Auch Mieter müssen zu ihrem Wort stehen

Für die Nebenkostenabrechnung hat der Vermieter zwölf Monate Zeit. Bis dahin muss er sie aber nicht nur fertigstellen, sondern dem Mieter auch zukommen lassen. Deshalb kommen Vermieter mitunter zum Ende des Jahres ins Schwitzen, weil die Abrechnungen spätestens am 31. Dezember bei ihren Mietern im Briefkasten liegen müssen.

Ein Vermieter war nicht nur sehr spät mit der Abrechnung fertig. Ausgerechnet am Silvestertag war auch noch das Wetter schlecht, so dass er sich nicht auf den Weg zu seinen Mietern machen wollte. Er rief deshalb die Mieter an und fragte, ob er die Abrechnung in der ersten Januarwoche bringen kann. Die Mieter waren einverstanden.

Später berief sich der Mieter aber aufs Gesetz. Das erklärt die Zwölfmonatsfrist nämlich zur absoluten Obergrenze. Außerdem sind Abweichungen zu Ungunsten des Mieters grundsätzlich unwirksam. Hierauf berief sich der Mieter und wollte seine Zusage nicht mehr gelten lassen.

Das Landgericht Koblenz gab allerdings dem Vermieter recht. Nach Auffassung der Richter verstößt es gegen Treu und Glauben, wenn der Mieter dem Vermieter aus freien Stücken entgegenkommt und später nichts mehr davon wissen will. Überdies sei schlechtes Wetter ein nachvollziehbarer Grund gewesen. Wenn diese beiden Faktoren zusammenkämen, greife die gesetzliche Höchstfrist nicht ein.

Landgericht Koblenz, Urteil vom 28.Januar 2010, Aktenzeichen 14 S 318/08

Nutella-Etikett kann Verbraucher täuschen

Die Vitamin- und Nährwertangaben sind auf dem Nutella-Glas so gestaltet, dass sie Verbraucher in die Irre führen können. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) gegen die Ferrero Deutschland GmbH. Das Unternehmen hatte den Prozentsatz der empfohlenen Tagesmenge bei Fett und Vitaminen anhand unterschiedlicher Grundmengen berechnet. Dadurch entstand der Eindruck, der Vitaminanteil sei besonders hoch.

Konkret war der Prozentsatz der empfohlenen Tagesmenge von Nährstoffen (zum Beispiel Fett und Kohlenhydrate) anhand einer Portion von 15 Gramm, der von Vitaminen dagegen im Bezug auf 100 Gramm errechnet worden. Das Ergebnis: Die Angaben für Vitamine lagen bei 30 und 78 Prozent, bei Kohlenhydraten und Fett dagegen bei 3 und 7 Prozent.

Nach Auffassung des vzbv konnten Verbraucher daraus den Schluss ziehen, Nutella enthalte sehr wenig Fett und Kohlenhydrate, dafür aber viele gesunde Vitamine. „Tatsächlich ist der Vitaminanteil in einer Portion Nutella viel geringer als gedacht“, so Vorstand Gerd Billen. Der vzbv beanstandete die Werbung daher als irreführend.

Dieser Auffassung schloss sich das Oberlandesgericht in zweiter Instanz an. Die Richter urteilten, Vitamin- und Nährwertangaben müssten so dargestellt werden, dass sie in der typischen Kaufsituation richtig verstanden werden. Im Geschäft würden Verbraucher sich eher an den Prozentzahlen in der Tabelle orientieren und übersehen, dass die Bezugsgrößen variieren.

111118a

Das beanstandete Nutella-Etikett. Foto: vzbv

Polizei Brandenburg: kleiner Anlass, großer Einsatz

Gewerkschafter und Politiker beklagen gern die Überlastung der Polizei. Manchmal scheinen die Probleme aber auch hausgemacht, wie eine Geschichte aus Brandenburg zeigt. Sie ist jedenfalls ein schönes Beispiel dafür, welche Schwerpunkte Polizeibehörden mittlerweile setzen. Und wie leicht sie die Verhältnismäßigkeit der Mittel aus den Augen verlieren.

80 Polizisten waren an einer Suchaktion rund um die Justizvollzugsanstalt Brandenburg beteiligt, berichtet die Agentur dapd. Sie suchten nach einem Inhaftierten, der sich abgesetzt hatte. An sich kann so ein Großeinsatz natürlich gerechtfertigt sein, etwa wenn man es mit einem Flüchtigen zu tun hat, der als gewälttätig oder sonstwie gefährlich gilt.

