Dieser Film macht schwul … meint die FSK
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Natürlich wissen die meisten Polizeibeamten um ihre begrenzten Möglichkeiten im Umgang mit Zeugen. Sie dürfen Zeugen nicht zum Erscheinen zwingen, sie nicht gegen ihren Willen auf die Wache mitnehmen und sie auch auf andere Weise nicht zu einer Aussage nötigen. Kurz gesagt: Ein Zeuge muss bei der Polizei überhaupt nichts.
Eine ebenso überwiegende Mehrheit der Polizisten tut aber nach meiner Erfahrung vieles, um diese Rechtslage nicht überdeutlich werden zu lassen. Das beginnt ja schon damit, dass die unverbindlichen Einladungen für Zeugen mit der gängigen Überschrift “Vorladung” den Touch des Verpflichtenden bekommen.
Es geht weiter mit der Behauptung, dem Zeugen stehe nach Lage der Dinge kein Aussage- oder Auskunftsverweigerungsrecht zu, deshalb sei er zur Aussage verpflichtet. Dass ein Zeuge unabhängig von solchen Rechten mit der Polizei schon mal grundsätzlich nicht sprechen muss, bleibt gern unerwähnt.
Natürlich gibt es trotzdem immer wieder Leute, die ihre Rechte kennen. So eine Zeugin, die ich vertrete. Sie ist der ersten Vorladung nicht gefolgt. Jetzt erhielt sie ein Schreiben mit einem zweiten Termin bei der Polizei und dem Hinweis, bei unentschuldigtem Fehlen müsse sie “mit einer staatsanwaltschaftlichen Vorladung bzw. Vorführung rechnen”.
Die Finesse steckt hier im Detail, nämlich der beiläufigen Drohung mit einer Vorführung. Das ist schlicht Irreführung. Ich habe der Polizeibeamtin folgendes geantwortet:
Ich erlaube mir den Hinweis, dass die von Ihnen in der Ladung dargestellte Alternative „staatsanwaltschaftliche Vorladung bzw. Vorführung“ so nicht existiert. Auch die Staatsanwaltschaft kann einen Zeugen erst vorführen lassen, wenn sie (d.h. die Staatsanwaltschaft) diesen ordnungsgemäß zur Vernehmung geladen hat. Die Vorführung ist nämlich nur im Falle des unberechtigten Ausbleibens oder unberechtigter Weigerung des Zeugen zulässig.
Die Polizei hat keinerlei eigene Rechte, Zeugen zum Erscheinen zu zwingen. Ich bitte Sie höflich, Angeschriebene künftig nicht mit falschen Angaben zu verunsichern.
Mal sehen, ob die betreffende Polizistin den Textbaustein weiter verwendet. Falls ja, schreibe ich vielleicht mal ihrem Vorgesetzten.
Die Verbraucherzentralen nehmen Inkassobüros ins Visier. Eine Studie belegt, dass Willkür und Phantasiegebühren Inkassoforderungen in schwindelerregende Höhen treiben. Besonders kreativ sind nach den Erkenntnissen der Verbraucherzentralen Inkassofirmen, die für die Betreiber von Abofallen im Internet arbeiten.
Ausgewertet wurden rund 4.000 Verbraucherbeschwerden über unseriöse Inkassopraktiken. 99 Prozent der Beschwerden haben sich nach Angaben der Verbraucherzentralen als berechtigt erwiesen. „Unseriöses Inkasso ist eine bedrohliche Plage. Abzocke und Einschüchterung müssen deshalb endlich gestoppt werden“, fordert Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv).
Die nicht repräsentative Untersuchung zeigt: In 84 Prozent der Fälle war bereits die Hauptforderung unberechtigt, in 15 Prozent der Fälle blieb auch auf Nachfrage unklar, ob es sich um eine berechtigte Forderung handelt. Lediglich ein Prozent der erfassten Inkassoforderungen waren eindeutig berechtigt.
Meist stehen unberechtigte Inkassoforderungen im Zusammenhang mit untergeschobenen Verträgen, die durch Abofallen im Internet, unerlaubte Telefonwerbung oder Gewinnspielwerbung angebahnt wurden. „Viele Betroffene zahlen aus Unkenntnis und Angst selbst unberechtigte Forderungen“, berichtet Olaf Weinel, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Niedersachen. Verbraucher fühlten sich bedroht und eingeschüchtert.
