Unterschrift auf Tablet kann unwirksam sein

Es ist sicher schick und praktisch für Geschäfte, den Kunden auf einem Tablet-PC unterschrieben zu lassen. Jedoch kann dies zu Problemen bei Verträgen führen, welche die Schriftform erfordern. Für einen Verbraucherkreditvertrag hat das Oberlandesgericht München jetzt entschieden, dass die Unterschrift auf einem Tablet nicht ausreicht. 

Der Kläger kaufte im Fachmarkt einen Fernseher auf Kredit. Für die Finanzierung unterschrieb er vor Ort den Kreditantrag einer Bank. Dabei verwendete der Kundenberater ein Tablet. Der Vertrag mit der Unterschrift des Kunden und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen wurden für den Kunden ausgedruckt. 

Nach zweieinhalb Wochen widerrief der Kunde den Kreditvertrag. Das lehnte die Bank ab, weil nach ihrer Meinung die Widerrufsfrist abgelaufen war. Der Kunde berief sich jedoch darauf, der Vertrag sei insgesamt unwirksam, weil er nicht “schriftlich” unterzeichnet habe.

Das Landgericht München I stellte sich auf die Seite der Bank. Ebenso wie eine Schiefertafel sei das Tablet grundsätzlich geeignet, die darauf enthaltenen Schriftzeichen dauerhaft festzuhalten. Auf dem Tablet habe der Kläger auch eigenhändig unterschrieben. Er sei auch ausreichend über die zweiwöchige Widerrufsfrist aufgeklärt worden. Sein Widerspruch komme deshalb zu spät.

Das Oberlandesgericht München korrigierte diese Entscheidung. Der Vertrag sei formnichtig gewesen, weil die gesetzliche Schriftform auf einem Tablet nicht gewahrt werde. Zwar werde die Unterschrift elektronisch gespeichert, aber sie sei eben zu keinem Zeitpunkt körperlich vorhanden. Dies jedoch erfordere das Gesetz. Der Ausdruck gebe auch nur die elektronisch gespeicherte Unterschrift wieder, der Abdruck sei aber nicht “eigenhändig”.

Durch die Auszahlung des Darlehens ist der Formmangel allerdings nach Auffassung der Richter geheilt worden. Aber auch das half der Bank nichts, denn jedenfalls war die Widerrufsfrist noch nicht abgelaufen. Die Widerrufsfrist beginne im Fall einer unwirksamen Unterschrift nämlich frühestens mit der Auszahlung des Geldes. Überdies fehle es an der Übergabe korrekter Vertragsunterlagen, so dass die Widerrufsfrist jedenfalls noch nicht abgelaufen war.

Oberlandesgericht München, Urteil vom 4. Juni 2012, Aktenzeichen 19 U 771/12.

Vorratsdaten: Die EU lernt aus dem ACTA-Debakel

Seit heute gibt es für Deutschland einen guten Grund mehr, die Vorratsdatenspeicherung (VDS) nicht einzuführen – selbst wenn die EU-Kommission mit Strafzahlungen droht. Die VDS-Richtlinie steht nämlich auch auf europäischer Ebene zur Überarbeitung an. Und wie es aussieht, wollen die Verantwortlichen die bisherigen Vorgaben deutlich abschwächen.

EU-Kommissarin Cecilia Malmström gibt in einem Interview mit der FAZ deutlich zu erkennen, dass in Brüssel die Tendenz zwar weiter zur Vorratsdatenspeicherung geht, aber eher in einer abgespeckten Variante. So betont die Kommissarin insbesondere, viele Länder würden die Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung der Kleinkriminalität und gar für die “Gewährleistung der öffentlichen Ordnung” einsetzen. Das sei nicht Sinn der Vorratsdatenspeicherung; die Daten dürften nur für die Bekämpfung des Terrorismus und schwerer Kriminalität zum Einsatz kommen.

