Nutzungsausfall für beschlagnahmte Computer

Kaum eine Hausdurchsuchung, bei der nicht der Computer des Betroffenen mitgenommen wird. Sehr viele Hausdurchsuchungen stellen sich nachträglich als rechtswidrig heraus. Oder das Verfahren wird mangels Tatverdachts eingestellt. Die Polizei kommt bundesweit mit der Auswertung beschlagnahmter Computer nicht nach. Betroffene müssen oft monatelang, manchmal sogar bis zu ein Jahr auf ihre Hardware warten. Nun könnten ergebnislose und vor allem lange Untersuchungen für die Justiz zumindest im Geldbeutel spürbar werden: Das Oberlandesgericht München hat einen Schadensersatzanspruch für den Entzug eines privaten Computers bejaht.

Auf „Nutzungsausfall“ geklagt hatte eine Frau, bei der ein Computer und ein Laptop beschlagnahmt wurden. Da ihr Antrag zunächst abgewiesen wurde, verlangte sie vom Oberlandesgericht München Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen den Staat. Erfolgreich. Die Richter stellten sich die Frage, ob ein internetfähiger Computer heute ein Lebensgut darstellt, „dessen ständige Verfügbarkeit für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung von zentraler Bedeutung ist“. Nur für so wesentliche Güter gibt es Schadensersatz. Bisher zählten dazu für die Wohnung Möbel, Kühlschrank, Herd und Fernseher.

Zum Computer stellen die Richter fest:

Angesichts der zunehmenden Bedeutung, die die Nutzung eines Computers in Privathaushalten hat, hält es der Senat zumindest für diskutabel, dass die ständige Verfügbarkeit eines solchen Gerätes mittlerweile zum notwendigen Lebensbedarf gehört. Maßgebliche Aspekte sind hierbei der hohe Grad der Verbreitung, vor allem aber die ständig zunehmende Internet-Nutzung im privaten Alltag, sei es zur Informationsbeschaffung, zur Kommunikation, zur Abwicklung von Geschäften oder als Unterhaltungsmediumdie in aller Regel einen Computer erfordert.

Allerdings reiche auch ein Computer aus. Die monatliche Miete für einen Computer schätzt das Gericht auf immerhin brutto 200,00 €. Der Antragstellerin, die sich kein Gerät gemietet hatte, stehen hiervon 40 % als „Kompensation“ zu, allerdings nur vom Nettobetrag. Für jeden Tag kommt das Gericht auf 2,30 € Schadensersatz. Da die Frau 77 Tage keinen Computer hatte, würde sie 177,00 € bekommen.

Mit der vom Oberlandesgericht bewilligten Prozesskostenhilfe kann die Betroffene nun klagen.

(Oberlandesgericht München, Beschluss vom 23. März 2010, 1 W 2689/09)

Es wird eng am Himmel in NRW

Bevor hunderte und in den bald beginnenden Sommerferien tausende Passagiere aus allen Wolken fallen, kam das ebenso überraschende wie umfassende Geständnis der Deutschen Flugsicherung: Es kann im Flugverkehr rund um Düsseldorf bis ins nächste Frühjahr hinein zu erheblichen Verspätungen kommen!

Die DFS hat den Aufschwung am Himmel unterschätzt, räumte ihr Geschäftsführer Dieter Kaden ein. Deswegen fehlen ihr bundesweit hundert Lotsen in der Zentrale Langen bei Frankfurt – von da aus wird auch der nordrhein-westfälische Luftraum kontrolliert. Der gehört zu den „komplexesten in Europa“.

Abgesehen von den Großflughäfen Düsseldorf und Köln (und den kleineren in Dortmund, Mönchengladbach, Münster-Osnabrück, Weeze, Mülheim) liegen im An- und Abflugbereich Frankfurt, Amsterdam und Brüssel. Allein das Gebiet um Düsseldorf – jetzt schon mit durchschnittlich 6 Minuten Verspätungen pro Flug an der deutschen Verzögerungsspitze – wird momentan von rund 50 Lotsen in Langen betreut.

