München: Richter wirft Anwalt raus – wegen fehlender Krawatte
Schleswig-Holstein bald Facebook-freie Zone?
Schleswig-Holstein soll Facebook-freie Zone werden – zumindest wenn es nach Thilo Weichert geht. Der Chef des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) fordert per Pressemitteilung alle Behörden, Unternehmen und privaten Webseitenbetreiber in Schleswig-Holstein auf, mit Facebook Schluss zu machen. Konkret sollen sie alle Fanpages bei Facebook entfernen und “Gefällt mir”-Buttons von ihren Seiten verbannen.
Die Stellungnahme ist mal wieder das übliche Gepolter, mit dem Weichert schon in Sachen Google Analytics aufgefallen ist. Auch mit offenen Drohungen spart das ULD diesmal nicht:
Das ULD erwartet von allen Webseitenbetreibern in Schleswig-Holstein, dass sie umgehend die Datenweitergaben über ihre Nutzenden an Facebook in den USA einstellen, indem sie die entsprechenden Dienste deaktivieren. Erfolgt dies nicht bis Ende September 2011, wird das ULD weitergehende Maßnahmen ergreifen. Nach Durchlaufen des rechtlich vorgesehenen Anhörungs- und Verwaltungsverfahrens können dies bei öffentlichen Stellen Beanstandungen nach § 42 LDSG SH, bei privaten Stellen Untersagungsverfügungen nach § 38 Abs. 5 BDSG sowie Bußgeldverfahren sein. Die maximale Bußgeldhöhe liegt bei Verstößen gegen das TMG bei 50.000 Euro.
Das ULD knüpft also nahtlos an die Kampagne an, mit der Verbraucherministerin Ilse Aigner gescheitert ist. Jedenfalls ist es der Politikerin trotz ihrer Verbalattacken bis heute nicht gelungen, das US-Unternehmen Facebook auf das deutsche Datenschutzrecht einzuschwören.
Genau diesen Datenschutz sieht Weichert nun so bedroht, dass er nicht nur auf Ämter, sondern alle Firmen und Bürger seines Landes losgeht, ihnen mit Abschaltung ihrer Netzangebote und Bußgeldern bis 50.000 Euro droht. Dem ULD ist vor allem ein Dorn im Auge, dass über Social-Plugins von Facebook Nutzerdaten in die USA übertragen und dort verarbeitet werden.
Fest steht: Niemand weiß genau, welche Daten Facebook sammelt, wie die Daten aufbereitet, gespeichert und an Dritte verkauft werden. In einer Analyse der Facebook-Praxis stützt sich das ULD vornehmlich auf Erkenntnisse, die jedermann mit dem Tool “Facebook Insights” ermitteln kann. Zusammengefasst lautet das Ergebnis: Facebook informiert Nutzer nicht ausreichend über die Verwendung der Daten, eventuell verlangte Einwilligungen sind unwirksam, selbst Nichtmitglieder bei Facebook laufen Gefahr, bis zu zwei Jahre “getrackt” zu werden.
An all dem ist was dran; die Kritik an der Datenkrake Facebook ist im Grunde richtig. Aber trotzdem sind die Drohungen gegen alle Schleswig-Holsteiner, die Plugins von Facebook verwenden, ein Armutszeugnis für das ULD. Statt sich mit dem wirklichen Gegner Facebook anzulegen und auf Verbesserungen zu drängen, versuchen es Weichert und seine Leute über die Einschüchterung harmloser Facebook-Nutzer. Darunter, das sei nicht vergessen, befinden sich auch viele Unternehmen, die ohne Marketing über Facebook womöglich keine oder nur weniger Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein anbieten könnten.
Es wird interessant sein zu sehen, ob neben der schleswig-holsteinischen Wirtschaft auch im Lande ansässige Medien, Blogger und Quartzillionen Teenager vor Weichert kuschen. Oder ob sie ihm die lange Nase zeigen und ihn damit als Papiertiger entlarven.
Gezielte Überwachung
“Gezielte Überwachung”, vermerkten die Polizeibeamten stolz in der Anzeige. Ihre Ausbeute: unter anderem mein Mandant, der am Steuer unerlaubt ein Handy in der Hand gehalten haben soll. Das sollte nach dem Willen des Ordnungsamtes 40 Euro kosten und einen Punkt in Flensburg bringen.
