Freifunker wehrt sich erfolgreich gegen Filesharing-Abmahnung
Fahnder versenden immer mehr stille SMS
Neue Adresse für den NPD-Verlag
Göttingen: Linke und Piraten fordern Ehrenbürgerschaft für Snowden
Ein Postfach ist (k)ein Postfach
Ein Leser berichtet, er sei auf der Autobahn von der Polizei durchsucht worden. Die Beamten seien etwas frustriert gewesen, weil sie rein gar nichts bei ihm fanden. Führerschein und Zulassung waren auch in Ordnung, sogar das Warndreieck befand sich an Ort und Stelle.
Trotzdem hat man nach seinen Angaben zehn Euro von ihm kassiert. Der Leser konnte nämlich seinen Personalausweis nicht vorzeigen, der lag bei ihm zu Hause.
Wenn das stimmt, hätte es der Betroffene wohl besser darauf ankommen lassen sollen. Die Beamten legten ihm einen Verstoß gegen die Ausweispflicht zur Last. Doch den er hat er gar nicht begangen.
Wie jeder Deutsche über 16 Jahren muss man zwar einen Personalausweis oder Pass besitzen. Es steht aber nirgends, dass man das Dokument auch bei sich führen muss. Vielmehr reicht es völlig, den Ausweis “auf Verlangen” vorzeigen zu können. Was durchaus auch beinhaltet, dass man den Ausweis halt später vorzeigt.
Oder sich, wenn’s denn gewünscht wird, von der Polizei nach Hause fahren oder begleiten lässt, um der Vorzeigepflicht zu genügen. In die Wohnung lassen muss man die Beamten deswegen aber nicht.
Der Leser kann sich jetzt nur noch über die Verwarnung beschweren. Sein Geld wird er eher nicht wieder bekommen, aber interessant wäre es schon, ob die Polizisten in ihrer Stellungnahme gegenüber dem Chef tatsächlich auf dem Vorwurf beharren.
Wir erinnern uns gut, wie Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich den Bürgern eine Lösung des Überwachungsproblems präsentierte. Selbstverantwortung sei gefragt. Da die Kontrolle nun mal stattfinde, müsse man halt seine Daten verschlüsseln.
Diese Werbung für Kryptographie ist ja ganz nett. Allerdings stellt sich seit heute die Frage, ob der Innenminister seinen Vorstoß wirklich ernst gemeint hat. Der englische Guardian und die New York Times berichten nämlich unter Bezug auf Papiere des Whistleblowers Edward Snowden, jedenfalls die NSA und der britische Geheimdienst seien schon sehr erfolgreich, die aktuellen Verschlüsselungsmethoden nur noch als Fassade dastehen zu lassen.
So soll die NSA viel Geld aufwenden, um direkt bei der Entwicklung bzw. beim Einsatz von Verschlüsselungssoftware in Unternehmen “Einfluss” zu nehmen. So erhält die Behörde Zugang zu Daten, die nach den Versprechen der betreffenden Firmen “sicher” verschlüsselt sein sollen.
Nach den Informationen stellen gängige Standards wie HTTPS und SSL keine Hindernisse für die NSA dar. Gleiches gilt für vermeintlich sichere VoIP-Gespräche. Auch der britische Geheimdienst rühmt sich laut den Unterlagen damit, gerade bei den Online-Giganten Google, Yahoo, Facebook und Microsoft sehr erfolgreich Zugriff auf verschlüsselte Kommunikation zu erlangen.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob der Innenminister wirklich so ahnungslos ist und jetzt auch über die Möglichkeiten der befreundeten Dienste staunt. Ungefähr so, wie das mit dem Überwachungsprogramm X-Keyscore gewesen ist, welches ja nun doch erstaunlicherweise schon in diversen Dienststellen des Bundes zumindest im “Testbetrieb” zur Verfügung steht – der anfangs zur Schau getragenen Unwissenheit zum Trotz.