Vielfach sorgen – auch bei berechtigen Forderungen – Phantasiegebühren für eine Kostenexplosion der Gesamtrechnung. So verlangten Inkassounternehmen in rund 50 Prozent der ausgewerteten Fälle nicht nachvollziehbare Gebühren, Auslagen oder Zinsen.
Unterm Strich erhöhte sich dadurch die Summe der Hauptforderungen von rund 490.000 Euro auf Gesamtforderungen in Höhe von rund 750.000 Euro.
“Inkasso braucht Regeln, gesetzliche Informationspflichten, verlässliche Gebührenvorgaben und eine schlagkräftige Aufsicht“, lautet das Fazit von Gerd Billen. Auch der Bundesrat und die Verbraucherschutzministerkonferenz fordern konkrete Maßnahmen im Kampf gegen unseriöses Inkassogebaren. Gefordert sei das Bundesjustizministerium.
Inkassounternehmen können nach den Feststellungen bislang ihre Gebühren nach Gutsherrenart nahezu willkürlich festlegen. Das Prinzip ist einfach: Eine auf den ersten Blick kleine Hauptforderung bläht sich durch Phantasiegebühren, Aufschläge und Zinsen zu einem Vermögen auf. So wachsen Bagatellforderungen zu Beträgen von mehreren Hundert oder gar tausend Euro an. Ein krasser Fall aus der Schuldnerberatung: Die Hauptforderung belief sich auf 20,84 Euro, am Ende wurde die Zahlung von 1.200 Euro verlangt. „Angeschwollene Bagatellforderung“ nennen das die Fachleute.
Rund drei Viertel der in der Untersuchung befragten Verbraucher fühlten sich von den Inkassoschreiben bedroht und eingeschüchtert. Gedroht wird mit Hausbesuchen, einem Eintrag bei der Schufa oder Lohn- und Kontopfändung. „Ein Inkassounternehmen drohte mit der Beauftragung einer Detektei, die Vermögens- und Arbeitsverhältnisse des Schuldners auszuspionieren – wegen einer Hauptforderung von 15,87 Euro“, berichtet Olaf Weinel.
Auch sonst könne die Unternehmen weitgehend unkontrolliert agieren. „Ein Mangel an effektiven Kontrollen und Sanktionen ist geradezu eine Einladung für Betrüger“, sagt Gerd Billen. Bundesweit sind rund 80 Aufsichtsbehörden für Inkassounternehmen zuständig. Eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein im Jahr 2010 ergab, dass bundesweit lediglich in zwei Fällen Inkassofirmen aufgrund von Verbraucherbeschwerden die Zulassung entzogen wurde.
Auch die Selbstregulierung der Branche funktioniere nicht. So geben die „berufsrechtlichen Richtlinien“ des Bundesverbandes Deutscher Inkassounternehmen (BDIU) weder eine Gebührenordnung noch konkrete Informationspflichten vor.
Die Adventsverlosung im law blog geht in die Schlussrunde. Noch bis Sonntag, 4. Dezember, können Leser beim Gewinnspiel mitmachen. Es gibt zehn Anwaltskalender 2012 des Düsseldorfer Karikaturisten wulkan zu gewinnen.
Die Spielregeln stehen hier. Wer noch mitmachen möchte, kann auch zu diesem Beitrag einen Kommentar hinterlassen. Es erhöht aber nicht die Gewinnchancen, hier nochmals zu posten, da wir doppelte Teilnehmer aussortieren. Bitte denkt daran, dass die Gewinner nur über die hinterlassene E-Mail-Adresse kontaktiert werden; diese sollte also gültig sein.
Wer nicht auf sein Glück vertraut oder mehr als einen Kalender möchte, kann das Werk auch bei wulkan direkt ordern (wulkan@arcor.de, Telefon 0172 200 35 70). Die Kalender kosten 19,90 Euro zzgl. 5,80 Euro Versandkostenpauschale. Gewinne und Bestellungen werden rechtzeitig vor Weihnachten versandt.
Normalerweise schütze ich Überlastung vor oder verweise auf meine Vorliebe fürs Strafrecht, wenn mir Nachbarschaftsstreitigkeiten angetragen werden. Der Fall, der vor einigen Tagen reinkam, hat jedoch seinen Reiz.
