Keine Rockerkleidung im Gerichtsgebäude

In Gerichtsgebäuden darf das Tragen von Rockerkleidung untersagt werden. Das Bundesverfassungsgericht hält ein faires Verfahren auch dann für möglich, wenn Angeklagte, Zeugen, Besucher und sonstige Personen im Gerichtsgebäude sich nicht durch Kleidung als Angehörige von Motorradclubs “ausweisen” dürfen.

Anlass für die Entscheidung ist ein Verbot des Landgerichts Potsdam. Es richtete sich vornehmlich gegen “Kutten”, die Rocker gerne tragen. Grund für die Anordnung war ein Prozess, in dem sich Angehörige der Hells Angels wegen räuberischer Erpressung und anderer Straftaten verantworten mussten. Der Gerichtspräsident wollte keine Kutten und sonstigen rockertypischen Symbole im Gebäude sehen. Rocker, die beim Prozess zuschauen wollten, sollten ihre Kutten außerhalb des Gerichtsgebäudes deponieren.

Gegen die Anordnung beschwerte sich einer der Angeklagten. Er sah sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Außerdem war er der Meinung, die gesetzlich vorgeschrieben Öffentlichkeit der Verhandlung sei nicht gewährleistet.

Das Bundesverfassungsgericht hält die Maßnahme dagegen für zulässig:

Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung nur unwesentlich erschweren und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach bestimmten persönlichen Merkmalen vermeiden, sind zulässig, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht. … Des Weiteren ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Einschätzung und Bewertung sowohl einer möglichen Beeinträchtigung der Hauptverhandlung durch das Tragen bestimmter Kleidung oder Abzeichen als auch der zur Abwehr dieser Gefahr geeigneten und erforderlichen Maßnahmen verfassungsrechtlich bedenklich wären.

Auch den Grundsatz der Öffentlichkeit sieht das Gericht nicht beeinträchtigt. Die Maßnahmen verhinderten nicht den Zugang zum Gerichtssaal. Jeder Besucher könne sich leicht an die Vorschriften halten und werde dann eingelassen. Es handele sich nur um eine “ganz geringfügige Beschränkung”.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. April 2012, Aktenzeichen 2 BvR 2405/11

Rechtsextremer Ladendiebstahl

Ob die Gerichte die Straftat eines Rechtsextremisten auch so einordnen – es reicht NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) nicht. Er will den Täter und dessen Motiv durchleuchtet wissen: Eine Straftat, und sei es ein Ladendiebstahl, müsse dem Rechtsextremismus zugerechnet und entsprechend datenmäßig erfasst werden, wenn der Täter beispielsweise der NPD angehört.

Diese Forderung erneuerte Jäger bei einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) in Düsseldorf. Ob die Tat selbst direkt politisch motiviert war, interessiert den Minister eher weniger.

Außerdem dürfe keinem Rechtsextremisten der Besitz einer Waffe erlaubt sein. Die charakterliche Eignung spreche dagegen. Er sei mit seinen Forderungen noch nicht bei allen Kollegen der Innenministerkonferenz und beim Bundesinnenminister durchgedrungen, räumte Jäger ein.  „Aber ich bohre da dicke Bretter!“ (pbd)

500 Euro für einen Monat Sicherungsverwahrung

Wegen überlanger Sicherungsverwahrung hat das Landgericht Karlsruhe heute das Land Baden-Württemberg in vier Fällen zu Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 240.000 € verurteilt.

Geklagt hatten vier Straftäter, die zwischen 1970 und 1989 wegen Vergewaltigung und teilweise weiterer Straftaten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. In den Urteilen war wegen der Gefährlichkeit der Täter die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet worden, die zum damaligen Zeitpunkt jedoch höchstens zehn Jahre andauern durfte. Nachdem diese Zehnjahres-Höchstgrenze 1998 vom Gesetzgeber aufgehoben wurde, blieben die Betroffenen über diese zehn Jahre hinaus weitere acht bis zwölf Jahre in der JVA Freiburg in Sicherungsverwahrung.

Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Die Kläger, die daraufhin im Jahr 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden, haben mit ihren Klagen Entschädigungen für die Dauer der zehn Jahre übersteigenden Sicherungsverwahrung gefordert.

