Auf Auszahlung wird verzichtet

Also, tut mir leid. Wenn ich mir schon die Mühe mache, eine Insolvenzforderung anzumelden, dann werde ich das nachfolgende Feld nicht ankreuzen:

Größer stünden die Chancen sicherlich, wenn da stünde, dass die Verzichtsbeträge gesammelt und für einen guten Zweck gespendet werden.

Uns hindert noch nicht mal das Gesetz

Ich habe schon öfter davon gehört, dass es manche ARGE nicht immer genau nimmt – wenn es um die Rechte ihrer Leistungsbezieher geht. Leibhaftig habe ich es jetzt erlebt im Fall eines Mandanten, dem ich die Hilfe auf diesem für mich etwas exotischen Rechtsgebiet aus persönlichen Gründen nicht abschlagen wollte.

Es geht um eine Überzahlung. Angeblich, so die ARGE, habe sie meinem Mandanten einen durchaus stattlichen Betrag überwiesen, der ihm nicht zusteht. Das kann man auch anders sehen, deshalb nahm ich in der Sache Stellung und legte gegen den Rückforderungsbescheid Widerspruch ein.

Nun gibt es mittlerweile diverse Gerichtsurteile, die klipp und klar sagen: Bei der Rückforderung vermeintlicher Überzahlungen haben Widerspruch und Klage aufschiebende Wirkung. Die Betonung liegt auf haben. Man muss also keinen weiteren Antrag stellen. Wegen der aufschiebenden Wirkung darf die ARGE nicht aus dem Bescheid vollstrecken.

Dies hielten die ARGE und das von ihr beauftragte Hauptzollamt aber nicht davon ab, meinem Mandanten beamtete Geldeintreiber nach Hause zu schicken und ihm schriftlich folgendes in Aussicht zu stellen:

– Gehaltspfändung

– Kontopfändung

– Pfändung der beweglichen Habe

Wirklich bemerkenswert finde ich aber folgenden Satz, der sich in den Anschreiben ständig wiederholt:

Ihre Einwendungen hindern die Vollstreckungsstelle nicht daran, die Vollstreckung fortzusetzen und die oben genannten Maßnahmen auszuführen.

Bei solcher Dreistigkeit hatte ich wenig Hoffnung, dass jemand bei der ARGE rechtliche Argumente überhaupt zur Kenntnis nimmt. Ich aktivierte jedoch meinen gesamten Optimismus und griff zum Telefonhörer. Dann stellte ich fest, dass ausgerechnet der Laden, der das Existenzminimum bedürftiger Bürger verwaltet, nur über eine kostenpflichtige 0180-er Nummer zu erreichen ist.

Immerhin war eine Mailadresse aufzufinden, an die ich dann einige höfliche, aber doch deutliche Worte sandte. Verbunden mit der Aufforderung, bis spätestens heute zu erklären, dass die Vollstreckung gegen meinen Mandanten bis zum rechtskräftigen Abschluss der Sache ausgesetzt wird. Ansonsten einstweilige Verfügung beim Sozialgericht.

Vorhin traf die gewünschte Erklärung ein.

Schnell sein sollen nur die anderen

Das Bundeskriminalamt ist offensichtlich mit seinem Auftrag nicht zufrieden, sich um die Löschung kinderpornografischer Seiten zu bemühen. Die Ermittler kritisieren nach einem Bericht der Welt, dass 40 Prozent der beanstandeten Seiten nach einer Woche noch immer aufrufbar seien. Nun wollen sie doch wieder ihre Stoppschilder aufstellen.

Wer schon mal einen Brief oder ein Fax an das BKA oder eine andere Polizeibehörde geschrieben hat, den wird das Lamento aus Wiesbaden erstaunen. Innerhalb einer Woche hat in einer deutschen Polizeibehörde die Nachricht meist noch nicht einmal den Schreibtisch des Sachbearbeiters erreicht. Mit einer Antwort ist sicher zu rechnen, aber vielleicht in Wochen. Manchmal erst in Monaten.

Ausgerechnet das Epizentrum verkrusteter Bürokratie mokiert sich also über Bearbeitungszeiten, die selbst nie und nimmer erreicht werden, noch dazu bei internationalem Bezug. Müsste es nicht umgekehrt heißen: Sage und schreibe 60 Prozent der beanstandeten Seiten werden innerhalb einer Woche gelöscht! Was sind die Russen, Amerikaner und Holländer doch für flotte Kerle; von denen können wir was lernen.

