Wahrheitsbeweis

Aus einem Anhörungsbogen der Polizei:

Sie haben die Geschädigte mit den Worten “Doofe Trulla” und “Schwing deinen dicken Arsch von der Straße” beleidigt.

Da kommen einem als Anwalt gleich viele schöne Beweisanträge in den Sinn. Mit denen ließe sich möglicherweise belegen, wie wahr die Aussagen doch sind. Wenn man schon von der Beleidigung nicht runterkommt, steht sie vielleicht in etwas milderem Licht da.

Oder die Sache geht nach hinten los. Es wird also nicht schaden, zuerst zu klären, wer bei Staatsanwaltschaft und Gericht zuständig ist.

Frau Piepenbröck ist tot (BDK-Remix)

Von Torsten Kleinz

Palimm-Palimm
“Hallo?”
“Ja, hallo. Mein Name ist Bömmerlunder von der SpuSi. Wir müssten Mal in Ihre Wohnung.”
“SpuSi?”
“Ja, Spurensicherung.”
“Spurensicherung?”
“Sprech ich chinesisch? Ja, Spurensicherung. Machen Sie auf!”
“Warum?”
“Weil ich Spuren sichern muss. Jungejunge, sind Sie schwer von Begriff…”
“Welche Spuren?”
“Na, das Übliche. Fingerabdrücke, DNA, Fasern”
“Und weshalb?”
“Haben Sie es noch nicht gehört? Frau Piepenbröck ist tot.”
“Das tut mir leid. Wer ist Frau Piepenbröck?”
“Gerda Piepenbröck. Wohnt nur zwei Straßen von hier. Das heißt: wohnte.”
“Nie von ihr gehört. Was hab ich damit zu tun?”
“Sagte ich doch. Sie wohnte nur zwei Straßen von hier.”
“Aha. Dann gehen Sie die beiden Straßen zurück zur Wohnung von Frau Piepenbröck und tun sie dort Ihren Job.”
“Jetzt werden Sie nicht unverschämt. Wir können nämlich auch das alte Pulver zum Fingerabdrucksichern nehmen. Das bekommen Sie nie wieder aus dem Teppich!”
“Jetzt Mal langsam…”
“Okayokay, ich sag dem Kommissar Bescheid.”
“Warten Sie…”
“Ja?”
“Könnten Sie mir denn bitte erklären, warum Sie meine Wohnung durchsuchen wollen?”
“Na, das machen wir immer so. Wenn ein Gewaltverbrechen nicht ausgeschlossen werden kann, sichern wir alle Spuren in einem Kilometer Umkreis vom Tatort. Sie sind wohl neu? In den meisten Wohnungen war ich schon vier oder fünf Mal…”
“Sie gehen einfach so in alle Wohnungen? Ohne Verdacht?”
“Wir haben einen Verdacht. Frau Piepenbrock ist tot!”
“Piepenbröck dachte ich.”
“Meinetwegen auch die. Warten Sie, ich hab mir für solche Fälle etwas aufgeschrieben.”
“Was?”
“Hier steht’s, hören Sie genau zu! Wenn genügend Personal vorhanden ist um Fingerabdruckspuren im Umfeld des Tatortes massenhaft aufzunehmen und auszuwerten, müssen wir das tun und anschließend den Täter herauszufiltern. Wenn auch nicht immer von Erfolg gekrönt, bleibt es jedoch ein Werkzeug im Kampf gegen das Verbrechen.
“Hä?”
“Es geht noch weiter: Wir sind nach dem Gesetz verpflichtet Straftaten zu verfolgen. Der Bürger erwartet das zu Recht, die Politik fordert das nachdrücklich, der Gesetzgeber hat uns das Handwerkszeug dazu gegeben und die Richter achten darauf, dass wir es richtig anwenden
“Hmmm.”
“Na, was sagen Sie nun?”
“Ja, das klingt absolut logisch.”
“Na, dann lassen Sie mich schon rein.”
“Nehmen Sie aber auch das neue Fingerabdruckpulver? Wenn die Teppiche ruiniert sind, bringt mich meine Frau um.”
“Keine Bange, wenn das passiert, sind wir von der SpuSi schon zur Stelle. Ihre Frau wird ihrer Strafe nicht entgehen.”
“…”
“Kleiner Scherz.”
“OK, kommen Sie rein.”