Auch die bisherigen Speicherfristen scheinen der EU-Kommission nicht mehr zu behagen. Malmström erklärt, die Fristen müssten “natürlich” kürzer ausfallen.

Anscheinend sucht die EU-Kommission einen Ausweg aus dem VDS-Dilemma. Ich nehme an, dass man auf europäischer Ebene unbedingt auch ein zweites ACTA vermeiden will und somit jedenfalls Bereitschaft besteht, nichts übers Knie zu brechen. Dazu zählt auch die Ankündigung Malmströms, VDS-Kritiker und Datenschützer in die Debatte einzubeziehen.

Konsequenz ist zunächst, dass nach Angaben der Kommissarin in diesem Jahr nicht mehr mit einer neuen VDS-Richtlinie zu rechnen ist. Alles in allem viele Gründe mehr für Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, sich weiter gegen eine schnelle Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu stemmen. Sich trotz verfassungsrechtlicher Bedenken einer EU-Richtlinie zu beugen, die schon an ihrer Quelle mittlerweile als überzogen erkannt wird, wäre der falsche Weg.

netzpolitik.org zum gleichen Thema

Gebrauchte Software darf verkauft werden

Gebrauchte Software darf weiter verkauft werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kunde das Programm auf einem Datenträger erworben oder per Download bezogen hat. Der Europäische Gerichtshof löst mit dieser Entscheidung eine Streitfrage zu Gunsten der Gebrauchthändler und -käufer, die seit Jahren Gerichte beschäftigt.

Das Urteil erging in einer Sache, in der sich die deutsche Firma UsedSoft und der amerikanische Softwareproduzent Oracle gegenüber standen. UsedSoft handelt unter anderem mit gebrauchter Software.

Nach Auffassung des EuGH sind Programme nicht wesentlich anders zu beurteilen als körperliche Produkte. So wie ein Neuwagenhändler einem Kunden nicht verbieten darf, den Wagen weiter zu verkaufen, so könne auch ein Softwareproduzent keine weitergehenden Rechte geltend machen. Mit dem Verkauf des Programms sei sein Einfluss “erschöpft”.

Das Recht zum Weiterverkauf erstreckt der EuGH ausdrücklich auch auf Software, die online bezogen wurde. Oracle hatte argumentiert, bei einem Download erwerbe der Käufer kein Eigentum, sondern lediglich ein individuelles Nutzungsrecht. Dieses Recht könne so eingeschränkt werden, dass ein Weiterverkauf nicht zulässig ist.

Dem folgte der EuGH nicht. Er stellt vielmehr klar, dass der Verkäufer lediglich eine Pflicht hat: Er selbst darf keine Kopie des erworbenen Programms behalten oder eine neue herunterladen. Dass so etwas schwierig zu kontrollieren ist, sehen die Richter. Allerdings rechtfertige das Überwachungsinteresse keine Einschränkungen.

Der Erwerber der gebrauchten Software hat die vollen Rechte am Programm. Er kann somit auch die vertragsgemäßen Softwareupdates verlangen.

Eine wichtige Einschränkung macht das Urteil allerdings. Bündellizenzen dürfen nur insgesamt gebraucht verkauft werden. Es geht also zum Beispiel nicht, dass jemand ein Textprogramm mit drei Lizenzen erwirbt, zwei verkauft und eine weiter nutzt.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs

Morgens um halb sieben

Vorratshaltung ist sicher keine schlechte Sache. Bei Durchsuchungsbeschlüssen ist das jedoch anders. Wer mit so einer Maßnahme konfrontiert wird, sollte sich deshalb unbedingt gleich zu Anfang den gerichtlichen Beschluss zeigen lassen. Der erste Blick geht dabei idealerweise auf das Datum, an dem der Richter die Durchsuchung angeordnet hat. Mitunter erlebt man hier eine erfreuliche Überraschung.