Und wäre es nicht redlicher, mal dazu zu sagen, wie der Löscherfolg sich nach zwei, drei oder vier Wochen darstellt? Möglicherweise steht das ja in der von der Welt zitierten Studie drin, soll aber aus offensichtlichen Gründen nicht erwähnt werden. Stattdessen wird – garantiert ohne jeden greifbaren Beleg – davon gefaselt, die Seiten hätten enorme Zugriffszahlen und gefährdeten die öffentliche Sicherheit.

Nebulös spricht der Bericht auch davon, zwischen Januar und Juni seien nur 20 „direkte Löschungsbestätigungen“ eingegangen. Dürfen wir daraus schließen, dass für das BKA Meldungen ins Ausland nur dann als erfolgreich gelten, wenn es ein ausdrückliches Feedback gibt, so mit Stempel und Siegel? Dass also die Löschung, die man durch bloße Nachrecherche kinderleicht selbst verifizieren könnte, nicht reicht? Es wäre nicht das erste Mal, dass aus Wiesbaden unredlich argumentiert wird.

Interessant ist die Zahl der 20 Löschungsbestätigungen aber auch in anderer Hinsicht. Auf den Halbjahreszeitraum gesehen, ergibt das eine Fallquote von knapp über drei pro Monat. Man kann diese mickrige Nummer durchaus als Indiz dafür werten, wie groß das Problem von Kinderpornografie auf im Ausland gehosteten Webseiten tatsächlich ist.

Ansonsten wird im Artikel ja nur noch eine absolute Zahl genannt. Danach gehen pro Monat 150 Hinweise ein. Die Zahl der Hinweise sagt allerdings wenig darüber, wie viele der gemeldeten Seiten tatsächlich kinderpornografisch sind und das BKA tätig werden lassen. Auch nicht jede Strafanzeige ist ja begründet. 150 Hinweise stehen nach meinem Empfinden jedenfalls in einem deutlichen Gegensatz zum Horrorszenario, das Internet sei geradezu mit Kinderpornografie verseucht und auf einer Vielzahl von Webseiten würden mit solchem Material Abermillionen verdient.

Bleibt die Frage, ob das BKA überhaupt willig ist, den Löschauftrag umzusetzen. Immerhin gelingt es ja jeder Bank innerhalb von Stunden, Phishing-Seiten deaktivieren zu lassen. Vielleicht sollte man sich da mal ein Beispiel nehmen.

Weiterer Artikel bei netzpolitik.org / heise online

Nachtrag: Bundesjustizministerin kritisiert die Aussagen des BKA

In the end, a game may simply be a game

Gewaltspiele sind im Verruf. Vielleicht zu Unrecht. Eine amerikanische Studie will jetzt belegen, dass Probanden nach längerem Spielkonsum sich sogar weniger gestresst und depressiv fühlten als nicht spielende Personen. Für die Studie wurde das Spielverhalten von 103 Studenten an einer hispanisch geprägten Hochschule untersucht.

Getestet wurde mit folgenden Spielen: Hitman: Blood Money, Call of Duty 2 und Madden 2007, wobei letzteres zwar Action, aber keine explizite Gewalt enthält.

Aus der Zusammenfassung der Studie:

As with aggressive behavior, the evidence did not support that short-term randomized exposure to violent video games either increased or decreased hostile feelings or depression. By contrast long-term exposure to violent video games was associated with reduced hostile feelings and depression following a stressful task. Subjects who were exposed to violent video games were not less aggressive, but they were less hostile and depressed.

Die Forscher meinen, möglicherweise werde um Gewaltspiele viel zu viel Aufhebens gemacht:

The fervor over violent video games which has become intensely politicized (we would argue this unfortunately extends to the scientific community) may be ‘much ado about nothing.’ In the end, a game may simply be a game.