Inspiriert vom Bund Deutscher Kriminalbeamter

Torsten Kleinz ist freier Journalist in Köln

Mitgliederversammlung im Chatraum

Vereine dürfen ihre Mitgliederversammlung auch virtuell abhalten. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden. Die Richter gaben einem Verein recht, der die Hauptversammlung in einem Chatraum durchführen wollte.

Das Amtsgericht Iserlohn hatte dem Verein noch die Eintragung verweigert. Bei Online-Versammlungen bestehe die Gefahr, dass sich Nichtmitglieder einschmuggeln. Außerdem könne nicht festgestellt werden, ob Mitglieder, die nur an ihrem Bildschirm sitzen, geschäftsfähig sind. Die Vereinsversammlung sei eine so wichtige Veranstaltung, dass hier keine Risiken eingegangen werden dürften.

Diese Einwände überzeugten das Oberlandesgericht Hamm nicht. Grundsätzlich stehe es jedem Verein frei, seine Organisation selbst zu bestimmen. Auch die Geschäftsfähigkeit der Mitglieder müsse nicht aktiv überprüft werden. Vielmehr könne der Vorstand erst mal davon ausgehen, dass bei den Mitgliedern geistig alles in Ordnung ist. Nur bei konkreten Zweifeln müsse diesen nachgegangen werden.

Die Technik halten die Richter auch für ausreichend zuverlässig, um Missbrauch auszuschließen. So reiche es aus, wenn den Mitgliedern das Passwort für den Chatraum unmittelbar vor der Versammlung per Mail geschickt wird.

Auch Vereinsmitglieder ohne Computer seien nicht über Gebühr benachteiligt. Ein Verein müsse nicht jede Form der Kommunikation anbieten. Überdies, so die Richter, gebe es genug öffentliche Internetzugänge.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 27. September 2011, Aktenzeichen I-27 W 106/11

Keine Wahrheitssuche um jeden Preis

Auch Strafgerichte dürfen die Wahrheit nicht um jeden Preis erforschen. Im Umgang mit widerspenstigen Zeugen müssen sie auch deren Rechte ausreichend wahren und insbesondere prüfen, ob Zwangsmittel verhältnismäßig sind. Mit dieser Begründung hob der Bundesgerichtshof nun einen Ordnungshaftbeschluss gegen eine Zeugin auf, die im Verfahren gegen die frühere RAF-Terroristin Verena Becker nicht aussagen wollte.

Obwohl die Zeugin schwer an Krebs erkrankt ist, hatte das Oberlandesgericht gegen sie Ordnungshaft verhängt. Das Oberlandesgericht Stuttgart wollte aufgrund der Erkrankung die Ordnungshaft zwar zunächst nicht vollstrecken; die Anordnung selbst wollten die Richter aber nicht aufheben. Das tat nun der Bundesgerichtshof auf die Beschwerde der Betroffenen.

Die Karlsruher Richter zeigen in ihrer Entscheidung Schranken auf, die auch für Strafrichter gelten:

Die besondere Bedeutung der Aufgabe des Strafverfahrens, die wichtigsten Individual- und Gemeinschaftsrechtsgüter zu schützen, darf auch in Fällen schwerer und schwerster Kriminalität nicht den Blick darauf verstellen, dass die Strafverfolgung stets mit Eingriffen in die Rechte der vom Verfahren Betroffenen einhergeht und Rechtsgüter der Gemeinschaft beeinträchtigen kann.

Auch deren Schutz ist dem Staat aufgegeben. Der Zweck des Strafverfahrens würde daher verfehlt, wenn es den Strafverfolgungsorganen zur Aufdeckung und Ahndung einer Rechtsgutsverletzung gestattet wäre, unbegrenzt in andere Individual- oder Gemeinschaftsrechtsgüter einzugreifen.

Das Wertesystem der Verfassung, das zu schützen Zweck des Strafverfahrens ist, setzt diesem daher gleichzeitig auch Schranken. Deshalb gilt – auch in Fällen terroristisch motivierter Tötungsdelikte  -  der Grundsatz, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis – hier: um den Preis der hohen Gefährdung des Lebens einer schwer erkrankten Zeugin  -  erforscht werden darf.

