Im sogenannten Sauerland-Verfahren ist heute das Urteil gesprochen worden. Die Presse berichtet groß darüber. Beim Staatsschutz-Senat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts ist es in größeren Verfahren üblich, dass der Vorsitzende ein „Vorwort“ spricht. Dieses Vorwort möchte ich nachfolgend dokumentieren. Es handelt sich um das Manuskript, Abweichungen zum gesprochenen Wort sind deshalb möglich:
Mündliche Urteilsbegründung
Vorwort
Mit dem heutigen Urteil geht am nunmehr 65. Hauptverhandlungstag und nach einer Verhandlungsdauer von etwa zehn Monaten ein Verfahren zu Ende, dem ein Tatgeschehen zugrunde liegt, das seit der Festnahme der drei Angeklagten Fritz Martin Gelowicz, Adem Yilmaz und Daniel Martin Schneider am 4. September 2007 wie kein anderes Verfahren in den letzten Jahren zuvor im Blickpunkt der Medien und der Öffentlichkeit stand. Schon die ersten Verlautbarungen der Ermittlungsbehörden ließen erkennen, dass der möglicherweise größte Anschlag von islamistischen Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland noch rechtzeitig verhindert werden konnte. Entsprechend groß war auch die Zahl der eingesetzten Kräfte bei der Observation und den sonstigen Ermittlungsmaßnahmen. Nahezu das gesamte gesetzlich vorgesehene Repertoire an Überwachungsmaßnahmen bis hin zur Wohnraumüberwachung kam zum Einsatz. Nach den ersten Erkenntnissen insbesondere aufgrund der Überwachung der in verschiedenen Fahrzeugen geführten Gespräche zwischen den Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider sowie der Größenordnung des von Gelowicz gekauften Wasserstoffperoxids war die Sorge der Ermittlungsbehörden hinsichtlich eines außergewöhnlich gefährlichen und großen Anschlagsvorhabens mehr als berechtigt. Und in der Tat geisterte nicht nur in den Köpfen der Angeklagten, sondern auch in ihren Gesprächen untereinander die Vorstellung von einem Anschlag bzw. Anschlägen in der Größenordnung oder doch der Bedeutung eines “zweiten 11. September” herum.
Hätten die Angeklagten all das verwirklicht, was sie im Auftrag der in Waziristan, also im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, ansässigen Islamischen Jihad Union (IJU) planten, einer ursprünglich usbekischen Terrorgruppe, so hätte es ein ungeheures Blutbad gegeben mit einer unübersehbaren Vielzahl von Toten und Verletzten vornehmlich unter US-amerikanischen Armeeangehörigen; aber auch Zivilisten wären unter den Opfern gewesen. Doch die Gefahr, dass die Angeklagten ihr Anschlagsvorhaben erfolgreich in die Tat umsetzen, konnte glücklicherweise von den Ermittlungsbehörden gebannt werden. Und zwar war es den Ermittlungsbehörden in einem recht frühen Stadium der Anschlagsvorbereitungen gelungen, das – später noch versetzt mit Mehl – als Sprengmittel vorgesehene Wasserstoffperoxid mit einer Konzentration von 35 % gegen ein solches mit einer ungefährlichen Konzentration von 3 % unbemerkt von den Angeklagten auszutauschen. Letztlich ist sogar nicht auszuschließen, dass das Anschlagsvorhaben infolge der überwiegend nicht funktionstüchtigen Sprengzünder nicht zur Umsetzung gekommen wäre – auch ohne das Einschreiten der Sicherheitsbehörden.