Mein Mandant wohnt im Erdgeschoss. Er darf den Garten hinter dem Haus alleine nutzen. Ein schöner Garten übrigens; er ist mit einer dichten Hecke, Bäumen und einem Zaun vor der Nachbarschaft abgeschirmt. Die Nachbarin Frau Böse zog vor einiger Zeit in den ersten Stock. Das Verhältnis war von Anfang an unterkühlt. Wobei das eher nicht an meinem Mandanten liegen dürfte; den kenne ich schon seit vielen Jahren als umgänglichen Menschen.
Nun begab es sich im September, dass mein Mandant an einem schönen Spätsommertag sein Hemd auszog und im Garten zur Tat schritt. Diverse Gehölze mussten getrimmt werden. Das wiederum gefiel Frau Böse ganz und gar nicht, denn sie ist nach eigenen Angaben fast so was wie eine gelernte Juristin. Oder kennt zumindest einen Juristen. So genau hat mein Mandant das nicht verstanden. Jedenfalls war sich Frau Böse aufgrund ihrer Fachkenntnis sicher, dass mein Mandant gegen die örtliche Gartensatzung oder Naturschutzgesetze verstößt, wenn er im September bei Sonnenschein das Messer an die Pflanzen setzt.
Darauf hat Frau Böse meinen Mandanten aber nicht angesprochen. Sie behielt ihre Bedenken für sich, schlich sich dafür aber auf den Balkon und erstellte ein paar aussagekräftige Fotos. Diese zeigen, wie mein Mandant mit entblößtem Oberkörper Gartenarbeit verrichtet. Die Bilder schickte Frau Böse ans Gartenamt und die Vermieterin. Natürlich mit einem Brief, in dem sie den Umweltfrevel meines Mandanten bitterlich beklagt.
Allerdings weiß Frau Böse wohl nicht, dass mein Mandant im öffentlichen Dienst ist und es mit Vorschriften ziemlich genau nimmt. Weder der Vermieter noch das Gartenamt sahen trotz der Beweismittel einen Grund zum Einschreiten. Mein Mandant hatte sich nämlich vor den Arbeiten extra beim zuständigen Mann des Gartenamtes erkundigt, was er beachten muss. Und an diese Vorgaben hielt er sich auch. Das von Frau Böse angestoßene Ordnungwidrigkeitenverfahren gegen meinen Mandanten wurde sogleich mangels Tatverdachts eingestellt.
Als mein Mandant erfuhr, dass sich nun in der Vermietungsakte und in den Unterlagen des Gartenamtes Oben-ohne-Fotos von ihm finden, war er nicht erbaut. Vor allem möchte er nicht, dass die Dame die Fotos noch weiter verbreitet. Oder gar neue schießt.
Also eine Abmahnung. Die haben ich nicht nur auf das Recht am eigenen Bild und das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützt, sondern auch auf den Paparazzi-Paragrafen. Der Schutz des höchstpersönlichen Lebensbereichs gilt, entgegen weit verbreiteter Annahme, keineswegs nur für Prominente. Auch der Garten kann zu diesem geschützten Lebensbereich gehören, jedenfalls wenn er wie der meines Mandanten “gegen Einblick besonders geschützt” ist (Hecken, Bäume, Zaun).
Bleibt eigentlich nur die Frage, ob die Vorschrift dann nicht gilt, wenn gar nicht durch den Sichtschutz fotografiert wird. Von ihrem Balkon im ersten Stock hat Frau Böse nämlich ungehinderten Blick in den Garten. Nach meinem Verständnis stellt das Gesetz nur darauf ab, ob sich durch den Sichtschutz für den Betroffenen das berechtigte Gefühl ergibt, ziemlich privat sein zu können. Auch ein Foto, das aus von einer Rampe oder einem Fluggerät geschossen wird, wird ja nicht dadurch erlaubt, weil der Sichtschutz wirkungslos geblieben ist.
Ein Nachbarschaftsstreit mit besonderer Note also. Mein Mandant ist sich sowieso sicher, dass die Sache vor Gericht geht. Vielleicht hören wir ja von dort ein paar klärende Worte zum Paparazzi-Paragrafen. Die könnten für jeden Gartenbesitzer interessant sein.
Zu den Pflichten eines Verkäufers in einem Laden gehört es auch, die Augen nach Dieben offen zu halten. Übertriebene Anforderungen dürfen an ihn aber nicht gestellt werden. Dies hat das Arbeitsgericht Oberhausen klargestellt. Das Gericht wies die Klage eines Telefonshopbetreibers gegen einen Angestellten ab, während dessen Schicht zwölf Handys aus dem Lager geklaut wurden.