Immerhin schaffte es die Stellungnahme meines Mandanten ebenfalls in die Akte. “Ich habe mit meiner Brille gespielt”, verteidigte er sich vor Ort. Klingt jetzt nicht sonderlich originell. Deshalb war mir schon klar, dass es im Gerichtstermin mal wieder sehr darauf ankommen wird, ob und was die Beamten tatsächlich gesehen haben. Oder anders gesagt: Wie sehr gelingt es mir als Verteidiger, Polizeimeister Adlerblick aufs Glatteis zu führen?
Überraschenderweise wird es aber dazu nicht kommen. Der Amtsrichter hat das Verfahren von sich aus eingestellt und der Landeskasse die Kosten auferlegt, “weil eine Ahndung nicht geboten erscheint”. Er darf das, weil bei Ordnungswidrigkeiten das Opportunitätsprinzip gilt. Das ermöglicht es den Verantwortlichen, ganz legal auch einfach mal ein Auge zuzudrücken.
Vielleicht hat der Richter geahnt, worauf es bei der Beweisaufnahme hinausläuft. Womöglich ist er aber auch einfach nur genervt davon, dass die Polizei in seinem Ort die “gezielte Überwachung” von Handysündern als eine Art Lebensaufgabe begreift – was man bei möglicherweise drängenderen Kriminalitätsproblemen vielleicht nicht unbedingt sagen kann.
Sofern der Richter das gesamte Ergebnis der “gezielten Überwachung” so abgebügelt hat, wäre das ein Signal in die richtige Richtung. Ob’s bei den Verantwortlichen ankommt und für etwas mehr Augenmaß sorgt, dürfte aber mehr als fraglich sein.
Wenn das Handy vor dem Blitzer warnt
Zu den beliebten Apps gehört blitzer.de – gleichermaßen erhältlich fürs iPhone und für Android. Das Programm bestimmt über das im Handy eingebaute GPS die aktuelle Position und greift dann auf eine Datenbank stationärer und mobiler Radarfallen zurück. Auch die Standorte mobiler Blitzer sind meist topaktuell, denn jeder Nutzer kann von unterwegs aus eine Überwachungsanlage melden. Praktischerweise geht das mit einem Klick.
Blitzer.de ist aus Sicht eines Autofahrers sicher praktisch, ebenso wie vergleichbare Apps oder die ja schon länger, wenn auch meist über Drittanbieter, erhältliche Warnsoftware für die meisten Navigationsgeräte. Dem offenkundigen “Nutzen” steht aber auch ein rechtliches Risiko gegenüber. Denn die Nutzung der App während der Fahrt dürfte gemäß § 23 Straßenverkehrsordnung verboten sein. Darin heißt es:
Dem Führer eines Kraftfahrzeuges ist es untersagt, ein technisches Gerät zu betreiben oder betriebsbereit mitzuführen, das dafür bestimmt ist, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören. Das gilt insbesondere für Geräte zur Störung oder Anzeige von Geschwindigkeitsmessungen (Radarwarn- oder Laserstörgeräte).
Auch die Telefonapp zeigt Verkehrsüberwachungsmaßnahmen an. Bei stationären Blitzern kann man noch ein wenig darüber streiten, ob diese nicht als statische “Points of interest” (POI) geltend und somit gezeigt werden dürfen. Manche Navihersteller vertreten diese Auffassung. Ihre Geräte zeigen deshalb stationäre Radarfallen an. Bei den mobilen Radarfallen erübrigt sich aber die Diskussion. Blitzer.de und andere Warnapps erfüllen mit der Anzeige mobiler Tempokontrollen die Voraussetzungen der Vorschrift. Es ist also untersagt, mit angeschaltetem blitzer.de Auto zu fahren (es sei denn vielleicht, man deaktiviert die Warnung vor mobilen Radarfallen).
Die große Frage ist, ob die App vielleicht schon als “betriebsbereit” gilt, bloß weil sie auf dem Mobiltelefon installiert ist. Urteile zu der Frage gibt es noch nicht. Das Amtsgericht Lüdinghausen hat allerdings mal für einen mobilen Radarwarner entschieden, dieser sei nicht betriebsbereit, wenn er nicht per Batterie betrieben werden kann und die Polizei kein Stromkabel im Auto findet. Der Gedanke lässt sich allerdings nur schwer eins zu eins auf installierte Software übertragen – die startet ja nun mal mit einem Tastendruck.
