Polizei stoppt Facebook-Fahndung

Seit einem dreiviertel Jahr fahndete die Polizei in Hannover auch über Facebook nach Verdächtigen. Nun ist das Projekt abgeblasen – es gibt Bedenken wegen des Datenschutzes.

Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte hatte sich gegen die Steckbriefe auf Facebook ausgesprochen. Wie der NDR berichtet, beanstandet der Datenschützer den Umstand, dass Facebook in Amerika sitzt und deshalb das deutsche Datenschutzrecht nicht gilt. Dem schloss sich jetzt die niedersächsische Polizeiführung an. Sie verfügte einen vorläufigen Stopp des Projekts. Im niedersächsischen Innenministerium soll die Rechtslage nun genau geprüft werden.

Ich gehe davon aus, dass die Hannoveraner Polizei bald wieder ihre Fahndungsaufrufe bei Facebook einstellen darf. Ein Verstoß gegen das deutsche Datenschutzrecht scheint mir nämlich weit hergeholt; womöglich trägt die vehemente Antifacebook-Kampagne in Schleswig-Holstein hier unerwarteteFrüchte. Im Nachbarland droht der dortige Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert ja sogar Behörden und Unternehmen mit Unterlassungsaufforderungen und Bußgeldern, wenn sie Facebook-Seiten mit “Like”-Buttons betreiben.

Fakt ist doch zunächst, dass öffentliche Fahndungen von einem Richter genehmigt werden müssen. Dieser legt auch fest, welche Informationen und Bilder des Verdächtigen in den Aufruf einfließen dürfen. Die entsprechenden Texte und Bilder stellen die Polizeibehörden dann zum Beispiel ins Portal “Polizeipresse”, wo sich praktisch jeder die Informationen ansehen, sie kopieren und verwenden kann. Außerdem schickt die Polizei das Material an Zeitungs-, Fernseh- und Rundfunkredaktionen.

Facebook dürfte für die Polizei Hannover deshalb nur ein weiterer Kanal gewesen sein, über den Fahndungen öffentlich gemacht wurden. Nun kann ich aber beim besten Willen nicht erkennen, wieso die von der Polizei gesteuerte Speicherung der Informationen auf Facebook-Servern brisant sein soll, wenn es sich ohnehin für die Öffentlichkeit bestimmte Daten handelt.

Es ist ja auch keiner ausländischen Zeitung untersagt, Fahndungsaufrufe deutscher Polizeibehörden in ihre Onlineausgabe zu stellen. Dann sind die Daten ebenso auf ausländischen Servern gespeichert. Und im Gegensatz zum eigenen Facebook-Account haben die Beamten noch nicht einmal die Möglichkeit, auf die Daten ausländischer Medien, Blogs eingeschlossen, zuzugreifen.

Ähnlich ist es ja auch im Inland. Veröffentlicht etwa ein deutscher Blogger einen Fahndungsaufruf mit einem “Täter”bild, ist er möglicherweise in der zivilrechtlichen Haftung, wenn sich die Unschuld des Betreffenden herausstellt, er aber das Foto trotzdem weiter auf seiner Seite lässt. Die Polizei kann höchstens um Entfernung der Bilder bitten – den Blogger verklagen kann letztlich aber nur der Betroffene.

Ein anderes Beispiel ist das Verhalten von Boulevardmedien. Die greifen gern auf archivierte Fahndungsfotos zurück und veröffentlichen diese, wenn der Gesuchte festgenommen wird oder vor Gericht steht. Auch das ist an sich nicht zulässig, denn die Bilder sind eben nur für die Fahndung freigegeben. Dennoch bleibt es dem Betroffenen überlassen, gegen die mögliche Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte zu klagen. Die Polizei selbst kann den Journalisten höchstens ins Gewissen reden oder ihnen vielleicht mit Informationsboykott drohen.

Wir halten also fest: Es handelt sich bei den Fahndungsdaten um Informationen, die gerade für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Polizei hat keinen Einfluss darauf, wie die Informationen von Medien im In- und Ausland verwendet werden. Aber es soll ein Problem sein, dass die Polizei diese öffentlichen Informationen auf einem ausländischen Server speichert, wobei sie ausgerechnet hier sogar den “Kanal” selbst steuert und somit bestimmt, was auf Facebook zu sehen ist?