Ein Durchsuchungsbeschluss darf nämlich nicht älter als sechs Monate sein. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht jetzt noch mal in einem Beschluss hingewiesen, den das Heymanns Strafrecht Online Blog zitiert. Danach tritt ein Durchsuchungsbeschluss exakt sechs Monate nach seinem Erlass automatisch außer Kraft. Mit der Frist soll vermieden werden, dass sich Ermittlungsbehörden Beschlüsse auf Vorrat besorgen und damit Druck ausüben können – auch wenn sich die Sachlage möglicherweise längst geändert hat. 

Die Grundsatzentscheidung zu dieser Frage ist zwar schon 16 Jahre alt. Lange genug sollte man meinen, dass nicht mehr aus abgelaufenen Beschlüssen vollstreckt wird. Doch in der Praxis sieht das durchaus anders aus. Überlastete Polizeistationen und Kommissariate arbeiten Durchsuchungsbeschlüsse vom Stapel ab. Das gilt jedenfalls für Fälle, die die nicht als brandeilig gelten.

Beschlüsse laufen auch schon mal ab, weil die Polizeibeamten den Beschuldigten persönlich antreffen wollen. Das passiert, wenn die Kosten für einen Schlüsseldienst vermieden werden sollen. Das Hauptmotiv ist allerdings meist, dass man den Beschuldigten gerne im Rahmen der Durchsuchung oder sofort danach vernimmt. Morgens um halb sieben ist für die meisten nämlich der schwierigste Zeitpunkt, sich auf die eigenen Rechte zu besinnen.

Wenn die Beamten mehrmals klingeln müssen, bis sie jemanden treffen, passiert es halt, dass Durchsuchungsbeschlüsse über die Sechsmonatsgrenze prokrastiniert werden. Vielleicht fällt die Verfristung im Eifer des Gefechts gar nicht auf. Oder sie wird halt ignoriert, weil es sonst nur Komplikationen gibt und das Ganze gegenüber den Vorgesetzten peinlich ist.

Der Fristablauf produziert ohnehin nur Probleme, wenn der Beschuldigte oder sein Anwalt die Lage erkennen und sich wehren, etwa mit einer Beschwerde. Ich habe es jedenfalls noch nicht erlebt, dass Polizei oder Staatsanwaltschaft von sich aus Konsequenzen gezogen haben, auch wenn ihnen das Alter des Beschlusses eigentlich aufgefallen sein muss.

Ist der Beschluss älter als sechs Monate, gilt er automatisch als nichtig. Sollte trotzdem durchsucht werden, ist das normalerweise rechtswidrig. Was allerdings nicht heißt, dass dann eventuell gefundene Beweise unberücksichtigt bleiben müssen. Diesen Automatismus gibt es in Deutschland leider bis heute nicht.

Mehr oder weniger verpeilt

Der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, räumt mit 63 Jahren seinen Arbeitsplatz. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat Fromm heute entlassen, nachdem dieser selbst darum gebeten hatte.

Grund dürften in erster Linie die bislang nicht vollständig aufgeklärten NSU-Morde sein – und die Rolle, die der Verfassungsschutz spielte. Fromm hatte in den letzten Tagen selbst eingeräumt, wie fragwürdig sich sein Amt in der Angelegenheit verhalten hat und es vermutlich noch immer tut.

Jedenfalls für die aktuellen Entwicklungen trägt die politische Verantwortung aber der Bundesinnenminister selbst. Auch Hans-Peter Friedrich selbst wird deshalb früher oder später dazu Farbe bekennen müssen, wie weit er sein Ressort im Griff hat. Hierzu gehört ja nicht nur der Verfassungsschutz, sondern auch das Bundeskriminalamt. Diese Behörde hat im NSU-Komplex ebenfalls versagt; BKA-Chef Ziercke räumte es vor Tagen selbst ein. Gut möglich also, dass Ziercke als nächster auf der Entlassungsliste steht. Womit der Schutzwall vor Friedrich selbst niedergerissen wäre.

