Mails, Einsprüche und Fristen

Zu den unliebsamen Beschäftigungen gehört Steuerkram. Der bleibt bei vielen deshalb gerne etwas länger liegen. Und auch bei manchen Einspruch wird schon mal getrödelt, obwohl nach Untersuchungen ein großer Teil der Steuerbescheide Fehler aufweist. Wer die einmonatige Einspruchsfrist verpasst hat, muss sein Geld nicht unbedingt abschreiben. Ein Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts zeigt nämlich, dass so manche vermeintlich verpasste Rechtsbehelfsfrist noch gar nicht verstrichen ist.

Ein Steuerpflichtiger hatte seinen Einspruch Wochen zu spät ans Finanzamt geschickt. Der Einspruch wurde, wie zu erwarten, als unzulässig verworfen. Doch der Betroffene, na ja, wahrscheinlich eher sein Anwalt, schaute sich den Briefkopf des Finanzamtes und die Rechtbehelfsbelehrung genau an und stellte fest, dass da so einiges nicht zusammenpasst.

Das Finanzamt gab auf dem Briefbogen seine E-Mail-Adresse an. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde aber lediglich erwähnt, Einsprüche seien schriftlich oder zu Protokoll zu erkären. Von E-Mail kein Wort, obwohl die Finanzverwaltung mittlerweile Einsprüche per E-Mail akzeptiert, sofern das Finanzamt eine offizielle E-Mail-Adresse auf seinem Briefkopf nennt.

Obwohl er selbst seinen Einspruch auf Papier geschickt hatte, argumentierte der Steuerpflichtige nun clever: Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die nicht auf die Möglichkeit des Einspruchs per Mail hinweise, sei unvollständig. Und für unvollständige Belehrungen sieht die Abgabenordnung vor, dass sich die Einspruchsfrist verlängert. Der Einspruch ist dann nicht nur einen Monat, sondern ein ganzes Jahr zulässig.

Dieser Auffassung schloss sich das Niedersächsiche Finanzgericht an. Wenn in der Belehrung “schriftlich” stehe, sei eine E-Mail schon vom allgemeinen Verständnis nicht umfasst. Genau das hatte das Finanzamt aber behauptet.

Bei einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung verlängert sich die Einspruchsfrist aber auf ein Jahr, unabhängig davon, ob sich der Fehler tatsächlich auf den konkreten Fall ausgewirkt hat. Was hier ja nicht der Fall war, weil der Betroffene selbst gar keine Mail geschickt hatte. Das Gericht hielt den Einspruch also für noch rechtzeitig.

Bei angeblich verspäteten Einsprüchen kann es sich also ein Blick darauf lohnen, ob das eigene Finanzamt eine E-Mail-Adresse nennt und die Einspruchsmöglichkeit per Mail auch in der Rechtsbehelfsfbelehrung erwähnt.

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 24. November 2011, Aktenzeichen 10 K 275/11

Erfolgreiche Klage gegen Facebook

Facebook verstößt mit dem Freundefinder und seinen Geschäftsbedingungen gegen deutsches Verbraucherrecht. Dies entschied heute das Landgericht Berlin. Die Richter gaben einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) statt.

Beim Freundefinder kritisiert das Gericht, dass Facebook-Mitglieder dazu verleitet werden, Namen und E-Mail-Adressen von Freunden zu importieren, die selbst nicht bei Facebook sind. Die Freunde erhalten daraufhin eine Einladung, ohne dazu eine Einwilligung erteilt zu haben.

Das Gericht urteilt, die Nutzer müssten klar und deutlich informiert werden, dass durch den Freundefinder ihr gesamtes Adressbuch zu Facebook importiert und für Freundeseinladungen genutzt wird. Dies findet nach Angaben der Verbraucherzentralen bislang nicht statt.

Zwar habe Facebook die Anwendung inzwischen leicht modifiziert. Nach Auffassung des vzbv ist dies allerdings nicht ausreichend. „Dass man Facebook sein komplettes Adressbuch überlässt, ist nach wie vor nicht ohne Weiteres erkennbar“, kritisiert vzbv-Vorstand Gerd Billen.

Weiterhin urteilt das Gericht, Facebook dürfe sich in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ein umfassendes weltweites und kostenloses Nutzungsrecht an Inhalten einräumen lassen, die Nutzer in ihr Profil einstellen. Vielmehr bleiben die Mitglieder Urheber ihrer selbst komponierten Musiktitel oder eigenen Bilder. Facebook darf diese Werke somit nur nach Zustimmung der Nutzer verwenden.