Gegen eine Betriebsbereitschaft der ausgeschalteten App spricht jedenfalls, dass die Software nach ihrem Start etwas braucht, bis das GPS die Position lokalisiert hat. Ich meine deshalb, dass die App frühestens betriebsbereit im Sinne des Gesetzes ist, wenn sie (und das GPS) eingeschaltet wurde.
Da man das aber auch anders sehen kann, wird es früher oder später sich mal für jemanden kniffelig werden, wenn das Thema bei Polizisten auf dem Radar erscheint und sie anfangen, Smartphones von Autofahrern einfach so auf eine Blitzer-App zu filzen.
Mit anlasslosen Kontrollen, am besten noch bei jedem Angehaltenen, begäben sich die Beamten allerdings auf glattes Parkett. Denn es gibt keine Rechtsnorm, welche Polizisten generell gestattet, Smartphones auf Blitzer-Apps zu kontrollieren. Für eine Untersuchung müsste es zumindest einen Anfangsverdacht geben. Allein der Besitz eines solchen Telefons ist aber nicht verboten und deshalb auch nicht verdächtig.
Interessant wird es spätestens dann, wenn blitzer.de auf dem Smartphone des Beifahrers installiert ist. Hier ist die Straßenverkehrsordnung keineswegs eindeutig. Dem Wortlaut nach nimmt sie nur den Fahrer in die Pflicht. Ob und inwieweit der einem Beifahrer, der ja auch telefonieren darf, den Betrieb einer Blitzer-App untersagen muss oder überhaupt kann, ist eine offene Frage. Gerichte können das so oder auch anders sehen (und werden es wahrscheinlich auch).
Wer also mal in die unangenehme Situation kommt, dass sein Handy oder das des Beifahrers auf “betriebsbereite” Radarwarner untersucht werden soll, kann dem auf jeden Fall entschieden widersprechen und mit rechtlichen Schritten drohen. Zugegeben, das ist nicht jedermanns Sache, klappt aber mitunter ganz gut. Denn unnötigen Ärger wollen sich die wenigsten Polizisten einhandeln – gerade wenn sie sich in rechtliche Grauzonen wagen. Sie suchen sich dann oft lieber jemanden, der klaglos kuscht.
Ansonsten ist die Nutzung von blitzer.de übrigens völlig legal. Jedermann darf sich vor Antritt der Fahrt oder auch unterwegs außerhalb seines Autos mit der App darüber informieren, wo Radarfallen gemeldet sind.
Wird man während der Fahrt mit einer laufenden Blitzer-App erwischt, droht im schlimmsten Fall die Beschlagnahme und Vernichtung des Mobiltelefons. Für Radarwarner haben mehrere Gerichte bereits bestätigt, dass die Geräte eingezogen werden dürfen. Gleiches gilt auch für mobile Navigationssysteme mit zusätzlicher Blitzerwarnsoftware. Bei Smartphones wird die Justiz da wohl nicht plötzlich milde werden.
Ganz billig ist die Benutzung einer Blitzer-App im Auto übrigens nicht. Das Verwarnungsgeld beträgt mindestens 75 Euro Bußgeld. Außerdem bringt der Spaß vier vier Punkte in Flensburg.
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“Ihr seid echt die geilsten Bullen, Alder!"
Aus dem Polizeiticker:
Große Erleichterung verspürte am Dienstagnachmittag ein 26-jähriger Mann aus Darmstadt, nachdem er nach langem Hin und Her gerade noch die Verbüßung einer 65-tägigen Haftstrafe abwenden konnte.
Der Mann war von Zivilfahndern der Darmstädter Polizei auf dem Luisenplatz festgenommen worden. Gegen ihn lag ein aktueller Haftbefehl wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vor.
Zur Auswahl standen die Einzahlung von 650,- EUR Geldstrafe oder 65 Tage Haft in einer Justizvollzugsanstalt. Siegessicher präsentierte der 26-Jährige einen Einzahlungsbeleg über die geforderte Summe. Zu seinem Pech stellte sich jedoch schnell heraus, dass diese Summe für einen zweiten Haftbefehl gegolten hatte, den er erst vor wenigen Tagen eingezahlt hatte. Bei zwei Haftbefehlen kann man schon einmal den Überblick verlieren und so war die Verzweiflung groß.