Siehe auch hier

Urteil gegen Visitenkarten-Plage

Mich persönlich nerven sie – die „Visitenkarten“, welche Autoaufkäufer ungefragt und beinahe täglich an den Seitenscheiben oder unter den Scheibenwischern meines Autos hinterlassen. Womöglich wird die Werbeflut nun eingedämmt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat das Zupflastern geparkter Autos mit Ankaufangeboten für unzulässig erklärt.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts dient das Verteilen der Kärtchen ausschließlich gewerblichen Zwecken und geht damit über den Gemeingebrauch von Straßen hinaus. Händler müssen sich deshalb eine Erlaubnis bei der zuständigen Stadtverwaltung besorgen und, sofern sie denn erteilt wird, hierfür auch Gebühren zahlen.

Die Düsseldorfer Richter gestehen zwar zu, dass Straßen nicht nur der Fortbewegung dienen. Sie seien auch Raum für Kontaktaufnahme und Kommunikation. Allerdings sei die Grenze des Gemeingebrauchs überschritten, wenn das geschäftliche Interesse im Vordergrund stehe.

Außerdem könne nicht vermutet werden, dass die Autobesitzer stillschweigend mit solchen Kärtchen einverstanden sind. (Wie wahr!)

Ein Visitenkartenverteiler hat die Entscheidung provoziert. Er wollte sich nicht mit einem Bußgeld abfinden, das die Stadt Moers gegen ihn verhängt hatte. Die 200 Euro muss der Autoaufkäufer jetzt zahlen. Seine Kollegen können sich bei ihm bedanken, wenn die Beschwerden über sie jetzt sicher häufiger werden.

(OLG Düsseldorf, Beschlüsse v. 12. Juli 2010, IV-4 RBs – 25/10 und IV- 4 Ws 57/10 Owi)

Nicht mehr rauchen

Grundsätzlich rate ich meinen Mandanten zu schweigen. Die nachfolgende Vernehmung auf einer Polizeiwache hätte allerdings nicht das Licht der Welt erblickt, wenn mein Mandant auf mich gehört hätte. Es wäre fast schade:

Wie sind Sie in den Besitz der illegalen Drogen gekommen?
Von Kollegen geschenkt bekommen.

Wie finanzieren Sie ihren illegalen Drogenkonsum?
Bekomme die Joints geschenkt.

Sind Sie drogenabhängig?
Nein.

Wollen Sie von Drogen loskommen?
Ja.

Was unternehmen Sie, um von Drogen loszukommen?
Nicht mehr rauchen.

Laut Anordnung

Aus einer Vorladung der Polizei:

Laut Anordnung der Staatsanwaltschaft wurde gegen Sie ein Ermittlungsverfahren wegen Unfallflucht eingeleitet. Sie haben versucht, durch die Veränderung der Parkstellung Ihres Fahrzeuges eine Unfallrekonstruktion unmöglich zu machen.

Der Straftatbestand „Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“ beginnt mit folgenden Worten:

Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt…

Wer sich nicht vom Unfallort entfernt, begeht also keine Unfallflucht. Manchmal kann, auch für Polizisten und Staatsanwälte, ein Blick ins Gesetz sinnvoll sein – bevor man Ermittlungsverfahren einleitet.

Samstag: Mal Werktag, mal nicht

Bei Mietzahlungen gilt der Samstag nicht als Werktag. Das hat der Bundesgerichtshof entschieden. Auslöser des Streits war der im Gesetz geregelte Normalfall, wonach die Miete bis zum dritten Werktag des Monats auf dem Konto des Vermieters eingegangen sein muss. Ein Vermieter hatte wegen verspäteter Mietzahlungen gekündigt. Allerdings hätte sein Mieter pünktlich überwiesen, wenn der Samstag nicht als Werktag anzusehen ist.

Der Bundesgerichtshof stellt fest, dass es sich um eine Schutzvorschrift für Mieter handelt. Viele Bürger bekämen erst am Monatsende Geld. Außerdem dauerten Überweisungen nun mal. Da aber Banken seit jeher nur von montags bis freitags arbeiteten, sei der Mieterschutz vorrangig und der Samstag demnach nicht als Werktag im Sinne des Gesetzes anzusehen.

Die Entscheidung betrifft eine Vorschrift aus dem Mietrecht. Sie bedeutet nicht, dass der Samstag jetzt grundsätzlich nicht mehr als Werktag gilt. Vor allem für Autofahrer könnte es sonst teuer werden. Tempolimits, die „werktags“ gelten, müssen nach Auffassung der meisten Gerichte auch samstags beachtet werden, da es sich um einen Werktag handele.

