Fax ist Fax – selbst bei der Justiz

Zentralfax, Sachgebietsfax, Geschäftsstellenfax, Verwaltungsabteilungsfax, Arbeitsplatzfax: So manche Justizbehörde sendet zwar von den unterschiedlichsten Faxanschlüssen, will die Antworten aber gerne kanalisieren. So heißt es dann auf den Briefbögen und Internetseiten, fristwahrende Sendungen seien nur an bestimmte Faxnummern zulässig.

Dieser Praxis erteilt das Oberlandesgericht Düsseldorf eine Absage. Weil das Zentralfax des Gerichts nicht funktionierte, hatte ein Anwalt, der eine Frist wahren musste, seinen Schriftsatz nachts auf das Fax der Pressestelle geschickt. Auch wenn es sich um einen Anschluss der „Verwaltung“ handelte, sehen die Richter keinen Grund für Sonderregeln und stellten fest, das Fax war pünktlich. Aus der Begründung:

Die Verwaltung des Oberlandesgerichts unterhält mehrere Empfangsgeräte für Fernkopien in ihrer Verantwortung. Die Geräte sind regelmäßig nicht einzelnen Spruchkörpern zugeordnet, naturgemäß gerade auch das zentrale Empfangsgerät nicht. Was dort auf einem der Geräte eingeht, ist in die Verantwortung der Verwaltung des Oberlandesgerichts gelangt.

Die Eingänge auf den Geräten werden, wenn sie die Rechtsprechung betreffen, nicht anders als Eingänge auf sonstigem Wege, erst von der Verwaltung an die den Spruchkörpern zugeordneten Geschäftsstellen geleitet. Auf diese Verteilung kommt es für die Wahrung einer Frist niemals an.

Bei dieser Sachlage wäre es nicht sachgerecht, aus der Zuordnung eines bestimmten Geräts zu einer bestimmten Verwaltungsaufgabe, hier der des Pressesprechers, die Konsequenz zu ziehen, Eingänge dort als von der allgemeinen Verteilung innerhalb des Gerichts ausgeschlossen zu betrachten und Eingänge, die die Rechtsprechungstätigkeit der Spruchkörper betreffen, wie „Irrläufer“ zwischen verschiedenen Behörden zu behandeln.

Das entspricht einem guten alten Grundsatz über den Zugang von Erklärungen, so wie er Jurastudenten in jeder Anfängervorlesung Bürgerliches Recht beigebracht wird. Danach muss die interne Organisation des Empfängers nicht Sorge des Absenders sein. Kommt die Nachricht rechtzeitig auf einem nach außen kommunizierten Empfangskanal an, ist damit die Frist gewahrt. Es ist Sache des Empfängers, die Nachricht an den richtigen internen Adressaten weiter zu leiten.

Warum sich ausgerechnet die Justiz nicht daran halten sollte, wäre wohl auch eher schwer zu vermitteln.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2010 I-20 U 206/09

Alles strafschärfend

Ich habe mal einen Mann verteidigt, der wegen Raubes angeklagt war. Er hatte sich auf eine private Verkaufsanzeige gemeldet und so getan, als würde er sich für die angebotene Rolex interessieren. Das tat er auf gewissen Weise auch, nur kaufen wollte er die Uhr halt nicht.

Der Raub, bei dem er auch Pfefferspray einsetzte, brachte ihm fünf Jahre Gefängnis. Zu dem eher harten Urteil kam das Landgericht unter anderem mit der Begründung, der Angeklagte habe sogar an einer Tankstelle gehalten, um sich einen Stadtplan zu kaufen. Er kannte sich nämlich am Wohnort des Opfers nicht aus. Den Kauf des Stadtplans wertete das Gericht strafschärfend.

An diesen Fall musste ich denken, als ich heute eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs las. Ein junger Mann hatte einen Taxifahrer überfallen. Das Landgericht sah es als besonders verwerflich an, dass seine eigene Mutter auch Taxifahrerin ist.