Rechtswidrig ist nach Auffassung der Richter ferner die Einwilligungserklärung, mit der die Nutzer der Datenverarbeitung zu Werbezwecken zustimmen. Zudem muss Facebook sicherstellen, dass es über Änderungen der Nutzungsbedingungen und Datenschutzbestimmungen rechtzeitig informiert.   

Landgericht Berlin, Urteil vom 06. März 2012, Aktenzeichen 16 O 551/10

Zentralisierungshölle

Mein Mandant bekommt einen Brief. Absender ist die Kreispolizeibehörde Mettmann, Adalbert-Bach-Platz 1, 40822 Mettmann. So steht es jedenfalls kleingedruckt über dem Adressfeld.

Rechts oben auf dem Briefbogen, unter dem Landeswappen, steht allerdings ein anderer Absender. Nämlich das Kriminalkommissariat Velbert. Das gehört zwar auch zur Kreispolizeibehörde Mettmann, sitzt aber an der Nedderstraße 52 in 42549 Velbert. Wohl deshalb ist diese Anschrift dann als eigentliche Absenderadresse aufgeführt.

Zur Vernehmung vorgeladen wird mein Mandant zwar vom Kriminalkommissariat Velbert. Die Vernehmung findet aber weder in Mettmann noch in Velbert statt, sondern “bei Kreispolizeibehörde Mettmann Polizeiwache Ratingen Düsseldorfer Straße 45, 40878 Ratingen”. So steht es dann weiter unten im eigentlichen Brieftext.

Wäre mal interessant, wie viele der Angeschriebenen, die sich tatsächlich auf eine Vernehmung einlassen wollen, beim ersten Versuch auf der falschen Dienststelle aufschlagen.

Gut gemeint

“Ich habe es doch nur gut gemeint”, wird eine 58-jährige Gemeindeangestellte nach ihrer Gerichtsverhandlung geseufzt haben. Geholfen hat es ihr nicht. Das Amtsgericht Rosenheim verurteilte sie wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe. Die Frau hatte aufgeschnappte Gerüchte weitergetragen, wonach es in einer Familie zu Gewalttaten komme.

Die Informationen über Schläge und mögliche Gefährdung der Kinder sollen von Dritten gekommen sein. Von wem sie das alles gehört haben will, wollte die Angeklagte dem Gericht nicht sagen. Fest stand aber, dass sie selbst die betroffene Familie gar nicht näher kannte. Trotzdem sprach sie von sich aus eine Mitarbeiterin des Kindergartens an, den der Nachwuchs des angeblich gewalttätigen Ehemanns besuchte.

Die Kindergärtnerin wiederum informierte das Jugendamt, das gleich einen Besuchstermin wegen “Partnerschaftsgewalt” ankündigte. Es fanden sich aber keinerlei Belege dafür, dass die von der 58-Jährigen behaupteten Probleme tatsächlich bestehen. 

Das Amtsgericht betrachtete die Äußerungen, es gebe Partnerschaftsgewalt und das Kindeswohl sei gefährdet, als Tatsachenbehauptungen. Diese Behauptungen hätten sich als falsch herausgestellt. Auch der unbestrittene Wunsch der Angeklagten, mögliche Probleme in der betroffenen Familie zu verhindern, rechtfertige die Äußerungen nicht.

Wenn überhaupt, so das Gericht, hätte sich die Angeklagte an das Jugendamt wenden und den Zeugen benennen müssen, von dem sie die Informationen hatte. Das Jugendamt hätte dann entscheiden können, ob es dem Zeugen und möglicherweise auch der Angeklagten Anonymität zusichert.

Die Äußerung gegenüber der Kindergärtnerin sei somit der falsche Weg gewesen. Wenn die Angeklagte nun ihrerseits nicht belegen könne, dass ihre Angaben doch wahr sind, liege üble Nachrede vor. Die Kinder der Betroffenen Familie würden durch die entstandenen Gerüchte nämlich nun ausgegrenzt, die Eheleute selbst seien isoliert.

AG Rosenheim, Urt. v. 03.11.2011 – 1 Cs 420 Js 18674/11 / Das Heymanns Strafrecht Online Blog zum gleichen Thema

Barfuß

Aus einem Einsatzbericht der Polizei:

Herr Z. war mit der Beschlagnahme seiner Schuhe nicht einverstanden. Er zeigte sich wenig kooperativ. Grund war, dass er kein zweites paar Schuhe habe und nun “ohne Schuhe dastehen” würde. Jetzt müsse er nachher barfuß zur Schule gehen.