Die "Freunde und Helfer" gaben dem Mann noch eine Chance, innerhalb seiner Verwandtschaft telefonisch Geld aufzutreiben. Das Telefon glühte und das Gesicht des Mannes wurde immer länger, wollte ihm doch keiner der Verwandten aus der Patsche helfen.
Erst kurz vor den Toren der Justizvollzugsanstalt kam bei den Beamten die für den Mann erlösende Nachricht an, dass nun doch mehrere zahlungswillige Verwandte auf der Polizeiwache eingetroffen seien.
Die dort erschienenen Oma, Tante und Cousine meinten zwar "Ein Tag im Knast täte Dir mal gut!", ließen ihn aber letztlich doch nicht hängen. So konnte die Geschichte letztlich doch noch zu einem für den Betroffenen glücklichen Ende gebracht werden, was wohl auch in den Dankesworten "Ihr seid echt die geilsten Bullen, Alder!" irgendwie zum Ausdruck kommen sollte.
Wenn wir schon mal da sind
Es ging um angebliche Urheberrechtsverletzungen. Diesmal war der Durchsuchungsbeschluss geradezu vorbildlich formuliert, zumindest was die Arbeitsanweisung an die Polizeibeamten anging. Sie sollten nach PCs, Laptops und externen Datenträgern suchen.
Mein Mandant war deshalb erstaunt, dass einer der Polizisten sich bei der Durchsuchung auch für ganz andere Dinge interessierte. Zum Beispiel das Geld im Portemonnaie meines Auftraggebers. Schein für Schein habe er gegen das Licht gehalten und das Geld misstrauisch beäugt. “Wenn wir schon mal da sind, gucken wir auch nach Falschgeld”, soll er gesagt haben.
Dann habe sich der Beamte den privaten Fotoalben meines Mandanten zugewandt und diese seelenruhig durchgeblättert. Auch hierfür habe er eine Erklärung gehabt: “Ich schaue nach, ob Sie vielleicht Kinderpornos besitzen.”
Dass er gar keinen Auftrag hatte, nach solchen “Beweismitteln” zu suchen, hat den Beamten wohl nicht interessiert. “Lassen Sie mich mal meine Arbeit machen, ich weiß schon, wie das geht.”
Mein Mandant hat die Prozedur wohl still erduldet. Ich weiß nicht, ob mir das gelungen wäre.
Urteil: Ausbildungskosten sind absetzbar
Gute Nachrichten für (ehemalige) Auszubildende und Studenten, die den Staat an ihren Ausbildungskosten beteiligen möchten. Der Bundesfinanzhof hat es in zwei Grundsatzentscheidungen für zulässig erklärt, dass Ausbildungskosten nach Berufsantritt von der Steuer abgesetzt werden. Die bisherige Praxis der Finanzämter, eine Abschreibung von früheren Ausbildungskosten nicht anzuerkennen, ist nach Auffassung der Richter nicht mit der Gesetzeslage vereinbar.
Ein Pilot und eine Medizinstudentin hatten geklagt, weil sie ihre Kosten für Ausbildung und Studium nach Berufsantritt nicht steuerlich geltend machen durften. Bei der Ablehnung haben sich die Finanzbehörden auf eine seit 2004 geltende Regelung berufen. Diese hält der Bundesfinanzhof aber nicht für anwendbar.
Die Entscheidung gilt ausdrücklich für Erststudien und Erstausbildungen. Außerdem muss die spätere Berufstätigkeit auf der Ausbildung aufbauen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dürfen nach den Urteilen des Bundesfinanzhofs die Ausbildungskosten nun “abgeschrieben” werden.
Ob und inwieweit die Finanzämter mitspielen, ist noch nicht ausgemacht. Der Bundesfinanzminister hat die Möglichkeit, die Nichtanwendung der Urteile zu verfügen. Dann müssen andere Betroffene auf jeden Fall selbst klagen, wenn sie zu ihrem Recht kommen wollen.