Die weitaus spannendere Frage stellt sich jedoch abseits von schlagzeilenträchtigen personellen Folgen. Brauchen wir einen Verfassungsschutz? Und wenn ja, sollte er nicht zumindest völlig anders organisiert sein? Die bisherige Ausrichtung als ein klassischer Geheimdienst ist jedenfalls untragbar. Für den Bürger erscheint der Verfassungsschutz zu Recht längst als “Staat im Staate”. Selbst die politisch Verantwortlichen haben diesen Moloch offenbar nicht mehr im Griff.

Ich selbst habe in diversen Ermittlungsverfahren Erfahrungen mit dem Verfassungsschutz gemacht. Das waren meist keine guten – sowohl was die Qualität der Arbeit als auch die Aufbereitung der Ergebnisse angeht. Das ist interessanterweise völlig unabhängig davon, ob es gegen mutmaßlich links, rechts, radikal oder terroristisch geht. Mehr oder weniger verpeilt zu sein, gehört beim Amt in Köln wohl zum Berufsbild. Eine Einschätzung, die man übrigens auch von Staatschützern bei der Polizei, bei Staatsanwälten oder Richtern hören kann.

Bei diesem Verfassungsschutz wird es nicht ausreichen, die Putzkolonne durchzuschicken. Es wird sich früher oder später die Frage stellen, ob die sauberste Lösung so aussieht: Zerschlagung, geordneter Neuaufbau bei klarer Beschränkung aufs eigentliche Kerngeschäft. Die Anschlussverwendung vieler etwas einseitig qualifizierter Beamter wäre sicher ein Problem. Aber selbst eine Auffanggesellschaft fürs Däumchendrehen wäre kein zu hoher Preis. Was sich die Telekom leisten kann, sollte für die Demokratie nicht zu teuer sein.

Bericht auf Spiegel online

Schlecker-Grundbuch muss geöffnet werden

Die Journalisten vom Berliner autorenwerk haben sich das Recht erkämpft, die Grundbucheinträge der Unternehmerfamilie Schlecker einzusehen – zumindest teilweise. Das Grundbuchamt Ehingen hatte Anfragen nach Grundbucheinsicht zunächst verweigert. Nun ordnet das Oberlandesgericht Stuttgart an, dass die Reporter zumindest erfahren dürfen, welche Grundstücke innerhalb der Familie Schlecker übertragen worden sind.

Anlass für die Recherchen waren Informationen, wonach das Schlecker-Anwesen in Ehingen möglicherweise erst seit neuestem im Alleineigentum der Ehefrau des Firmenpatriarchen, Christa Schlecker, stehen soll. Das hätte zur Folge, dass das Grundstück nicht in die Insolvenzmasse des Schlecker-Imperiums fallen könnte, da nur Gründer Anton Schlecker mit seinem persönlichen Vermögen haftet.

Beim Ehinger Grundbuchamt stießen die Reporter aber auf Granit. Dort sah man kein ausreichendes Interesse, sondern verwies die Antragsteller lapidar an den Insolvenzverwalter. Der könne ja Auskunft geben.

Dieser Auffassung schließt sich das Oberlandesgericht Stuttgart nicht an. Die Richter bejahen ein öffentliches Interesse an der Frage, ob innerhalb der Schlecker-Familie möglicherweise Vermögen übertragen und so (auch) vor dem Zugriff der Gläubiger in Sicherheit gebracht wurde. Hier habe die Pressefreiheit Vorrang vor dem Interesse der Schlecker-Familie, private Informationen nicht öffentlich werden zu lassen.