Näheres zum Begriff in der Wikipedia

Anwaltsschriftsätze sind frei (manchmal)

Anwälte schmeißen Gerichte gern mit Schriftsätzen zu. Wenn aber jemand, vornehmlich der Prozessgegner, daraus umfassend zitiert und damit die Öffentlichkeit informiert, heißt es sofort: Urheberrecht. Was auch nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Dem schiebt das Landgericht Köln in einem speziellen Fall einen Riegel vor: Sofern das Gericht eine einstweilige Verfügung verkündet und sich zur Begründung auf die Antragsschrift des Anwalts beruft, ist der Anwaltsschriftsatz Teil der Gerichtsentscheidung. Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich nicht geschützt. Somit darf auch die Antragsschrift vollständig veröffentlicht werden.

Geklagt hatte ein Anwalt aus einer bekannten Medienkanzlei. Gegner war, wie so oft, Rolf Schälike („Buskeismus“). Schälike hatte eine gegen ihn ergangenen einstweilige Verfügung bekanntgemacht, indem er nicht nur den Beschluss selbst, sondern eben auch die Antragsschrift des Medienanwalts veröffentlichte.

Aus der Begründung:

Die Zurechnung des Inhalts des Schriftsatzes des Klägers als eigenverantwortliche Willensäußerung eines Trägers hoheitlicher Gewalt – hier der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts Berlin – ergibt sich vorliegend zunächst daraus, dass auf die eigene Ausformulierung einer Begründung für die einstweilige Verfügung vom 07.06.2009 verzichtet wurde, statt dessen haben sich die Richter insoweit auf den Inhalt der Antragsschrift bezogen. Sie haben diese zu ihrer eigenen Begründung gemacht. Diese Annahme wird noch dadurch unterstützt, dass sie diese – damit auch von ihnen gegebenen – Gründe fest mit dem Beschluss verbunden haben, aus dem selbst nunmehr diese Gründe zu erkennen sind.

Außerdem hatte sich der Kläger an den Pranger gestellt bzw. „aufs Feld geführt“ gefühlt. Auch diese Auffassung will das Landgericht Köln nicht teilen:

Es mag dahingestellt bleiben, ob im Einzelfall im Fall einer Veröffentlichung in derartiger Weise in die Persönlichkeits- und Berufsrechte eines Rechtsanwalts eingegriffen wird, dass dies zum Verbot des Zitats aus einem anwaltlichen Schreiben führt; denn jedenfalls die vorliegende Konstellation gibt aus den dargelegten tatsächlichen Gründen keinen Anlass zu der Annahme, es bestehe die Gefahr einer Selbstzensur oder das Verhältnis des Klägers zu seinem Mandanten hätte beeinträchtigt sein können.

Link zum Urteil Hintergründe zur Dauerfehde um Rolf Schälike

Berichtigung: Kläger war nicht der bekannte Medienanwalt Dr. S., wie zuerst geschrieben, sondern einer seiner früheren Kanzleikollegen. Der klagende Anwalt hat mittlerweile eine eigene Anwaltskanzlei.

Notwendige Aufrüsttätigkeit

Polizeibeamte rüsten auf und wieder ab. Nämlich dann, wenn sie ihre Dienstuniform an- und ausziehen. Die Frage, ob die dafür benötigte Zeit Freizeit oder Arbeitszeit ist, musste jetzt das Verwaltungsgericht Münster beantworten.

Der Kläger ist als Polizeibeamter im Wach- und Wechseldienst bei einer Polizeiwache in Münster tätig. Anfang 2008 beantragte er, die sogenannten Rüst- beziehungsweise Abrüstzeiten vor Schichtbeginn und nach Schichtende als Dienstzeit anzuerkennen. Dies lehnte der Polizeipräsident Münster ab. Als Dienstzeit könnten nur die Vorbereitungen zur Herstellung der Einsatzbereitschaft wie etwa das Anlegen von Dienstwaffen und sonstiger Ausrüstung angesehen werden. Dagegen gehörten Vorbereitungen zur Herstellung der Dienstbereitschaft nicht zur Dienstzeit.

Dieser Argumentation folgte das Verwaltungsgericht Münster nicht. Nach Maßgabe der vom Dienstherrn konkretisierten Pflicht, den Dienst „aufgerüstet“ zum Schichtbeginn anzutreten, beginne die Arbeitszeit des Klägers nicht erst mit dem Antritt zur Schicht, sondern bereits mit dem Beginn der notwendigen Aufrüsttätigkeit unmittelbar vor Schichtbeginn.