Bundesfinanzhof, Urteile vom 28.07.11, Aktenzeichen VI R 38/10 und VI R 7/10
Formelhafte und allgemein gehaltene Wendungen
Vor einiger Zeit habe ich über einen “Minimalbeschluss” berichtet, mit dem das Amtsgericht Bielefeld eine Firmendurchsuchung anordnete. Nachdem ich die Akte eingesehen habe, ergänzte ich die im verlinkten Beitrag wiedergegebene Begründung noch. Jetzt liegt die Entscheidung des Landgerichts Bielefeld vor. Sie lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Auszüge:
Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Bielefeld … ist rechtswidrig.
Die Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ist begründet. Der angefochtene Beschluss genügt nicht den Anforderungen, die an eine hinreichende Konkretisierung zu stellen sind.
Die Durchsuchungsanordnung stellt eine erheblich in die Rechte des Beschuldigten eingreifende Maßnahme dar. Der gerichtliche Durchsuchungsbeschluss dient unter anderem dazu, die Durchführung der Eingriffsmaßnahme messbar und kontrollierbar zu gestalten. Dazu muss der Beschluss insbesondere den Tatvorwurf so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist.
Dies versetzt den von der Durchsuchung Betroffenen zugleich in den Stand, die Durchsuchung seinerseits zu kontrollieren und etwaigen Ausuferungen im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten von vornherein entgegenzutreten. Um die Durchsuchung rechtsstaatlich zu begrenzen, muss der Richter die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie es nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist.
Der Richter muss weiterhin grundsätzlich auch die Art und den vorgestellten Inhalt derjenigen Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, so genau bezeichnen, wie es nach Lage der Dinge geschehen kann. Nur dies führt zu einer angemessenen rechtsstaatlichen Begrenzung der Durchsuchung, weil oft eine fast unübersehbare Zahl von Gegenständen als – wenn auch noch so entfernte – Beweismittel für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommen. Der Schutz der Privatsphäre, die auch von übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung betroffen sein kann, darf nicht allein dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen werden (BVerfG, Beschluss vom 06.03.2002, 2 BvR 1619/00, zitiert nach juris},
Daran gemessen fehlt es in dem angefochtenen Beschluss an einer hinreichenden Konkretisierung der Beweismittel, nach denen gesucht werden sollte. In dem Beschluss wird hierzu ausgeführt, es werde vermutet, „dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, in Form von sämtlichen Unterlagen, die Aufschluss über die tatsächlichen Umsätze, Gewinne, Kosten und Lohnzahlungen geben können, insbesondere Buchführungskonten, Kassenaufzeichnungen und -belege, Lohnkonten, Arbeitsverträge, Stundenaufzeichnungen, Stempelkarten, Lohnabrechnungen und -quittungen, Darlehns- und sonstige Verträge, Bankbelege, Eingangs- und Ausgangsrechnungen, Quittungen, Kontoauszüge, entsprechenden elektronisch lesbare Datenträger einschließlich der Hard- und Software führen wird".
Diese formelhafte und allgemein gehaltene Wendung der Durchsuchungsanordnung erfasst als in Betracht kommende Beweismittel letztlich sämtliche Betriebsunterlagen. Hinzu kommt, dass sich in dem Tenor des angefochtenen Beschlusses keinerlei zeitliche Eingrenzung hinsichtlich der relevanten Unterlagen findet, obgleich sich der konkrete Tatvorwurf auf falsche Angaben … in einem Zeitraum von Juli bis September 2009 bezieht. …
Aus diesen Gründen war die Darlegung der zu suchenden Beweismittel nicht dazu geeignet, Ziel und Grenzen der Durchsuchung hinreichend zu begrenzen. Vielmehr führte die zu weit gefasste Beschreibung im Ergebnis dazu, dass die Festlegung der für den aufzuklärenden Sachverhalt in Frage kommenden Beweismittel dem Ermessen der mit der Durchführung der Durchsuchung beauftragten Beamten überlassen wurde.
Trotz solcher “Erfolge” hat man als Verteidiger aber oft das Gefühl, gegen Wände zu rennen. So auch hier. Mir liegt schon wieder ein ganz frischer Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts vor, der genau die Fehler wiederholt, welche das Landgericht ankreidet.
Ich sage es gerne immer wieder: Manche Richter werden erst dann nicht mehr auf die Worte der höheren Instanzen pfeifen, wenn rechtswidrige Beschlüsse auch praktische Konsequenzen haben. Ein Verbot etwa, die illegal gewonnen Beweise auch zu verwerten.