Eine andere Frage ist allerdings, ob die Polizei Facebook auch als Antwortkanal nutzen darf. Sofern Nutzer direkt über Facebook etwas zu dem Aufruf sagen, ist es natürlich richtig, dass ihre “sachdienlichen Hinweise” dann auch von Facebook-Admins gelesen werden können. Das können durchaus brisante und sicherlich auch private Informationen sein, zumal es für einen Hinweis ja auch eines Facbook-Accounts bedarf. “Anonyme” Nachrichten wären so kaum möglich. Um die Probleme auszuschalten, würde es auch reichen, die Hinweise eben per Mail oder Telefon zu erbitten und das Feedback via Facebook abzuschalten, sofern das technisch möglich ist.

Mehr als der Datenschutz überzeugt mich übrigens das Argument, dass es doch höchst fraglich ist, ob ausgerechnet ein soziales Netzwerk, in dem sich ja auch Kinder und Jugendliche bewegen, eigentlich der richtige Ort für die öffentliche Verbrechersuche ist. Von daher wäre es vielleicht für alle besser, wenn die Polizei Hannover bei Facebook offline bleibt.

Gericht: ACAB ist keine strafbare Beleidigung

Das Landgericht Karlsruhe bricht eine Lanze für die Meinungsfreiheit: Der Slogan “ACAB” (All cops are bastards) ist nach Auffassung des Gerichts nicht strafbar. Das Landgericht sprach einen Fußballfan frei, der im Stadion ein Transparent mit der Buchstabenfolge hochgehalten hatte.

Angezeigt hatte den Mann der Polizei-Einsatzleiter beim Fußballspiel. Dieser fühlt sich durch den ACAB-Slogan in seiner Ehre verletzt. Schon das Amtsgericht Karlsruhe hatte den Angeklagten freigesprochen. Das Landgericht bestätigt dieses Urteil jetzt mit klaren Worten.

Ein einzelner Polizist müsse sich nicht zwangsläufig durch den Slogan angegriffen fühlen, auch wenn das Wort Bastard zweifellos ehrverletzend sei. Von der Formulierung her beziehe sich die Wendung auf “alle Polizisten”. Juristisch sei eine Kollektivbeleidigung aber nicht strafbar. Insofern ist ACAB mit dem – ebenfalls straflosen – Spruch “Soldaten sind Mörder” vergleichbar. Vielmehr, so das Landgericht Karlsruhe, komme eine Beleidigung nur dann in Betracht, wenn aus den Umständen klar erkennbar sei, dass ganz bestimmte Polizisten gemeint sind.

Diese Voraussetzungen konnte das Landgericht nicht erkennen. Der Angeklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass er mit anderen Fans gegen Polizeigewalt bei Stuttgart 21 und zunehmende Polizeibrutalität bei Fußballspielen demonstrieren wolle. Vor diesem Hintergrund könne nicht angenommen werden, dass es ihm (auch) darum ging, die Polizisten im Stadion als konkrete Personen zu beleidigen.

Die Staatsanwaltschaft kann gegen das Urteil Revision einlegen.

Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 8. Dezember 2011, Aktenzeichen 11 Ns 410 Js 5815/11

Nicht per se strafbar

Für lebhafte Diskussionen sorgte vor einigen Tagen der Fall eines 32-jährigen Lehrers, der mit einer 14-jährigen Schülerin ein Verhältnis hatte. Das Oberlandesgericht Koblenz sprach den Mann vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei (Bericht im law blog).

Jetzt können wir nachlesen, welche Gründe das Gericht zu seiner Entscheidung bewogen. Rechtsanwalt Detlef Burhoff hat den Beschluss veröffentlicht und auch im Heymanns Strafrecht Online Blog etwas dazu geschrieben.   Im wesentlichen ging es um die Frage, ob ein Obhutsverhältnis zwischen Lehrer und Schülerin bestand.

Die Argumentation des Gerichts ist gut nachvollziehbar. Allerdings merkt man bei jeder Zeile, dass man es mit Fug und Recht auch anders sehen kann. Der oft sehr schmale Grat zwischen Freiheitsstrafe und Freispruch – und damit die Macht der Richter – ist hier deutlich erkennbar.