Schon die Anordnung der Beugehaft bedeute für die Zeugin eine so enorme Belastung, dass mit einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu rechnen sei, möglicherweise sogar mit ihrem Tod. Im Hinblick auf die besonderen Umstände sei deshalb schon die Anordnung der Beugehaft unverhältnismäßig.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. Januar 2012, Aktenzeichen StB 20/11

Glatteis: Stadt muss Streuplan haben

Hat eine Gemeinde für ihre Straßen und Plätze bei Eis- und Schneeglätte einen Streuplan, den sie auch einhält, dann ist sie nach dem Sturz eines Passanten nicht zum Schadensersatz verpflichtet. So hat es der 9. Zivilsenat des Oberlandesgericht Hamm rechtskräftig entschieden (I-9 U 113/10) und damit die Klage eines Essener Bürgers in zweiter Instanz abgewiesen.

Der 54-Jährige war an der Fintroper Straße im Westen Essens im Winter vor sieben Jahren am frühen Mittag auf einem Fußgängerüberweg ausgerutscht, der noch nicht gestreut war. Die Folgen waren schwere Verletzungen an Arm und Schulter – deswegen machte der selbständige Kaufmann Schadensersatz (auch wegen seines Verdienstausfall) und Schmerzensgeld in Höhe von 240 000 Euro gegen die Stadt Essen geltend.

Das Landgericht Essen hier hatte diese Klage bereits abgewiesen, dem folgte nun auch das OLG. Bei konkreter Glättegefahr, so heißt es in dem Urteil, müsse den Gemeinden für deren Streupflicht ein gewisser Zeitraum für organisatorische Maßnahmen zugebilligt werden.

Zwar sei abweichend vom Streuplan zunächst der Süden der Stadt geräumt worden, dort aber fiel der Schnee auch früher als im westlichen Stadtteil. Insgesamt sei sichergestellt gewesen, dass die „allgemeine Glättegefahr rechtzeitig erkannt“ und auch rechtzeitig Streualarm für den Unfallbereich ausgelöst wurde.

Demnach war der 54-Jährige schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort. (pbd)

Die Ulmer Höh’ hat ausgedient

Wie es aussieht, werde ich nächste Woche meine letzten Knastbesuche in der Ulmer Höh’ machen. Das baulich marode Düsseldorfer Gefängnis mitten in der Stadt hat ausgedient. In der Nachbarstadt Ratingen ist ein nagelneuer Knast gebaut worden, in den Anfang Februar 529 Gefangene umziehen werden.

Witzigerweise heißt die JVA Ratingen weiter JVA Düsseldorf. Ratingen hat zwar das Grundstück hergegeben, mit der Rolle als Namensgeber für ein Gefängnis konnte man sich aber nicht anfreunden. So spricht das Land NRW in seinen Presseinformationen auch diplomatisch von der “neuen Justizvollzugsanstalt Düsseldorf, die auf Ratinger Boden ihre Heimat gefunden hat”.

Auf rund 125.000 Quadratmetern wird in Ratingen nach Angaben des Justizministeriums der “moderne Behandlungsvollzug” umgesetzt. Die Gefangenen sollen in der Großanstalt mit einem umfänglichen Betreuungsprogramm motiviert werden, ihr Leben auf eine neue, vielfach erstmalig gesellschaftsfähige Grundlage zu stellen. Experten wissen, dass Straftäter, die hinter Gittern eine gesellschaftliche und berufliche Perspektive geboten bekommen, deutlich höhere Chancen haben, zukünftig straffrei zu leben. "Moderner Strafvollzug", sagt Justizminister Thomas Kutschaty, "ist auch der effektivste Opferschutz".

JVA_Ddorf_Ratingen

Die neue JVA Ratingen (Foto: Justiz NRW)

Das Betreuungsangebot in der neuen JVA Düsseldorf/Ratingen umfasst unter anderem Schuldnerberatung, soziales Training, Entlassungsvorbereitungen und die abstinenzorientierte Abteilung für die Betreuung und Behandlung Suchtmittelabhängiger.

Das Gefängnis ersetzt die alte in ganz Deutschlang bekannte Ulmer Höh’ von 1893, die modernen Ansprüchen nicht mehr genügte. In Ratingen bieten 775 Hafträume insgesamt 855 Gefangenen Platz. Der Bau kostete 180 Millionen Euro. Die Sicherheitstechnik entspricht dem neuesten  Standard.

529 Gefangene aus der alten Ulmer Höh werden Anfang Februar mit insgesamt 5.200 Umzugskartons in die neue JVA Düsseldorf umziehen.

Polizei stoppt Facebook-Fahndung

Seit einem dreiviertel Jahr fahndete die Polizei in Hannover auch über Facebook nach Verdächtigen. Nun ist das Projekt abgeblasen – es gibt Bedenken wegen des Datenschutzes.

Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte hatte sich gegen die Steckbriefe auf Facebook ausgesprochen. Wie der NDR berichtet, beanstandet der Datenschützer den Umstand, dass Facebook in Amerika sitzt und deshalb das deutsche Datenschutzrecht nicht gilt. Dem schloss sich jetzt die niedersächsische Polizeiführung an. Sie verfügte einen vorläufigen Stopp des Projekts. Im niedersächsischen Innenministerium soll die Rechtslage nun genau geprüft werden.

Ich gehe davon aus, dass die Hannoveraner Polizei bald wieder ihre Fahndungsaufrufe bei Facebook einstellen darf. Ein Verstoß gegen das deutsche Datenschutzrecht scheint mir nämlich weit hergeholt; womöglich trägt die vehemente Antifacebook-Kampagne in Schleswig-Holstein hier unerwarteteFrüchte. Im Nachbarland droht der dortige Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert ja sogar Behörden und Unternehmen mit Unterlassungsaufforderungen und Bußgeldern, wenn sie Facebook-Seiten mit “Like”-Buttons betreiben.

Fakt ist doch zunächst, dass öffentliche Fahndungen von einem Richter genehmigt werden müssen. Dieser legt auch fest, welche Informationen und Bilder des Verdächtigen in den Aufruf einfließen dürfen. Die entsprechenden Texte und Bilder stellen die Polizeibehörden dann zum Beispiel ins Portal “Polizeipresse”, wo sich praktisch jeder die Informationen ansehen, sie kopieren und verwenden kann. Außerdem schickt die Polizei das Material an Zeitungs-, Fernseh- und Rundfunkredaktionen.

Facebook dürfte für die Polizei Hannover deshalb nur ein weiterer Kanal gewesen sein, über den Fahndungen öffentlich gemacht wurden. Nun kann ich aber beim besten Willen nicht erkennen, wieso die von der Polizei gesteuerte Speicherung der Informationen auf Facebook-Servern brisant sein soll, wenn es sich ohnehin für die Öffentlichkeit bestimmte Daten handelt.

Es ist ja auch keiner ausländischen Zeitung untersagt, Fahndungsaufrufe deutscher Polizeibehörden in ihre Onlineausgabe zu stellen. Dann sind die Daten ebenso auf ausländischen Servern gespeichert. Und im Gegensatz zum eigenen Facebook-Account haben die Beamten noch nicht einmal die Möglichkeit, auf die Daten ausländischer Medien, Blogs eingeschlossen, zuzugreifen.

Ähnlich ist es ja auch im Inland. Veröffentlicht etwa ein deutscher Blogger einen Fahndungsaufruf mit einem “Täter”bild, ist er möglicherweise in der zivilrechtlichen Haftung, wenn sich die Unschuld des Betreffenden herausstellt, er aber das Foto trotzdem weiter auf seiner Seite lässt. Die Polizei kann höchstens um Entfernung der Bilder bitten – den Blogger verklagen kann letztlich aber nur der Betroffene.

Ein anderes Beispiel ist das Verhalten von Boulevardmedien. Die greifen gern auf archivierte Fahndungsfotos zurück und veröffentlichen diese, wenn der Gesuchte festgenommen wird oder vor Gericht steht. Auch das ist an sich nicht zulässig, denn die Bilder sind eben nur für die Fahndung freigegeben. Dennoch bleibt es dem Betroffenen überlassen, gegen die mögliche Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte zu klagen. Die Polizei selbst kann den Journalisten höchstens ins Gewissen reden oder ihnen vielleicht mit Informationsboykott drohen.

Wir halten also fest: Es handelt sich bei den Fahndungsdaten um Informationen, die gerade für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Polizei hat keinen Einfluss darauf, wie die Informationen von Medien im In- und Ausland verwendet werden. Aber es soll ein Problem sein, dass die Polizei diese öffentlichen Informationen auf einem ausländischen Server speichert, wobei sie ausgerechnet hier sogar den “Kanal” selbst steuert und somit bestimmt, was auf Facebook zu sehen ist?