Fünf fehlen – „eine nicht planbare Herausforderung“, so Kadens Versuch einer Entschuldigung. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York nämlich seien Flugverkehrszahlen rapide eingebrochen. Auch die DFS habe „gravierende finanzielle Einbußen erlitten“. Kurz: Die Lotsen haben sich zu dieser Zeit auf falsche Verkehrsprognosen verlassen.

Deswegen wurde vor acht Jahren die Düsseldorfer Kontrollzentrale nach Langen eingegliedert und weniger Nachwuchs eingestellt. „Jetzt suchen wir mit Hochdruck.“ Aber die Ausbildung dauert gerade für den engen NRW-Luftraum länger als die vorgesehenen vier Jahre. Ein schneller Personaltausch funktioniert nicht, weil jeder Lotse für nur einen Sektor seine Lizenz hat.

Mit fast um Vergebung heischenden Unterton kam Dieter Kaden auf ein anderes Problem zu sprechen. Nirgendwo in Deutschland gibt es so viele Luftsportbegeisterte wie in Nordrhein-Westfalen. Wenn Fallschirmspringervereine, Privatpiloten, und Segelflieger auch am Wochenende unterwegs sind, müsse die DFS viel Personal vorhalten, könne also keine Überstunden abbauen.

Wann es welche und wie lange dauernden Verspätungen geben kann, weiß niemand bei der DFS. Nur so viel: Es kann hier und da mal eng werden. „Wir tun alles in unserer Macht stehende“, verspricht Kaden, „um die Situation so erträglich wie möglich zu machen“. (pbd)

Alkoholverkauf darf nachts verboten werden

Das nächtliche Verkaufsverbot für Alkohol in Baden-Württemberg verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht nahm eine Verfassungsbeschwerde erst gar nicht zur Entscheidung an, weil es keine „grundsätzliche Bedeutung“ erkennen konnte.

Zwischen 22 und 5 Uhr dürfen Läden, Tankstellen, Bahnhöfe und Kioske in Baden-Württemberg keinen Alkohol mehr verkaufen, Gaststätten aber schon. Diese Regelung greift, so die Karlsruher Richter, zwar in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit ein.

Rechtswidrig verletzt sei das Grundrecht jedoch nicht, da das Alkoholverbot insbesondere nicht gegen das Übermaßverbot verstoße. Mit dem Verkaufsverbot wolle das Land einer vor allem während der Nachtzeit zu verzeichnenden Zunahme alkoholbedingter Straftaten und Ordnungsstörungen sowie Gesundheitsgefahren begegnen.

Hierbei handele es sich um wichtige Gemeinwohlbelange, die geeignet seien, einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu rechtfertigen. Die Einschränkung der Alkoholverkaufszeiten dämme den übermäßigen Alkohokonsum ein, der gerade durch die jederzeitige Verfügbarkeit gefördert werde. Lediglich temporäre Verkaufs- oder Konsumverbote durch Einzelverfügung der Ortspolizeibehörden wären kein milderes Mittel, das die Erforderlichkeit der angegriffenen Regelung entfallen ließe. Derartige polizeirechtliche Maßnahmen wären bereits aufgrund ihrer örtlichen Begrenztheit nicht gleichermaßen wirksam.

Durch die angegriffene Regelung seien die Bürger auch nicht unzumutbar beeinträchtigt. Der Einschränkung der Handlungsfreiheit stünden die Schutzgüter der Gesundheit sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegenüber, denen ein hoher Stellenwert zukomme.

Insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Beschwerdeführer auch während der Verkaufsverbotszeiten ein Konsum vorab erworbener alkoholischer Getränke ebenso wenig verwehrt sei wie der Genuss dieser Getränke in Gaststätten und sonstigen privilegierten Verkaufsstellen, sei die angegriffene Regelung verhältnismäßig.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. Juni 2010 – 1 BvR 915/10

Zu freundlich im Grenzgebiet

Mein Mandant ist ein freundlicher Mensch. Weil weder sein Bruder noch dessen Freund ein Auto haben, erklärte er sich bereit, die beiden in Venlo abzuholen. Ist ja nicht weit von Düsseldorf.