Unabhängig von den Ausführungen zur Sache gefällt mir folgender Satz aus der Entscheidung:

Unangemessenes, unanständiges oder verantwortungsloses Verhalten ist nicht per se strafbar, sondern nur dann, wenn es unter einen zur Tatzeit geltenden Straftatbestand zu subsumieren ist.

Eine Einsicht, die in den Köpfen vieler emsiger Ermittler heute nicht mehr in dieser Klarheit vorhanden ist.

BILD soll nicht an mir verdienen

Die BILD-Zeitung plant für den 23. Juni 2012 einen Coup. Sie möchte an diesem Tag jedem deutschen Haushalt eine kostenlose Ausgabe des Blattes in den Briefkasten legen. Anlass ist der 60. Geburtstag der BILD. Ich gehöre zu den Leuten, die BILD gerne feiern lassen – aber bitte nicht mit mir.

Ich möchte auch keine “Geschenke” von dem Blatt. Das gilt umso mehr, als BILD offensichtlich genau kalkuliert, dass sich ein gewisser Teil der Bevölkerung nicht über das Gratisblatt freuen wird. Im Mediaplan, mit dem BILD seine Sonderausgabe bei den Werbekunden anpreist, wird ausdrücklich positiv hervorgehoben, die Gratisausgabe werde auch “Werbeverweigerern” zugestellt. Was sicher auch ein gutes Argument ist, den gewaltigen Preis von vier Millionen Euro (ohne Umsatzsteuer) für eine ganzseitige Anzeige zu rechtfertigen.

Für mich ist das jedoch, neben dem journalistischen Ethos des Blattes, noch ein Grund alles zu tun, damit die Gratisbild mich nicht erreicht. Ich will nicht, dass die Zeitung vorne von Geschenken plärrt, aber hinten rum mit mir Geld verdient.

BILD beabsichtigt aber offensichtlich, selbst Briefkästen mit dem Aufkleber “Keine Werbung” zu beliefern. In der Tat gibt es Urteile, die sagen, dass dieser Aufkleber nicht für Gratiszeitungen mit redaktionellem Angebot gilt – selbst wenn diese zum Großteil Anzeigen beinhalten und möglicherweise auch Prospekte beiliegen.

Interessant ist natürlich die Frage, ob bei einem Aufkleber mit der konkreten Aufforderung “Bitte keine BILD einwerfen” was anderes gilt. Muster für den Aufkleber kursieren ja schon im Netz.

Überdies gibt es nun auch eine ganz neue Entscheidung des Landgerichts Lüneburg, die für BILD-Verweigerer einen juristisch vielversprechenderen Weg aufzeigt. Das Urteil (früherer Bericht im Blog) sagt nämlich klipp und klar, dass Postwurfsendungen jedenfalls dann unzulässig sind, wenn der Empfänger beim Absender widersprochen hat. Ich werde also mal einen kleinen Brief (vorab als Fax) an den Axel Springer Verlag senden und fordern, mich aus der Empfängerliste zu streichen. Sollte dann doch die BILD im Briefkasten sein, wird man über Unterlassungsansprüche nachdenken können.

Inhaltlich kann man sich bei einer Absage an BILD gut am Musterschreiben orientieren, das der Kölner Rechtsanwalt Andreas Schwartmann veröffentlicht hat.

Finanzamt überweist zu viel – und kriegt nichts zurück

Dank schlampiger Finanzbeamter ist ein Saarländer jetzt rund 85.000 Euro reicher. Diesen Betrag hatte ihm das Finanzamt ohne Grund erstattet – dabei standen dem Mann nur 400 Euro zu. Er darf das Geld endgültig behalten, wie der Bundesfinanzhof nun entschieden hat. Das Finanzamt hat das Geld nicht nur fehlerhaft ausgezahlt, es hat auch die Verjährungsfrist verschlafen.

Der betreffende Bürger hatte allerdings seinen Teil dazu beigetragen, um das Geld zu behalten. Nachdem er die stattliche Summe auf dem Konto hatte, hielt er einfach still. Den Fehler bemerkte das Finanzamt erst, nachdem es den maßgeblichen Einkommenssteuerbescheid vor mehr als fünf Jahren zuletzt geändert hatte.

