiben erhielten, nahmen das nicht immer kampflos hin. Aber nach Meinung des Landgerichts Köln hatten sie noch nicht einmal ein Beschwerderecht dagegen, dass ihr Provider zur Auskunft gegenüber der Musik- und Filmindustrie verpflichtet wird. Das Landgericht Köln versäumte es auch nie, auf dieses angeblich fehlende Beschwerderecht in seinen Beschlüssen hinzuweisen.

Ganz so einfach dürfte die Sache künftig nicht mehr sein. Das Oberlandesgericht Köln hat nämlich jetzt ein Beschwerderecht des Anschlussinhabers bejaht. Dieser könne sich sehr wohl mit dem Argument wehren, es liege jedenfalls keine „gewerbliche“ Urheberrechtsverletzung vor. Beschwerde eingelegt hatte ein Anschlussinhaber, der Titel aus einem bereits vor anderthalb Jahren erschienenen Album in eine Tauschbörse eingestellt haben soll. Hier, so das Oberlandesgericht, müsse die Musikindustrie besondere Umstände darlegen, die ein gewerbliches Ausmaß belegen. Das sei im entschiedenen Fall nicht ausreichend geschehen.

Gut möglich, dass sich mancher Zivilrichter in Köln demnächst wieder mit anspruchsvolleren Fällen beschäftigen muss. Zunächst aber wird wohl der Bundesgerichtshof das letzte Wort sprechen. Dort können sich jetzt nämlich noch die Rechteinhaber beschweren.

Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 05.10.2010, 6 W 82/10)

Mannheimer Wagenburg

Der zweite Befangenheitsantrag gegen Jörg Kachelmanns Richter ist gescheitert (Bericht). Die Begründung klingt lapidar: Die Belehrung über das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 Strafprozessordnung müsse erst erfolgen, wenn der Zeuge Dinge gefragt werde, bei denen er sich der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetze; den Zeitpunkt der Belehrung bestimme der Vorsitzende des Gerichts.

Das ist brav aus dem Standardkommentar Meyer-Goßner abgeschrieben. Aber es ist nur die halbe Wahrheit. Gerade wenn man die am Montag nachgeschobene Begründung des Gerichts berücksichtigt, man habe das mutmaßliche Opfer doch zunächst nur zu ihrer Person und ihrem Werdegang befragen wollen. Die von der Verteidigung beantragte Belehrung sei für einen späteren Zeitpunkt geplant gewesen. Wobei das Gericht wohl einräumte, dies alles nicht hinreichend kommuniziert zu haben.

Nicht nur das. In Wirklichkeit ließ sich die Kammer auf ein mehrstündiges Hickhack mit der Verteidigung ein. In den Presseberichten aus letzter Woche wird diese Kontroverse eher so dargestellt, als habe das Gericht die Belehrung überhaupt nicht für nötig gehalten – und dies auch so gesagt. Auch das publizierte Argument des Gerichts, der Angeklagte sei bei einer unterbliebenen „Belehrung“ gar nicht beschwert und habe deshalb keinesfalls ein Recht, Fehler des Gerichts überhaupt zu rügen, spricht eine andere Sprache.

Selbst wenn man dem Vorsitzenden das Recht zugesteht, den Zeitpunkt der Belehrung zu bestimmen, ist er darin nicht völlig frei. Vielmehr hat er sachgerecht zu entscheiden. Das mutmaßliche Opfer steht im Verdacht zu lügen. Jörg Kachelmann wurde vom Oberlandesgericht gerade mit dem Hinweis aus der Untersuchungshaft entlassen, die Frau habe die Unwahrheit gesagt und dies auch eingeräumt. Die falschen Angaben bezögen sich nicht nur auf Randaspekte, sondern auf „Scharnierstellen“ des möglichen Hergangs.

In so einer Situation kann auch schon die Vernehmung zur Person und zum Lebenslauf die Gefahr bergen, dass die Zeugin falsch aussagt – und sich damit selbst strafbar macht oder zumindest der Verdacht entsteht, sie könnte falsch aussagen oder Kachelmann falsch verdächtigen. Immerhin liegt es im Fall der Lüge ja nicht ganz fern, dass die Zeugin sich dann auch was in ihrem Lebenslauf zurechtbiegt oder ihre persönlichen Verhältnisse (Beruf, Wohnung, Verhältnis zu den Eltern) geschmeidig anpasst. Zumal die Beziehung zu Kachelmann sich über elf Jahre erstreckt haben soll.