Die Journalisten dürfen auch nicht auf den Insolvenzverwalter verwiesen werden. Zu dessen Aufgaben gehöre es schon gar nicht, die Öffentlichkeit zu unterrichten.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 27. Juni 2012, Aktenzeichen 8 W 228/12

Verantwortlicher Staatsanwalt soll seinen Posten räumen

Das Organisationsbüro Strafverteidigervereinigungen kritisiert eine überzogene Maßnahme der Staatsanwaltschaft Münster. Diese hatte einen Rechtsanwalt im Verhandlungssaal festnehmen lassen. Aus der Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen:

Am 19.06.2012 wurde der Strafverteidiger R. in einer von der Staatsanwaltschaft beantragten Verhandlungspause vor dem Landgericht Münster im Gerichtssaal vor laufender Kamera von der Staatsanwaltschaft mit den Worten: »Ich nehme Sie vorläufig fest. Ziehen Sie bitte die Robe aus« vorläufig festgenommen und in Handschellen aus dem Saal geführt. Die Videoaufnahmen der inszenierten »Saalverhaftung« sind im Internet für jedermann zugänglich.

Grund der Festnahme war, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund der Angaben eines Zeugen den dringenden Verdacht sah, Rechtsanwalt R. habe versucht, diesen Zeugen durch Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 50.000,- € zu einer unwahren Aussage zugunsten seines Mandanten zu »bestechen«. Rechtsanwalt R. bestreitet dies.

Nachdem am Nachmittag des 19.06.2012 zunächst ein Haftbefehl gestützt auf den Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gegen Rechtsanwalt R. erging, wurde er am Freitag, den 22.06.2012, wieder aus der Untersuchungshaft entlassen und der Haftbefehl aufgehoben.

Am Morgen vor der Verhandlung wurden die Bielefelder Nachrichten, die BILD und der WDR durch einen anonymen Anrufer darüber informiert, dass am Landgericht Münster am gleichen Vormittag etwas Spektakuläres geschehen werde. Die Identität des Anrufers und die Quelle seines Wissens konnte bislang offiziell nicht ermittelt werden. Allerdings liegt es nahe, dass die Informationen aus dem Bereich der Staatsanwaltschaft Münster kamen. Denn der Zeuge, der beeinflusst werden sollte, hatte sich direkt an die Staatsanwaltschaft Münster und nicht an die Polizei gewandt und die Entschließung, eine Festnahme durchzuführen, lag alleine bei der Staatsanwaltschaft.

Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft Münster in diesem Fall ist skandalös und rechtsmissbräuchlich, denn sie verletzt in eklatanter Form die für Rechtsanwalt R. streitende Unschuldsvermutung. Die Festnahme in einer eigens dafür beantragten Unterbrechung der Gerichtsverhandlung vor den Augen aller Anwesenden und der anwesenden Presse erweckt den Eindruck einer mediengerechten Inszenierung.

Ein sachlicher Grund für die Festnahme in dieser Form ist nicht erkennbar. Da Fluchtgefahr nicht bestand, wäre es ein leichtes gewesen, Rechtsanwalt R. vor oder nach der Verhandlung ohne großes Aufsehen im Gerichtsgebäude festzunehmen. Wenn dies dennoch im Gerichtssaal unter den Augen der Öffentlichkeit und der Presse geschah, ist nur so zu erklären, dass den verantwortlichen Staatsanwälten darum ging, größtmögliche öffentliche Wirkung zu erzielen.

Dabei ist die Staatsanwaltschaft nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren gehalten, alles zu vermeiden, »was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann”.

Diese Art publicityträchtiger staatsanwaltschaftlicher Öffentlichkeitsarbeit ist schon im Fall Zumwinkel kritisiert worden. So eine mediale Exekution verletzt die Unschuldsvermutung und das Gebot der Verhältnismäßigkeit in unerträglicher Form.

Die Strafverteidigervereinigungen fordern daher die Ablösung des verantwortlichen Abteilungsleiters der Staatsanwaltschaft und lückenlose Aufklärung, wie es zu den Tipps an die Presse kam.

Homepage des Organisationsbüros Strafverteidigervereinigungen

Gebimmel zur Nachtzeit

Im bayerischen Neuschönau läutete die Kirchenglocke bisher jede Stunde. Rund um die Uhr. Künftig ist jedoch Schluss mit dem “Gebimmel zur Nachtzeit”, wie es ein Hotelier formuliert. Der Gastronom, dessen Hotel neben der Kirche steht, war vom durchgehenden Glockenläuten genervt und sah auch die Nachtruhe seiner Gäste gestört.