Irgendwann muss Ruhe sein, befand nun der Bundesfinanzhof. Rückforderungsansprüche der Finanzbehörden verjähren nach seiner Auffassung fünf Jahre nach Erlass des letzten Bescheids. Derselbe Zeitraum gelte ja auch für den Bürger, denn dieser dürfe dann auch keine Erstattungen mehr verlangen, selbst wenn er in der Sache recht gehabt hätte.

Eine Aufklärungspflicht des Zahlungsempfängers sah der Bundesfinanzhof nicht. Wer also unverhoffte Geldgeschenke vom Finanzamt (oder von anderen Behörden) erhält, muss den den Fehler nicht von sich aus melden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.10.11, Aktenzeichen VII R 55/10

Fishing for evidence

Bei manchen Sachen dreht sich mir wirklich der Magen rum. Ich hoffe, man liest das nicht zu sehr aus dem nachfolgenden Schreiben, das ich heute an einen Amtsrichter geschickt habe.

Es geht darum, dass der Mieter einer Wohnung Kindergartenbeiträge schuldete. Die Stadtkasse vollstreckte und besorgte sich einen Durchsuchungsbeschluss. Doch statt nach verwertbarer Habe zu suchen, stocherten die Beamten vornehmlich in privaten Papieren und im (unpfändbaren) Hausrat.

Dabei gingen so so genau vor, dass sie – vornehmlich anhand von Damenkleidung,  Kosmetika und einigen Briefen, die natürlich an Ort und Stelle gelesen wurden – meinten feststellen zu können, dass meine Mandantin gar nicht an ihrer Meldeanschrift wohnt, sondern bei dem Schuldner. Folge war ein Bußgeldbescheid über 200 Euro wegen eines Meldeverstoßes.

Hier meine Eingabe ans Gericht:

In dem Bußgeldverfahren

g e g e n N. S.

beantrage ich,

das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen.

Die von der Ordnungsbehörde angeführten Beweise durften nicht erhoben werden. Sie sind jedenfalls unverwertbar. Die Betroffene rügt dies hiermit.

Es handelte sich ausweislich der Akte um eine Durchsuchung im Rahmen der Zwangsvollstreckung von öffentlich-rechtlichen Forderungen.

Ein derartiger Durchsuchungsbeschluss erstreckt sich darauf, dass die Vollstreckungsbeamten nach pfändbarer Habe des Schuldners suchen. Hier war es aber offensichtlich so, dass die durchsuchenden Beamten gezielt persönliche Unterlagen sowie (wertlosen) “Hausrat” meiner Mandantin, die gar nicht Adressatin des Durchsuchungsbeschlusses war, unter die Lupe genommen haben.

Die Beamten nutzten also die formale Rechtsposition des Durchsuchungsbeschlusses aus, um in Wirklichkeit Ermittlungen zu führen, die von ihrer durch den Durchsuchungsbeschluss abgesteckten Kompetenz gar nicht umfasst waren.

Im Rahmen einer Zwangsvollstreckung, auch einer Durchsuchung, muss im übrigen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt sein. Auch den Vollstreckungsbeamten obliegt es, auf die Privat- und Intimsphäre betroffener Personen Rücksicht zu nehmen. Das gilt insbesondere für am Verfahren unbeteiligte Dritte, hier die Betroffene.

Auch aus diesem Grund bestand überhaupt kein Recht der Vollstreckungsbeamten, offensichtlich unpfändbare Gegenstände wie persönliche Dokumente oder Hausrat darauf zu überprüfen, wer denn nun deren Eigentümer sei und schon zu diesem Augenblick (unausgesprochen) Ermittlungen gegen die Betroffene wegen eines Verstoßes gegen die Meldepflicht zu führen. 

Es handelt sich also nicht um “Zufallsfunde”, die möglicherweise auch in einem Bußgeldverfahren grundsätzlich verwertbar wären. Vielmehr haben die Beamten nicht Zufallsfunde zur Kenntnis genommen, sondern gezielt gesucht, und zwar mit der Zielrichtung, meiner Mandantin einen Verstoß gegen die Meldepflicht anzuhängen. Und das, obwohl sich der Durchsuchungsbeschluss gegen eine dritte Person richtete. Es handelte sich hier eindeutig um gezielte Ermittlungen. So ein „fishing for evidence“ ist aber etwas anderes als ein grundsätzlich verwertbarer Zufallsfund.