Davon kann bei dem Betroffenen aber kaum die Rede sein. Zunächst saß er seit seinem Haftantritt am 10. November im offenen Vollzug, da gibt es sowieso keine wirksamen Fluchthemmnisse. Anlass für sein Verschwinden war vermutlich, dass er in den geschlossenen Vollzug verlegt werden sollte. Die Haftanstalt vermutete Drogenkonsum.

Das ist aber noch nicht alles. Der Mann ist gar nicht zu einer Haftstrafe verurteilt. Vielmehr war er besoffen Auto gefahren und hatte dafür eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen kassiert. Die er dann nicht zahlte. Deshalb musste er nun die Ersatzfreiheitsstrafe antreten – ein Tag Haft für jeden Tagessatz. Das Besondere an der Ersatzhaft ist, dass ein Betroffener sie jederzeit beenden kann. Er oder jemand, der es gut mit ihm meint, braucht nur den noch nicht abgebüßten Teil der Geldstrafe zu zahlen. 

Selbst der Polizeisprecher räumt ein, von dem Mann gehe keine Gefahr aus. Wenn er nicht gezahlt hätte, wäre der Mann noch stolze zwei Monate im Knast geblieben. Hinter so jemandem läuft die Polizei also mit 80 Mann her. Und findet ihn noch nicht mal. Da darf man durchaus fragen, ob solche Manpower an anderer Stelle nicht vielleicht besser eingesetzt wäre.

Es müsste ja nicht gleich die Jagd nach rechtsradikalen Terroristen sein.

Vermummungsverbot im Straßenverkehr?

Polizeimeldung:

Einer Streife der Autobahnpolizei Gau-Bickelheim fuhr gestern der Schreck in die Glieder, als sie auf der A63 einen Pkw entdeckte, in dem ein Mann saß, der seinen Kopf mit einer Sturmhaube vermummt hatte und von dem nur die Augen durch einen schmalen Schlitz zu sehen waren. Ein Bankräuber vielleicht oder der gesuchte Autobahnschütze?

Das Fahrzeug konnte kurz vor Mainz mit Hilfe weiterer Polizeistreifen gestoppt werden. Mit der nötigen Vorsicht und gezogenen Waffen wurde der Wagen umstellt und der erschrockene Fahrer kontrolliert. Der Grund für seine Vermummung war bemerkenswert: Der unbescholtene junge Mann aus dem Kreis Alzey-Worms wollte einen Beitrag zum Energiesparen leisten und schaltet deshalb in seinem Auto grundsätzlich keine Heizung ein. Bei niedrigen Temperaturen muss er sich dick vermummen, um nicht zu frieren.

Er wurde eingehend über die erheblichen Folgen solchen Verhaltens belehrt und gelobte, über andere Möglichkeiten des Energiesparens nachzudenken.

Eine Belehrung ist ja schön und gut – juristisch wird man den Autofahrer aber eher nicht belangen können. Ein Vermummungsverbot gilt in Deutschland nur bei Versammlungen, wobei auch der Weg zum Versammlungsort eingeschlossen ist. Sofern der Autofahrer nicht ausgerechnet zu einer Demo wollte, greift das Versammlungsgesetz nicht ein.

Die Straßenverkehrsordnung regelt nur, dass Sicht und Gehör nicht beeinträchtigt werden dürfen. Die Verkehrssicherheit des Fahrzeuges ist auch nicht gestört. Allerdings gibt es ein paar Stimmen, die “Verkleidungen” – jedenfalls außerhalb der heißen Karnevalsphase – für unzulässig halten. Aber auch da geht es eher darum, ob man in einem Affenkostüm sicher Auto fahren kann.

Auch die Kosten des Einsatzes könnten einen Gedanken wert sein. Eine Gefahr bestand nicht, aber Verwaltungsrichter sind schnell mit der “Anscheinsgefahr” zur Hand. Wenn jemand den begründeten Anlass zur Annahme gibt, er verhalte sich rechtswidrig, reicht das mitunter schon aus, um ihn zur Kasse zu bitten. 