Venlo? Genau, dieses Venlo. Auf der Rückfahrt winkte die Bundespolizei das Auto raus. Der Bruder hatte 30 Gramm Marihuana in der Jackentasche; der Freund 12 Gramm.

Bei meinem Mandanten selbst wurde nichts gefunden. Bruder und Freund sagten gleichermaßen aus, mein Mandant habe vorher sogar noch klargestellt, er wolle keinen Ärger. Sie sollten bloß nichts über die Grenze bringen. Beide hätten ihm hoch und heilig versichert, nichts dabei zu haben.

Eine dürftige Beweislage, sollte man annehmen. Denn die Einfuhr von Betäubungsmitteln ist ein Vorsatzdelikt. Der Täter muss also von der Einfuhr wissen, und er muss sie wollen. Das alles ficht die zuständige Staatsanwaltschaft Krefeld und das zuständige Gericht wenig an. Man erlässt einen Strafbefehl wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln. Mit der kühnen Behauptung:

Am Tattag reisten Sie aus den Niederlanden kommend ins Bundesgebiet ein, wobei sie wussten, dass Ihre Beifahrer insgesamt 41,1 Gramm Marihuana mit sich führten. Wie Sie wussten, waren Sie zur Einfuhr der Betäubungsmittel nicht befugt.

Die bekannten Tatsachen werden da sehr kreativ in eine Aussage gepresst. Aber damit nicht genug. Mein Mandant ist ebenso wie die anderen beiden nicht vorbestraft. Trotzdem erhält er, der gar nichts bei sich hatte, als Geldstrafe doppelt so viele Tagessätze wie seine Fahrgäste. Darauf muss man erst mal kommen.

Ich frage mich derweil, was mein Mandant machen sollte. Seine Mitfahrer vor Antritt der Fahrt durchsuchen? Sich vorher eine notarielle Bestätigung geben lassen, dass er die beiden eingehend darüber belehrt hat, nur keine Betäubungsmittel mit nach Deutschland zu bringen?

Fragen, die sich nun wohl jedem stellen, der andere Leute in seinem Auto mit über die Grenze nimmt. Womöglich könnten sich Staatsanwaltschaft und Gericht neue Fälle erschließen. Sie müsste ihre Rechtsauffassung nur auf Zugführer und Taxifahrer übertragen…

Gericht ohne Akten

Mitunter kommt auch bei der Justiz etwas abhanden. Sogar Akten. Dass eine Richterin aber plötzlich ohne kriminelle Machenschaften, Feuer oder Wasserschaden alle Akten aus ihrem Büro vermisst, dürfte eher Seltenheitswert haben.

Gestern ist genau das passiert. Für die um 14 Uhr anberaumte Verhandlung stand eine Strafrichterin komplett ohne Akte da. Kurz vorher hatte sie bemerkt, dass der Botendienst des Gerichts wohl alle Ordner aus ihrem Büro mitgenommen hat. Wieso, weshalb, warum – rätselhaft.

Immerhin konnte in der Kürze der Zeit schon mal geklärt werden, dass alle Akten gerade zur örtlichen Staatsanwaltschaft unterwegs waren. Am Ziel sollten die Akten der Richterin dann aussortiert und zurückgebracht werden. Und zwar am nächsten Tag. Das ist, wenn man die Arbeitsabläufe der Justiz kennt, ein raketenmäßiges Tempo.

Der Fall war etwas kompliziert. Also war auch nicht daran zu denken, noch am Nachmittag zu verhandeln. Den größten Nutzen aus dem Malheur zog übrigens der Angeklagte. Wegen Fehlern der Justiz solle er nicht unnötig lange in Untersuchungshaft schmoren, befand die Richterin. Wir improvisierten also einen Haftprüfungstermin. Der Haftbefehl wurde außer Vollzug gesetzt, und mein Mandant durfte als vorerst freier Mann das Gericht verlassen.

Beim Deutschlandspiel jubelt keiner lauter als er. Das hat er mir versprochen.