Landgericht Bielefeld, Beschluss vom 20. Juli 2011, 1 Qs 321/11
Regierung gibt den Bus frei
Es tut sich was im öffentlichen Personenverkehr. Die Bundesregierung hat nun ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Buslinien auch auf Fernstrecken erlaubt. Bislang dürfen Buslinien keine Ziele bedienen, die weiter als 50 Kilometer auseinander sind. Mit dieser Regelung, welche die Bahn vor Wettbewerb schützen sollte, soll Schluss sein.
Nach dem geltenden Personenbeförderungsgesetz sind neue inländische Fernbuslinien nur gestattet, wenn der Verkehr mit den vorhandenen Verkehrsmitteln nicht befriedigend bedient werden kann. Gerade bei den interessantesten Zielen, den Großstädten, konnte die Bahn stets auf ihr “ausreichendes” Angebot verweisen und sperrte so die Konkurrenz von der Straße aus.
Laut Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer bringen Fernbuslinien mehr Flexibilität und sparen den Fahrgästen auch noch Geld. Die Fahrt mit einem Fernbus sei in jedem Fall deutlich preiswerter als mit einem privaten Pkw (und, möchte man hinzufügen, sicher auch billiger als ein Ticket der Bahn).
Der Bus sei ein umweltfreundliches und klimaschonendes Verkehrsmittel. Schon bei durchschnittlicher Auslastung sinke der Kraftstoffverbrauch und der CO2-Ausstoß pro Fahrgast im Vergleich zum Pkw deutlich.
Auch neue Fernbuslinien benötigen künftig eine Genehmigung. Diese wird von der zuständigen Landesbehörde erteilt werden. Ein entsprechendes Konzessionsmodell wird derzeit schon entwickelt.
Die Gesetzesänderung muss von Bundestag und Bundesrat noch bestätigt werden. Die ersten Fernbuslinien sollen schon ab Anfang 2012 möglich sein.
E-Postbrief nicht so verbindlich wie behauptet
Die Deutsche Post AG darf nicht mehr damit werben, der von ihr angebotene E-Postbrief sei "so sicher und verbindlich wie der Brief" und er übertrage "die Vorteile des klassischen Briefes ins Internet". Das hat das Landgericht Bonn nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv) entschieden.
Die Werbung erweckt nach Auffassung der Richter den Eindruck, dass auch rechtlich relevante Erklärungen verbindlich mit dem E-Postbrief versendet werden können. Dies sei jedoch nicht immer der Fall.
In einigen Fällen ist für eine rechtsverbindliche Erklärung die Schriftform zwingend vorgeschrieben, etwa bei der Kündigung eines Wohnungsmietvertrages. Der Brief muss dabei eigenhändig unterschrieben sein. Fehlt die Unterschrift, gilt die Erklärung als nicht abgegeben.
Das Schriftformerfordernis kann bei elektronischer Kommunikation wie dem E-Postbrief nach aktueller Rechtslage nur durch eine qualifizierte elektronische Signatur ersetzt werden. Diese Möglichkeit besteht beim E-Postbrief jedoch nicht.
Verbraucher können nach Auffassung der Verbraucherzentralen durch die falsche Annahme, elektronische Post sei so verbindlich wie ein Brief, Fristen versäumen und erhebliche Nachteile erleiden. Dem schloss sich das Landgericht Bonn nun an.
Urteil des LG Bonn vom 30.Juni 2011, Aktenzeichen 14 O 17/11
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Was von Boetticher rettet
Der schleswig-holsteinische CDU-Vorsitzende und Spitzenkandidat Christian von Boetticher ist zurückgetreten, weil er eine Liebesbeziehung zu einer 16-Jährigen hatte. Strafrechtlich, sagt der 40 Jahre alte Politiker, sei ihm nichts vorzuwerfen. Kann das sein? wird sich mancher fragen. Ja, lautet die Antwort. Nach allem, was bekannt ist, hat sich der Politiker nicht strafbar gemacht. Trotzdem ist die Affäre ein guter Anlass für einen kleinen Überblick darüber, welche Altersgrenzen das Strafgesetzbuch für sexuelle Kontakte mit jungen Menschen aufstellt.
Vorab: Es geht im folgenden nur um einvernehmliche sexuelle Kontakte, bei denen Drohungen, Zwang oder gar Gewalt keine Rolle spielen.