Der mit rund 1.300 Euro brutto bei einem Vollzeitjob eher mager bezahlte Verkäufer befand sich gerade im Kundengespräch, als ein Unbekannter sich Zutritt zum Lager verschaffte. Von dort entwendete der Unbekannte Telefone mit einem Wert von rund 6.000 Euro. Der Verkäufer hatte das nicht bemerkt.
Das Arbeitsgericht Oberhausen sah keinen Grund, den Arbeitnehmer für den Verlust haften zu lassen. Es liege nur leichteste Fahrlässigkeit vor, demnach müsse der Arbeitgeber den Schaden alleine tragen.
Nach der Rechtsprechung haften Arbeitnehmer überhaupt erst ab durchschnittlicher Fahrlässigkeit, wobei der Schaden in diesem Fall meist zwischen Arbeitgeber und Angestelltem geteilt wird. Eine Rolle spielt hier auch immer, in welchem Verhältnis der Schaden zum Einkommen des Mitarbeiters steht. Bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz müssen Arbeitnehmer komplett für Schäden aufkommen, die sie während der Arbeitszeit anrichten.
Arbeitsgericht Oberhausen, Urteil vom Urteil vom 24.11.2011, Aktenzeichen 2 Ca 1013/11
Es klingt zunächst wie eine Posse. Die Polizei in Taufkirchen/Bayern hat Ermittlungen aufgenommen, weil an einem Dönerstand, bei Kik und an einem Drogeriemarkt seltsame Plakate hingen. Sie zeigten alle ein Porträt Adolf Hitlers, verbunden mit der Textzeile:
Der Verfassungsschutz bittet um Mithilfe: Wer kennt diesen Mann?
Laut Süddeutscher Zeitung hat die Polizei insgesamt fünf solcher Plakate sichergestellt. Die Beamten hätten sogleich ausdrücklich spekuliert, als Täter komme ein Rechtsradikaler in Betracht. Aber auch Störfeuer von anderer Seite, im Sinne einer “Provokation des Verfassungsschutzes”, wollten sie nach dem Bericht nicht gänzlich ausschließen.
Sicher kann man von den Beamten nicht verlangen, dass sie Satirezeitschriften lesen. Aber sehr weit können die Ermittlungen noch nicht fortgeschritten gewesen sein, als sie ihre Mutmaßungen bekannt gaben. Denn immerhin wäre es wenigstens mit Hilfe von Google ziemlich leicht gewesen, wenigstens der ideologischen Quelle des Flugblatts auf die Spur zu kommen. Bei Eingabe des Textes verweist die Suchmaschine in den ersten Treffern auf Berichte zum aktuellen Titelbild der “Titanic”:
Quelle: Titanic
Die Plakate waren vom Titelbild der Titanic kopiert.
Der Fairness halber muss man einräumen, dass die Einleitung von Ermittlungen gar nicht mal so absurd ist. Kopfbilder Adolf Hitlers sind nämlich verbotene Nazi-Symbole. Jedenfalls dann, wenn sie Hitler ikonenhaft darstellen und früher amtlich verwendet wurden. Das hat der Bundesgerichtshof mal entschieden.
Ebenso ist aber heute geklärt, dass die Verwendung von Nazisymbolen jedenfalls dann nicht strafbar ist, wenn die inhaltliche Aussage sich gegen den Nationalsozialismus wendet oder was völlig anderes bezweckt als rechte Werbung. Angesichts der aktuellen Debatte um die deutschen Sicherheitsdienste dürfte sich der Tatverdacht gegen den bislang unbekannten Plakatkleber deshalb schnell in Luft auflösen.
Wie auch immer, ein Blick ins Internet hätte den Ermittlern doch schnell weiter geholfen. Vielleicht beim nächsten Mal…
Wenn Banken für Geldkarten Limits einrichten, schützt dies auch den Kunden. Der Bundesgerichtshof hat deshalb heute entschieden, dass ein Kreditkartenkunde auch bei missbräuchlicher Nutzung der Karte nur auf den Höchstbetrag haftet. Es fällt in den Verantwortungsbereich der Bank, wenn diese sich nicht wirksam um die Einhaltung des Limits gekümmert hat.