Amnesty gegen Polizeigewalt

Die aktuelle Kampagne von Amnesty International beschäftigt sich mit Straftaten durch Polizisten und deren, so amnesty, häufig unzureichende Aufklärung. Es geht nicht um Polizeigewalt irgendwo auf der Welt. Vielmehr widmet sich Amnesty den deutschen Verhältnissen.

Auf der Informationsseite von Amnesty International findet sich auch ein Bericht zum Thema. Darin dokumentiert Amnesty International ernstzunehmende Vorwürfe von mutmaßlicher Misshandlung und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch Polizeibeamte in Deutschland. Amnesty International kommt zu dem Ergebnis, dass die Ermittlungen in den dokumentierten Fällen mangelhaft waren.

Seit 2004 haben 869 Personen Amnesty International über Probleme mit der Polizei informiert. In 138 Fällen stellte Amnesty International weiterführende Nachforschungen an. Im Zuge dieser Recherchen wurden mutmaßliche Opfer (und bei Todesfällen überlebende Angehörige), Anwälte, Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaften sowie Richter befragt. 15 Fälle werden im Bericht ausfürlich beschrieben.

Elf Stunden

Anwälte und Rotlicht haben einiges gemeinsam. Etwa den Hang, kategorisch Vorkasse zu verlangen. Natürlich bin ich in dieser Richtung, also was die Vorkasse angeht, auch nicht ohne Fehl und Tadel. Aber dass ein örtlicher Club einen Kunden, der mit gerade mal knapp hundert Euro in der Tasche im Etablissement reinschaut, trotzdem im Gegenwert von über 10.000,00 (in Worten: zehntausend) Euro umsorgt, hat mich jetzt doch überrascht.

Dennoch scheint es so zu sein. Mein Mandant wollte sich für seinen Hunderter nur kurz vergnügen. Daraus werden dann geschätzte elf Stunden Aufenthalt, ein Brummschädel und besagter Deckel in fünfstelliger Höhe. Bewirtungs- und Dienstleistungshonorar hat sich der Club durch einen knappen „Schuldschein“ absichern lassen. Von dem Schuldschein sagt mein Mandant, er könne sich an manches erinnern, aber nicht an eine Unterschrift.

Zehntausend Euro sind ihm jedenfalls viel zu viel. So viel hat er nun auch nicht gemacht. Sagt er. Ich glaube ihm gerne und will deshalb wissen, was denn im einzelnen abgerechnet wird. Der „Geschäftsführer“ des Clubs hält es allerdings nicht für nötig, eine Rechnung zu erstellen. Er meint, der Schuldschein sei ja wohl „Beweis“ genug für die Zahlungspflicht.

Ich habe ihm empfohlen, seinen Anwalt zu kontaktieren. Der wird ihm erklären, dass ein ohne Rechtsgrund abgegebenes Schuldanerkenntnis zurückgenommen werden kann. Und dass er dann wohl spätestens dem Gericht erläutern muss, welche Dienstleistungen erbracht und welche Getränke serviert wurden und welche Tarife denn so gelten sollen. Da gilt dann auch nichts anderes als bei der Autoreparatur.

Ich weiß gar nicht, ob es Sachverständige gibt, welche die ortsüblichen Preise im Bereich der käuflichen Liebe feststellen können. Aber vielleicht finden wir ja doch noch eine Lösung. Der Anwalt des Clubs ist jedenfalls einer, mit dem ich schon so manchen gordischen Knoten durchschlagen habe.

Flotte Schauspielerin muss sich fahren lassen

Wer zu schnell fährt, kann das drohende Fahrverbot einfach mit einem höheren Bußgeld abwenden – diese landesweit verbreitete Annahme hat jetzt das Oberlandesgericht Hamm (OLG) korrigiert.