Hierzu merkt der Bundesgerichtshof an:

Die Jugendkammer hat bei der Bemessung der verhängten Freiheitsstrafe … zum Nachteil des Angeklagten gewertet, dass „seine eigene Mutter Taxifahrerin ist und die Tat insoweit als besonders verwerflich erscheint“. Diese Erwägung ist rechtsfehlerhaft, weil sich aus dem Umstand, dass die Mutter des Angeklagten den gleichen Beruf ausübt wie das Tatopfer, keine gesteigerten Pflichten des Angeklagten für das verletzte Rechtsgut ergeben. Die berufliche Stellung der Mutter wirkt sich daher auf das Maß der der Tat des Angeklagten innewohnenden Pflichtwidrigkeit nicht aus.

So ähnlich lautete auch die Argumentation in meinem Fall. Die Richter konnten nicht erkennen, wieso jemand härter bestraft werden muss, bloß weil er den Weg zum Tatort nicht kennt und deswegen einen Stadtplan kauft.

Am Ende kamen für meinen Mandanten bei einem anderen Gericht anderthalb Jahre weniger raus. Was die Sache allerdings für mich interessant macht, ist die offenbar gering ausgeprägte Lernfähigkeit mancher Richter. Beide Urteile hat nämlich dieselbe Strafkammer gesprochen.

(BGH, Beschluss des 4. Strafsenats vom 28.9.2010 – 4 StR 371/10)

Die Hanftruppe

Das Hanfblatt, vornehmlich in sattem Grün gepinselt, ist ein weltweites Erkennungszeichen für Freunde speziellen Rauchgenusses. „Gebt das Hanf frei“ – Aufkleber werden im Stadtbild mit Priorität entfernt. Und wer ein Jutetäschchen oder einem Button mit dem Pflanzenlogo trägt, dürfte sich zumindest im öffentlichen Personenverkehr bevorzugter Kontrollen sicher sein.

Nun taucht der Hanf an ungewohnter Stelle auf: Niedersächsische Polizisten trugen bei einer großangelegten Verkehrskontrolle Anfang der Woche an ihren Uniformen Abzeichen, auf denen sich ein großes, sehr gesund aussehendes Hanfblatt ans deutlich kleiner geratene Landeswappen schmiegt.

Doch Niedersachsen gibt den Stoff nicht frei. Die Polizisten seien keine Fans, sondern Fahnder, berichtet der NDR. Das neue Abzeichen hebe nur hervor, dass sein Träger in Drogendingen besonders geschult ist – auf streng kriminalistischer Basis sicherlich.

Das Innenmnisterium weiß laut NDR allerdings von nichts. Dort kenne man nur die Bekleidungsordnung. Diese nenne als Abzeichen erst mal nur das Landeswappen. Bei der Stelle, die sich das Hanfblatt als sinnstiftend für Polizeibeamte ausgedacht hat, verweist man dagegen auf andere Grüppchen innerhalb der Behörde. Auch Taucher, Hundeführer und Sprengstoffexperten hätten ihre Abzeichen. Warum also nicht auch die „Spezialbeamten“ von der „Drogenerkennung“?

Bleibt abzuwarten, ob auch die rustikaleren Demo- und Fußball-Trupps bei der Polizei darauf drängen, dass ihre besonderen Fähigkeiten angemessen nach außen kommuniziert werden. Wasserwerfer-Silhouette, Schlagstock, Totenkopf oder vielleicht sogar ein heraushängender Augapfel wären dort sicher erste Wahl.

Reiseveranstalter haften für Rail & Fly

Wer bei einer Pauschalreise Rail & Fly bucht, kann den Reiseveranstalter für Zugverspätungen haftbar machen. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Nach Auffassung der Richter haftet der Veranstalter sogar dann, wenn der Kunde sich den Zug selbst aussuchen kann.