Mit der vermutlich gestohlenen Kreditkarte eines Kunden waren in einer Nacht 3.000 (6 x 500) Euro vom Geldautomaten abgehoben worden. Die Bank selbst hatte aber einen täglichen Höchstbetrag von 1.000 Euro festgelegt. Trotzdem verlangte sie den vollen Betrag vom Kreditkartenkunden. Zu Unrecht, befinden die Karsruher Richter. Ein Limit diene nicht nur der Bank, sondern auch dem Schutz des Kunden. Deshalb müsse die Bank sich darum kümmern, dass auch im Falle eines Kartenmissbrauchs nur der tägliche Höchstbetrag ausgezahlt wird.
Tatsächlich muss der Kunde möglicherweise sogar nur 50,00 Euro zahlen. Die Bank verwendete nämlich eine Klausel, dass die Haftung des Kunden auch bis zum Eingang der Sperrmeldung auf diesen Betrag beschränkt ist. Offenbar hatte die Bank vergessen aufzunehmen, dass die 50-Euro-Grenze dann nicht gilt, wenn dem Kunden grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, zum Beispiel bei einer notierten PIN. Der Bundesgerichtshof nimmt die Bank beim Wort und geht davon aus, dass der Kunde selbst dann nur 50 Euro zahlen muss, wenn er den Kartenmissbrauch verschuldet hat.
Der Fall wurde ans Landgericht zurückverwiesen, damit der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden kann.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. November 2011, Aktenzeichen XI ZR 370/10
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlicht heute ein interessantes Dokument. Es handelt sich um eine interne Anleitung der Generalstaatsanwaltschaft München zur Telefon- und Internetüberwachung. Titel: “Leitfaden zum Datenzugriff” (Link zum PDF). Die Unterlagen geben einen umfassenden Einblick, was heute für die Ermittlungsbehörden möglich ist und wie Ermittlungsmaßnahmen im einzelnen angestoßen werden.
Das Papier listet die Standardmaßnahmen auf, bietet im Detail aber doch sehr interessante Informationen. Dass etwa die SIM-Module neuer Wagen zur Standortbestimmung genutzt werden können, ist zwar bekannt. Für mich neu ist aber die Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft München, dass eine Ortung des Wagens auch zulässig sein soll, selbst wenn keine besonders schwere Straftat und keine richterliche Anordnung vorliegen.
Mit anderen Worten: Auch beim Verdacht auf “normale” Straftaten meinen die Münchner Fahnder, ohne besondere Genehmigung Fahrzeuge über die bordeigenen Systeme tracken zu dürfen. Begründet wird dies damit, dass es ausreicht wenn eine “Einverständniserklärung” des Herstellers und des Fahrzeugeigentümers vorliegt. Fahrzeugeigentümer kann ja auch ein Dritter sein, z.B. Autovermietung, Arbeitgeber oder Leasingfirma.
Auf “privatrechtlicher Schiene” soll der Staatsanwalt dann ein GSM-Tracking über einen Location-Based-Service-Dienst anstoßen. Das heißt wohl, der Ermittler beauftragt eine Spezialfirma, die ihm die aktuellen Standortdaten dann bei den Providern mit der Begründung besorgt, der Eigentümer und der Kfz-Hersteller hätten dieser Datenabfrage zugestimmt. Die Fahrer und sonstigen Insassen des Pkw erfahren davon möglicherweise aber nichts.
Auch auf Mautdaten sollen die Staatsanwälte zugreifen dürfen. Zwar wird im Leitfaden erwähnt, dass diese Daten nur für Mautzwecke verwendet werden dürfen. Die Behörde ist aber der Meinung, dies entfalle bei “Einverständnis” des Betroffenen, zum Beispiel des Spediteurs. Das ist falsch. Das Gesetz verbietet die Verwertung der Mautdaten für alle anderen Zwecke. Auch ein Einverständnis ändert daran nichts. Außerdem ist Betroffener ja in der Regel weniger der Spediteur, sondern der Fahrer.
Weiter erfahren wir, dass eine Zielwahlsuche derzeit nur eingeschränkt möglich ist. Bei der Zielwahlsuche wird geschaut, wer einen bekannten Anschluss angerufen hat. Diese Funktion haben die Telefonanbieter laut dem Papier mit dem Aus für die Vorratsdatenspeicherung zurückgefahren. Die Telekom biete derzeit eine Zielwahlsuche für die letzten drei Tage an.