Das Landgericht Karlsruhe hat den Klägern Entschädigungen zugesprochen, blieb dabei aber in der Höhe deutlich hinter den Klagforderungen zurück. Die Kammer betont in ihren Urteilen, dass dem Land und seiner Justiz zwar kein Vorwurf gemacht werden könne, da die Vollstreckungsgerichte, die die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die zuvor geltende Zehnjahresfrist hinaus anordneten, das damals geltende Bundesrecht pflichtgemäß anwandten.

Eine Verurteilung des Landes hatte dennoch zu erfolgen, da die rückwirkende Aufhebung der Zehnjahresfrist gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß und diese bei konventionswidriger Freiheitsentziehung einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch vorsieht.

Für die Höhe des den ehemaligen Sicherungsverwahrten zustehenden Entschädigungsanspruchs legten die Richter einen monatlichen Betrag von 500 € zugrunde, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst in vergleichbaren Fällen zuerkennt. Damit sprach das Gericht den Klägern knapp die Hälfte bis zwei Drittel der jeweils eingeklagten Beträge zu, im Einzelnen 65.000 €, 49.000 €, 53.000 € und 73.000 €.

Landgericht Karlsruhe, Urteile vom 24. April 2012, Aktenzeichen: 2 O 278/11, 2O 279/11, 2 O 316/11, 2 O 330/11

Studenten rollen Verfahren neu auf

Der Justizskandal um Harald Friedrich, den ehemaligen Abteilungsleiter des NRW-Umweltministeriums, wird noch einmal aufgerollt. Aber nicht von der Justiz, sondern von Studenten. Deren Dokumentation öffnet einen Blick auf heikle Details des Falls.

Gegen den 60-jährigen Friedrich (Bündnis 90/Grüne) hatten vor vier Jahren das Landeskriminalamt und die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal jahrelang ermittelt. Nach einer Strafanzeige aus dem seinerzeit von der CDU geführten Ministerium waren ihm und 15 anderen Personen banden- und gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen worden.

Das Verfahren endete jedoch nahezu sang- und klanglos mit einer Einstellung. Nachdem schon ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags den politischen Einfluss auf die Ermittlungen untersucht hatte, wollte es Medienprofessor Johannes Ludwig (62) noch genauer wissen;: „Was steckt eigentlich hinter der Geschichte, gibt es noch unbekannte Hintergründe?“

Diese Fragen ließ er sechs Studentinnen und vier Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg erkunden. Die angehenden Akademiker sichteten bislang rund 20.000 Dokumente, befragten Zeugen und erforschten in 6 Semesterwochen auch abstrus klingende Verbindungen von handelnden Personen: „Wo wohnt denn eigentlich der ehemalige CDU-Minister Eckhard Uhlenberg? Etwa in einer nachbarschaftlichen Beziehung zum Chefermittler Ralf M. von der für Korruption zuständigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal?“

Johannes Ludwig, einst selber investigativer Journalist, will bei den Studentinnen und Studenten einen Lerneffekt erreichen: „Es ging um das Schicksal eines Menschen – wie funktioniert da die Justiz? Konnte die Staatsanwaltschaft unabhängig arbeiten?“

In jeweils vier Gruppen arbeiteten die Studenten die Knackpunkte auf. Die eine kümmerte sich um den Bereich „Wasser“ (zum Unmut von Minister Uhlenberg hatte Harald Friedrich auf scharfe Vorschriften zur Reinhaltung der Ruhr gedrungen), die andere um den aufwendigen Lauschangriff (mehr als 1.000 Telefonate waren abgehört worden). Die dritte Gruppe nahm die Arbeit der Justiz ins Visier (Oberstaatsanwalt Ralf M. hatte die Arbeit des Landeskriminalamtes nur nachlässig begleitet). Die Vierte schließlich durchleuchtete entstandene Konflikte (etwa gegenteilige rechtliche Bewertungen von M. und der ihm vorgesetzten Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf).

„Wir bewerten das alles nicht“, betont Professor Johannes Ludwig, das Ergebnis solle „für sich sprechen“. Die Dokumentation ist online nachlesbar. (pbd)

Regierung darf nicht vor E-Zigarette warnen

Die nordrhein-westfälische Landesregierung darf nicht durch Pressemitteilungen vor der E-Zigarette warnen. Das Oberverwaltungsgericht Münster erließ heute eine einstweilige Verfügung, weil die Angaben des Gesundheitsministeriums rechtswidrig sind.