Die Klägerin hatte eine All-Inclusive-Flugpauschalreise von Düsseldorf nach Samaná in der Dominikanischen Republik gebucht. Der Hinflug sollte am 19.06.2007 um 11.15 Uhr starten. Für die Anreise zum Flughafen nahm die Klägerin das „MEIER`S WELTREISEN Rail & Fly Ticket“ in Anspruch. Zu diesem Ticket hieß es in den Reiseinformationen:

Kein Stress und kein Stau mit dem ‚MEIER“S WELTREISEN Rail & Fly Ticket“. Bei jeder Flugbuchung aus diesem Katalog ist das ‚MEIER“S WELTREISEN Rail & Fly Ticket“ 2. Klasse der Deutschen Bahn AG zum Flughafen bereits im Preis enthalten! … Bitte wählen Sie Ihre Verbindung möglichst so, dass Sie den Abflughafen spätestens zwei Stunden vor Abflug erreichen…

Die Klägerin nahm einen Zug, der planmäßig um 9:08 Uhr am Flughafen Düsseldorf ankommen sollte. Tatsächlich erreichte sie den Flughafen wegen Zugverspätung erst um 11.45 Uhr und verpasste den Hinflug. Sie konnte erst am nächsten Tag fliegen, und auch nur von München aus.

Nach Auffassung der Karlsruher Richter erweckt das Rail & Fly – Angebot den Eindruck, der Bahntransfer sei eine eigene Leistung des Veranstalters. Die Bezeichnung des Tickets, die Bewerbung als „bequemen Anreiseservice von MEIER`S WELTREISEN“ und den Umstand, dass der Transfer im Reisepreis enthalten ist, seien Indizien für eine Eigenleistung gewertet.

Dass die Auswahl der Bahnverbindung zum Flughafen dem Reisenden überlassen ist, führe jedenfalls dann nicht zu einer anderen Beurteilung, wenn der Reiseveranstalter – wie hier – den Transfer ausdrücklich als eigene Leistung bewirbt, die Vorzüge gegenüber anderen Anreisemöglichkeiten hervorhebt und detaillierte Hinweise zur Auswahl der Bahnverbindung gibt.

Die Klägerin habe ihre Anreise mit dem Zug gemäß den Vorgaben der Beklagten auch hinreichend sorgfältig geplant. Deshalb könne sie Ersatz ihrer Mehrkosten verlangen.

(Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Oktober 2010 – Xa ZR 46/10)

Richter punktemäßig auf der Zielgeraden

Es wird die ganz normale Furcht jedes Autofahrers sein, die Fahrerlaubnis zu verlieren. Deswegen geht Lutz B. immer wieder gegen Knöllchen und Bußgeldbescheide vor. Immer, wenn er mal wieder als Verkehrssünder ertappt worden sein soll, wehrt sich der 62-Jährige vor den Gerichten. Und er ist bereits des öfteren aufgefallen. Mit zu schnellen Fahrten, aber auch mit zu geringem Sicherheitsabstand.

Lutz B. weiß aber, wie man sich juristische durchkämpfen kann. Denn er ist Präsident eines Strafsenats beim Oberlandesgericht Düsseldorf. Und hat sich in dieser Eigenschaft schon einen unrühmlichen Namen gemacht. Er hatte, wie berichtet, einen Autofahrer vom Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung per Beschluss rechtskräftig
befreit – und darin eine Begründung eingebaut, die ihm selbst helfen kann.

Jetzt werden neue Vorwürfe gegen den Vorsitzenden Richter bekannt. Jüngst kam er noch beim Amtsgericht Düsseldorf davon. Weil der zügige Fahrer am Steuer seines Autos auf dem Beweisfoto nicht klar erkennbar war, wurde das Verfahren eingestellt. Das an die Scheibe geklebte Navigationsgerät soll die Sicht auf den Fahrer versperrt haben.