Auf eine schriftliche Klagedrohung hin knickte der örtliche Pfarrer ein. Ausschlaggebend war ein Lärmgutachten. Dieses ergab nach Angaben des Pfarrers, dass das Nachtläuten über den zulässigen Lärmgrenzwerten liegt.

Zwischen 22 und 6 Uhr bleibt die Kirche jetzt stumm. Der erste Glockenklang des Tages ist ein sogenannte Gebetsläuten. Dieses fällt, im Gegensatz zum Stundenläuten, nach Auffassung der meisten Gerichte trotz der frühen Stunde unter die Freiheit der Religionsausübung.

Berichte in der Passauer Neuen Presse: (1) (2)

Die Herren Ministerialräte

Wundersame “Beförderungen” gab es im NRW-Justizministerium. Ulrich Hermanski, der ehemalige Pressesprecher des Ministeriums, trägt im aktuellen Handbuch der Justiz den Rang „Ministerialrat“. Ebenso wie Detlef Feige, sein Nachfolger. Dieter Wendorff, ehemals Leiter der Justizkommunikation und inzwischen in Rente, ist noch höher geklettert. Das Justizhandbuch betitelt ihn als „Leitender Ministerialrat“.

Tatsächlich sind alle gar keine Beamten, sondern Angestellte des Landes Nordrhein-Westfalen. Im Fachjargon heißt das „Justizbeschäftigter”. Aber: Justizbeschäftigter – wie klingt das…? Diese Sorge muss wohl jemand verspürt und die Mitarbeiter titelmäßig aufgewertet haben. Nur wer?

Der Deutsche Richterbund, der das Buch für ganz Deutschland herausgibt, sagt, die Bezeichnungen stammten direkt aus dem Ministerium. Stimmt, so heißt es dort nach einigen Nachforschungen, das haben wir so gemeldet. Aber warum die offenkundig falschen Titel?

Nun ja, irgendwer – näher mag man sich nicht festlegen – habe wohl die Funktion und Gehaltsstufe “frei übersetzt” und sei auf die Amtsbezeichnungen gekommen, die jetzt das Nachschlagewerk schmücken. Immerhin kostet es, so weit ersichtlich, den Steuerzahler nichts. Und möglicherweise erfüllt es ja auch seinen Zweck. Stehen doch gerade die Düsseldorfer im Ruf, Imponiergehabe etwas abgewinnen zu können. (pbd).

Kleiner Vortrag in Münster

“Sie haben das Recht zu schweigen”, heißt ein kleiner Vortrag, den ich am nächsten Dienstag, 3. Juli,  in Münster halten werde. Der AStA der Fachhochschule hat mich eingeladen.

Ich werde anhand praktischer Beispiele erklären, wie man sich bei Polizeikontrollen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen am besten verhält. Egal, ob man nun Beschuldiger oder Zeuge ist.

Der Vortrag beginnt um 19 Uhr im Großen Hörsaal Hüfferstift, Hüfferstraße 27. Der Eintritt ist frei, und es dürfen nach meinen Informationen auch Nichtstudenten kommen.

Flyer des AStA

Adressbuch-Abzocke: Anwälte drehen den Spieß um

Normalerweise ärgert man sich ja nur über den dreisten Abzockversuch, wenn mal wieder ein dubioses Adressbuch-Angebot eingeht. Die Anwälte der Dortmunder Kanzlei Schlüter Graf & Partner greifen jetzt allerdings zu handfester Gegenwehr: Sie verlangen von einem Adressbuchverlag Geld dafür, dass er ihre Daten veröffentlichen darf.