Eine andere Frage ist allerdings, ob die Polizei Facebook auch als Antwortkanal nutzen darf. Sofern Nutzer direkt über Facebook etwas zu dem Aufruf sagen, ist es natürlich richtig, dass ihre “sachdienlichen Hinweise” dann auch von Facebook-Admins gelesen werden können. Das können durchaus brisante und sicherlich auch private Informationen sein, zumal es für einen Hinweis ja auch eines Facbook-Accounts bedarf. “Anonyme” Nachrichten wären so kaum möglich. Um die Probleme auszuschalten, würde es auch reichen, die Hinweise eben per Mail oder Telefon zu erbitten und das Feedback via Facebook abzuschalten, sofern das technisch möglich ist.

Mehr als der Datenschutz überzeugt mich übrigens das Argument, dass es doch höchst fraglich ist, ob ausgerechnet ein soziales Netzwerk, in dem sich ja auch Kinder und Jugendliche bewegen, eigentlich der richtige Ort für die öffentliche Verbrechersuche ist. Von daher wäre es vielleicht für alle besser, wenn die Polizei Hannover bei Facebook offline bleibt.

Gericht: ACAB ist keine strafbare Beleidigung

Das Landgericht Karlsruhe bricht eine Lanze für die Meinungsfreiheit: Der Slogan “ACAB” (All cops are bastards) ist nach Auffassung des Gerichts nicht strafbar. Das Landgericht sprach einen Fußballfan frei, der im Stadion ein Transparent mit der Buchstabenfolge hochgehalten hatte.

Angezeigt hatte den Mann der Polizei-Einsatzleiter beim Fußballspiel. Dieser fühlt sich durch den ACAB-Slogan in seiner Ehre verletzt. Schon das Amtsgericht Karlsruhe hatte den Angeklagten freigesprochen. Das Landgericht bestätigt dieses Urteil jetzt mit klaren Worten.

Ein einzelner Polizist müsse sich nicht zwangsläufig durch den Slogan angegriffen fühlen, auch wenn das Wort Bastard zweifellos ehrverletzend sei. Von der Formulierung her beziehe sich die Wendung auf “alle Polizisten”. Juristisch sei eine Kollektivbeleidigung aber nicht strafbar. Insofern ist ACAB mit dem – ebenfalls straflosen – Spruch “Soldaten sind Mörder” vergleichbar. Vielmehr, so das Landgericht Karlsruhe, komme eine Beleidigung nur dann in Betracht, wenn aus den Umständen klar erkennbar sei, dass ganz bestimmte Polizisten gemeint sind.

Diese Voraussetzungen konnte das Landgericht nicht erkennen. Der Angeklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass er mit anderen Fans gegen Polizeigewalt bei Stuttgart 21 und zunehmende Polizeibrutalität bei Fußballspielen demonstrieren wolle. Vor diesem Hintergrund könne nicht angenommen werden, dass es ihm (auch) darum ging, die Polizisten im Stadion als konkrete Personen zu beleidigen.

Die Staatsanwaltschaft kann gegen das Urteil Revision einlegen.

Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 8. Dezember 2011, Aktenzeichen 11 Ns 410 Js 5815/11

Nicht per se strafbar

Für lebhafte Diskussionen sorgte vor einigen Tagen der Fall eines 32-jährigen Lehrers, der mit einer 14-jährigen Schülerin ein Verhältnis hatte. Das Oberlandesgericht Koblenz sprach den Mann vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei (Bericht im law blog).

Jetzt können wir nachlesen, welche Gründe das Gericht zu seiner Entscheidung bewogen. Rechtsanwalt Detlef Burhoff hat den Beschluss veröffentlicht und auch im Heymanns Strafrecht Online Blog etwas dazu geschrieben.   Im wesentlichen ging es um die Frage, ob ein Obhutsverhältnis zwischen Lehrer und Schülerin bestand.

Die Argumentation des Gerichts ist gut nachvollziehbar. Allerdings merkt man bei jeder Zeile, dass man es mit Fug und Recht auch anders sehen kann. Der oft sehr schmale Grat zwischen Freiheitsstrafe und Freispruch – und damit die Macht der Richter – ist hier deutlich erkennbar.

Unabhängig von den Ausführungen zur Sache gefällt mir folgender Satz aus der Entscheidung:

Unangemessenes, unanständiges oder verantwortungsloses Verhalten ist nicht per se strafbar, sondern nur dann, wenn es unter einen zur Tatzeit geltenden Straftatbestand zu subsumieren ist.

Eine Einsicht, die in den Köpfen vieler emsiger Ermittler heute nicht mehr in dieser Klarheit vorhanden ist.