Die Staatsanwaltschaft München I lehnt eine Gutachterin als befangen ab – weil sie sich in der Fernsehsendung “Beckmann” kritisch über den Fall Gustl Mollath geäußert hat.
Gleich in drei laufenden Prozessen macht ein Staatsanwalt geltend, seiner Behörde fehle nach dem Fernsehauftritt der Münchner Psychiaterin Hanna Ziegert das notwendige Vertrauen.
Ziegert sagte bei “Beckmann”, Gutachter würden in Bayern durchaus ergebnisorientiert ausgewählt. Die Mediziner seien auf Aufträge von der Staatsanwaltschaft angewiesen. Sie achteten deshalb darauf, nicht in Ungnade zu fallen. Das sei jedem, der in der Szene arbeitet, genau bekannt. Auch einen Vergleich Ziegerts, wonach der bayerische Maßregelvollzug vielleicht doch etwas anders sei als in anderen Teilen Deutschlands, beanstandet die Staatsanwaltschaft.
Von einer Äußerung Ziegerts, das Ganze erinnere sie manchmal eher an Mailand und Sizilien, wobei Bayern dann Sizilien wäre, scheint die Staatsanwaltschaft besonders aufgebracht. Ziegert attestiere der bayerischen Justiz damit “mafiöse Tendenzen” und eine “rechtsstaatsferne Ausgestaltung” des Verfahrens.
Die Gutachterin hält dagegen, sie habe nur auf ein gewisses “Nord-Süd-Gefälle” hinweisen wollen. Ziegert, die seit mehr als 30 Jahren als Gerichtsgutachterin arbeitet, will nun ihrerseits die Münchner Staatsanwaltschaft verklagen.
Interessant ist, dass das Verhalten des Staatsanwalts vieles von dem bestätigt, was Ziegert behauptet. Und überdies noch ein merkwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit dokumentiert. Aber so was fällt halt erst auf, wenn der Beißreflex wieder abgeklungen ist.
Für die deutschen Datenschutzbeauftragten ist der NSA-Skandal weder aufgeklärt noch sonstwie beendet. In einer heute veröffentlichten gemeinsamen Erklärung ziehen sie Bilanz und stellen konkrete Forderungen auf.
Das Statement ist es wert, im Wortlaut veröffentlicht zu werden. Hier ist die Erklärung:
“Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder stellt fest, dass noch immer nicht alles getan wurde, um das Ausmaß der nachrichtendienstlichen Ermittlungen mithilfe von Programmen wie PRISM, TEMPORA und XKEYSCORE für die Bundesrepublik Deutschland aufzuklären.
Schon die bisherigen Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass die Aktivitäten u.a. des US-amerikanischen und des britischen Geheimdienstes auf eine globale und tendenziell unbegrenzte Überwachung der Internetkommunikation hinauslaufen, zumal große Internet- und Telekommunikationsunternehmen in die Geheimdienstaktionen eingebunden sind.
Da zahlreiche Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen, deren Server in den USA stehen, personenbezogene Daten der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland verarbeiten, betreffen die Berichte, dass US-amerikanische Geheimdienste auf dem Territorium der USA personenbezogene Daten umfassend und anlasslos überwachen, auch ihre Daten. Unklar ist daneben noch immer, ob bundesdeutsche Stellen anderen Staaten rechtswidrig personenbezogene Daten für deren Zwecke zur Verfügung gestellt und ob bundesdeutsche Stellen
rechtswidrig erlangte Daten für eigene Zwecke genutzt haben.
Die staatliche Pflicht zum Schutz der Grundrechte erfordert es, sich nicht mit der gegenwärtigen Situation abzufinden. Die Regierungen und Parlamente des Bundes und der Länder sind dazu aufgerufen, das ihnen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten Mögliche zu tun, um die Einhaltung des deutschen und des europäischen Rechts zu gewährleisten. Weiterlesen
Gustl Mollath hat einen weiteren juristischen Erfolg errungen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Verlängerung von Mollaths Zwangsunterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus dem letzten Jahr für rechtswidrig.