Ohnehin regelt es die normative Kraft des Faktischen ja auch hier. Woanders und ohne einen Autobahnschützen auf der Fahndungsliste hätte die Polizei wahrscheinlich ebenso zugegriffen und die Sache aufgeklärt. Ich würde mich ehrlich gesagt auch erschrecken, wenn ich im Nachbarwagen so ein “Gesicht” sähe.

Mahnbescheid: Falsche Angaben können Betrug sein

Wer in einen Mahnbescheidsantrag bewusst falsche Angaben einträgt, kann sich strafbar machen. Das Oberlandesgericht Celle bestätigte die Verurteilung eines Mannes wegen versuchten Betrugs. Der Betreffende hatte Forderungen aus “Schuldanerkenntnis” geltend gemacht, obwohl es diese Anerkenntnisse gar nicht gab – ebenso wenig wie die angeblichen Forderungen selbst.

Dabei hatte der Mann sogar einen Schuldner, nämlich seinen Kunden. Dieser Kunde stand bei ihm wegen 11.590 Euro in der Kreide. Dummerweise hatte der Kunde aber die eidesstattliche Versicherung abgegeben und galt somit als zahlungsunfähig. Der Gläubiger verlangte das Geld nun, ohne jede Rechtsgrundlage, von der Lebensgefährtin und den Eltern seines Kunden und beantragte schließlich die Mahnbescheide. Weil das Verfahren weitgehend automatisiert und ohne Sachprüfung abläuft, hat das Amtsgericht die Mahnbescheide auch erlassen.

Das Oberlandesgericht Celle geht mit seiner Einschätzung neue Wege. Bislang war eher die Einschätzung anzutreffen, dass das Mahngericht die Angaben nur auf Plausibiliät prüft, sich aber keine Gedanken über die Forderung an sich macht. Weil der zuständige Rechtspfleger am Amtsgericht den Antrag entweder gar nicht sieht oder jedenfalls zulässige Angaben wie “Schuldanerkenntnis” sachlich nicht überprüft, könne er auch nicht irren. Mangels Irrtum ist ein Betrug aber nicht möglich.

Diese Hürde überwindet das Oberlandesgericht Celle mit beachtlicher Kraftanstrengung. Gleiches gilt für das Problem, dass ein Mahnbescheid das Vermögen des Antragsgegners noch nicht konkret gefährdet. Ein Zahlungstitel entsteht nämlich erst mit dem Vollstreckungsbescheid, der nur erlassen wird, wenn der Antragsgegner keinen Widerspruch einlegt. Hier hilft sich das Oberlandesgericht Celle mit dem sehr weitherzigen Argument, schon der Mahnbescheidsantrag setze eine Ursachenkette in Gang, die als Tathandlung angesehen werden könne.

Die notwendige Täuschung bejaht das Oberlandesgericht deswegen, weil der Antragsteller irrtümlich davon ausgegangen sei, am Amtsgericht werde sein Antrag auch sachlich geprüft. Hier hat sich der Angeklagte offenbar selbst geschadet, indem er sich in der Hauptverhandlung unwissend gab. Er wäre auf jeden Fall besser gefahren, wenn er nichts gesagt hätte. Oder allenfalls, er wisse doch sehr gut, dass am Mahngericht alles automatisch abläuft.

Auch wenn das Urteil inhaltlich fragwürdig ist, müssen Gläubiger künftig sorgfältiger sein, wenn sie Mahnbescheide beantragen. Ein Gutes hat die Entscheidung aber auf jeden Fall. Sie kann auch gegen die Betreiber von Abofallen verwendet werden. Diese beantragen ja gerne Mahnbescheide, obwohl sie es von Gerichten häufig schwarz auf weiß haben, dass sie kein Geld von ihren vermeintlichen Kunden verlangen dürfen.

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 1. November 2011, Aktenzeichenn 31 Ss 29/11

Kein Schmerzensgeld für heißen Kaffee

Coffee to go ist eine Gefahrenquelle. Dies erfuhr eine Frau am eigenen Leib, die im Auto einen frisch erworbenen Kaffeebecher vorübergehend zwischen ihren Oberschenkeln platzierte. Der Deckel war lose oder ploppte ab. Die Frau erlitt Verbrennungen zweiten Grades, muss die Folgen aber alleine tragen. Die Frau hatte rund 1.500 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz geltend gemacht. Das Landgericht München I wies ihre Klage ab.