Die Schuhe wurden mündlich beschlagnahmt.

Vorzugsbehandlung

Womöglich wird man bald Post von Christian Wulffs Anwalt erhalten, wenn man mit Blick auf den heutigen Tag in Großburgwedel das Wort Hausdurchsuchung in den Mund nimmt. Denn offenbar versuchen alle Seiten geradezu krampfhaft, das Unvermeidliche nicht mit einer richterlich angeordneten Zwangsmaßnahme zu verbinden. Trotzdem passierte heute nachmittag  etwas: Freundliche Ermittler besuchten ohne Durchsuchungsbeschluss die Wulffs zu Hause und erhielten nach Medienberichten freiwillig Dokumente, Computer und Festplatten ausgehändigt.

Ein Durchsuchungsbeschluss sei nicht nötig gewesen, heißt es in den bisherigen Eilmeldungen. Danach waren die Visite der Ermittler und damit wohl auch ihre Befugnisse nicht nur abgesprochen, sondern es wurde alles auch terminlich flexibel gehandhabt – fast so wie ein Meeting in Geschäftskreisen. Eigentlich habe man sich sogar schon gestern in Wulffs Haus treffen wollen, die Sache dann aber wegen großen Medienauflaufs auf heute verschoben. Wulff habe sich komplett kooperativ gezeigt.

Als Strafverteidiger bin ich hellauf begeistert von so viel behördlichem Fingerspitzengefühl. Hier wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einmal in höchstem Maße Genüge getan. Und es wird vor allem respektiert, dass ein Beschuldigter auch freiwillig das gesuchte Material herausgeben kann, um eine Durchsuchung abzuwenden.

Nachdenklich stimmt mich nur, dass diese Rücksichtnahme ausgerechnet gegenüber einem Mann geübt wird, der mal die Nr. 1 im Lande Niedersachsen war. An einen Zufall kann ich da nicht so recht glauben, dafür ist das Verhalten der Staatsanwaltschaft Hannover doch zu weichgespült. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Beschuldigte schon längere Zeit von Ermittlungen weiß. Denn das tun andere sehr häufig auch.

Die tägliche Praxis, auch in Wirtschaftsverfahren, sieht jedenfalls anders, als es die Gentlemen unter den Strafverfolgern jetzt demonstrieren. Da lässt es sich praktisch kein Staatsanwalt nehmen, unangekündigt in Privaträumen und Büros des Beschuldigten nach Beweismitteln zu suchen. Und das nach Möglichkeit unter Ausnutzung des gerade noch möglichen Überraschungseffekts. Was heißt, die Aktion findet auch dann um halb sieben Uhr morgens statt, selbst wenn der Betroffene eben nicht ahnungslos ist.

Auf einen richterlichen Beschluss wird schon gar nicht verzichtet. Man stelle sich nur mal vor, der Beschuldigte schaltet während des Besuchs auf Verweigerung und verweist die Ermittler des Hauses. Auf Gefahr im Verzuge werden diese sich dann nicht berufen können. Sie hatten ja genug Zeit, sich einen Beschluss zu besorgen…

Vor allem lassen sich Ermittler normalerweise auch nicht so lange Zeit. Wulffs Rücktritt liegt jetzt schon mehr als zwei Wochen zurück. Seitdem hatten die Ermittler die Möglichkeit, bei ihm vorbeizuschauen. Das ist ein fast absurd langer Zeitraum. Schon deswegen, weil auch bei einem Bundespräsidenten a.D. nun mal nicht ausgeschlossen werden kann, dass er Dokumente frisiert oder verschwinden lässt.

Es ist also kaum damit zu rechnen, dass die Wulffsche Vorzugsbehandlung, nennen wir sie mal Ehren-Hausdurchsuchung, demnächst auch dem einfachen Volk zu Gute kommt. Um so trauriger, dass er sie erfährt.