Für Datenabfragen bei Providern fordert der Leitfaden Staatsanwälte auf, einen “einheitlichen, gesamten Zeitraum” anzugeben, weil “im Falle einer Stückelung nach Tagen oder Stunden die Beauskunftung jedes gesonderten Zeitabschnitts in Rechnung gestellt wird”. Diese Praxis ist klar rechtswidrig, denn es dürfen nur notwendige Daten erhoben werden.
Bei der Überwachung von Telefonaten mit dem Ausland scheint es erhebliche Probleme zu geben. Laut dem Leitfaden gibt es viel zu wenige Abfragemöglichkeiten. So seien die “Auslandsköpfe” etwa der Telekom bereits für Jahre ausgebucht. Anscheinend bestehen also im Bereich Auslandsgespräche handfeste Defizite, obwohl man doch vermuten dürfte, dass gerade Terroristen und die organisierte Kriminalität ihr Aktivitäten eher nicht an den Landesgrenzen orientiert.
Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist hierüber auch verwundert und schlägt vor, solche offenkundigen Lücken zu schließen, statt die Komplettüberwachung unbescholtener Bürger per Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen.
Für das e-Ticketing der Deutschen Bahn gibt es bereits ein durchdachtes Überwachungszenario. Durch die Abrechnung übers Mobiltelefon verfüge die Deutsche Bahn über die Daten sämtlicher Funkzellen, die der Nutzer durchfahren hat. Diese Daten könnten herausverlangt werden. Praktischer Nebenaspekt:
Aufgrund der Abrechnung mittels E-Mail ist auch die E-Mail-Adresse hinterlegt. Diese kann von der Deutschen Bahn herausverlangt und ggf. anschließend überwacht werden.
Bei UMTS-Datenkarten ist es laut Leitfaden nicht möglich, den Nutzer zu ermitteln. Die Provider müssten nämlich die Ports der mobilen Internetnutzung nicht speichern. Somit kann ein UMTS-Nutzer allenfalls identifiziert werden, wenn er zum fraglichen Zeitpunkt allein in eine UMTS-Funkzelle eingebucht war.
Viele Ermittlungsbehörden halten die IMEI-Nummer eines elektronischen Geräts immer noch für eine Art Fingerabdruck. In München ist man da weiter:
Es gibt Computerprogramme, die eine Manipulation ermöglichen. … Auf diese Weise kommen viele Geräte auf den Markt.
Der Leitfaden enthält auch eine aktuelle Aufstellung, wie die großen deutschen Provider Telefon- und Internetdaten speichern.
Weitere Informationen beim Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
Richter müssen zwar nicht emotionslos sein, sich aber doch einigermaßen im Zaune halten. Eher schlecht gelungen ist dies einem Zivilrichter am Landgericht Hagen. Der Jurist quittierte die verspätete Vorlage eines Schriftsatzes mit den Worten, es sei schön, dass sich der Beklagtenvertreter noch am 08.05.2011, einem Sonntag und immerhin dem Jahrestag des Kriegsendes, die Mühe gemacht habe, einen Schriftsatz zu fertigen und diesen zum Gericht zu bringen.
Hierauf reagierte der Anwalt des Beklagten mit einem Befangenheitsantrag, dem das Oberlandesgericht Hamm stattgab:
Bereits mit dem Hinweis, die Klageerwiderung sei noch am 08.05.2011, einem Sonntag und immerhin dem Jahrestag des Kriegsendes gefertigt worden, hat der Richter seinen (weiten) Verhaltensspielraum verlassen.
Die Herstellung eines – wie auch immer gemeinten – zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Fertigung eines Schriftsatzes im vorliegenden Rechtsstreit und dem Ende des 2. Weltkrieges, der unsäglich viel Leid hervorgerufen und Millionen Menschen das Leben gekostet hat, kann nicht mehr als ungeschickte oder auch unglückliche Formulierung verstanden, sondern muss in aller Deutlichkeit als gänzlich sachwidrige, verbale Entgleisung bezeichnet werden.
Von einem Richter kann und muss auch in der Einordnung historischer Ereignisse mehr Fingerspitzengefühl erwartet werden.
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 6. Oktober 2011, Aktenzeichen I-32 W 19/11
Das Landgericht Darmstadt hat die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Magnus Gäfgen abgelehnt. Gäfgen wurde vom Landgericht Frankfurt am Main im Jahre 2003 aufgrund seines Geständnisses in der Hauptverhandlung wegen Mordes und Menschenraub zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht stellte außerdem die besondere Schwere der Schuld fest.