Sowohl dem Landgericht Bayreuth als auch dem Oberlandesgericht Bamberg attestiert das Bundesverfassungsgericht schlampige Arbeit. Die für Mollath zuständigen Richter haben sich nach dem heute veröffentlichten Beschluss die Arbeit viel zu einfach gemacht. Das Verfassungsgericht vermisst die notwendige Aufklärung des Sachverhalts, ebenso aber eine nachvollziehbare Argumentation, warum von Mollath noch eine Gefahr ausgehen soll.
So habe der psychiatrische Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten Mollath eher nicht für gefährlich gehalten. Erst in der gerichtlichen Anhörung behauptete er dann, er habe “vielleicht eine etwas zu weiche Formulierung” gewählt. Wieso der Gutachter seine Ansichten wechselt, hätten die Richter nicht hinterfragt. Stattdessen seien sie seiner späteren Einschätzung, Mollath sei durchaus noch gefährlich, blind gefolgt. Hier, so das Verfassungsgericht, hätten die Richter zumindest eine eigenständige Entscheidung treffen müssen.
Außerdem hätten die angeblichen Verfehlungen Mollaths kritischer hinterfragt werden müssen. Selbst wenn der Betroffene seine Frau tatsächlich misshandelt haben sollte, habe es sich jedenfalls um Beziehungstaten gehandelt. Derartige Delikte sprächen eben eher nicht für eine allgemeine Gefährlichkeit. Dass Mollath mittlerweile geschieden sei und auch während seiner Einweisung nicht gewalttätig geworden sei, hätte bei der Gefahrenprognose berücksichtig werden müssen.
Im Ergebnis klingt das so, als hätten sich Mollaths Richter nicht mal ansatzweise mit Mollaths Fall auseinandergesetzt. Schon das ist beunruhigend genug. Hier geht es nämlich nicht um eine Fahrerflucht oder eine zu Unrecht angeordnete Durchsuchung. Sondern um das dauerhafte Wegsperren eines Menschen. Wenn die Justiz sich sagen lassen muss, hier nicht einmal Mindeststandards zu erfüllen, macht das schlichtweg Angst.
Alltägliche Polizeiarbeit taugt immer für Erlebnisse der dritten Art. Schön zu erfahren, dass es nicht nur mir so geht, wenn ich öfter über Vorgehen unserer Ermittler den Kopf schütteln muss. Das Erlebnis, welches Dirk Olbertz in seinem Blog schildert, passt in dieses Bild.
Obertz betreibt seit urlanger Zeit die Plattform blogger.de. Nun erreichte ihn ein Schreiben der Polizeidirektion Ost. Ein Kriminaloberkommissar ermittelt wegen eines möglicherweise beleidigenden Online-Kommentars. Er wollte wissen, welche Daten Olbertz möglicherweise vom Absender des Kommentars gespeichert.
Kleines Problem: Der Kommentar fand sich laut Angaben der Polizei auf einer Blogseite, die unter www.namedesblogs.blogspot.com zu finden ist. Es bedarf keines besonderen Aufwandes, um festzustellen, dass “blogspot.com” nicht zum Internet-Imperium des Dirk Olbertz gehört, sondern zu Google (Blogger.com).
Wieso die Polizei nun Olbertz angeschrieben hat, ist unklar. Am naheliegendsten ist allerdings die Vermutung, dass für den Beamten Domains mit gleichem Namen, aber unterschiedlicher Endung Jacke wie Hose sind. Und das, obwohl Olbertz auf blogger.de sogar ausdrücklich noch mal drauf hinweist, dass blogger.de und blogger.com nichts miteinander zu tun haben.