Früherer Beitrag zum Thema

E WIE ERBÄRMLICH

Werbung muss in Grenzbereiche vorstoßen, wenn sie wahrgenommen werden will. Genau das haben bestimmt auch die Macher einer Kampagne des Stromanbieter E WIE EINFACH gedacht. Aber wer übers Limit geht, muss halt auch mit Kritik, Spott und Häme rechnen. Bei einem Spot der Firma geht es auf Youtube derzeit jedenfalls rund…

Der Clip zeigt ein attraktives Pärchen im Bett. Da das Video wohl vorhin auf privat geschaltet worden ist, hier ein alternativer Link zu Vimeo. Zum Inhalt: Sie wälzt sich herum und beklagt sich bei ihrem Partner. Der hat ein simples Rezept gegen Schlaflosigkeit. Eine derbe Kopfnuss, welche die Frau bewusstlos zusammenbrechen lässt. Alles eben E WIE EINFACH – oder doch nur sexistisch, gewaltverherrlichend und strunzdämlich? Letzteres meinen jedenfalls die meisten Kommentatoren auf Youtube.

Leser haben gefragt, ob der Spot nicht nur geschmacklos ist, sondern vielleicht auch strafbar ist. Einige Vorschläge für Straftatbestände, die erfüllt sein könnten: Beleidigung, Volksverhetzung, Anleitung zu Straftaten, Gewaltdarstellung. Ich sag’s in aller Kürze mal so: Ein Staatsanwalt müsste sich schon sehr verbiegen, um den Clip unter ein Strafgesetz zu zwängen. Das Strafrecht ist halt – zum Glück – nicht dafür da, alles Unerfreuliche aus der Welt zu schaffen. 

Gleiches gilt übrigens auch für den für den umstrittenen Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft (der Link führt zu allen Motiven).

Kleine Geldstrafe kostet Beamtenjob

Ein Polizist, der wegen Beihilfe zur Ausübung der verbotenen Prostitution verurteilt wird, darf aus dem Dienst entfernt werden. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bestätigt mit diesem Urteil eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart. 

Streitpunkt in dem Verfahren war (auch) der Umstand, dass die Strafe für den Bundespolizisten nicht sonderlich hoch ausgefallen war. Er musste lediglich eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen á 20 Euro zahlen. Zwingend endet das Dienstverhältnis eines Beamten nur, wenn dieser zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Hier war also noch deutlich Luft nach oben.

Hinzu kommt, dass die Ausübung der verbotenen Prostitution nichts mit Zuhälterei oder Gewaltdelikten zu tun hat. Es geht hier (lediglich) darum, dass dem Gewerbe innerhalb eines Sperrbezirks oder zu Uhrzeiten nachgegangen wird, für die das Ordnungsamt Prostitution untersagt hat.

Dennoch meint der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, der Beamte sei untragbar. Er habe ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen, das nach den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet sei, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

Die Allgemeinheit erwarte von einem Polizeibeamten Gesetzestreue. Damit sei es unvereinbar, dass er sich aktiv durch Förderung der verbotenen Prostitution im Rotlichtmilieu betätige und strafrechtlich auffalle.

Außerdem legt der Verwaltungsgerichtshof dem Betroffenen neue Umstände zur Last. So habe er vertrauliche dienstliche Unterlagen über ihm bekannte Personen zu Hause aufbewahrt und seinen Dienstausweis nicht zurückgegeben. Zudem habe er sich vertraglich als Kleindarsteller für einen Pornofilm verpflichtet, ohne eine Nebentätigkeitsgenehmigung zu haben.

VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Februar 2012, Aktenzeichen DB 13 S 2533/11

Vorurteil, liebevoll gepflegt

Es gibt ja die merkwürdigsten Dinge. Hierzu gehört das “Wuppertaler Landrecht”. Eine feststehende Weisheit unter nordrhein-westfälischen Strafverteidigern. Diese besagt, dass es in Wuppertal für Angeklagte nur eines gibt – übermäßig harte Strafen.

In Wuppertal arbeiten in der Tat einige Richter, die das Klischee bedienen. Ebenso gut kann man aber Juristen mit Augenmaß begegnen, die eine solide Verhandlungsführung pflegen und es nicht als Ehrensache ansehen, jeden Angeklagten einzunorden. Aus beiden Kategorien gibt es aber Richter an jedem Gericht. Ich für meinen Teil meine deshalb, dass das Wuppertaler Landrecht vielleicht mal  existiert hat. Heute ist es nicht mehr als eine Legende.

Allerdings will ich nicht behaupten, völlig frei von Vorbehalten zu sein. Bayerische Staatsanwälte habe ich bisher zum Beispiel als eher unzugänglich erlebt. Und sicher bin ich nicht der einzige Verteidiger, der bei Gastauftritten in Bayern schon per se mit einer härteren Strafe rechnet als, sagen wir mal, in Düsseldorf und dem Ruhrgebiet.