Die Richter machten es sich nicht leicht. In der Verhandlung nahmen sie sogar diverse Becher des Schnellrestaurants in Augenschein. Sie prüften insbesondere, ob und wie die Deckel schließen. Letztlich war nicht zu klären, ob der Mitarbeiter des Restaurants den Deckel richtig aufgesetzt hatte.

Allerdings kam es auf diese Frage aber nicht entscheidend an. Die Frau treffe nämlich in jedem Fall ein überwiegendes Verschulden, befanden die Richter. Ihr sei bekannt gewesen, dass sich in dem Becher heiße Flüssigkeit befindet. Sie habe deshalb in jedem Fall prüfen müssen, ob der Deckel fest sitzt.

Die Verkehrssicherungspflicht des Restaurants gehe nicht so weit, seinen Kunden jegliches Risiko abzunehmen. Jeder müsse eigenverantwortlich handeln und geeignete Maßnahmen ergreifen, um eine erkennbare Gefahr für eigene Rechtsgüter abzuwenden.

Urteil des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 30 S 3668/11 vom 10.11.11

Strafverfolger haben keine Probleme mit dem Bayerntrojaner

Die Staatsanwaltschaft München I sieht keinen Grund, wegen des Bayerntrojaners zu ermitteln. Eine Strafanzeige der Piratenpartei gibt den Ermittlern keinen Anlass, ein Verfahren einzuleiten. Die Begründung ist fadenscheinig, meint Rechtsanwalt Thomas Stadler. Er hatte die Strafanzeige formuliert.

Konkret ging es um einen Fall, bei dem das bayerische Landeskriminalamt an sich nur die Kommunikation überwachen durfte, die ein Beschuldigter über seinen Computer führte. Das bedeutet, die Polizei durfte VoIP-Gespräche mithören und Nachrichten abfangen. Mit Hilfe des Bayerntrojaners spähte sie jedoch auch Inhalte aus. So übermittelte der Trojaner tausende tausende Screenshots, während der Betroffene an seinem Computer arbeitete.

Die Staatsanwaltschaft zieht sich laut Stadler nun auf folgenden Standpunkt zurück:

Denn die Installation der betreffenden Software erfolgte gerade nicht unter Überwindung einer besonderen Sicherung, sondern auf der Grundlage der vorgenannten Gerichtsbeschlüsse.

Davon kann aber nun gerade keine Rede sein. Der Ermittlungsrichter hatte den Beschluss eindeutig formuliert. Es stand gerade drin, dass andere Maßnahmen als die Telekommunikationsüberwachung unzulässig sind. Darüber, so Stadler, haben sich die Polizisten hinweggesetzt. Ihr Verhalten war also gerade nicht vom Richter abgesegnet. Deshalb hat auch später das Landgericht bestätigt, die Maßnahmen seien rechtswidrig gewesen.

Auch die weiteren Gründe scheinen nicht sonderlich fundiert. Stadler zitiert noch den Hinweis, zu dem Komplex gebe es noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Dass das Bundesverfassungsgericht schon regelrechte Gebrauchsanweisungen dafür veröffentlicht hat, welche Grenzen bei der Ausspähung von Computern zu beachten sind, scheint der Staatsanwaltschaft München I entgangen zu sein.

Überdies richtet sich die Frage nach einer Strafbarkeit natürlich nicht danach, ob schon mal Gerichte über ein bestimmtes Verhalten befunden haben. Aber selbst dann wäre es Aufgabe der Staatsanwaltschaft, den vermeintlich ungeklärten Raum zu schließen. Ein Gericht kann nämlich nur Antworten geben, wenn die Strafverfolger eine Anklage erheben.

Zeitdruck ist beim Urintest nicht erlaubt

Sieben Tage Radio- und Fernsehverbot sowie Einzelhaft. Mit dieser Sanktion belegte die Justizvollzugsanstalt Charlottenburg einen Gefangenen, weil dieser eine Urinprobe verweigert hatte. Zumindest nahm die Gefängnisleitung das an. Das Kammergericht Berlin hat ihr jetzt aber erklärt, dass nicht jedes ungefüllte Probenglas auf Böswilligkeit beruhen muss.