In einer Pressemitteilung hatte das Gesundheitsministerium vor nikotinhaltigen E-Zigaretten gewarnt. E-Zigaretten seien Arzneimittel. Mangels Zulassung sei der Handel strafbar. Am selben Tag informierte das Ministerium die Bezirksregierungen über die angebliche Rechtslage. Nikotin sei eine pharmakologisch wirkende Substanz und nikotinhaltige Liquids, die in E-Zigaretten verdunstet werden, unterlägen als Funktionsarzneimittel dem Arzneimittelrecht. Die E-Zigarette als Applikator unterliege dem Medizinproduktegesetz. Der Erlass wurde auch allen Apotheken im Bereich der Apothekerkammer Nordrhein übersandt mit dem Zusatz „Bitte informieren Sie auch Ihre Mitarbeiter/innen“.

Hiergegen wehrte sich eine Herstellerin von E-Zigaretten. Das Verwaltungsgericht lehnte ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster hatte die Firma nun Erfolg.

Das Oberverwaltungsgericht hält die Äußerungen der Landesregierung für rechtswidrig. Die E-Zigarette und ein nikotinhaltiges Liquid unterfielen weder dem Arzneimittelgesetz noch dem Medizinproduktegesetz. Das Liquid erfülle nicht die gesetzlich normierten Voraussetzungen eines Arzneimittels. Es stehe nicht die Entwöhnung vom Nikotinkonsum oder die Linderung einer Nikotinabhängigkeit im Vordergrund. Die E-Zigarette nebst Zubehör habe auch keine für ein Arzneimittel erforderliche therapeutische oder prophylaktische Zweckbestimmung.

Der Landesregierung müssten die Äußerungen auch untersagt werden. Wegen der Autorität der Behörden liefen diese Angaben nämlich auf ein praktisches Verbot der E-Zigarette hinaus.

Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin reagiert auf eigentümliche Weise auf die Entscheidung des Gerichts. Sie warnt weiter vor der E-Zigarette.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 23. April 2012, Aktenzeichen 13 B 127/12

Dezentes Blau

Wie es aussieht, schlägt womöglich der weißen Krawatte im Gerichtssaal das letzte Stündchen. Viele Anwälte verweigern sich ja schon geraume Zeit dieser Tradition. Die schwarze Robe ist in Strafsachen weiß Gott Verkleidung genug. An heißen Tagen auch Qual. Außerdem ist man dann für den Rest des Tages ziemlich albern verkleidet.

Heute habe ich aber – zumindest bewusst – den ersten Staatsanwalt erlebt, der mit einer Krawatte in dezentem Blau zum Sitzungsdienst erschien. Auch er scheint keine Lust auf alte Zöpfe zu haben. Der Qualität seiner Arbeit tat dies übrigens keinen Abbruch. Was ich persönlich nicht überraschend fand. Jetzt warte ich nur darauf, dass sich der Mann Anhänger findet und demnächst vielleicht sogar Richter mal Farbe bekennen.

Im  Anschluss gehen wir dann die Sache mit der Robe an.

Kompetenzgerangel unter Strafverfolgern

Der schon länger schwelende Kompetenzstreit unter Strafverfolgern nimmt neue Dimensionen an. Während Kriminalbeamte mehr Befugnisse fordern, pochen Staatsanwälte auf ihren gesetzlichen Auftrag. Sollen Kriminalbeamte etwa Strafverfahren einstellen dürfen? So hat es der Duisburger Kriminaldirektor Rolf Jäger jetzt verlangt.

Nein, für so was sind erst mal wir da, hieß es jetzt einhellig beim 3. nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaftstag, veranstaltet vom Deutschen Richterbund in Mülheim. Die Polizei könne und dürfe nicht über rechtliche Fragen entscheiden, dafür sei sie zu oft politisch gelenkt. Wenn die Polizei allein eine Befugnis der Sachleitung bekomme, so heißt es, „gibt es nur noch eine bestimmte Art von Kriminalität“.