Ohne die rechtswidrige Ausnutzung des wegen öffentlich-rechtlicher Forderungen ergangenen Durchsuchungsbeschlusses hätten die angeblichen Beweismittel gar nicht aufgefunden werden können. Die Beamten haben durch ihr Verhalten grob rechtswidrig und im Sinne der Rechtsprechung zu Beweisverwertungsverboten auch willkürlich gehandelt. Die dargelegten rechtlichen Grundsätze sollten ihnen jedenfalls bekannt sein. Somit kann davon ausgegangen werden, dass der Verfolgungseifer mit ihnen durchgegangen ist.

Bei der Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot eingreift, ist abzuwägen zwischen dem staatlichen Strafinteresse und dem Interesse des Betroffenen, aber auch dem Bedürfnis nach Einhaltung rechtsstaatlicher Regeln. Hier ist festzustellen, dass das  Verfolgungsinteresse denkbar gering ist. Es handelt sich noch nicht einmal um eine Straftat, sondern lediglich um eine Ordnungswidrigkeit. Die Abwägung geht hier eindeutig zu Lasten der staatlichen Organe aus.

Nach meiner Auffassung liegt es nahe, das Verfahren nach dem Opportunitätsprinzip einzustellen. Ansonsten würde eine umfangreiche Beweisaufnahme anstehen. Zudem wären die aufgeworfenen Rechtsfragen zu entscheiden. Ich habe nicht den Eindruck, dass der vorliegende Fall dazu taugt, die Ressourcen der Justiz weiter zu belasten.

Rechtsanwalt

Vor E-Zigaretten darf gewarnt werden

Die noch im Handel erhältliche elektronische Zigarette ist nun doch möglicherweise ein Arzneimittel, vor dem NRW-Gesundheitminsterin Barbara Steffens (Grüne) warnen darf. Das ergibt sich aus dem aktuellen Beschluss der 16. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (AZ: 16 L 2043/11). Dorthin hatte sich eine Produktionsfirma der E-Zigarette mit dem Verlangen gewandt, der Ministerin die entsprechenden Behauptungen zu verbieten.

Das Ministerium hatte vor knapp einem Monat gemeldet: "Ministerin Steffens warnt vor Verkauf von illegalen E-Zigaretten: Geschäftsgründungen sind riskant – Gesundheitsschäden zu befürchten". Am selben Tag hatte Steffens verfügt, das Produkt sei wegen des Nikotininhalts eine „Medizin“.

Diese Ansichten verstoßen nach Ansicht des Gerichts nicht gegen die Berufsfreiheit eines Herstellers. Das Ministerium, zuständig für Arzneimittel- und Medizinprodukterecht, sei grundsätzlich befugt, öffentlichkeitswirksame Informationen über neue Entwicklungen in diesem Bereich zu verbreiten und entsprechende Meinungen zu äußern.

Wenn Steffens die E-Zigarette für ein Arzneimittel halte, sei das jedenfalls „vertretbar“. Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Der Hersteller kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Münster einlegen. (pbd)

Schulleiter ohne Peilung

Schummeln bei der Abiturprüfung? Noch dazu mit Smartphones und Internet? Dem Leiter einer österreichischen Oberschule war dieser Gedanke so ein Graus, dass er einfach handeln musste. Er erwarb legal ein Störgerat, mit dem der Handyempfang unterbunden werden kann und stellte es am Prüfungstag im Bereich der Toiletten auf. Das Gerät funktionierte – am Ende hatte aber der Direktor den meisten Ärger.

Der Leiter des Wirtschaftskundlichen Realgymnasiums Salzburg argwöhnte schon länger, dass Schüler bei Klausuren einen Toilettengang nur vortäuschen – und in Wirklichkeit den Prüfungsstoff mit ihrem Smartphone im Internet recherchieren. Das Rezept, die Handys vor Prüfungsbeginn einzusammeln, hat nach Angaben des Rektors nicht gefruchtet. Die Schüler hätten einfach das Uralthandy von der Oma abgegeben, ihr Smartphone aber wahrscheinlich behalten.