Dass Daten zur “E-Mail-Adresse noreply-comment@blogspot.com” angefordert werden, erscheint natürlich auch wahnsinnig erfolgversprechend. Aber geschenkt. Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass Olbertz anscheinend nur per Brief oder Fax antworten soll. Eine E-Mail-Adresse gibt der Beamte, der wegen Internetdelikten ermittelt, schon vorsichtshalber gar nicht an.
Das sind dann auch die Polizisten, welche nach dem neuen Recht online Bestandsdaten bei der Bundesnetzagentur abfragen dürfen. Also sensible Informationen wie Login-Daten, Passwörter und vieles andere mehr. Es bedarf keiner besonderen Fantasie, was solchen Recherchen schiefgehen wird.
In einer Filesharing-Sache hatten wir mit einem Anwaltsbüro die übliche Korrespondenz ausgetauscht. Wir machten klar, dass unser Mandant kein Geld überweisen wird. Auch nach der x-ten Aufforderung nicht.
Wie das heute so häufig vorkommt, kapitulierte die gegnerische Anwaltskanzlei schließlich. Allerdings meldete sich ein Inkassobüro, das so tat, als sei nichts gewesen. Ganz salopp wurden knapp 1.000 Euro gefordert.
Obwohl es ja nun weiß Gott nicht mehr nötig ist, nachdem die Forderung schon mal eindeutig zurückgewiesen wurde, schrieben wir auch dem Inkassobüro, unser Mandant werde nichts zahlen. Und empfahlen, sich doch mal an die früher tätigen Anwälte zu wenden, falls unsere Schreiben nicht vorliegen. Oder von uns auch direkt auch den Auftraggeber, eine große Plattenfirma.
Wir jedenfalls hätten nichts weiter zu sagen.
So antwortet das Inkassobüro:
… bitten wir um Übersendung der genannten Korrespondez in Kopie, damit wir die Angelegenheit ordnungsgemäß prüfen können.
Wieso sollen wir jetzt dem Laden auch noch helfen? Sollen die das doch unter sich ausmachen. Angesichts so einer Dreistigkeit, bin ich geneigt, doch noch eine Mail zu schicken. Nämlich einen gepflegten Stinkefinger.
Irgendwo muss ich die Vorlage noch haben.
Heute abend nehme ich im taz Caf´e an einer kleinen Diskussionsrunde teil. Es geht darum, ob wir die Geheimdienste regulieren müssen – und wie dies gelingen kann. Dabei sind auch Daniel Domscheidt-Berg und Rechtsanwalt Markus Kompa, der ebenso wie ich für die Piratenpartei auf der Landesliste NRW für den Bundestag kandidiert.
Die Moderation übernimmt Mathias Bröckers von der taz. Das taz Caf´e ist an der Rudi-Dutschke-Straße 24 in Berlin. Der Eintritt ist frei.
Erfreuliche Nachrichten für Abmahngeschädigte. Auch am Amtsgericht München, das bislang praktisch auch jede noch so überzogene Forderung aus dem Filesharing-Bereich durchwinkte, scheint eine Trendwende möglich.
Das Gericht weist einen Pornoverleger darauf hin, bei seiner Klage komme ein deutlich niedrigerer Streitwert in Betracht. Die Anwälte des Klägers haben 651 Euro Anwaltskosten gefordert. Ausdrücklich nimmt das Amtsgericht München Bezug auf einen aktuellen Beschluss des Amtsgerichts Hamburg, der Bewegung in die Sache zubringen scheint.
Die Hamburger wenden schon jetzt im Ergebnis das neue Anti-Abzockgesetz an, das demnächst in Kraft tritt. Danach sind die Abmahnkosten auf 150 Euro gedeckelt, es sei denn, die Obergrenze erweist sich als “unbillig”.
Es war ja erwartet worden, dass diese Regelung wie schon bei gescheiterten Vorgängergesetz dazu genutzt wird, doch wieder höhere Anwaltsgebühren durchzudrücken. Denn natürlich ist jeder Fall aus Sicht des Abmahners besonders schwerwiegend oder kompliziert. Schon diese Argumentation könnte die 150-Euro-Hürde ins Wanken bringen.