Ob Lutz B. am Amtsgericht Erkelenz demnächst wieder so erfolgreich ist, wird sich zeigen. Der Richter soll auf der Landstraße bei Wegberg mit 87 km/h geblitzt worden sein; erlaubt waren 70 km/h. Dafür soll der Jurist an sich nur eine Verwarnung von 30 Euro zahlen, will das aber nicht. Sein Argument: Das Schild war angeblich verdreht, deshalb gebe es Zweifel an der „rechtswirksam angeordneten Geschwindigkeitsbegrenzung“.

Am selben Tatort wurde das Auto an einem anderen Tag mit einer Geschwindigkeit von 112 km/h gemessen, 42 km/h zu schnell. Für diesen Verstoß soll Lutz B. 208 Euro zahlen und mit einem Fahrverbot von einem Monat belegt werden. Auch dagegen hat er Einspruch erhoben. Bislang ohne Begründung.

Eine Grund für die konsequente Gegenwehr könnte der Kontostand des Richters in Flensburg sein. 14 Punkte sollen sich dort bereits angesammelt haben. Die letzten zwei hatte sich B. vor einiger Zeit in Kempen eingehandelt, weil er zu dicht aufgefahren war.

Bei 18 Punkten wird die Fahrerlaubnis entzogen. Seine Zuständigkeit für Bußgeldsachen im Straßenverkehr, die beim Oberlandesgericht Düsseldorf in letzter Instanz entschieden werden, hat Lutz B. bereits verloren. So hatte es das Präsidium entschieden. Nicht weil B. in eigener Sache vor Gerichten streitet, sondern weil der Senatsvorsitzende in den Geruch gekommen war, eigene Interessen in seine Entscheidungen einfließen zu lassen.

So hatte B. einen Bürger wegen eines Tempoverstoßes freigesprochen und quasi nebenbei so argumentiert, dass es ihm auch in seinen eigenen Verfahren nützen könnte. Der Richter erklärte nämlich die Blitzerfotos für unrechtmäßig, weil für ihre Anfertigung keine Rechtsgrundlage bestehe. Hätte dieses Urteil Bestand gehabt, wäre es für die Amtsgerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf eine Leitentscheidung gewesen. Zum Zeitpunkt des Beschlusses gab es gegen Lutz B. selbst Verfahren, in denen diese Rechtsfrage eine Rolle spielten. Inzwischen hat ein anderer Senat des Oberlandesgerichts Düsseldorf entschieden, dass Radarfotos sehr wohl verwendet werden dürfen.

Für Lutz B. bleibt es also spannend, wenn er sich demnächst wieder vor Gericht verantworten muss.

Haben Sie dem Zeugen zugenickt?

Ich gebe es zu. Die Aussage eines Zeugen hat mir heute gut gefallen. Weil sie meinen Mandanten entlastete. Noch mehr begeisterte mich aber, wie eloquent und noch dazu überzeugend der Zeuge Fragen des Staatsanwalts abbügelte.

Offenbar habe ich mir meine Freude auch anmerken lassen, denn der Staatsanwalt feuerte keine weiteren Fragen ab. Stattdessen fuhr er mich an:

Haben Sie dem Zeugen gerade zugenickt?

In solchen Situationen werde ich extrem wortfaul, vor allem wenn ich den Eindruck habe, dass die Richterin die Augen verdreht. Und zwar wegen dem Staatsanwalt. Worauf wollte der Gute überhaupt hinaus? Etwa auf ein tränenreiches Geständnis, dass der Zeuge präpariert ist, noch dazu von mir persönlich?

Eigentlich rechnete ich mit der Anschlussfrage, ob ich vor der Verhandlung mit dem Zeugen geredet habe. (Was ich guten Gewissens hätte verneinen können.) Es kam dann aber doch nichts weiter. Vielleicht weil ich mich deutlich uninteressiert an einem Dialog zu diesem Thema zeigte. Womöglich war aber selbst dem Staatsanwalt aufgefallen, wie erheitert die Richterin seinen „Ermittlungen“ folgte und dass er nicht weit davon entfernt war, sich lächerlich zu machen.