Die Uniform stelle für den Polizeivollzugsbeamten keinesfalls eine dem reinen Privatbereich zuzuordnende Kleidung dar, sondern eine allein auf Gewährleistung von Schutz und Sicherheit ausgerichtete Ausrüstung. Dass es den Beamten gestattet sei, die Dienstkleidung mit den zugehörigen Ausrüstungsgegenständen mit nach Hause zu nehmen und den Weg von und zur Dienststelle aufgerüstet zurückzulegen, rechtfertige ebenso wenig eine andere Wertung wie die vom Innenministerium getroffene Anordnung, die für das Umkleiden notwendige Zeit als Zeit der „Vorbereitung“ auf den Dienst nicht als Dienstzeit zu werten.

Dass der Kläger nicht verpflichtet sei, die Uniform erst in den Diensträumen anzulegen, bedeute nicht, dass er hierzu nicht berechtigt wäre. Die derzeitige Handhabung der Arbeitszeitregelung bei den Beamten im Wach- und Wechseldienst stelle auch eine offensichtlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung im Vergleich zu den im Innendienst befindlichen Beamten, deren Arbeitszeit unbestritten mit dem Betreten des Dienstgebäudes beginne, und denjenigen Polizeivollzugsbeamten dar, die ihren Dienst als Krad-Fahrer oder als Fahrradstreife versehen und die ihre jeweilige Motorrad- bzw. Fahrradkombi unstreitig erst nach Dienstantritt anlegen dürften.

(Az.: 4 K 1753/08 – nicht rechtskräftig)

Geschätzt und abgerechnet

Seit September 2007 haben wir einen schönen Digitalkopierer. Das Gerät ist ins Netzwerk eingebunden, erstellt auch PDFs und erweist sich als ziemlich pflegeleicht. In der Wartungspauschale, die wir jeden Monat zahlen, sind 4.000 „Freikopien“ enthalten. Eventuelle Mehrkopien sollen halbjährlich abgerechnet werden. Wobei wir laut Vertrag verpflichtet sind, den Zählerstand nach Halbjahresende zu melden, und zwar „jeweils bis zum 5. Werktag der folgenden Abrechnungsperiode“.

Wie nicht anders zu erwarten, haben wir in den letzten drei Jahren nur einmal den Zählerstand gemeldet. Das war vor knapp zwei Wochen. Die vom Aufsteller wohl sonst versandte Mail mit der Anfrage nach dem Zählerstand scheint ausnahmsweise nicht im Spamfilter hängengeblieben zu sein. Meine Sekretärin hat die Anfrage brav beantwortet und den Zählerstand mit 86.140 angegeben.

Schon zwei Tage später flatterte uns eine Rechnung ins Haus. Für 68.003 Fotokopien. Abzüglich der 6 x 4.000 Freikopien für Januar bis Juni 2010 sollten wir 44.003 Kopien bezahlen. Das macht immerhin knapp 500,00 Euro aus. Eine Summe, bei der dem Kanzleiverwaltungshansel dann auch mal die Rechnung vorgelegt wird. Der Hansel bin ich.

Nach der Logik des Aufstellers haben wir also im Zeitraum September 2007 bis Dezember 2009 lediglich 18.137 Kopien gemacht. Das wären stolze 671 Kopien pro Monat. Die restlichen 68.003 Kopien sollen dagegen auf den Zeitraum des ersten Halbjahres 2010 entfallen. Das wären dann 11.333 Kopien pro Monat.

Da wir kontinuierlich arbeiten, kann das nicht sein. Das Inklusivvolumen von 4.000 Kopien pro Monat haben wir seinerzeit auch nicht ohne Grund vereinbart. Deshalb war für mich klar, dass die Rechnung Murks ist. Ich schrieb also ein kleines Fax an den Aufsteller. Kurz darauf meldete sich eine Sachbearbeiterin, die mir ihre internen Belege für die zurückliegenden Zeiträume faxte.