Umso erfreulicher, dass auch das Amtsgericht München jedenfalls Notiz von der anstehenden Gesetzesänderung nimmt. Das wird den Massenabmahnern nicht gefallen.
Einfach an ein genehmes Gericht “ausweichen” können sie demnächst ohnehin hin nicht mehr. Für Filesharing-Klagen wird mit der Gesetzesänderung nämlich auch der fliegende Gerichtsstand abgeschafft. Zuständig ist vielmehr im Normalfall zukünftig das Gericht am Wohnsitz des Beklagten.
Dieses Urteil hat das Zeug, bundesweit Ressourcen bei der Verkehrspolizei freizusetzen. Wer eine rote Ampel umfährt, zum Beispiel über das Gelände einer Tankstelle, begeht keinen Rotlichtverstoß. So hat es das Oberlandesgericht Hamm entschieden. Bisher war es bei vielen Dienststellen durchaus üblich, Autofahrer zur Kasse zu bitten, die eine rote Ampel über einen “Schleichweg” umfahren.
So ging es auch einem 52-jährigen Zahnarzt aus Dortmund. Er bog vor einer roten Ampel auf die links gelegene Tankstelle ab und fädelte sich an der anderen Ausfahrt der Tankstelle wieder in den Verkehr ein.
Die Richter betonen, eine rote Ampel gelte nur den, der sie auch tatsächlich vor sich habe. Das Rotlicht solle aber nicht verhindern, dass jemand vor der Ampel abbiegt und einen zugelassenen Verkehrsweg nutzt. Deshalb liege auch kein indirekter Rotlichtverstoß vor. Das gelte selbst dann, wenn die Ausfahrt der Tankstelle direkt hinter der roten Ampel liege und noch zum “geschützten Bereich” gehöre.
Allerdings weist das Gericht darauf hin, dass es etwas anderes ist, wenn ein Autofahrer die rote Ampel über Gehwege, Randstreifen, Parkstreifen, Radwege oder Busspuren umgeht.
Beschluss vom 2. Juli 2013, Aktenzeichen 1 RBs 98/13.
Absurdistan liegt mitunter gleich um die Ecke. Also etwa in Kassel. Dort schaut jetzt ein Bürger, der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid einlegen wollte, in die Röhre. Obwohl er alles richtig gemacht hat, ist sein Rechtsmittel zunächst unwirksam – meint jedenfalls ein Amtsrichter.
Der Betroffene wehrte sich per Fax gegen den Bußgeldbescheid. Er schickte seinen Einspruch an die Rufnummer, welche die Bußgeldstelle im Regierungspräsidium angibt. Er wählte damit den hochoffiziellen Weg. Und das sogar erfolgreich. Das Fax ist in der elektronischen Bußgeldakte ordnungsgemäß abgespeichert worden, darüber gibt es auch gar keinen Streit.
Leider erkennt das Amtsgericht Hünfeld ein unlösbares juristisches Problem, und zwar soll dieses in der “modernen” Technik liegen. Die Bußgeldstelle arbeitet nämlich mit Computerfaxen. Das Fax geht bei einer hessischen Behördenzentrale ein, dort wird es als Tiff-Datei abgespeichert und als Anhang einer E-Mail an die Bußgeldstelle geschickt. Diese speichert das Fax dann gleich in der elektronischen Akte ab.
Das reicht allerdings nicht, befindet der Richter. Er meint nämlich aus den gesetzlichen Vorschriften lesen zu können, dass ein Fax nur dann ein Fax ist, wenn es vom Absender nicht nur gefaxt, sondern beim Empfänger auch ausgedruckt wird. Und zwar auf gutem, alten Papier.
Ohne Ausdruck sei das Fax juristisch schlicht nicht geeignet, die vorgeschriebene Form zu wahren. Die Begründung ist kompliziert, läuft aber im Kern auf folgendes hinaus: Der Gesetzgeber hat es bis heute einfach nicht geschafft, die Vorschriften so zu ändern, dass Faxe nicht mehr ausgedruckt werden müssen.