Immerhin weiß ich jetzt einen Kniff mehr, mit dem man ohne große Anstrengung einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet. So was kann ein Verteidiger im richtigen Augenblick immer gut gebrauchen.

Computer = Fernseher = GEZ

Auch für internetfähige Computer müssen Rundfunkgebühren gezahlt werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden.

Die Rundfunkanstalten halten die Besitzer von internetfähigen Computern für gebührenpflichtig, weil sich mit diesen Geräten Sendungen empfangen lassen, die als „Livestream“ online gestellt werden. Im Rahmen der Zweitgeräte-Befreiung wird die Rundfunkgebühr allerdings nicht verlangt, wenn der Besitzer bereits über ein angemeldetes herkömmliches Rundfunkgerät in derselben Wohnung oder demselben Betrieb verfügt. Diese Regelung nutzte aber nicht den Klägern. Vor Gericht gezogen waren zwei Rechtsanwälte und ein Student, die in ihren Büros bzw. in der Wohnung kein angemeldetes Rundfunkgerät bereit hielten, aber dort jeweils internetfähige PC besaßen.

In den Vorinstanzen hatten die Kläger verloren. Auch das Bundesverwaltungsgericht meinte nun, internetfähige Computer seien Rundfunkempfangsgeräte im Sinne des Rundfunkgebührenstaatsvertrags. Für die Gebührenpflicht komme es lediglich darauf an, ob die Geräte zum Empfang bereit gehalten werden, nicht aber darauf, ob der Inhaber tatsächlich Radio- bzw. Fernsehsendungen mit dem Rechner empfängt. Ebenso wenig sei es erheblich, ob der PC mit dem Internet verbunden ist, wenn er technisch nur überhaupt dazu in der Lage ist.

Diese sich aus dem Rundfunkgebührenstaatsvertrag ergebende Rechtslage verstößt laut Gericht auch nicht gegen höherrangiges Recht. Insbesondere verletze sie nicht Rechte auf Freiheit der Information (Art. 5 Abs. 1 GG) und der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) oder den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

Zwar greife die Gebühr in die Grundrechte der Kläger ein. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt durch die – ebenfalls verfassungsrechtlich begründete – Finanzierungsfunktion der Rundfunkgebühren für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Der Eingriff sei auch nicht unverhältnismäßig.

Auch den Gleichbehandlungsgrundsatz sehen die Richter nicht verletzt. Zwar würden insofern ungleiche Sachverhalte gleich behandelt, als die herkömmlichen monofunktionalen Rundfunkempfangsgeräte mit den multifunktionalen internetfähigen PC gebührenrechtlich gleichgesetzt werden. Entscheidend für die Gebührenerhebung seien jedoch nicht technische Unterschiede, sondern die gleiche Möglichkeit zum Empfang von Rundfunksendungen.

(BVerwG 6 C 12.09, 6 C 17.09 und 6 C 21.09 – Urteile vom 27. Oktober 2010)

Getauschte Songs sind 15,00 € wert

Das Landgericht Hamburg hat die Vorstellungen der Musikindustrie, was illegal in Tauschbörsen eingestellte Musikstücke wert sind, zurechtgestutzt. Die Richter sprachen für zwei Musikaufnahmen jeweils 15 € Schadensersatz zu. Die Musikindustrie hatte 300 € pro Titel gefordert.

Der heute 20-jährige Beklagte stellte im Juni 2006 über den Internetanschluss seines Vaters, ohne dass dieser davon wusste, zwei Songs in eine Internettauschbörse zum Download bereit. Bei den Liedern handelte es sich um „Engel“ von „Rammstein“ und „Dreh‘ dich nicht um“ von Marius Müller-Westernhagen.