Das Amtsgericht Bielefeld hatte zunächst noch Verständnis für die bekannte Schauspielerin Simone T. gezeigt. T. war Anfang vorigen Jahres auf der A 2 mit 146 km/h geblitzt worden und damit 46 km/h zu schnell. Na ja, so befand der gnädige Amtsrichter, die Frau müsse immerhin „erhebliche Strecken“ zu den Drehorten oder Bühnenauftritten zurücklegen, da genüge die Erhöhung des Bußgeldes von 100 auf 400 Euro. Das vorgesehene Fahrverbot sei dann nicht mehr vonnöten.

Falsch, entschied nun der 3. Senat des OLG Hamm und folgte der Beschwerde der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft sah den „Einzelfall“ nicht berücksichtigt. Die Schauspielerin habe ein überdurchschnittlichen Einkommens und könne ihre Fahrten auch anders organisieren. Die Anstellung eines Fahrers etwa sei „ohne weiteres zumutbar“. Eine solche finanzielle Belastung müsse jeder Verkehrsteilnehmer hinnehmen. Das einmonatige Fahrverbot jedenfalls führe nicht zu einer erheblichen Härte. Dieser Auffassung schloss sich das Oberlandesgericht an. (pbd)

VDS privat

Auch nach dem Ende der Vorratsdatenspeicherung wird auf Vorrat gespeichert. Viele Internetanbieter legen die Verbindungsdaten für eine gewisse Zeit auf Halde – sie brauchen die Daten angeblich zu Abrechnungszwecken. Das wird auch bei Kunden gemacht, die eine Flatrate gebucht haben.

Rückendeckung erhalten die Provider durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt. Die Frankfurter Richter betrachten den aktuellen Speicherzeitraum von sieben Tagen bei der Telekom für angemessen. Sie haben der Telekom abgekauft, dass es hierfür technische Gründe gibt.

Wer überhaupt mal wissen will, ob und wie lange der eigene Provider speichert, sollte an den Datenschutzbeauftragten des Unternehmens schreiben. Und nicht locker lassen, bis eine vernünftige Antwort vorliegt. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat einen Musterbrief veröffentlicht.

Solche Anfragen schaffen nicht nur für den einzelnen Kunden Klarheit. Ab einer gewissen Zahl führen sie auch dazu, die Unternehmen dafür zu sensibilisieren, dass eine sicher nicht unbeträchtliche Zahl der Kunden es nicht gut findet, wenn nun unter anderem Deckmäntelchen fortgeführt wird, was das Bundesverfassungsgericht dem Staat zunächst mal verboten hat.

Warnung und Denkzettel

Der Blechschaden war nicht der Rede wert. Dumm nur, dass mein Mandant, ein Gelegenheitskiffer, THC im Blut hatte und einiges dafür sprach, dass der Unfall ohne den Einfluss von Cannabis nicht passiert wäre.

Gut aber, dass die Polizei die Akte erst ans Ordnungsamt geschickt hat. Dort lag sie einige Zeit. Schließlich merkte der Sachbearbeiter, dass eine Straftat in Betracht kam. Also Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Dort schlummerte die Akte wieder. Schließlich war dann doch eine Anklage fertig, und die Sache ging ans Amtsgericht.

Am Amtsgericht lag die Akte wieder. Vermutlich unten in einem ganz großen Stapel, den der Richter abarbeiten mussste. Nach sieben Monaten dann die Hauptverhandlung.

Normalerweise hätte eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Raum gestanden. Allerdings war mein Mandant jetzt schon weitere sieben Monate unfallfrei gefahren und auch sonst nicht aufgefallen. Damit war quasi belegt, dass er eben nicht ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.

Schön, wenn Richter das auch so sehen. In meinem Fall bliebt es also erst mal bei einem Fahrverbot von drei Monaten. Und auch das kriegen wir womöglich noch weg. Sofern das Landgericht es nicht zu eilig mit der Berufung hat. Dann sind wieder etliche Monate ins Land gegangen, so dass die Rechtfertigung des Fahrverbotes entfallen sein dürfte. Das Fahrverbot soll Warnung und Denkzettel zugleich sein. Je weiter die Tat zurückliegt, umso weniger entfaltet es diese Wirkung.