Personen bis 14 Jahre
Sexualkontakte mit Personen bis 14 Jahren sind stets strafbar. Dies gilt auch dann, wenn das Opfer mit dem Kontakt einverstanden war oder ihn vielleicht sogar gesucht hat. Das Gesetz will die Entwicklung sexueller Selbstbestimmungsfähigkeit schützen, indem es Sex bis zum Alter von 14 Jahren stets unter Strafe stellt.
Auch 14-jährige oder ältere Jugendliche, die zum Beispiel etwas mit Zwölf- oder 13-Jährigen anfangen, machen sich strafbar. Sind die Partner dagegen beide unter 14 Jahren alt, können beide nicht belangt werden – sie sind bis zu ihrem 14. Geburtstag strafunmündig. Das bedeutet, dass sie grundsätzlich strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden können.
Personen bis 16 Jahre
Menschen ab 14 Jahren sind Sexualkontakte gestattet.
Allerdings gibt es Ausnahmen. Etwa, wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Wer sich ab diesem Alter mit 14- bis 16-Jährigen einlässt, kann sich strafbar machen. Allerdings ist dies nur der Fall, wenn der Betreffende “die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt”. An diese Ausnutzung stellen Gerichte übrigens keine hohen Anforderungen. Es reicht nach meiner Erfahrung schon aus, wenn der über 21-jährige Beschuldigte mit seinem tollen Auto geprotzt hat oder übertrieben seinen Charme spielen ließ.
Das Gesetz versucht die bis zu 16-Jährigen auch dadurch zu schützen, indem es die “Schaffung von Gelegenheiten” unter Strafe stellt. Wer also zum Beispiel einem 15-Jährigen seine Wohnung für Sexualkontakte mit Dritten (das kann auch die gleichaltrige Freundin sein) zur Verfügung stellt, macht sich strafbar. Ein anderer Fall wäre die Party, bei welcher der Gastgeber es duldet, dass sich unter 16-Jährige in ein Schlafzimmer im Obergeschoss zurückziehen.
Nur Sorgeberechtigte dürfen “Gelegenheiten” verschaffen. Wenn also Eltern ihrer 15-jährigen Tochter erlauben, dass ihr Freund in der Wohnung übernachtet, ist das nicht strafbar. Ausnahme: Die Eltern verletzen dadurch “gröblich” ihre Erziehungspflicht.
Personen ab 16 Jahre
Mit Jugendlichen ab 16 Jahren sind einvernehmliche Sexualkontakte gestattet, auch wenn der Partner über 21 Jahre alt ist. Das ist genau die Regelung, die nun dem CDU-Politiker Christian von Boetticher zu Gute kommt. Über 16-Jährige hält das Strafgesetzbuch grundsätzlich für in der Lage, ihr sexuelles Selbstbestimmungsrecht ohne Einschränkung wahrzunehmen.
Sexuelle Kontakte gegen Entgelt bzw. in einem besonderen Näheverhältnis
“Einvernehmlich” sind Sexualkontakte allerdings dann nicht mehr, wenn Volljährige für Sex mit 14- bis 18-Jährigen zahlen. Hierbei muss nicht unbedingt Bargeld fließen. Es reicht aus, irgendwelche geldwerten Vorteile für Sex in Aussicht zu stellen – das kann auch eine Kinokarte sein.
Besondere Regelungen gelten auch für Ausbilder, Pfleger und Heimpersonal. Sie dürfen keinesfalls Sexualkontakte mit unter 16-Jährigen aufnehmen, die ihnen beruflich “anvertraut” sind. Bei 16-18-Jährigen sind solche Kontakte untersagt, wenn der Betreffende das bestehende Abhängigkeitsverhältnis ausnutzt.
Ein Zungenkuss ist kein Beischlaf
Ein Zungenkuss ist keine “dem Beschlaf ähnliche Handlung”. Mit dieser Feststellung hat der Bundesgerichtshof ein Urteil des Landgerichts Kassel korrigiert und eine mildere Strafe verhängt. Das Landgericht hatte einen Mann wegen mehrerer Fälle von Kindesmissbrauchs verurteilt. Unter anderem sprach es bei einem Zungenkuss eine Strafschärfung aus, weil es diesen als gleichwertig mit dem Geschlechtsverkehr ansah.