Das Landgericht bejahte eine Schadensersatzpflicht des Sohnes. Dieser habe das Urheberrecht verletzt. Bei der Höhe des Schadensersatzes müsse
jedoch darauf abgestellt werden, was vernünftige Parteien bei Abschluss eines fiktiven Lizenzvertrags als angemessene Lizenzgebühr für die Nutzung der Musikaufnahmen vereinbart hätten. Es gebe keinen „Tarif“ für die Nutzung, so dass der Preis geschätzt werden könne.

Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass es sich bei den Songs zwar um solche bekannter Künstler handelte, dass die Aufnahmen auch 2006 jedoch bereits Jahre alt waren und deshalb nur noch eine begrenzten Nachfrage angenommen werden könne. Da außerdem von einem kurzen Zeitraum auszugehen sei, in dem die Titel zum Herunterladen bereit standen, hat das Gericht geschätzt, dass es allenfalls zu 100 Downloads pro Titel gekommen sein könne. Unter Orientierung an dem GEMA-Tarif VR-OD 5 (Nutzung von Werken im Wege des Music-on-Demand zum privaten Gebrauch) sowie an dem Einigungsvorschlag der Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt vom 5. Mai 2010 im Schiedsstellenverfahren zwischen dem
BITKOM und der GEMA hat das Gericht die angemessene Lizenz auf 15 € pro Titel ge-
schätzt.

Bei aktuellen Hits, mit denen noch richtig Umsätze gemacht werden, könnte der Schadensersatz durchaus höher sein. Wenn man den geforderten und den vom Landgericht für angemessen erachteten Betrag aber in Relation setzt, dürften die von der Musikindustrie in aktuellen Abmahnungen geforderten Beträge erheblich unter Druck geraten. Dort werden teilweise über eintausend Euro pro Song als Schadenssumme genannt. Realistischer dürften selbst bei brandaktuellen Hits nun 40 bis maximal 80 Euro sein.

Die Schadensersatzklage gegen den Vater hat das Landgericht mit der Begründung abgewiesen, dieser sei weder Täter noch Teilnehmer der Urheberrechtsverletzung. Der Vater sei zwar als „Störer“ anzusehen, weil er seinem Sohn unter Verletzung von Überwachungspflichten den Internetanschluss zur Verfügung gestellt habe, über den die Rechtsverletzungen begangen wurden. Durch dieses Verhalten werde jedoch keine Schadensersatzpflicht begründet. So hatte auch bereits der Bundesgerichtshof entschieden.

(Urteil vom 8. Oktober 2010, Aktenzeichen 308 O 710/09)

Von Ostern bis Oktober

In Berlin und den Ländern wird derzeit hitzig an der Winterrreifenpflicht gemerkelt. Noch im kommenden Monat soll die Straßenverkehrsordnung geändert werden. Viele Bürger nähern sich ob der Hektik und Ungewissheit dem Verwirrtheitsstadium diverser Politiker an. Sie wissen selbst nicht mehr ein und aus und montieren ihre Winterreifen von „Ostern bis Oktober“:

Nun ja, man kann ja nie wissen.

Immerhin wird, wenige Tage vor dem möglichen Inkrafttreten, woanders immerhin schon ein Entwurf der neuen Regelung kolportiert:

Bei Schneeglätte, Schneematsch, Reifglätte oder Glatteis darf ein Kraftfahrzeug nur mit Reifen gefahren werden, deren Laufflächenprofil, Laufflächenmischung oder Aufbau für die genannten winterlichen Wetterverhältnisse ausgelegt sind (Winterreifen).

Wenn der Text stimmt, ändert sich erst mal gar nicht viel. Denn entgegen zahlreicher Presseberichten wird damit keine generelle Winterreifenpflicht eingeführt. Vielmehr müssen solche Reifen nur „bei Schneeglätte“ und sonstigen Unbilden aufgezogen sein. Mit anderen Worten: Winterreifen-Verweigerer dürfen auch künftig im Winter Auto fahren – ein Bußgeld riskieren sie nur bei Winterwetter. Wer also bereit ist, sein Auto bei diesem Wetter stehen zu lassen, muss nicht auf Winterreifen umsteigen.