Das Gericht hätte also nicht mit der Belehrung warten dürfen. Im erwähnten Strafprozess-Kommentar wird übrigens auch an mehreren Stellen darauf hingewiesen, die Belehrung sollte keinesfalls zu spät erfolgen. Dass nicht gleich zu Vernehmungsbeginn belehrt wird, hält der Kommentar übrigens nur bei „nicht offensichtlich Tatbeteiligten“ für richtig.

Überlegenswert wäre eher, ob das Gericht durch seine Richtigstellung und die nachgeholte Belehrung die Besorgnis Befangenheit ausgeräumt hat. Das kann durchaus möglich sein. Der Bundesgerichtshof hat zum Beispiel entschieden, dass die Besorgnis der Befangenheit entfallen kann, wenn sich ein Richter für eine unbedachte Äußerung entschuldigt.

Allerdings hat die Mannheimer Strafkammer am Montag nicht Farbe bekannt und einen Fehler eingeräumt. Sie hat herumgeeiert und die Sache schöngeredet. Vielleicht hätte Kachelmann an diesem Punkt einen weiteren Befangenheitsantrag stellen sollen mit der Begründung, die unredliche Argumentation des Gerichts nähre weitere Zweifel.

Immerhin ist nun klar, im Landgericht Mannheim herrscht Wagenburgmentalität. Nichts wird diese Strafkammer daran hindern, ein Urteil über Jörg Kachelmann zu fällen.

Horizont erweitert, Unterhalt verspielt

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat einer getrennt lebenden Ehefrau Unterhalt verweigert, weil sie sich auf der Internetseite poppen.de angemeldet und ein Profil von sich angelegt hat. Begründung:

Ein etwaiger Anspruch der Antragstellerin auf Trennungsunterhalt … ist wegen eines schwerwiegenden, ausschließlich bei ihr liegenden Fehlverhaltens dadurch ausgeschlossen, dass sie ihr Profil noch während ihres Zusammenlebens mit dem Antragsgegner auf der Internetseite www.p…de eingestellt hat.

Hierin ist ein schwerwiegendes Fehlverhalten zulasten des Antragsgegners zu sehen… . Der Einwand der Antragstellerin, es handele sich bei der betreffenden Internetseite um einen „völlig normalen Chatroom, den viele Erwachsene auch dazu nutzen, beispielsweise über Autos oder über andere Dinge zu kommunizieren“, überzeugt nicht.

Der Domain-Name sowie der Einführungstext auf der Startseite („P…de – 100% kostenlose Sexkontakte. Interessiert Ihr Euch für Swingerclubs, gemeinsame Saunabesuche oder wollt einfach Euren sexuellen Horizont erweitern? Ihr mögt Rollenspiele, vielleicht sogar bizarre Spielarten, seid Swinger, sucht nach Sexkontakten oder einem Seitensprung? Herzlich willkommen bei der Community für mehr, als das konventionelle Miteinander!“) sprechen für sich.

OLG Oldenburg: Beschluss vom 17.11.2009 – 3 WF 209/09

Das Handy und seine Verwandten

Wenn man als Richter verurteilen will, kriegt man das auch hin. So zum Beispiel das Amtsgericht Sonthofen. Das Gericht hat mit folgender Erkenntnis ein Bußgeld gegen einen Autofahrer wegen „Telefonierens“ am Steuer bestätigt hat:

Auch handelt es sich bei dem sog. „Walki-Talki“ um ein Mobilfunkgerät.

Mit dieser Begründung möchte das Gericht erklären, dass ein Funkgerät, welches der Autofahrer in die Hand genommen hatte, im Prinzip das Gleiche ist wie ein Handy. Zur Absicherung kommt dann auch gleich der Hinweis auf den Sinn des Gesetzes. § 23 Absatz 3 Straßenverkehrsordnung wolle Verhalten bestrafen, das vom Straßenverkehr ablenkt.

Dabei hätte es sich durchaus gelohnt, die Vorschrift vorher zu lesen. Darin ist nämlich gerade nicht von Mobilfunkgerät oder Mobilfunktelefonen die Rede. Sondern von Mobil- oder Autotelefonen. Wobei diese Formulierung sehr stark dafür spricht, dass der Gesetzgeber eben gerade keine Funkgeräte erfassen wollte. Ebenso wenig übrigens Gespräche mit dem Beifahrer, das Einstellen des Autoradios oder eine Elektrorasur.

Dass sogar der Wortlaut des Gesetzes verdreht wird, um eine Entscheidung zu rechtfertigen, hat man dann allerdings auch eher selten.

(AG Sonthofen vom o1.o9.2010, 144 JS 5270/10; via)