„Im Wahlkampf werden Einbruchsdiebstähle gerne aufgeklärt“, so ein Beispiel, „die andere Arbeit bleibt liegen.” Oder: Wenn ein Rauschgiftkommissariat, wie in Aachen wohl geschehen, keine Dienstfahrzeuge hat, gebe es auch keine entsprechenden Taten. Andererseits: „Die Polizei hat mehr Personal, ein umfangreiches Datennetzwerk, ist technisch besser ausgerüstet und hat einen riesigen Informationsvorsprung“, lobte der Kölner Oberstaatsanwalt Egbert Bülles voller Neid.

Um unmittelbar danach in Richtung von Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) zu kritisieren: „Wir sind das Armenhaus der Justiz!“ Die Staatsanwaltschaften hätten nur einen Anteil von 2,7 Prozent im Landeshaushalt.

Allerdings gab es auch Verständnis für die Kripo: „Da müssen sich Beamte kinderpornografische Bilder zu Beweissicherung anschauen – und sind frustriert, wenn wir das Verfahren aus rechtlichen Gründen einstellen“, berichtete ein Düsseldorfer Staatsanwältin. Dennoch sei das richtig. „Wir sind juristisch die Herren des Verfahrens“, so die Botschaft, „und wollen es auch bleiben!“ (pbd)

Polizistin nutzt Facebook als Pranger

Persönlichkeitsrechte? Datenschutz? Viel kann die Polizeikommissarin und Spitzensportlerin Ariane Friedrich darüber in ihrer Ausbildung nicht gelernt haben. Sonst würde die Hochspringerin nicht auf die Idee kommen, die persönlichen Daten eines Mannes zu veröffentlichen, der ihr eine anzügliche Mail geschickt hat.

Doch genau das hat Friedrich getan. Den möglichen Absender einer Mail, der ihr ein Foto seines Geschlechtsteils angeboten hatte, stellte sie jetzt auf Facebook bloß. Sie nannte den Vornamen, Nachnamen und den Wohnort des Mannes. Außerdem stellte sie den Wortlaut der Mail ins Netz.

Man muss sich nur mal vorstellen, dass der Absender der Mail gefälscht ist. Das könnte dann sehr, sehr teuer für Frau Friedrich werden. Aber selbst wenn es tatsächlich den “Richtigen” trifft – was Friedrich zu beweisen hätte – , ist das An-den-Pranger-stellen unrechtmäßig. Wenn der Betroffene zum Anwalt geht, kann das immer noch ziemlich teuer und unangenehm für die Kommissarin werden.

In den Kommentaren weist ein Leser darauf hin, dass alleine telefonbuch.de für die betreffende Stadt zwei Personen gleichen Namens aufweist, auf die Friedrichs Eintrag passt. Ob sich die Sportlerin darüber im Klaren ist, was sie jedenfalls dem völlig Unbeteiligten antut?

Friedrich selbst bezeichnet ihren Schritt als ein “Herausnehmen aus der Anonymität”, der beweise, dass sie bereit sei, aktiv zu handeln. Wörtlich:

Es ist Zeit zu handeln, es ist Zeit, mich zu wehren. Und das tue ich. Nicht mehr und nicht wenger.

Aus meiner Sicht beweist das alles nur, dass Friedrich in der Polizeischule nicht richtig aufgepasst hat. Ein gutes Vorbild ist sie damit sicher nicht. Und was man davon halten soll, dass selbst eine Polizistin der Polizei offenbar nicht zutraut, ihren Job zu machen, ist noch eine ganz andere Frage. Strafanzeige will Friedrich laut den Berichten nämlich erst noch erstatten.

Bericht auf Focus online

Technische Probleme

Das law blog hat seit einer Downtime gestern technische Probleme. Ich weiß aus Lesermitteilungen, dass es ein Problem mit ständigen Reloads, ominösem Javascript, teilweise nicht aufrufbaren Seiten und den RSS-Feeds gibt. Florian Holzhauer, der Mann im Maschinenraum, war schon gestern am Ball und versucht derzeit auch weiter alles, damit der Server wieder rund läuft.

Bitte habt bis dahin etwas Geduld.