Ob die neue Regelung so viel weniger schwammig ist als die alte, darf man bezweifeln. Schon die Beschreibung der „winterlichen Wetterverhältnisse“ wird Verkehrsjuristen genug Ansatzpunkte für erbitterte Auslegungsdebatten vor Gericht bieten. Auch die Frage, was ein Reifen können muss, um ein „Winterreifen“ zu sein, wird angesichts der aufgeführten Kriterien nicht ganz einfach zu beantworten sein.

(Danke an Jochen H. für den Zeitungsausschnitt)

Wenn kostenlos kostet

Im Jahr 1996 habe ich fürs Büro ein Tagesgeldkonto bei der Comdirect eröffnet. Im Laufe der Jahre hat sich auch bei unseren Bankverbindungen einiges geändert; jedenfalls haben wir das Tagesgeldkonto auf Null gestellt und etliche Jahre nicht genutzt. Im Rahmen einer kleinen Aufräumaktion habe ich es letzte Woche gekündigt.

Das sollte eigentlich kein großer Akt sein. Immerhin war das Konto „kostenlos“. In den Eröffnungsunterlagen, die ich noch habe, ist mehrfach „kostenlose Kontoführung“ zugesagt. So war es viele Jahre auch. Kontoführungsgebühren: null. Portokosten: null. Umso erstaunter war ich, als mir die Comdirect jetzt mitteilte, das Konto könne zwar gelöscht werden – aber erst nach Ausgleich eines Saldos von 6,96 €.

Ein Blick in die Auszüge ergab tatsächlich das besagte Minus. Für jeden „Finanzreport“ stellte die Bank seit geraumer Zeit zunächst 0,55 € Porto, später 1,50 € „Versandpauschale“ in Rechnung. Doch nicht nur das. Für den Saldo berechnet die Comdirect außerdem noch 14,4 % Überziehungszinsen. Im letzten Abrechnungszeitraum waren das stolze 16 Cent.

Kostenlos scheint in der Bankenwelt eine relative Aussage zu sein. Ich habe der Bank mal einen höflichen Widerspruch zukommen lassen. Mit der Bitte doch mal mitzuteilen, wie und wann sich unser Vertrag rechtswirksam geändert hat und kostenpflichtig geworden ist. Und mit dem Hinweis, dass der Rechnungsabschluss eine gesetzliche Pflicht ist und ja eigentlich der Grundsatz gilt, dass Banken für die Erledigung eigener Aufgaben den Kunden nicht bluten lassen dürfen.

Ansonsten hoffe ich natürlich auf Kulanz.

Nachtrag: Die Bank verzichtet aus Kulanz auf die Gebühren.

Resistent

Der gegnerische Anwalt hatte sich eigentlich klar ausgedrückt:

Wir haben unserer Mandantin geraten, die geforderte Unterlassungserklärung abzugeben.

Von seiner Mandantin kam dann auch ein Schreiben. Darin verpflichtete sie sich, eine bestimmte Rechtsverletzung in Zukunft sein zu lassen. Die „geforderte“ Unterlassungserklärung war das allerdings nicht. Die Dame hatte das Vertragsstrafeversprechen durchgestrichen. Ohne diese Zusage ist die Erklärung aber juristisch kaum was wert.

Der offene Widerspruch zwischen der Ankündigung des Anwalts und dem, was seine Mandantin umsetzte, ließ mich das Telefon bemühen. Der Anwalt bestätigte das, was ich schon vermutet hatte. Seine Mandantin hat nicht etwa was falsch verstanden. Sie ist, wie man so schön sagt, beratungsresistent.

Hoffentlich ist sie auch flüssig. Ganz billig wird der Prozess nämlich nicht.