Vorfahrt für Menschenrechte

Unter dem Titel „Wenn Menschenrechte nicht gefallen“ habe ich vor drei Wochen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz kritisiert. Das Gericht lehnt mit fadenscheinigen Gründen die Entlassung eines Mannes ab, der seit mehr als zehn Jahren in Sicherungsverwahrung sitzt. Die Koblenzer Justiz stellt sich damit gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der EGMR hatte die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus für unzulässig erklärt, weil sie eine nachträglich eingeführte Strafe ist. Damit müssten alle Verurteilten entlassen werden, deren Sicherungsverwahrung vor Aufhebung der Höchstgrenze von zehn Jahren angeordnet wurde.

Dass es auch anders und, wie ich meine, rechtsstaatlicher geht, zeigt nun eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt. Die Richter ordneten heute die sofortige Freilassung eines Betroffenen an. Entgegen ihren Koblenzer Kollegen veranstalten die Frankfurter Juristen keinen Eiertanz um die Frage, ob die Europäische Menschenrechtskonvention in Deutschland nicht mehr gilt als jede einfache andere Rechtsnorm, zum Beispiel das Gesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (MilchFettG).

Das Oberlandesgericht Frankfurt leitet nämlich aus der Zusage in Artikel 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach allen Bürgern die darin niedergelegten Rechte garantiert werden, jedenfalls einen Anspruch auf jederzeitige und sofortige Umsetzung dieser Zusage ab:

Die Vertragsstaaten der MRK haben sich verpflichtet, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Diese Pflicht gilt unmittelbar für alle staatlichen Organe, auch die Gerichte. Diese müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ihrer Bindung an Gesetz und Recht zunächst in der entschiedenen Sache dem Urteil des EGMR Rechnung tragen, also die festgestellte Konventionsverletzung beenden.

Auch wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur direkt im Ausgangsfall wirke, sei doch aus der Menschenrechtskonvention die unbedingte Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats abzuleiten, festgestellte Konventionsverletzungen auch in Parallelfällen zu beenden.

Das Koblenzer Oberlandesgericht hatte dagegen spitzfindig argumentiert, der Wortlaut des Verlängerungsgesetzes für die Sicherungsverwahrung, welches formal auf der gleichen Stufe wie die Menschenrechtskonvetion stehe, lasse nun mal keinen Spielraum zu. Deshalb müsse erst das Gesetz geändert werden, dann könne man die Vorgaben des Gerichtshofs umsetzen. Mit anderen Worten: Menschenrechte dürfen erst mal weiter verletzt werden, bis das Gesetz, welches formal die Verletzung dieser Rechte legitimiert, formal außer Kraft gesetzt worden ist. Wenn das nicht mal eine Steilvorlage für andere Fälle ist, in denen es angezeigt erscheint, elementare Rechte „vorübergehend“ nicht zu gewähren.

Mir ist die Frankfurter Entscheidung wesentlich sympathischer. Weil sie klipp und klar sagt, dass Menschenrechte Vorrang und Vorfahrt haben – auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht unbedingt gefällt.

Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt

Wie man sich selbst überlastet

Die Justiz klagt gerne, sie sei überlastet. Aber kaum einer scheint sich Gedanken zu machen, welcher Anteil der Überlastung selbst produziert ist. Zum Beispiel durch von vornherein unsinnige Ermittlungsverfahren, die dann auch noch in achtlos hingeschlurte Anklagen münden. Mit denen sich dann auch noch die Gerichte herumschlagen dürfen.

So eine Anklageschrift habe ich gerade auf dem Tisch. Um die Absurdität zu verstehen, muss ich erst mal die Vorgeschichte erzählen. Aber selbst die ist schon ein Paradebeispiel dafür, wie sich die Justiz selbst blockiert.

Mein Mandant, der auf eine lange Drogenkarriere zurückblickt, wurde am Hauptbahnhof vom Städtischen Ordnungsdienst kontrolliert. Bei seiner Leibesvisitation durch die Mitarbeiter der Stadt fand sich ein Plastikfläschchen mit einigen Tropfen Methadon. Dieses Methadon hatte mein Mandant aus der Praxis des Arztes, der ihn im Methadonprogramm betreute, von seiner Tagesdosis abgezweigt und rausgeschmuggelt. Er wollte damit dem nächtlichen Turkey bekämpfen. Eigentlich muss das Methadon in der Praxis eingenommen werden.