Interessant daran war auf dem ersten Blick, dass wir unsere Freiseiten in der Vergangenheit nicht mal ansatzweise aufgebraucht zu haben scheinen. Jede Halbjahresabrechnung wies rund 22.000 unverbrauchte Freikopien auf. Weil sich deshalb kein Saldo ergab, hat der Aufsteller uns diese Abrechnungen auch nicht geschickt. Hätten wir sie bekommen, hätte mich die geringe Menge an Kopien sicherlich stutzig gemacht.

Für die Mitarbeiterin alles kein Problem. „Sie haben die Zählerstände nicht gemeldet“, belehrte sie mich. „Also haben wir Sie geschätzt.“ Dazu ist der Aufsteller nach dem Vertrag tatsächlich berechtigt. Allerdings, und das wusste die Angestellte offensichtlich nicht, ist die Klausel nicht ganz so einseitig wie sie es gerne hätte. In den Bedingungen steht nämlich:

Kommt der Kunde seiner Mitteilungspflicht nicht nach, sind wir berechtigt, in unserer Abrechnung vom Durchschnittsverbrauch der letzten drei Abrechnungszeiträume auszugehen.

Die Regelung will natürlich genau das vermeiden, was jetzt eingetreten ist. Dass Zahlen genommen werden, die keinen Bezug zum tatsächlichen Verbrauch haben. Da wir aber von Anfang an gar keine Meldungen machten und die Schätzungen sofort mit der Aufstellung begannen, gibt es auch keinen „Durchschnittsverbrauch der letzten drei Abrechnungszeiträume“. Vielmehr hätte der Aufsteller, so jedenfalls meine bescheidene Meinung, nachfragen oder den Zählerstand selbst ablesen können. Diese Rechte behält er sich ohnehin vor – und zwar neben der Schätzung.

Wenigstens konnte mir die Mitarbeiterin erklären, wie es zu der absurd niedrigen Schätzung gekommen ist. Knapp zwei Wochen nach der Inbetriebnahme des Kopierers war ein Techniker da, der das Gerät ins Netzwerk einband. Der Techniker hat den Zählerstand in seinem Rapport vermerkt. Diese knapp 2.000 Kopien wurden dann zur Grundlage der Halbjahresschätzung gemacht. Die Kopienzahl von zwei Wochen entsprach dann also der eines Halbjahres. Ein ziemlicher Schnitzer, und zwar in Höhe des Faktors 12.

Wer jetzt glaubt, mein freundlicher Hinweis auf die falsche und unzulässige Schätzung könne eine kaufmännische Angestellte nachdenklich stimmen, wird leider getäuscht. Was SAP am Ende auswerfe, das unterliegt für die Dame keinem Zweifel. Schuld hätten einzig und allein wir. Sie, das klang jetzt ein wenig drohend, werde den Rechnungsbetrag jedenfalls abbuchen.

„Und wir werden die Lastschrift zurückgehen lassen“, sagte ich. Damit war das Gespräch dann auch an einem Nullpunkt angelangt, der von gegenseitigem Unverständnis geprägt war. Immerhin hat es die Mitarbeiterin dann noch geschafft, den Rückruf unseres Kundenbetreuers zu organisieren. Das ist der Mann, der uns im Spätsommer nächsten Jahres ein neues Gerät hinstellen möchte, wenn der bisherige Vertrag ausläuft.

Der Kundenbetreuer hat sich wenigstens Gedanken gemacht. Er sah ein, dass wir die Freikopien schon mit der Wartungspauschale vergüten. Und dementsprechend wenig Lust haben, sie noch einmal zu bezahlen. Weiter stimmte er mir zu, dass wir damals das Kontingent Freikopien ziemlich gut getroffen haben. Berücksichtigt man nämlich die nicht verbrauchten Freikopien aus den alten Abrechnungszeiträumen, sind wir ziemlich exakt im Limit.

Er will sich jetzt mal im Haus umhören, wie man die Rechnung „irgendwie“ aus dem System bekommt. Das System scheint aber ziemlich allmächtig zu sein. Sonderlich zuversichtlich klang er nämlich nicht.