Dass dies misslich ist, sieht der Richter selbst:
Das Gericht verkennt nicht, dass die gegenwärtige Rechtslage dazu führt, dass die Verwaltungsbehörde gezwungen ist, jede eingehende Telefaxsendung auf Papier auszudrucken und das ausgedruckte Schriftstück sogleich wieder einzuscannen, um es zur Ersetzung der Urschrift in ein elektronisches Dokument zu übertragen, während die ausgedruckte Urschrift auf einem Ablagestapel landet.
Der eigentlich Dumme ist allerdings der Bürger. Er kann ja nicht wissen, wie die Bußgeldstelle in Kassel – und andere sicher auch – ihre Faxe verarbeiten. Immerhin meint das Gericht, dass der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen darf.
Aber natürlich möglichst nicht per Fax…
Oft muss es ja schnell gehen. Deshalb hatte ich mich in einer neuen Strafsache erst mal beim Amtsgericht gemeldet. Das Gericht hatte auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungsbeschluss gegen meine Mandantin erlassen. Mit dem Brief wollte ich mitteilen, dass ich die Mandantin vertrete und um Akteneinsicht bitte.
Mir war schon klar, dass das Amtsgericht im Ermittlungsverfahren nicht selbst Akteneinsicht gewährt. Aber leider war es mir nicht möglich, vom Amtsgericht oder von der Polizei das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft zu erfahren. Bei beiden Behörden ging niemand ans Telefon. Am Amtsgericht ebenso wenig.
Eine Nachfrage wäre natürlich unnötig gewesen, hätte das Amtsgericht auf seinem Beschluss nicht nur das eigene Aktenzeichen notiert. Sondern auch das der Staatsanwaltschaft. Das ist sinnvoll, weil es sich ja um ein einheitliches Ermittlungsverfahren handelt. So handhaben es auch die meisten Gerichte.
Im letzten Absatz hatte ich folgendes notiert:
Ich bitte um Weiterleitung dieses Schreibens an die zuständige Staatsanwaltschaft.
Auf die Akteneinsicht wartete ich allerdings vergebens. Das Amtsgericht hat mein Schreiben nämlich nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Sondern es lag noch auf dem Tisch des zuständigen Mitarbeiters, wahrscheinlich irgendwo im Wimmelkästchen.
Als ich höflich nach dem Grund fragte, verschlug es mir dann doch etwas die Sprache. “Wir sind nicht die Poststelle der Staatsanwaltschaft”, erfuhr ich. Deshalb fühle man sich nicht zuständig und unternehme – schlicht gar nichts.
Davon, dass alle Eingänge in der Justiz immer an die Stelle weitergeleitet werden müssen, wo sich die Originalakte befindet, damit sie dort eingeheftet werden können, wollte der gute Mann partout noch nichts gehört haben. Ebenso wenig interessierte er sich dafür, dass ich in der Sache jetzt natürlich Zeit verloren hatte.
Na ja, eine Debatte schien mir sinnlos. Immerhin war der Herr nun gönnerhaft bereit, mir das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft zu geben. Dann lasse ich das Schreiben halt noch mal ausdrucken. Auf eine Beschwerde habe ich, ehrlich gesagt, keine Lust. Das Amtsgericht ist klein und liegt weit weg.
Sollen sich die Kollegen vor Ort drum kümmern oder, wie es aussieht, so was eben mit sich machen lassen. So schnell komme ich da wohl voraussichtlich nicht mehr hin, denn mein Verfahren wird ohnehin eingestellt. So viel hat mir der Staatsanwalt, den ich jetzt ja anrufen konnte, nämlich schon in Aussicht gestellt.