Die brillante Idee hatte Dr. Mirko Möller, der in der Dortmunder Anwaltskanzlei arbeitet. Er änderte einfach den Text des Vordrucks, mit dem die Düsseldorfer GWE Wirtschafts-Informations GmbH für ihr Portal gewerbeauskunft-zentrale.de kostenpflichtige Aufträge reinholt. Statt die Zahlung von 569,06 Euro zu versprechen, schrieb Möller folgendes ins Formular:

Basiseintrag: Für die Erlaubnis, unsere genannten Firmendaten unter Gewerbeauskunft-Zentrale.de veröffentlichen zu dürfen, einschließlich der Verlinkung auf unsere Homepage erhalten wir von der GWE GmbH eine Vergütung von jährlich inkl. Ust: Eur 569,06. Die Berechnung erfolgt einmal pro Jahr im Voraus.

Der Adressbuchverlag nahm die Daten der Anwaltskanzlei prompt in sein Register auf, verweigert aber bislang die Vergütung. Nun gehen die Dortmunder Rechtsanwälte einen Schritt weiter. Sie haben die GWE Wirtschafts-Information GmbH vor dem Amtsgericht Düsseldorf verklagt.

Dabei müssen sich die Juristen noch nicht mal gute Argumente ausdenken. Sie kupfern einfach die Gründe ab, welche der Adressbuchverlag gegen seine “Kunden” vorbringt. Wer behauptet, das mehr oder weniger amtlich aussehende Dokument nur als Korrekturfahne für einen Telefonbucheintrag gehalten zu haben, den belehrt die GWE gerne, dass man im Geschäftsleben verpflichtet sei, Angebotstexte gründlich zu lesen, bevor man den Vertrag abschließt.

Mirko Möller ist jedenfalls zuversichtlich, dass das Gericht die GWE an ihren eigenen Maßstäben misst. Durch die Veröffentlichung der Daten, so meint er, sei der Vertrag zu seinen Konditionen abgeschlossen worden.

Mit der Klage will der Anwalt, der die Adressbuchmasche für strafbaren Betrug hält, ein Signal setzen und kein Geld verdienen. Sollte die GWE zahlen müssen, will die Kanzlei den Betrag für einen guten Zweck spenden.

beck-online

Ruhr Nachrichten

Gebt die WLANs frei

Die Digitale Gesellschaft hat heute einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Betreiber privater WLANs von der Störerhaftung befreien soll. Wer sein WLAN offen lässt, soll künftig nicht mehr für Urheberrechtsverstöße haften, die Dritte über seinen Anschluss begehen. Die Digitale Gesellschaft weist darauf hin, dass diese Idee an sich nur eine Gleichberechtigung bedeutet. Schon heute sind kommerzielle Internetprovider wie die Telekom oder Vodafone nicht dafür verantwortlich, wenn sich Nutzer ihrer Netze rechtswidrig verhalten.

Wegen des Haftungsrisikos schotten momentan viele Nutzer ihre Funknetze ab, anstatt andere mitsurfen zu lassen. Das führt in dichter besiedelten Gebieten dazu, dass zwar oft ein Dutzend WLANs zu empfangen sind – aber alle verschlüsselt, sodass kein einziges zur Nutzung offen steht. Und all dies nur, weil die WLAN-Betreiber, anders als etwa die Anbieter von DSL-Anschlüssen, nach gegenwärtiger Rechtslage für alles haftbar gemacht werden können, was über ihre Netze geschieht.

Die Digitale Gesellschaft will diese Benachteiligung abschaffen: Warum, so fragen die Initiatoren, soll für den kleinen Mann eine wesentliche härtere Haftung gelten als für Telekom und & Co.?

Aus Sicht der Digitalen Gesellschaft ist das Teilen von Internetzugängen eine netz- und sozialpolitische Notwendigkeit: „Wer sein WLAN anderen zur Mitnutzung zur Verfügung stellt, tut etwas Gutes und sollte dafür nicht bestraft werden“, erläutert Markus Beckedahl, Vorsitzender des Vereins.