Rassismus darf mit SS-Vergleich gekontert werden

Darf die Hautfarbe ein Kriterium für Polizeikontrollen sein? Diese Frage hat das Verwaltungsgericht Koblenz vor kurzem bejaht. Die Richter segneten damit die Berufsauffassung eines Bundespolizisten ab, der offen zugab, Zugreisende auch wegen ihrer Hautfarbe unter die Lupe zu nehmen. Dieser offenen Billigung von Rassismus treten nun andere Richter, nämlich am Oberlandesgericht Frankfurt, im gleichen Fall wenigstens indirekt entgegen. Sie haben entschieden, dass der Betroffene dann dem Beamten auch ins Gesicht sagen durfte, das Verhalten  erinnere ihn an die Methoden der SS.

Am Oberlandesgericht Frankfurt war der 25-jährige Student, der dunkler Hautfarbe ist, wegen Beleidigung angeklagt. Das Amtsgericht Kassel hatte ihn bereits zu einer Geldstrafe verurteilt; dagegen ging der Mann in Revision. Aus dem Urteil erfahren wir zunächst, was sich im Zug ereignet hat:

Der Angeklagte (wurde) am 3.12.2010 durch Beamte der Bundespolizei im Regionalexpress auf der Strecke zwischen Kassel und Frankfurt/ Main angesprochen und darum gebeten sich auszuweisen. Dem lag zugrunde, dass aus Anlass von Anschlagsdrohungen islamistischer Kreise verstärktes Augenmerk auf Personen mit anderer Hautfarbe gerichtet wurde.

Der Angeklagte reagierte aggressiv und verweigerte sich auszuweisen. Nachdem die Beamten ihm zu seinem Sitzplatz gefolgt waren und einer der Beamten nach seinem Rucksack griff, erklärte der Angeklagte, dass ihn das an etwas erinnere. Auf Nachfrage des Beamten, woran ihn das erinnere, erklärte der Angeklagte, das erinnere ihn an Methoden der SS, es erinnere ihn an die SS.

Auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle, verneinte dieser. Der Beamte forderte ihn nun mit den Worten auf: „dann sagen Sie doch, dass ich ein Nazi bin“, woraufhin der Angeklagte entgegnete: „Nein, das sage ich nicht“.

Das Oberlandesgericht meint, die Äußerungen seien geeignet gewesen, den Polizisten in seiner Ehre herabzusetzen. Allerdings seien die Worte des 25-Jährigen letztlich gerechtfertigt gewesen. Aus dem Urteil:

Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich die Kritik in erste Linie gegen die angewendeten Maßnahmen, insbesondere die gezielte Auswahl der Person des Angeklagten mit dunkler Hautfarbe sowie die Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises richtete.

Der Angeklagte, der das dienstliche Vorgehen jedenfalls subjektiv als Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe und demgemäß als Unrecht empfand und dies auch nach den Feststellungen gegenüber den Beamten sowie Mitreisenden zum Ausdruck brachte und um Solidarität warb, durfte das polizeiliche Vorgehen daher unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung mit stark polemisierender Wortwahl unterziehen.

Indem er ausdrücklich den Polizisten nicht als Nazi bezeichnete, habe der Angeklagte hinreichend gezeigt, dass er zwischen der fragwürdigen Maßnahme und der Person unterscheide. Somit liege keine Diffamierung des Beamten vor, sondern eine noch zulässige Kritik an den Methoden der Bundespolizei.

Dabei spiele es auch keine Rolle, ob die Personenkontrolle rechtmäßig war. Selbst wenn man dies annehme, habe der Betroffene das polizeiliche Vorgehen kritisch würdigen dürfen – auch mit “polemisierender Wortwahl”.

Erfreulich zu sehen, dass es Richter gibt, welche nachfühlen können, wie sich ein Mensch dunkler Hautfarbe in deutschen Zügen und auf deutschen Bahnhöfen fühlt. Gegenüber Publikative.org hat der Betroffene erklärt, er sei vorher schon  dutzendfach in Zügen kontrolliert worden, Freunde mit weißer Hautfarbe jedoch nie.

Immerhin wird einem Betroffenen nicht auch noch zugemutet, seine nachvollziehbare Empörung nur in biederer Form zu äußern. Den Schuh müssen sich die Bundespolizisten nun anziehen. Ebenso aber auch die Richter am Verwaltungsgericht Koblenz, die offenen Rassismus auch noch gutheißen.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, Aktenzeichen 2 Ss 329/11

Klage mit Ansage

Gute Nachricht für Haargestalter: Wird das Haar entgegen dem Kundenwunsch etwas zu kurz geschnitten, rechtfertigt das noch kein Schmerzensgeld. Es liegt noch nicht mal eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vor. Mit dieser Begründung wies das Amtsgericht München die Klage einer Frau ab, die sich von ihrer Friseurin “entstellt” gefühlt hatte.