Zwar reicht es nach Auffassung der Karlsruher Richter für eine beischlafsähnliche Handlung aus, wenn der Täter irgendwie in den Körper des Opfers eindringt. Allerdings müsse die Handlung schon ähnlich gravierende Folgen haben wie die “normale” Penetration. Letzteres sei bei einem Zungenkuss, den das Opfer als “eklig” beschrieben hatte, jedoch nicht der Fall. Ein Zungenkuss greife nicht so gravierend in die vom Gesetz geschützte sexuelle Entwicklung eines Kindes ein wie Geschlechtsverkehr oder andere Praktiken, zum Beispiel die Penetration mit dem Finger oder Gegenständen.
Das führt aber nicht dazu, dass der Angeklagte gar nicht bestraft wird. Der Bundesgerichtshof nahm lediglich die Verschärfung raus und verhängte für den Zungenkuss sechs Monate Freiheitsstrafe.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14. April 2011, 2 StR 65/11
Heirat mit Chinesin ist kein Kündigungsgrund
Eine Kündigung ist unwirksam, wenn sie wegen der Eheschließung des Arbeitnehmers mit einer Chinesin ausgesprochen wird. Die Kündigung hält nicht das notwendige „ethische Minimum“ ein und ist sittenwidrig, zumindest wenn der Arbeitgeber schon vor der Einstellung von der Beziehung wusste. Das hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschieden.
Der 47-jährige Kläger ist Ingenieur. Er war seit Mai 2006 als Leiharbeitnehmer bei der Firma eingesetzt, die auch die Bundeswehr beliefert. Seit 2007 fuhr er regelmäßig nach China zu seiner dort lebenden heutigen Ehefrau. Vorher kontaktierte er jedes Mal die Sicherheitsbeauftragte der Firma, die zu keinem Zeitpunkt Bedenken äußerte. Ende 2009 bot die Arbeitgeberin dem Mann eine Festanstellung an.
Wegen der für Dezember 2009 in China geplanten Hochzeit sollte das Arbeitsverhältnis am 1. Februar 2010 beginnen. Schon am 5. März stellte die Arbeitgeberin den abgeworbenen Ingenieur unvermittelt frei. Begründung: Er sei durch seine Ehefrau und die familiären Beziehungen zu China ein Sicherheitsrisiko. Kurz danach stellte sie einen anderen Ingenieur ein, um den Kläger zu ersetzen. Dem Betriebsrat gelang es in der Folgezeit nicht, die Freistellung rückgängig zu machen und die Kündigung zu verhindern. Im Juni, rechtzeitig bevor das Kündigungsschutzgesetz nach sechs Monaten Anstellung Anwendung fand, kam die Kündigung. Sie war nunmehr auf “betriebsbedingte Gründe” gestützt.
Das Arbeitsgericht hat in erster Instanz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass keine Gesetzesverstöße vorlägen. Die Arbeitgeberin habe subjektiv an Befürchtungen einer möglichen Industriespionage angeknüpft. Das reiche als Rechtfertigung für diese Kündigung aus.
Das sah das Landesarbeitsgericht anders. Die Kündigung sei treu- und sittenwidrig. Die Arbeitgeberin habe unter Verletzung des Grundrechtes der Eheschließungsfreiheit ihr Kündigungsrecht für eine willkürliche Vorgehensweise missbraucht. Weil sie den Kläger in Kenntnis der familiären Bedingungen gezielt abgeworben habe und sich in Bezug auf seinen Arbeitsplatz und seine Tätigkeit nichts geändert habe, sei die plötzliche Einordnung als Sicherheitsrisiko, für die keine konkreten Fakten genannt wurden, willkürlich.
Der Kläger sei nur durch eine andere Arbeitskraft ausgetauscht worden. Der Kündigungsentschluss habe schon bei der Freistellung bestanden, was der Betriebsrat auch bestätigt habe. Der angeführte betriebsbedingte Kündigungsgrund sei daher nur vorgeschoben. Die Kündigung verstoße gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Die Beklagte habe den Kläger willkürlich zu ihrem Spielball gemacht.
Das Arbeitsverhältnis ist schließlich vor dem Landesarbeitsgericht auf Antrag des Klägers gegen Zahlung einer Abfindung von sieben Monatsgehältern aufgelöst worden.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.06.2011, Aktenzeichen 3 Sa 95/11