Aber nicht mal die Bayern darf man über einen Kamm scheren. Ich habe das heute in einer Hauptverhandlung erlebt. Diese verlief ohnehin in überraschend freundlicher Atmosphäre, aber der noch junge Staatsanwalt haute mich wirklich um. “Ich nehme an”, sagte er unter anderem in seinem Plädoyer, “dass ich jetzt in Teilbereichen die Strategie der Verteidigung übernehme.”

Das war noch untertrieben, denn der Staatsanwalt forderte für meinen Mandanten, der ein Geständnis abgelegt hatte, eine außerordentlich milde Strafe. Ich hatte mir auch überlegt, genau diesen Vorschlag zu machen, hatte jedoch Zweifel, ob das im Gerichtssaal nicht letztlich nur für Erheiterung sorgt. Es war aber keineswegs so, dass ich dem Staatsanwalt vor der Verhandlung einen Umschlag zugesteckt hatte. Nein, der Mann hatte wirklich hörenswerte juristische Argumente. Darüber hinaus, und das fand ich eigentlich am wichtigsten, zeigte jeder Satz seines Plädoyers, dass er die Menschen im Auge hatte. Das Opfer der Tat, aber auch den Angeklagten.

Ich war also in der seltenen Verlegenheit, dem Gericht wahrscheinlich eine härtere Strafe vorgeschlagen zu haben, als sie der Vertreter der Anklage forderte. Zum Glück plädiert immer erst der Staatsanwalt, so dass ich das nicht direkt zugeben musste. Das Gericht hat dann zwar von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht, doch eine etwas härtere Strafe auszusprechen. Allerdings fiel diese doch deutlich niedriger aus, als es vorher im Raume gestanden hatte.

In zwei Wochen habe ich wieder einen Termin in Bayern, aber in einer anderen Ecke des Landes. Falls mir dort noch mal Fairness widerfährt, wäre ich glatt bereit, mich von meinem liebevoll gepflegten Vorurteil zu verabschieden.

Zwei plus zwei ist manchmal auch drei

Zwei plus zwei ist normalerweise vier. Im juristischen Bereich gibt es so eine Trennschärfe aber nicht. Richtig oder falsch – das ist im Recht immer eine Frage der Interpretation. Selbst die Verschuldensfrage bei einem eigentlich simplen Verkehrsunfall kann so oder so beantwortet werden. Das zeigt ein aktuelles Urteil, mit dem der Bundesgerichtshof den weisen Feststellungen eines Oberlandesgerichts in die Parade fährt.

Eine Frau war auf der Autobahn ins Schleudern geraten. Ursache ungeklärt. Ihr Auto blieb auf der Überholspur liegen. Ein anderer Autofahrer fuhr mit Tempo 130 in das Auto der Frau; diese wurde schwer verletzt. Die Frage war, in welchem Umfang der auffahrende Autofahrer und seine Versicherung haften. Das Oberlandesgericht Karlsruhe kürzte die Haftung des Fahrers auf 40 %. Die Richter hielten der Frau vor, sie sei zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr angeschnallt gewesen.

Der Bundesgerichtshof kann dagegen einen Verstoß gegen die Anschnallpflicht nicht erkennen. Die Richter verweisen auf die gesetzliche Regelung. Danach muss ein Autofahrer “während der Fahrt” angeschnallt sein. Das Unfallopfer sei jedoch nicht mehr gefahren. Die Fahrt sei nämlich dadurch beendet worden, dass ihr Auto gegen die Leitplanke knallte und liegenblieb.

Außerdem habe die Frau die Gurte auch lösen müssen, um sich in Sicherheit zu bringen. Überdies treffe sie die Pflicht, die Unfallstelle abzusichern. Dass dies angeschnallt kaum möglich ist, steht für den Bundesgerichtshof außer Frage.

Die Richter änderten deshalb den Urteilsspruch ab und sprachen der Frau 60 % ihres Schadens zu. Mehr hatte sie auch nicht verlangt, da sie ihr eigenes Mitverschulden mit rund einem Drittel ansetzte.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 28. Februar 2012, Aktenzeichen VI ZR 10/11

Punkte-Tacho für Verkehrssünder

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat heute in Berlin die Pläne für das neue Verkehrssünder-Punktesystem vorgestellt.

Es soll künftig nur noch zwei Punkteklassen geben: Schwere Verstöße (1 Punkt) und besonders schwere Verstöße (2 Punkte). Feste Tilgungsregeln sollen dafür sorgen, dass Betroffene nicht mehr rätseln müssen, wann der eingetragene Verstoß wieder getilgt wird.