Zunächst mal wurde mein Mandant nach allen Regeln der Kunst angeklagt. Die paar Tropfen Methadon reichten dem emsigen Staatsanwalt zu einem handfesten Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Natürlich hätte es sich bei etwas Empathie angeboten, die Sache wegen Geringfügigkeit einzustellen – und zwar sofort, nachdem die Akte angelegt worden ist.

Die Hauptverhandlung uferte regelrecht aus. Für mich als Verteidiger lag nun mal die Frage nahe, ob und unter welchen Voraussetzungen das Ordnungsamt überhaupt Personen durchsuchen darf und ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Eigentlich geht die Durchsuchung nur, wenn sich eine Person nicht ausweisen kann oder dies verweigert. Dummerweise für die Behörde hatte mein Mandant seinen Personalausweis dabei und zeigte ihn auch vor.

Insgesamt zwei Hauptverhandlungstage wurden die problematischen Rechtsfragen durchgekaut. Bevor es dann zur Vernehmung desjenigen Mitarbeiters kam, der die Durchsuchung angeordnet hatte, zog die Staatsanwaltschaft die Notbremse. Man war nun doch einverstanden, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Ich vermute auf Bitten der Stadt, denn die wollte bestimmt kein Präzedenzurteil zu der Frage, ob ihre Ordnungskräfte dürfen, was sie gerne tun.

Letztlich eine teure Einsicht. Das Gericht und ein Staatsanwalt waren über Stunden in Anspruch genommen. Auf dem Flur hockten die Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die auf ihre Zeugenaussagen warteten. Im Gerichtssaal saßen ihre Vorgesetzten und, so glaube ich mich zu erinnern, sogar eine markante Nase aus dem Rechtsamt der Stadt.

Wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage war ich als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Der Richter ordnete später sogar an, dass die Staatskasse meine vollen Anwaltsgebühren und nicht nur das Pflichtverteidigerhonorar erstatten muss. Das kostete den Steuerzahler knappe tausend Euro.

Damit hätte jetzt Ruhe sein können. Und auch sollen. Aber so mancher Staatsanwalt verschafft sich die Arbeit halt gleich selbst. Mein Mandant hatte in dem soeben geschilderten Prozess erklärt, woher er das Methadon hat. Er sagte damals nur, dass es in der Praxis halt Mittel und Wege gibt, mal den einen oder anderen Tropfen der Tagesdosis ohne Wissen des Personals mit raus zu nehmen. Ich war dabei und weiß, dass er definitiv nicht mehr zu dem Vorgang gesagt hat.

Die anwesende Staatsanwältin hat in der Verhandlung entweder nicht hingehört. Oder ihr fehlt die Fähigkeit (womöglich auch der Wille), das gesprochene Wort unverfälscht aufs Papier zu bringen. Nach ihrem Vermerk soll mein Mandant nämlich erklärt haben, der Methadonarzt habe ihm einen kleinen Teil der täglichen Ration für die spätere Einnahme mitgegeben.

Dieser Vermerk führte zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Arzt. Zur großen Überraschung der Staatsanwaltschaft stritt der Arzt ab, meinem Mandanten oder anderen Patienten Methadon mitzugeben. Da es keinerlei Belege außer der falsch wiedergegebenen Äußerung meines Mandanten gab, wurde das Verfahren gegen den Arzt mangels Tatverdachts eingestellt.

Damit hätte jetzt aber wirklich Ruhe sein können. Aber nachdem bereits so viele Steuergelder versenkt worden sind, kommt es auf ein weiteres Ermittlungsverfahren nicht an. Dieses richtet sich zur Abwechslung wieder gegen meinen Mandanten. Praktischerweise hat man wohl gleich darauf verzichtet, meinen Mandanten zum Tatvorwurf anzuhören. Vielmehr wurde, da hat man ja jetzt Übung drin, sogleich eine Anklage erhoben.