BILD soll nicht an mir verdienen

Die BILD-Zeitung plant für den 23. Juni 2012 einen Coup. Sie möchte an diesem Tag jedem deutschen Haushalt eine kostenlose Ausgabe des Blattes in den Briefkasten legen. Anlass ist der 60. Geburtstag der BILD. Ich gehöre zu den Leuten, die BILD gerne feiern lassen – aber bitte nicht mit mir.

Ich möchte auch keine “Geschenke” von dem Blatt. Das gilt umso mehr, als BILD offensichtlich genau kalkuliert, dass sich ein gewisser Teil der Bevölkerung nicht über das Gratisblatt freuen wird. Im Mediaplan, mit dem BILD seine Sonderausgabe bei den Werbekunden anpreist, wird ausdrücklich positiv hervorgehoben, die Gratisausgabe werde auch “Werbeverweigerern” zugestellt. Was sicher auch ein gutes Argument ist, den gewaltigen Preis von vier Millionen Euro (ohne Umsatzsteuer) für eine ganzseitige Anzeige zu rechtfertigen.

Für mich ist das jedoch, neben dem journalistischen Ethos des Blattes, noch ein Grund alles zu tun, damit die Gratisbild mich nicht erreicht. Ich will nicht, dass die Zeitung vorne von Geschenken plärrt, aber hinten rum mit mir Geld verdient.

BILD beabsichtigt aber offensichtlich, selbst Briefkästen mit dem Aufkleber “Keine Werbung” zu beliefern. In der Tat gibt es Urteile, die sagen, dass dieser Aufkleber nicht für Gratiszeitungen mit redaktionellem Angebot gilt – selbst wenn diese zum Großteil Anzeigen beinhalten und möglicherweise auch Prospekte beiliegen.

Interessant ist natürlich die Frage, ob bei einem Aufkleber mit der konkreten Aufforderung “Bitte keine BILD einwerfen” was anderes gilt. Muster für den Aufkleber kursieren ja schon im Netz.

Überdies gibt es nun auch eine ganz neue Entscheidung des Landgerichts Lüneburg, die für BILD-Verweigerer einen juristisch vielversprechenderen Weg aufzeigt. Das Urteil (früherer Bericht im Blog) sagt nämlich klipp und klar, dass Postwurfsendungen jedenfalls dann unzulässig sind, wenn der Empfänger beim Absender widersprochen hat. Ich werde also mal einen kleinen Brief (vorab als Fax) an den Axel Springer Verlag senden und fordern, mich aus der Empfängerliste zu streichen. Sollte dann doch die BILD im Briefkasten sein, wird man über Unterlassungsansprüche nachdenken können.

Inhaltlich kann man sich bei einer Absage an BILD gut am Musterschreiben orientieren, das der Kölner Rechtsanwalt Andreas Schwartmann veröffentlicht hat.

Finanzamt überweist zu viel – und kriegt nichts zurück

Dank schlampiger Finanzbeamter ist ein Saarländer jetzt rund 85.000 Euro reicher. Diesen Betrag hatte ihm das Finanzamt ohne Grund erstattet – dabei standen dem Mann nur 400 Euro zu. Er darf das Geld endgültig behalten, wie der Bundesfinanzhof nun entschieden hat. Das Finanzamt hat das Geld nicht nur fehlerhaft ausgezahlt, es hat auch die Verjährungsfrist verschlafen.

Der betreffende Bürger hatte allerdings seinen Teil dazu beigetragen, um das Geld zu behalten. Nachdem er die stattliche Summe auf dem Konto hatte, hielt er einfach still. Den Fehler bemerkte das Finanzamt erst, nachdem es den maßgeblichen Einkommenssteuerbescheid vor mehr als fünf Jahren zuletzt geändert hatte.

Irgendwann muss Ruhe sein, befand nun der Bundesfinanzhof. Rückforderungsansprüche der Finanzbehörden verjähren nach seiner Auffassung fünf Jahre nach Erlass des letzten Bescheids. Derselbe Zeitraum gelte ja auch für den Bürger, denn dieser dürfe dann auch keine Erstattungen mehr verlangen, selbst wenn er in der Sache recht gehabt hätte.

Eine Aufklärungspflicht des Zahlungsempfängers sah der Bundesfinanzhof nicht. Wer also unverhoffte Geldgeschenke vom Finanzamt (oder von anderen Behörden) erhält, muss den den Fehler nicht von sich aus melden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.10.11, Aktenzeichen VII R 55/10