„Für Datenreisende ist diese digitale Nachbarschaftshilfe einem gereichten Glas Wasser vergleichbar. Auch kann man auf diese Art sozial Benachteiligten ermöglichen, im solidarischen Huckepackverfahren einen Internetzugang zu erhalten.“ So sieht der Hartz-IV-Regelsatz einen Zugang zum Internet bisher nämlich überhaupt nicht vor. Gerade für die Kinder von Hartz-IV-Empfängern bedeute dies eine handfeste soziale Benachteiligung.

Derzeit beschäftigen sich verschiedene Bundesratsinitiativen, zum Beispiel aus Hamburg und Berlin, mit dem Thema. Einige politische Akteure scheinen das Problem der Haftung für offene WLAN-Netze also bereits erkannt zu haben.

„Ohne Internetzugang ist man bereits heute Bürger zweiter Klasse“, sagt Markus Beckedahl. „Zugang zum Internet zu haben, darf nicht vom Einkommen abhängen – dafür ist es schon viel zu wichtig, ob zur Eigeninformation, zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe oder für Verwaltungsvorgänge..”

Der professionell formulierte Gesetzentwurf  steht allen politischen Parteien gleichermaßen zur Umsetzung offen: “Copy & Paste ist hier mal ausdrücklich erwünscht”, so Beckedahl.

Gesetzentwurf

Richter erklären Beschneidung von Jungs für strafbar

Das Landgericht Köln hat ein Urteil gefällt, das sicher noch für Diskussion Sorgen wird. Nach Auffassung der Richter ist die Beschneidung eines Jungen eine strafbare Körperverletzung, wenn sie aus religiösen Motiven erfolgt. Das Gericht verurteilte nach einem Bericht der Financial Times Deutschland nun einen muslimischen Beschneider, der auf Wunsch der Eltern einen vierjährigen Jungen beschnitten hatte.

Nach Auffassung des Landgerichts Köln soll es sich bei der Beschneidung aus religiösen Gründen um eine "schwere und irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit" handeln. Diese sei weder durch die Religionsfreiheit noch das Elternrecht gedeckt.

Diese Ansicht haben allerdings auch schon andere deutsche Gerichte vertreten. Die meisten Entscheidungen drehen sich aber um zivilrechtliche Fragen, etwa die Überschreitung des Sorgerechts durch Eltern oder Schmerzensgeldansprüche beschnittener Jungen. Strafrechtlich scheint die Frage bislang in der Tat noch nicht geklärt. In den Standardkommentaren ist durchaus (noch) zu lesen, eine religiös motivierte Beschneidung sei bei Jungen “sozialadäquat”, verbunden mit dem Hinweis, die Beschneidung von Jungen sei nicht zu vergleichen mit der Genitalverstümmelung von Mädchen.

Die Problematik des Kölner Urteils liegt allerdings auf der Hand. Es verabsolutiert die körperliche Unversehrtheit eines Kindes, das aufgrund seines Alters nicht wirksam in den Eingriff einwilligen kann, gegenüber den religiösen Grundregeln seiner Eltern und deren (grundsätzlich zu achtenden) Wunsch, das Kind ebenfalls in dieser Religion zu erziehen.

Hinzu kommt, dass die männliche Beschneidung laut Wikipedia (Achtung: Der Wikipedia-Eintrag ist bebildert und möglicherweise NSFW) der weltweit am häufigsten vorgenommene chirurgische Eingriff ist. Beschneidungen erfolgen nicht nur aus religiösen Gründen, in den USA ist der Eingriff bei Jungs so etwas wie ein gesellschaftlich etablierter Standard. Außerdem gibt es eine Vielzahl medizinischer Indikationen für die männliche Beschneidung.

Strafrechtlich gesehen hat das Landgericht Köln somit zwar gesprochen. Ich bezweifle aber, dass es schon das letzte Wort in dieser schwierigen Problematik war.