Die Kundin hatte dünnes Haar. Deshalb schien leicht die Kopfhaut durch. Sie bat die Friseurin deshalb, ihre 5 cm langen Haare um maximal einen halben Zentimeter zu kürzen. Interessant ist, dass sie nach den Feststellungen des Gerichts gleich darauf hinwies, schon öfter von Friseuren verschnitten worden zu sein. Hiergegen sei sie auch rechtlich vorgegangen.

Die Angestellte eines Friseursalons machte dann den entscheidenden Fehler. Sie griff zur Schere, statt die Kundin vor die Tür zu setzen. Zwar machte die Kundin im Laden keine Szene. Tage später war sie aber wieder da und beklagte sich bitterlich. Ihre Kopfhaut scheine durch, das bereite ihr größte Seelenqualen.

Das Amtsgericht München nahm der Frau das alles nicht so recht ab. Die Friseurin habe die Haare allenfalls geringfügig kürzer geschnitten als gewünscht. Von einem völlig verkorksten, entstellenden Haarschnitt könne nicht die Rede sein. Auch wenn wegen des dünnen Haars die Kopfhaut der Kundin nun etwas mehr durchscheine, habe das noch nicht das für eine Persönlichkeitsrechtsverletzung nötige Gewicht.

Schmerzensgeld will das Amtsgericht München ohnehin nur zusprechen, wenn ein Haarschnitt völlig misslungen und womöglich sogar die Kopfhaut verletzt ist. Davon könne in dem Fall aber keine Rede sein.

Amtsgericht München, Urteil vom 7. Oktober 2011, Aktenzeichen 173 C 15875/11

Die bestreifende Mitarbeiterin

“Was nimmst Du?" Diese Frage stellte ein kontaktsuchender Autofahrer ausgerechnet einer Mitarbeiterin des Dortmunder Ordnungsamtes. Die Frau ging dort in Zivil Streife. Ort des Geschehens: die Bergmannstraße/Ecke Steigerstraße. Das Areal gehört zum Sperrbezirk. Im Sperrbezirk ist es nach der Dortmunder Ordnungssatzung verboten, “zu Prostituierten Kontakt aufzunehmen, um sexuelle Handlungen gegen Entgelt zu vereinbaren”.

Solche eine Anbahnungshandlung – ebenfalls ein Wort aus der Satzung – sah das Amtsgericht Dortmund bei dem Autofahrer. Der Mann bekam ein Bußgeld auferlegt. Allerdings wollte er das nicht akzeptieren und zog vor das Oberlandesgericht Hamm.

Dort fragten die Richter weniger nach der Moral, sondern schauten sich die Rechtslage an. Mit einem Ergebnis, das wenig schmeichelhaft ist für das Amtsgericht Dortmund:

Da es sich nach den amtsgerichtlichen Feststellungen bei der von dem Betroffenen angesprochenen Zeugin Q nicht, wie es § 6 a OBVO aber voraussetzt, um eine Prostituierte, sondern um eine dienstlich die Nordstadt bestreifende Mitarbeiterin des Ordnungsamtes der Stadt Dortmund handelte, konnte der Betroffene eine (vollendete) Ordnungswidrigkeit gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 17 OBVO nicht begehen.

Sein Verhalten entspricht vielmehr (lediglich) einem (untauglichen) Versuch. Der Versuch einer Ordnungswidrigkeit kann aber nach § 13 Abs. 2 OWiG nur geahndet werden, “wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt”, d. h. wenn die jeweilige Bußgeldnorm die Ahndung des Versuchs ausdrücklich zulässt.

Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Der (wahrscheinlich unfreiwillige) Lockvogel vom Ordnungsamt Dortmund war also gar kein taugliches “Tatobjekt”. Demgemäß musste der Autofahrer freigesprochen werden.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 7. Februar 2012, Aktenzeichen III-1RBs 200/11 / Das Heymanns Strafrecht Online Blog zum gleichen Thema