Mit dem Wiederaufnahmeantrag machte Gäfgen geltend, dass im Hinblick auf
die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom
01.06.2010 die Voraussetzung des § 359 Nr. 6 Strafprozessordnung (StPO) erfüllt
sei: Der Gerichtshof habe eine Verletzung des Artikels 3 der Konvention (Folterverbot) festgestellt, auf welcher das Urteil des Landgerichts Frankfurt auch beruhe.
Das Landgericht Darmstadt hat diesen Antrag zurückgewiesen, da ein Wiederaufnahmegrund nicht vorliege.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe zwar wegen der Bedrohung durch die Polizei eine Verletzung des Verurteilten in seinem Recht nach Artikel 3 EMRK festgestellt. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt beruhe aber nicht auf diesem Verstoß, sondern ausschließlich auf dem in mündlicher Hauptverhandlung abgegebenen Geständnis des Verurteilten. Seine Angaben im Ermittlungsverfahren gegenüber der Polizei hat das Gericht seinerzeit ausdrücklich als unverwertbar angesehen.
Die nun vorgebrachten Tatsachen über die Art und Weise der Beweiserhebung und
Beweisermittelerlangung seien auch keine “neuen Tatsachen” im Sinne des Gesetzes. Dem Landgericht Frankfurt sei das Vorgehen der Polizei nach Gäfgens Festnahme bekannt gewesen.
Die Veröffentlichung von Personalien ist der Preis der Pressefreiheit.
Hans-Christian Ströbele in der taz vom 19. Dezember 2010
(Danke an Frank Nocke für den Hinweis, früherer Bericht im law blog)
Heute ab 11 Uhr wird Nordrhein-Westfalens Justizminister Thomas Kutschaty vor etwa 500 Schülerinnen und Schülern bildlich gesprochen auf die Knie gehen! Denn er wird, so kündigt es jedenfalls der Pressesprecher des Landgerichts Arnsberg an, den jungen Damen und Herren des Gymnasiums Petrinum in Brilon „seinen tief empfundenen Respekt zum Ausdruck bringen“.
Wieso? Der Minister empfindet womöglich Ehrfurcht davor, dass sich die Schülerinnen und Schüler so was antun. Und was macht der Minister in Brilon? Er wird für einige Schulstunden, ja doch, „selbst unterrichten“. Das außerplanmäßige Fach Rechtskunde. So lässt es Arnsbergs Landgerichtsprecher Peter Marchlewski „mit großer Freude“ wissen.
Woher diese Verzückung kommt, macht er auch klar. Die „wichtige Veranstaltung“ soll den Gymnasiasten beispielsweise verklickern, wie sie „das Eigentum an dem Brötchen erlangen, das sie in der Pause beim Bäcker kaufen“. Denn, schrecklich, „das wissen sie nicht“! Dabei sei das doch „ein juristisches Basiswissen“, schreibt Marchlewski. Das sei nicht nur notwendig, „um sich vor der Handyfalle … zu schützen“, nein!, es macht auch groß und stark, um „im Alltag bestehen zu können“.
Also, aufgepasst, denn schon aus der Ankündigung des Events lässt sich einiges lernen: „Das Rechtssystem lebt von der aktiven Geltendmachung der Rechte durch die Bürgerinnen und Bürger.“ Mehr noch: In einer „immer komplexer werdenden Gesellschaft“ werde es „auch immer wichtiger, dass gerade junge Menschen die Grundzüge des Rechtssystems verstehen“.
Wäre ja auch betrüblich, wenn ein junger Mensch ohne die Lehrstunde eines Justizministers womöglich den Unterschied zwischen mein und dein nicht kennt. Oder nicht weiß, dass die Staatsmacht das Monopol zur (körperlichen) Gewalt hat.
Oder gar keine Ahnung davon hat, wie und warum mit welchem Recht der Sozialdemokrat Thomas Kutschaty erst Schüler war, dann Anwalt wurde, dann Minister und sich nun als Lehrer versucht.
Einen geplanten Berufswechsel allerdings dementiert der Minister.
Kutschaty wird also kaum landauf, landab auf Missionstour gehen und dabei womöglich nebenbei frische, künftige Referendare für die stets unterbesetzte, ach so notleidende Justiz rekrutieren. Dann müsste er den Schülern womöglich auch sagen, dass sie dort mitunter für lange Zeit kleine Brötchen backen müssen. (pbd)