Der Gefangene war am Morgen zur Urinprobe gebeten worden, um ihn auf Drogen zu testen. Das kam für ihn überraschend. Zwar folgte er den Beamten in den vorgesehenen Raum. Er wies aber auch gleich darauf hin, dass er wohl so schnell nicht pinkeln kann, weil er das gerade in der Zelle erledigt hatte. Man reichte ihm hierauf 0,6 Liter Wasser, die er auch trank.

Trotzdem kam nichts, und zwar 90 Minuten lang. Die Mitarbeiter der JVA brachen die Aktion ab und beantragten die Strafe für den Gefangenen. Dieser wehrte sich jedoch. Er leide seit seinem zwölften Lebensjahr unter Harnverhaltung (Panuresis) und könne deshalb mitunter einfach kein Wasser lassen. Das habe psychische wie physische Ursachen.

Die Anstaltsärztin erklärte lediglich, nach einem Konsum von 0,6 Litern Wasser habe der Gefangene auf jeden Fall urinieren können. Das Kammergericht Berlin kritisiert zunächst, dass sich das Gefängnis gar nicht dafür interessiert, ob der Betroffene nicht vielleicht wirklich unter Harnverhaltung leidet. Behaupte ein Gefangener eine Erkrankung, müsse dies auch ernstgenommen werden.

Ein Urintest dürfe überdies nicht einfach als verweigert gewertet werden, bloß weil eine bestimmte Zeit vergangen ist. Vielmehr sei es wie bei einer Dopingprobe im Sport. Der Getestete müsse so lange Zeit bekommen, wie er braucht. Eine Weigerung liege nur vor, wenn er dies durch Worte oder Gesten deutlich mache. So lange nur der Urinfluss ausbleibe, der Gefangene sich aber weiter willig gebe, müsse auf ihn gewartet werden.

Da die Justizmitarbeiter zu ungeduldig waren, wurde die Disziplinarmaßnahme zu Unrecht verhängt.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 1. September 2011, Aktenzeichen 2 Ws 383/11 Vollz

Bearbeitungstrupp

Behörden- und Juristendeutsch sind nicht unbedingt Idiome, die jedermann versteht. Wer aber in dieser Sprachwelt heimisch ist, wird sich vielleicht sehr wundern, dass etwa Demonstranten stutzen, wenn sie am Rande des Protestzuges so ein Einsatzfahrzeug der Polizei sehen:

111115 Polizei 

Foto: Rudi Wall

Jüngst wurde der Bearbeitungstrupp bei der Hamburger Demonstration “Mietwahnsinn” Ende Oktober gesichtet, wo auch das Foto entstand. Er löste bei einigen Passanten Skepsis aus. In der Tat kann man ja mal fragen: Werden dort Fälle bearbeitet? Oder gar Menschen? Die Antwort des Verantwortlichen, von der mir berichtet wird, fiel erwartungsgemäß aus. Das kann man gar nicht falsch verstehen. Weitergehen.

Mir war ein Bearbeitungstrupp bislang auch nicht untergekommen. Ich hatte zuerst die Idee, es handele es sich womöglich um die mobile Buchhaltung, bei der sich Beamte Spesen auszahlen lassen können, zum Beispiel dienstlich veranlasste Parkgebühren. Aber nein, auch das ist falsch.

Der Bearbeitungstrupp gehört zu einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) der Bereitschaftspolizei (BePo). Wikipedia erklärt deren Aufgabe so:

Die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten der Bereitschaftspolizei und der Bundespolizei unterstützen andere Polizeikräfte beim Vorgehen gegen gewalttätige Störer und führen beweissichere Festnahmen an den Brennpunkten unfriedlichen Geschehens durch. Hauptaufgabenfeld der BFE ist die Beweissicherung und die Festnahme von Straftätern.

In Hamburg gibt es zwei BFE. Sie sind Teil der TEE (Technische Einsatzhundertschaft). Der Bearbeitungstrupp ist offiziell tatsächlich „nur“ das Büro der Beamten der Beweissicherungs- und Festnahmetrupps, die den operativen Kern einer BFE bilden. Das ergibt sich aus der eher unspektakulären Ausstattung. Wikipedia hebt lediglich hervor, die Fahrzeuge des Bearbeitungstrupps seien mit zwei Mann und “teilweise mit Internet, Mobilfaxgerät und Drucker” ausgestattet. Das belegt dann schon eher die Vermutung, um was es drinnen im Normalfall geht bzw. gehen soll.

law blog-HTTPS wird abgeschaltet

Hinweis aus dem Maschinenraum: Seit nun eineinhalb Jahren gibt es testweise auch die Möglichkeit, lawblog.de über HTTPS zu erreichen.