Gericht: Winterreifenpflicht unwirksam

Die Winterreifenpflicht hat bei Einführung große Wellen geschlagen. Auch deswegen, weil sich der Gesetzgeber bei der Formulierung der Regelung nicht sonderlich viel Mühe gegeben hat. Die Vorschrift in der StVO lautet:

Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Bereifung und Frostschutzmittel in der Scheibenwaschanlage.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Winterreifenpflicht nun in einem aktuellen Beschluss für komplett unwirksam erklärt. Die Norm erfülle nicht die (Mindest-)Anforderungen für ein Gebot. Der Betroffene müsse nach Lektüre eines Paragrafen wissen, welches Verhalten von ihm erwartet werde. Das sei hier nicht der Fall:

Anhand des reinen Wortlauts des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO kann der Fahrer eines Kraftwagens nicht erkennen, was von ihm verlangt wird. … Weder gesetzliche noch technische Vorschriften regeln, welche Eigenschaften Reifen für bestimmte Wetterverhältnisse haben müssen. Dies gilt auch für Winterreifen. … Bisher existieren keine gesicherten Erkenntnisse darüber, dass alle Reifen ohne „M+S“ Kennzeichnung winteruntauglich und damit im Sinne von § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO nicht als für winterliche Wetterverhältnisse geeignete Bereifung angesehen werden könnten. …

Für den Bürger als Normadressat von § 2 Abs. 3 a StVO ist nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls welche Reifen bei welchen Wetterverhältnissen als ungeeignet anzusehen sind. Diese Unklarheit wäre vermeidbar gewesen. Der Verordnungsgeber hätte die mit der Neuregelung des § 2 Abs. 3 a S. 1 und 2 StVO verfolgten Ziele auch durch eine eindeutige Norm erreichen können.

Deswegen hob das Oberlandesgericht die Verurteilung eines Autofahrers auf, der im November mit Sommerreifen unterwegs war, obwohl sich auf der Straße eine Eisfläche gebildet hatte. Das Auto schlitterte in ein Schaufenster.

(Quelle des Links)

Das ausufernde Verbrechen

Drei Stunden nächtlicher Krach und Streit aus der Nachbarwohnung. Dann platzte meiner Mandantin der Kragen. Sie wusste mittlerweile, der Herr Nachbar reagiert pampig auf Beschwerden. Deshalb meldete sie die Ruhestörung bei der Polizei. Auf die Frage, ob die Gefahr von Tätlichkeiten besteht, antwortete meine Mandantin, sie könne die genauen Worte nicht verstehen. Deshalb wisse sie auch nicht, was vor sich geht.

Zwei Polizisten kamen nach geraumer Zeit vorbei, klingelten brav an der Tür des Mehrparteienhauses, erklärten über den Lautsprecher den Nachbarn ihr Anliegen, wurden eingelassen, gingen in den ersten Stock an die Tür der betreffenden Familie und – konnten keinen Lärm feststellen. Womöglich, weil das betreffende Ehepaar sich gerade mit der Polizei unterhielt. Aber das ist nur eine bescheidene Mutmaßung von mir.

Nun wird, auch befeuert durch eine Anzeige des Nachbarn, gegen meine Mandantin ermittelt. Wegen Missbrauchs von Notrufen. Und wegen falscher Verdächtigung. Dass die Beamten bei ihrer Vorsprache keinen Lärm hörten, soll offenbar den Rückschluss zulassen, dass es auch vorher keinen Lärm gab. Mir scheint es bei der Erwägung einen gewissen logischen Bruch zu geben. Aber vielleicht ticke ich ja anders als der Polizeibeamte, der sogleich dienstbeflissen eine Akte anlegte und Anhörungsbögen verschickte.

Sehr nett finde ich auch den Vorwurf der falschen Verdächtigung. Dafür muss man jemanden wider besseres Wissen einer Straftat bezichtigen. Ich hoffe, mir ist nichts entgangen, aber Ruhestörung hat nach meiner Kenntnis noch keinen Platz im Strafgesetzbuch gefunden.

Bleibt also noch die Frage der Polizei an meine Mandantin, ob sie Tätlichkeiten befürchtet. Schon aus der Frage ergibt sich, dass es bis zum Anruf keine Tätlichkeiten gab und somit auch niemand einer (begangenen) Straftat bezichtigt werden kann.

Die Antwort „Ich weiß nicht“ lässt sich ja auch sonst schwer als „Bezichtigung“ auffassen.

Fast schon beruhigend, dass dieser Fall seinen Platz in der Kriminalitätsstatistik finden wird. Man kann sich dann seinen Teil bei den üblichen Hiobsbotschaften über das ausufernde Verbrechen denken.