Eine wichtige Änderung wird sein, dass Punkte jeweils für sich verjähren. Es kommt also nicht darauf an, ob der Autofahrer neue Punkte sammelt. Bisher ist es so, dass alte Punkte nicht verjähren, wenn innerhalb von zwei Jahren ein neuer Punkt aufs Konto kommt. Die Möglichkeit, Punkte durch Nachschulungen abzubauen, soll komplett entfallen.

"Wir wollen das Verkehrszentralregister und das Punktesystem einfacher, gerechter und transparenter machen”, sagte der Bundesverkehrsminister.” Künftig sollen deshalb auch nur noch Verstöße mit Punkten geahndet erfasst werden, die für die Verkehrssicherheit relevant sind.

Ein Punkte-Tacho signalisiert Autofahrern, wie es um ihr Konto in der Verkehrssünderkartei steht. Die Stufen sind wie folgt: Vormerkung (grüner Bereich, 1-3 Punkte), Ermahnung (gelber Bereich, 4-5 Punkte), Verwarnung (roter Bereich, 6-7 Punkte), Entzug (schwarzer Bereich, 8 Punkte).

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Verkehrssünder-Tacho: Bei 8 Punkten ist der Führerschein weg.

Alte Punkte werden nach Angaben des Ministers in das neue System überführt. Es komme definitiv nicht zu einer Generalamnestie für Verkehrssünder. Seine Eckpunkte möchte das Ministerium jetzt zur Diskussion stellen. Erst nach Auswertung der Reaktionen von den Autofahrern und der Fachwelt werde ein Gesetzentwurf vorgelegt.

FAQ des Verkehrsministeriums

Examen: Täuschung muss bewiesen werden

Das Justizprüfungsamt kann eine juristische Staatsprüfung nicht schon dann nachträglich aberkennen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine Täuschung in der mündlichen Prüfung spricht. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Nachdem eine angehende Volljuristin im schriftlichen Teil des zweiten juristischen Staatsexamens einen knapp ausreichenden Notendurchschnitt erzielt hatte, legte sie die mündliche Prüfung im Wahlfach Steuerrecht ab. Die Prüfungskommission wertete ihren Aktenvortrag mit 16 Punkten („sehr gut“).

Derselbe Aktenvortrag war Gegenstand einer weiteren Prüfung am gleichen Tage, in welcher der Lebensgefährte der Frau Prüfer war. Er hatte den Aktenvortrag schon vor dem Prüfungstag erhalten.

In der Folgezeit wurde an das Prüfungsamt die Mutmaßung herangetragen, der Kandidatin könnte der Aktenvortrag bekannt gewesen sein. Daraufhin hob das Landesprüfungsamt die mündliche Prüfung insgesamt auf und ordnete deren Wiederholung an. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht statt. Das Oberverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Die Annahme des Justizprüfungsamtes, die Klägerin habe vor der mündlichen Prüfung durch ihren Lebensgefährten Kenntnis von dem Aktenvortrag und seiner Lösung erhalten, könne nicht nachgewiesen werden. Der Lebensgefährte habe als Zeuge glaubhaft angegeben, er habe der Klägerin das Aktenstück nicht zugänglich gemacht, sondern in seinem Büro verschlossen aufbewahrt.

Es bestünden auch keine markanten Übereinstimmungen der Prüfungsleistung mit dem Lösungsmuster. Zwar spreche das von den im Allgemeinen schwachen Prüfungsleistungen der Klägerin abweichende sehr gute Ergebnis des Aktenvortrages für eine Täuschung. Jedoch könne nicht mit der für eine Aberkennung der Prüfung erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem gehaltenen Vortrag um eine herausragende Einzelleistung gehandelt habe.

So sei bereits die Wahlstation der Klägerin im Steuerrecht mit „sehr gut“ bewertet worden. Außerdem habe der Aktenvortrag Probleme umfasst, die in den bei der Prüfungsvorbereitung benutzten Lehrbüchern behandelt worden seien. Schließlich habe die Klägerin im Vorfeld der Prüfung mit ihrem Lebensgefährten regelmäßig das Halten von Aktenvorträgen geübt, was zu mehr Sicherheit in rechtlichen Fragestellungen und in der Vortragstechnik beigetragen habe.

Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3. Februar 2012, Aktenzeichen 10 A 11083/11.OVG