Nachdem es aber auch jetzt noch immer wieder zu Mißverständnissen und Rückfragen der Besucher wegen der Zertifikatswarnung kommt, wird ab Ende der kommenden Woche lawblog.de nur noch über HTTP erreichbar sein – bitte passt Eure Bookmarks und Feed-Urls entsprechend an.

Natürlich ist es auch möglich, durch ein bezahltes Zertifikat diese Warnung auch zu beseitigen. Da aber nur 0,5% des täglichen Besucherverkehrs überhaupt über HTTPS auf lawblog.de zugreift, würde diese Investition nur wenig Sinn machen. Hinzu kommt, dass HTTPS durch die Server-Architektur auch auf Server-Seite höheren Wartungsaufwand mit sich bringt, der so ebenfalls eingespart werden kann.

Update: Da ich gerade mehrfach darauf hingewiesen wurde: StartSSL und die Möglichkeit, dort auch kostenlos Zertifikate zu bekommen sind mir bekannt. Wie ja auch in diesem Posting ausgeführt ist es keine finanzielle Entscheidung. Primär steht Support- und Adminaufwand schlichtweg in keinem Verhältnis zu der minimalen Nutzung von https.

Weihnachtspaket für Gefangene

Weihnachten ist für Gefangene eine bedrückende Zeit. Der normale Gefängnisalltag ruht, es gibt wenig Abwechslung. Nach Hause dürfen nur wenige. Für die diejenigen, die Weihnachten in der Haftanstalt verbringen müssen, ist die Einsamkeit besonders spürbar.

Ein Weihnachtspaket bringt etwas Freude hinter Gittern. Viele Gefangene haben niemanden mehr „draußen“, der an sie denkt. Kontakte zu Freunden und Verwandten verlieren sich besonders nach einer längeren Haftzeit.

Der Verein Freiabonnements für Gefangene bemüht sich seit langem darum, auch diesen “vergessenen” Menschen einen kleinen Lichtblick zu geben. Zu seinen jährlichen Aktionen gehören die Weihnachtspakete, die jeder selbst packen oder packen lassen kann.

Mit einem Weihnachtspaket erhalten Gefangene das Gefühl, nicht vergessen zu werden und es wird eine Brücke zur Gesellschaft gebaut. Wie wichtig das vor allem an Weihnachten ist, ergibt sich jährlich aus vielen Dankesbriefen, die der Verein auch an die Spender weiter leitet.

Wer den Verein unterstützen möchte – jetzt ist die richtige Zeit für eine Bestellung. Es besteht dabei keine Verpflichtung, gegenüber Gefangenen seinen Namen oder Adresse anzugeben.

In Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen dürfen nach Einführung der neuen Landesstrafvollzugsgesetze bereits in diesem Jahr schon gar keine Weihnachtspakete mehr verschickt werden. Das gilt auch für Untersuchungshäftlinge. Den Inhaftierten dort kann man aber mit einer Geldspende für den Weihnachtseinkauf helfen.

Im nächsten Jahr werden weitere Bundesländer folgen, die jetzt noch keine neuen Landesjustizgesetze haben. Das bedeutet: keine Weihnachtspakete mehr für Gefangene ab 2012.

Promis dürfen Paparazzi abschießen

Das Foto an sich ist unspektakulär. Es zeigt Jörg V., als Journalist unter anderem für Bild tätig, wie er eher gelangweilt in einem unauffälligen weißen Auto sitzt und eine Qualitätszeitung liest. Trotzdem ist das Bild auch ein Akt der Notwehr. Wettermoderator Jörg Kachelmann veröffentliche seinen Gegen-Schnappschuss, der in der Nähe von Kachelmanns Schweizer Wohnung entstand, im März 2011 auf Twitter. Er wollte damit zeigen, wie die Boulevardpresse ihm nachstellt. Auf so eine Art der Öffentlichkeit stand wiederum Reporter V. ganz und gar nicht. Er verklagte Kachelmann auf Unterlassung. Damit blitzte er nun jedoch vor dem Landgericht Köln ab.