Auf dem Papier sah es für meinen Mandanten nicht sonderlich gut aus. Er hatte bei einem neuen “Lieferanten” Koks bestellt. Für exakt 1.000 Euro, weil man als Großkunde halt das eine oder andere Gramm mehr bekommt. An die richtige Adresse war der Mandant aber nicht geraten – zwei Tage später kriegte er Hausbesuch von der Polizei.
Zu einem Haftbefehl kam es glücklicherweise nicht. Der Mandant lebt in, wie man das so nennt, geordneten Verhältnisse. Er stand auch nicht im Verdacht, mit dem Zeug zu handeln. Auf der anderen Seite sind die bei ihm beschlagnahmten 9,1 Gramm netto (also der reine Wirkstoff) aber keineswegs ein Pappenstiel.
Die “nicht geringe Menge” fängt bei 5 Gramm Wirkstoff an, ab da reden wir zum Einstieg schon gleich über ein Verbrechen. Mindeststrafe: 1 Jahr. Es gibt auch Richter, die bei solchen Mengen durchaus überlegen, ob sie überhaupt noch zu einer Bewährungsstrafe kommen. Zu allem Überfluss hat mein Mandant auch noch einen Beruf, wegen dem er einer Kammer angehört. Die Kammern orientieren sich durchaus gern mal am Beamtenrecht. Ein Beamter, der wegen eines Verbrechens verurteilt wird, verliert seinen Job.
Das waren keine sonderlich guten Voraussetzungen für den unvermeidlichen Strafprozess. In solchen Fällen gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit: das Gericht zu überzeugen, dass ein minder schwerer Fall vorliegt. Das verschiebt den Strafrahmen nach unten, so dass auch weniger als ein Jahr Freiheitsstrafe rauskommen kann.
Ich sammelte natürlich alle Dinge, die für meinen Mandanten sprechen. Da kam einiges zusammen, aber zwingende Gründe für einen minder schweren Fall gab es nicht. Allerdings gab es noch einen Umstand, den zumindest der Staatsanwalt vor der Verhandlung nicht gesehen hatte.
Es ging um den Stoff, den mein Mandant gekauft hatte. Wenn man das Wirkstoffgutachten aufmerksam las, fiel eines auf. Jemand hatte meinem Mandanten extrem reines Zeug angedreht. Laut Gutachten machte der Wirkstoff 89 Prozent der Gesamtmenge aus. Normalerweise gelten schon 30 bis 40 Prozent als Handelsklasse A.
Der Staatsanwalt erwähnte in seinem Plädoyer diesen Umstand mit keinem Wort. Ich dagegen schon. Die Argumentation war folgende: Mein Mandant hat Ware von einer Qualität erhalten, mit der er ernsthaft nicht rechnen konnte. Guten Gewissens konnte ich darauf verweisen, dass mir trotz der drei, vier Drogenmandate seit Beginn meiner Antwaltstätigkeit noch kein Kokain-Fall untergekommen ist, bei dem die Wirkstoffkonzentration nennenswert über 40 Prozent lag.
Auf diese Weise konnte ich knapp 50 Prozent der Menge aus dem Vorsatz rausrechnen. Zwar nicht im technischen Sinne, aber halt im Rahmen des bereits erwähnten “minder schweren Falles”. Immerhin hätte mein Mandant die nicht geringe Menge nicht überschritten, wenn er das bekommen hätte, was als guter Stoff gilt.
Zu meiner großen Freude griff die Richterin das Argument auf, die Schöffen hatten schon bei meinen Plädoyer zustimmend genickt. So lagen war am Ende bei einer Freiheitsstrafe von gerade mal neun Monaten auf Bewährung. Damit dürften insbesondere die berufsrechtlichen Komplikationen gebannt sein.
Für meinen Mandanten war das natürlich eine große Erleichterung. Er hatte nun anderthalb Jahre gebangt, auch um die Zukinft seiner zwei Kinder. Mit den Drogen hat er schon direkt nach der Hausdurchsuchung Schluss gemacht. Auch das konnte er natürlich mit Attesten belegen.