Wie auch immer, Rechtskunde gehört möglicherweise eher nicht zu den Schwerpunkten der Schule, denn der Direktor hatte schlichtweg kein schlechtes Gefühl, als er zumindest bei der wichtigen Maturaprüfung 2011 den Handyjammer einsetzte. Jemand in der Schule, so berichtet die österreichische Presse, muss sich allerdings etwas genauer mit der Rechtslage ausgekannt haben. Denn vermutlich habe es einen Tipp an einen Provider gegeben, dessen Mitarbeiter sehr schnell mit Messgeräten aufgetaucht seien. 

Doch nicht nur das. Der Direktor wurde auch mit einem Verwaltungsstrafverfahren überzogen. Denn Handyjammer sind in Österreich zwar frei verkäuflich, sie dürfen aber nur eingesetzt werden, wenn Sicherheitsbehörden dies genehmigt haben. Wer eigenmächtig in den Mobilfunkempfang eingreift, den erwartet eine Geldstrafe bis zu 4.000 Euro.

So weit ließen es die Behörden allerdings nicht kommen. Der gutwillige und arglose Pädagoge kam mit einer Ermahnung davon. Jetzt muss er sich überlegen, wie er künftig Schummeleien mit Hilfe des Internets verhindern kann, ohne mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.

In Deutschland ist die Rechtslage übrigens ähnlich. Der Einsatz von Störsendern kann ein Bußgeld nach sich ziehen oder gar strafbar sein.

Führerschein: Pauschaler Drogenverdacht unzulässig

Wenn es um mögliche Drogensünder am Steuer geht, holen Führerscheinbehörden gern zum Rundumschlag aus. Um ein ärztliches Gutachten kommt der Betroffene sowieso nicht herum. Deshalb wird oft gern pauschal danach gefragt, ob die Gefahr besteht, dass der Autofahrer künftig wieder unter Drogeneinfluss fährt. Dieser weitgehende Gutachtenauftrag kann bei Cannabiskonsumenten rechtswidrig sein, stellt das Verwaltungsgericht Neustadt in einem aktuellen Beschluss fest.

Die Blutprobe eines Autofahrers ergab eine verhältnismäßig geringe Menge Marihuanawirkstoff im Blut. Das Straßenverkehrsamt forderte ihn auf, innerhalb einer Frist ein Gutachten vorzulegen. Die Ärzte sollten sagen, ob sich der Betroffene wieder nach dem Konsum von Betäubungsmitteln ans Steuer setzen wird.

Der Autofahrer verweigerte das Gutachten. Die Behörde entzog ihm darauf mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis. Dagegen legte der Betroffene einen Eilantrag ein, dem das Verwaltungsgericht Neustadt stattgab.

Die Richter halten ein Gutachten zwar für erforderlich. Allerdings konnten sie der Akte keine Indizien dafür entnehmen, dass der Betroffene außer Cannabis auch noch andere Drogen konsumiert. Die Vorschriften lassen aber nur eine “anlassbezogene” Untersuchung zu. Hieraus schließt das Verwaltungsgericht Neustadt, dass sich das Gutachten mangels anderer Verdachtsmomente nur auf Cannabis beziehen durfte. Die Behörde hatte ihre Frage also zu allgemein gestellt.

Verwaltungsgericht Neustadt, Beschluss vom 28.12.2011, Aktenzeichen 1 L 1125/11.NW

Optisch unauffällig

Wahrscheinlich geschah es im Eifer des Gefechts, und der gegnerische Anwalt hatte sich einfach im Gestrüpp der geltend gemachten Ansprüche verwickelt. Für seine Mandanten machte er auch allerhand geltend: Schadensersatz wegen zerstochener Autoreifen, die Kosten einer Videoüberwachung und Unterlassungsansprüche. Da kann man leicht den Überblick verlieren.

Fest steht, dass der Beklagte, mein Mandant, die Autoreifen zerstochen hat. Er schuldet also Schadensersatz. Was mich allerdings wunderte war der Umstand, dass in der Klageschrift die “Eheleute” Paul und Paula Müller gemeinsam die Kosten für neue Reifen und Montage verlangten. Ich entgegnete hierauf etwas, das naheliegt. Dass bei einem ordentlichen deutschen Ehepaar (das habe ich nicht wörtlich so geschrieben) der Ehemann allein Eigentümer und Halter der Familienkutsche ist. Somit ist die Ehefrau juristisch gar nicht in der Position, den Schaden einzuklagen.