Laut Kachelmann hatte Jörg V. ihm tagelang aufgelauert, obwohl jeder wusste, dass er seine Ruhe haben wollte. Der Reporter habe sein Auto etwa 200 Meter von Kachelmanns Wohnung geparkt, aber so, dass er stets Sichtkontakt gehabt habe. Von dieser Warte habe er Kachelmanns Grundstück observiert, dieses aber auch unerlaubt betreten und Nachbarn und Anwohner über Kachelmann ausgefragt.

Das Landgericht Köln sieht in dem Foto ein zeitgeschichtliches Dokument:

Der Umgang der Medien mit Prominenten, insbesondere die Art und Weise wie die Berichterstattung über Prominente und die Bebilderung derselben erfolgt, ist bereits grundsätzlich von gesellschaftlicher Relevanz und von öffentlichem Interesse, da der Umgang miteinander die gesellschaftlichen Grundlagen berührt.

Dieses öffentliche Interesse ist im vorliegenden Fall zudem noch dadurch gesteigert, dass die Berichterstattung über den Kläger, das gegen diesen geführte Strafverfahren aber auch der Umgang der Medien hiermit, ein wesentliches Thema der Jahre 2010 und 2011 war und großen öffentlichen Widerhall gefunden hat. Die Öffentlichkeit hat daher ein Interesse daran zu erfahren, wie diese Berichterstattung zustande kommt.

Jörg V. dürfe sich auch nicht Unrecht als Sündenbock hingestellt sehen. Denn er habe selbst publizistisch Dreck am Stecken. Daran lässt das Landgericht Köln keinen Zweifel:

Der Beklagte, wenn auch selbst nicht bekannt, war in seiner Eigenschaft als Journalist und Fotograf … an dieser vielfach persönlichkeitsrechtsverletzenden (Bild-) Berichterstattung über den Kläger beteiligt. Dies und seine Arbeitsweise wird durch die streitgegenständliche zeitnah veröffentlichte Fotografie dokumentiert, die geeignet ist, einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung über die Umstände von Medienberichterstattung zu erbringen.

Bemerkenswerterweise hat sich der Paparazzo auch mit dem Argument verteidigt, das Foto verletze seine Privatsphäre. Dem kann das Landgericht Köln schon vom Ansatz her nicht folgen. Auch wenn der Journalist nichts anderes tue, als in seinem Auto rumzusitzen und Zeitung zu lesen, sei er doch bei seiner Arbeit fotografiert worden. Dies sei eine typische  “Vorbereitungshandlung für weitere journalistische Maßnahmen mit Bezug auf den Kläger”.

Im gleichen Prozess untersagt das Kölner Landgericht auch, ein Bild weiter zu zeigen, das den mittlerweile freigesprochenen Jörg Kachelmann in der Untersuchungshaft beim Hofgang zeigt. Dazu hatte sich der Fotograf Zugang zu einem Gebäude gegenüber dem Gefängnishof verschafft, das gerade umgebaut wurde. Dort wartete er, bis er Kachelmann bei seinem Rundgang abschießen konnte.

Der Fotograf war Jörg V.

Landgericht Köln, Urteil vom 9. November 2011, Aktenzeichen 28 O 225/11

Burnout an der Parkuhr

Geradezu ungeheuerliche Nachrichten aus Berlin. Was Diplomaten schon lange dürfen, soll Polizisten künftig verwehrt bleiben – ihr Dienstfahrzeug, egal ob Streifenwagen oder ziviles Gefährt, nach Lust und Laune ins Halteverbot zu stellen. Der Polizeipräsident hat den Beamten mitgeteilt, dass sie nur dann verbotswidrig parken dürfen, wenn dies „zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist“. Andere Ausnahmen kennt die Straßenverkehrsordnung übrigens auch gar nicht.

Was nichts anderes bedeutet, als dass sich Ermittler jedenfalls künftig einen ordentlichen Parkplatz suchen müssen, sofern die Verkehrssünde für ihre Arbeit nicht zwingend ist. Sogar die Nutzung von kostenpflichtigen Parkhäusern und Parkplätzen sinnt der Polizeipräsident seinen Mitarbeitern an. Verauslagte Parkgebühren können sie natürlich als Spesen geltend machen.