Wegen falscher Verdächtigung!

Das Ganze wäre nur halb so traurig, würde sich die Anklage nicht auf eine Äußerung meines Mandanten gründen, die er gar nicht gemacht hat. Ob man vom Arzt persönlich (!) Methadon „mitgegeben“ bekommt oder ob es Mittel und Wege gibt, etwas aus der Praxis mit nach draußen zu nehmen, sind ja wohl zwei paar Schuhe.

Hinzu kommt, dass nicht jede falsche Verdächtigung strafbar ist. Der Täter muss den falschen Verdacht vielmehr in der Absicht äußern, dass gegen den Betreffenden ein Verfahren eingeleitet wird.

Nun lag zum damaligen Zeitpunkt meinem Mandanten nichts ferner, als seinen langjährigen Methadonarzt zum Beschuldigten zu machen. Dagegen spricht ja schon, dass mein Mandant bei seiner Verhandlung noch bei dem Arzt in Behandlung war. Er hatte auch gar nichts gegen ihn. (Immerhin hat er heute eine Erklärung dafür, wieso ihn der Arzt von einem Tag auf den anderen rausgeschmissen hat.)

Es ging meinem Mandanten lediglich darum zu erklären, dass er das Methadon nicht gesondert erworben hat, sondern dass diese Menge an sich zu der Dosis gehört, die er sowieso täglich „offiziell“ schlucken darf. Ein kleiner Unterschied, der aber bei der Schuldfrage viel ausmachen kann.

Abgesehen vom schlichtweg falschen Zitat bleibt also die große Frage nach der Anschwärzungs-Absicht, welche das Gesetz eben nun mal verlangt. Überdies können wir auch gern darüber diskutieren, wieso durch die bloße Einstellung des Verfahrens gegen den Arzt nun automatisch feststehen muss, dass mein Mandant gelogen hat.

Wir werden diese Fragen in Ruhe beantworten, gern auch in ausufernden Hauptverhandlungen. Das Gericht wird mich nämlich wieder als Pflichtverteidiger beiordnen, der von der Allgemeinheit bezahlt wird. Sobald der Beiordnungsbeschluss vorliegt, schreibe ich diesen Beitrag geringfügig um und reiche ihn als Verteidigungsschrift ein.

Was am Ende rauskommt, ist ohnehin jetzt schon einfach zu erraten. Mich plagt nur der Gedanke, wie die findigen Staatsanwälte aus dem Komplex einen weiteren Fall herausschlagen könnten.

Oder umgekehrt?

Polizeiärzte verwenden natürlich Formulare. Bei Blutproben und der begleitenden Untersuchung gibt es das Formular „Ärztlicher Bericht“. Ein ausgefülltes Formular durfte ich gerade lesen, als ich eine Hauptverhandlung vorbereitete. Ein Ausschnitt:

Was will uns der Doktor sagen? Äußerer Einfluss von Alkohol leicht bemerkbar? Und dementsprechend von Drogen nicht? Oder umgekehrt?

Auf solche Feinheiten kommt es durchaus an. Fahren unter Marihuana-Einfluss ist zum Beispiel womöglich nur eine Ordnungswidrigkeit, wenn der Fahrer keine Ausfallerscheinungen hat.

Insgesamt wäre das Ratespiel natürlich noch viel interessanter, wenn auch Medikamente im Spiel gewesen wären.

Flattr – der erste Monat

Seit anderthalb Monaten macht das law blog bei Flattr mit. Dort registrierte Nutzer haben die Möglichkeit, einen vorab festgelegten monatlichen Betrag per Klick an Onlineangebote zu verteilen, die ihnen gefallen. Die zur Verfügung stehende Summe wird gleichmäßig unter den geflatterten Seiten aufgeteilt.

Der erste vollständige Monat brachte nun 247,68 €. Danke an alle, die uns geflattert haben.

(Der Flattr-Button findet sich derzeit nur auf der eigentlichen Artikel-Seite. Also Überschrift des Beitrags oder Kommentare klicken bzw. dem Direktlink folgen.)