Treffer. Der gegnerische Anwalt zeigte sich dennoch kreativ. Dem Gericht erklärte er, die Klägerin sei zwar nicht Eigentümerin oder Halterin. Aber immerhin stehe sie im Versicherungsvertrag als “berechtigte Nutzerin”. Zudem sei die Reparatur aus der Haushaltskasse bezahlt worden. Es handele sich also juristisch um ein “ehebezogenes Geschäft”, so dass die Ehefrau den Betrag sehr wohl einklagen dürfe. Fast trotzig ergänzte der Anwalt, seine Mandantin habe die Sache auch leidvoll gespürt, denn das Geld habe der Familie für Essen, Anschaffungen und Unternehmungen gefehlt.

Wer mehr als zwei Semester Jura studiert hat, kennt den Wert dieser Argumente. Er entspricht ungefähr dem des Euro in einem halben Jahr. Es war in der Sache also kaum mehr als ein geordneter Rückzug. Auch der Richter sagte, es sei immer am besten, wenn Leute nur Ansprüche auch einklagen, die ihnen auch zustehen.

Zum Glück für die andere Seite ging es nicht nur um die etwas verunglückte Klageerhebung. Wir konnten das Thema letztlich dadurch abhaken, dass wir uns auf ein Gesamtpaket einigten. Der unvermeidliche Abschlag wegen der meinem Mandanten zustehenden Verfahrenskosten – er hätte den Prozess gegen die Ehefrau ja in diesem Punkt gewonnen – wurde an anderer Stelle optisch unauffällig verpackt.

Bewährung gegen totales Internetverbot?

Ein komplettes Internetverbot als gerichtliche Weisung – darf es so was geben? Ich verteidige ja häufiger Mandanten, denen Sexualdelikte zur Last gelegt werden. Auch, wenn es um (online bezogene) Kinderpornografie geht. Bislang ist mir aber noch kein Gericht begegnet, das auf den Gedanken gekommen ist, dem Angeklagten nur dann Bewährung zu gewähren, wenn er einen bestimmten Zeitraum offline lebt. Allerdings scheint es so was tatsächlich zu geben.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat schon im Jahr 2010 die gerichtliche Weisung bestätigt, wonach ein Verurteilter vier Jahre jede Nutzung des Internets unterlassen muss und insbesondere keine Internet-Cafés betreten darf. Neulich hatte ich über einen Fahndungserfolg der Tuttlinger Polizei berichtet, die einen wegen Besitzes von Kinderpornografie verurteilten Mann in der City mit einem Smartphone erwischte. Nach der Polizeimeldung hatte er ebenfalls die Weisung, während seiner Bewährungszeit nicht online zu gehen.

Bei einem Termin an einem ostdeutschen Amtsgericht wurde ich heute auch erstmals mit so einer Idee konfrontiert. Normalerweise, erklärte der Staatsanwalt (nicht das Gericht), verlange er bei Bewährungsstrafen wegen des Besitzes von Kinderpornografie immer ein “zweijähriges totales Internetverbot, außerdem die freiwillige Herausgabe aller Computer und Smartphones des Angeklagten”. Das sei auch nichts anderes, als wenn ein Lkw-Fahrer besoffen erwischt wird. “Der ist dann halt den Führerschein los – auch wenn es ihm den Job kostet.”

Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, bis der Staatsanwalt “ausnahmsweise” von der Idee Abstand nahm und sich, wie übrigens auch der Richter, ansonsten als Mensch mit Augenmaß erwies. Dennoch denke ich seitdem darüber nach, ob ein Internetverbot als Weisung im Rahmen der Bewährung tatsächlich vertretbar ist.

In welche Richtung man überlegen muss, verrät der maßgebliche Paragraf 56c Strafgesetzbuch. Darin heißt es zu den zulässigen Weisungen:

Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

Ich finde, das spricht für sich. Der Staatsanwalt war allerdings der Meinung, dass jemand, der an seinem Arbeitsplatz (oder sogar außerhalb der Arbeitszeiten) Mails schreiben oder online gehen muss, halt Pech hat. Dann müsse er halt kündigen – so wie der Führerscheinverlust wegen Alkohol einen Kraftfahrer regelmäßig arbeislos macht. Wir haben auch darüber gesprochen, wie etwa ein Selbständiger so ein Internetverbot bewerkstelligen könnte. Die weitaus meisten Freiberufler wären mit Sicherheit beruflich weg vom Fenster, wenn sie nicht online gehen können.