An sich sollte es für Gesetzeshüter selbstverständlich sein, sich selbst ans geltende Recht halten. Aber so einfach ist die Sache nicht. Eine wichtige Interessenvertretung, der Bund Deutscher Kriminalbeamter, fordert per Stellungnahme tatsächlich eine Ausnahmeregelung, nach der Polizisten ihre Dienstfahrzeuge auch in nicht dringenden Fällen kreativ abstellen dürfen, ohne wie Otto Normalverbraucher ein Knöllchen zu kassieren.

Mein Lieblingsargument:

Die Suche nach einem kostenfreien Parkplatz nimmt wertvolle Zeit in Anspruch.

Tja, wer könnte von dieser Malaise nicht ein Liedchen singen? Millionen Bundesbürger, ob nun privat oder beruflich unterwegs, altern täglich auf der Parkplatzsuche. Sie alle können ihre wertvolle Zeit nicht produktiver nutzen. Aber was einem Normalo zugemutet wird, ist für einen gestressten Polizeivollzugsbeamten anscheinend unzumutbar.

Die weitaus meisten Arbeitnehmer sind auch seit jeher in der Lage, ihre Spesen abzurechnen. So was scheint bei der Polizei aber Schweißausbrüche auszulösen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass der Bund Deutscher Kriminalbeamter geradezu ängstlich fragt:

Wie viel Kleingeld muss ich für eine Schicht einplanen?

Bei der Polizei lauert der Burnout offensichtlich quasi schon an der Parkuhr.

Was wirklich hinter der Empörung steckt, verrät der Bund Deutscher Kriminalbeamter in seinem Schlusssatz. Danach versteht man die Forderung der “vollen Hingabe” zum  Polizistenberuf anders als der Polizeipräsident und fordert eine “Ausnahmeregelung”.

Mit anderen Worten: Das Engagement im Job hängt doch auch immer vom Spaßfaktor ab. In der Stadt frei nach Schnauze parken, und das noch unter den neidischen Blicken der Mitmenschen, spielt da ganz bestimmt eine nicht ganz unbedeutende Rolle.

“Tierliebhaber” dürfen keinen Verein gründen

Ein Verein, der sich der “partnerschaftlichen Liebe zum Tier” verschrieben hat, ist in Deutschland unzulässig. Das Kammergericht in Berlin verweigerte nun die Eintragung des Vereins. Begründung: Sexuelle Kontakte zu Tieren verstoßen gegen das Tierschutzgesetz. Außerdem bestehe die Gefahr, dass der Verein im Rahmen seiner Arbeit Tierpornografie verbreitet.

Die Antragsteller hatten im Satzungsentwurf darauf hingewiesen, es gehe ihnen auch um die “nach geltendem deutschen Recht erlaubten sexuellen Kontakte zu Tieren”. Das Kammergericht Berlin hält dies aber für nicht für zulässig. Zwar ist das Sexverbot mit Tieren Ende der Sechziger Jahre aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden. Jedoch ist nach Auffassung der Richter auch der allgemein gehaltenere § 17 Tierschutzgesetz zu beachten:

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer … einem Wirbeltier a) aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder b) länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.

Die Beteuerung des Vereins, es gehe nicht um die Vergewaltigung von Tieren, sondern allenfalls um “einvernehmliche” Sexualkontakte, wollen die Richter nicht gelten lassen. Sie sehen bereits eine unüberwindliche Hürde:

Das Tier kann jedoch seinen Willen als Sexualpartner nicht objektiv erkennbar äußern und sich nicht gegen ihm zugefügte Schmerzen oder Leiden adäquat schützen oder zur Wehr setzen. Hier denkbare Penetrationen von Wirbeltieren oder das (auch unbeabsichtigte) Quälen von Tieren zur Befriedigung des Sexualtriebs stellen subjektiv und objektiv tatbestandlich die Zufügung sich wiederholender erheblicher Leiden der Tiere gemäß § 17 TierschutzG dar.

Auch dem Vereinszweck, die Öffentlichkeit über Zoophilie zu informieren, kann das Gerichts nichts abgewinnen. Es fehle die nötige Abgrenzung zwischen erlaubten Informationen und der Verbreitung von Tierpornografie. Zwar ist der Besitz solcher Schriften nicht (mehr) strafbar, wohl aber die Weitergabe und Verbreitung.

Kammergericht Berlin, Beschluss vom 2. September 2011, Aktenzeichen 25 W 73/11