Dagegen mutet die Frage, ob ein Internetverbot heutzutage privat ebenfalls unzumutbar sein könnte, fast schon nebensächlich an.

Ich warte mit Interesse auf den Tag, an dem einem meiner Mandanten so eine Weisung gegeben wird. Kampflos würde ich sie nicht akzeptieren. Denn, ich wiederhole mich, schon das Gesetz selbst untersagt so ein weitgehendes Verbot.

“Tatort Internet” bringt Bewegung ins Presserecht

Gegen einen Pressebericht zu klagen, der noch gar nicht erschienen und noch nicht mal in Arbeit ist, erschien bislang als aussichtsloses Unterfangen. Da gar nicht klar sein kann, was genau berichtet wird, tun sich Gerichte seit jeher schwer mit vorbeugenden Unterlassungsansprüchen. Zu Recht, denn vorsorgliche Eingriffe riechen nach Zensur. Bewegung in die Sache bringt jetzt ausgerechnet ein seit Anfang an umstrittenes Fernsehformat: “Tatort Internet”. In der Sendung gaben sich volljährige Darstellerinnen als Kinder und Jugendliche aus, um mögliche Kindesmissbraucher vor laufender Kamera zu überführen.

Obwohl überhaupt keine Kinder involviert waren, ließ es sich die Staatsanwaltschaft München I nicht nehmen, zwei in der Sendung vorgeführte Männer wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern anzuklagen. Der zweite Mann sah mit Schrecken, wie eine Münchner Boulevardzeitung über den ersten Prozess berichtete: Der dortige Angeklagte wurde mit Vornamen und abgekürztem Nachnamen benannt. Außerdem zeigte das Blatt ein verpixeltes Foto von ihm, das im Gericht aufgenommen war. Im Artikel selbst waren Wohnort, Beruf und Alter des Angeklagten erwähnt.

Das wollte der zweite Angeklagte nicht erleben. Deshalb erwirkte er eine einstweilige Verfügung gegen das Boulevardblatt, mit der das Landgericht München I der Redaktion verbot, ähnlich wie über das erste Verfahren zu berichten. Nachdem der Strafprozess zwischenzeitlich stattgefunden hatte, mussten die Gerichte jetzt nur noch über die Kosten des Verfahrens entscheiden.

Sowohl das Landgericht München I als auch das Oberlandesgericht München meinten, die Zeitung hätte den Prozess aller Voraussicht nach verloren. Deshalb habe sie die Kosten zu übernehmen. Das Oberlandesgericht München betont zwar, an die sogenannte “Erstbegehungsgefahr” seien hohe Anforderungen zu stellen. Diese seien aber erfüllt.

Durch den ersten Fall sei absehbar gewesen, wie die Zeitung auch über den zweiten Prozess berichten würde. Dabei habe sich das Blatt unzulässig verhalten, denn der erste Angeklagte sei zumindest für seinen Bekanntenkreis (und alle, die etwas online recherchieren können) identifizierbar gewesen. Wieso die Berichterstattung nun moderater hätte ausfallen können, habe die Zeitung im Prozess nicht überzeugend darlegen können.

Als Ausflüchte wertet das Oberlandesgericht die Behauptung der Zeitung, sie habe von dem zweiten Prozess gar nichts gewusst. Das Gericht verweist auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung, in dem der anstehende Prozess erwähnt werde. Dass die Reporter der Boulevardzeitung andere Lokalblätter nicht lesen, wollten die Richter nicht glauben. Ebenso wenig, dass an dem Blatt die üblichen Terminshinweise des Amtsgerichts München einfach so vorüber gehen.

Eine identifizierende Berichterstattung habe also im Raum gestanden. Deshalb sei es wahrscheinlich, dass die einstweilige Verfügung Bestand gehabt hätte.

Künftig kann es also leichter möglich sein, auch einmal vor einem Pressebericht die Veröffentlichung bestimmter Tatsachen untersagen zu lassen. Dabei kann es helfen, wenn sich das verklagte Medium schon ähnlich gelagerte Fehltritte geleistet hat.

Link zum Beschluss

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