Der Irrsinn – Instrument der Prävention

Heribert Prantl analysiert in der Süddeutschen Zeitung das neue Gesicht des Staates:

Was bei den Legehennen als nicht artgerecht gilt, gilt nun offenbar bei den Menschen als gerecht. Für Legehennen ist die Käfighaltung mit Ablauf 2008 verboten; für Menschen wurde sie soeben eingeführt. In Heiligendamm sind die festgenommenen Demonstranten in Gitterkäfige gesperrt und dort verwahrt worden, jeweils 20 Menschen auf 25 Quadratmeter, Tag und Nacht beleuchtet und bei all ihren Regungen gefilmt.

Diese Käfighaltung manifestiert: Das Recht der inneren Sicherheit in Deutschland ist gekennzeichnet vom Verlust der Maßstäbe und von der Veralltäglichung der Maßlosigkeit. Bezeichnend dafür ist auch der ungeheuerliche Verdacht, dass staatliche Gewaltaufwiegler, Zivilpolizisten in schwarzer Maskerade, sich unter die Demonstranten von Heiligendamm gemischt, sie zu Straftaten angestiftet und zu diesem Zweck Steine auf die Polizei geworfen haben sollen.

Es handelt sich bei solchen Cochonnerien leider nicht einfach um Entgleisungen. Hier verdichtet sich der Ungeist, der die Politik der inneren Sicherheit beherrscht. So sieht es aus, wenn der Zweck die Mittel heiligt: Dann wird die Absurdität ein Merkmal der Repression, und der Irrwitz ein Instrument der Prävention; dann wird der Rechtsstaat partiell ausgeschaltet, um ihn auf diese Weise angeblich zu schützen.

Doch das sei längst nicht alles. Aktiv unterlaufenes Demonstrationsrecht, Online-Durchsuchung, zentrale Speicherung von Fingerabdrücken, Totalprotokollierung der Telekommunikation, Globalverdacht gegen Ausländer. Der Autor nennt zahlreiche Belege dafür, dass das Ganze ins Wanken gerät.

In Richtung des artgerechten Staates. Welch gruseliges Bild.

Bibi und Benjamin verderben die Jugend

Wenn alle nein zum Krieg sagen würden, dann gäb’s keine Kriege. Benjamin Blümchen

Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg sind zwar beliebt. Aber aus politikwissenschaftlicher Sicht nicht wertvoll, meint ein Gerd Strohmeier. Auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung stellt er eine umfassende Betrachtung an. Seine Abneigung gegen Bibi und Benjamin fasst er unter anderem wie folgt zusammen:

– Politiker sind in den Hörspielen grundsätzlich lächerliche und inkompetente Figuren, die faul, reich, geld- und machtgierig, verschlagen, am eigenen Wohl orientiert sowie unfreundlich, unmenschlich und unbeliebt sind;

– … das überwiegend negative und militärische Image der Polizei bzw. die Darstellung, dass die Polizisten grundsätzlich lächerliche und inkompetente Handlanger der Politik sind, die unreflektiert eine unsinnige Pflicht tun;

– … das kontinuierlich negative Image der Wirtschaft sowie des Wirtschaftens bzw. die Darstellung, dass Wirtschaftsvertreter grundsätzlich andere betrügen bzw. ausnutzen und sich unsozial verhalten.

Ich habe schon lange nicht mehr so gelacht.

(Link gefunden beim Psychopirat)

Enterben ist nicht einfach

Enterben ist gar nicht so einfach: Obwohl ein heute 43-jähriger Mann das Vermögen seines schwer herzkranken Vaters um wenigstens 24 000 Euro veruntreut hat und deswegen ausdrücklich enterbt wurde, steht dem Sohn der Pflichtteil aus dem Erbe zu. Mit dieser Entscheidung hat das Oberlandesgericht Hamm den wesentlichen Teil des väterlichen Testaments nachträglich geändert (AZ: 10 U 111/06).

Der 10. Senat hat die Untreue weder als Verbrechen noch als „schweres vorsätzlichen Vergehen“ gewertet. Verfehlungen gegen das Eigentum oder das Vermögen des Erblassers berechtigen demnach nur dann zur Entziehung des Pflichtteils, wenn sich „nach ihrer Natur und ihrer Begehungsweise“ eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses ergibt. Und deswegen eine schwere Kränkung des Erblassers bedeuten.

Der Sohn hatte geltend gemacht, er sei vorübergehend in einer finanziellen Krise gewesen und habe dem Vater die 24 000 Euro zurückzahlen wollen. Jetzt steht ihm der Pflichtteil von knapp 14 000 Euro zu. (pbd)

Media-Markt wechselt Anwalt

Die Media-Saturn-Holding will ihrem bisherigen Anwalt Joachim Steinhöfel keine neuen Aufträge mehr erteilen, berichtet die FAZ. Gleichzeitig kündigte der neue Media-Saturn-Chef Roland Weise laut dem Bericht an, das bisher für rustikale Werbung und harte Abmahnungen bekannte Unternehmen wolle für ein besseres Image arbeiten. Und auch mit der Konkurrenz ein freundlicheres Verhältnis pflegen. Was der unmittelbare Grund für die Trennung von Steinhöfel war, wollte Media-Markt nicht sagen.

(Link gefunden bei Basic Thinking)

Nachtrag: Hintergründe in der WELT

Computerfehler: Falscher Mann in Haft

Wegen fehlerhafter Eingabe in den Behördencomputer saß ein 37-Jähriger aus Goslar drei Tage im Gefängnis. Mit der Haft sollte er eine angeblich nicht bezahlte Geldstrafe absitzen. Das Verfahren richtete sich aber in Wirklichkeit gar nicht gegen den Mann, was wohl nicht erkannt wurde.

Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Braunchweig gestand nach diesem Bericht den Fehler ein.

(Link gefunden bei Strafprozesse und andere Ungereimtheiten)

Polizei: Undercover im Schwarzen Block

Die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern bestätigt in einer Pressemitteilung, dass unter den Demonstranten beim G8-Gipfel auch verdeckte Ermittler waren:

Behauptungen, der Zivil-Beamte habe den Auftrag gehabt, andere Blockadeteilnehmer zur Begehung von Straftaten und Störungen anzustiften, entbehren jeglicher Grundlage. Seine einzige Aufgabe bestand darin, Informationen über die Planung und Begehung von Straftaten und Störungen zu erheben.

Der Einsatz solcher zivilen Kräfte ist Bestandteil der Deeskalationsstrategie und dient ausschließlich der beweiskräftigen Feststellung von Gewalttätern.

Nach Medienberichten, zum Beispiel der Welt, deren Reporterin wohl selbst vor Ort war, soll der Beamte tschechische Demonstranten zum Steine schmeißen animiert haben.

Noch gestern hatte die Polizei erklärt, es seien keine Zivilbeamten in den Reihen der Demonstranten eingesetzt worden. Nach der heutigen Berichtigung hat Spiegel online vom betreffenden Sprecher folgende Reaktion erhalten:

„Das ist ein neuer Sachstand. Was ich gestern gesagt habe, war gestern zutreffend. Was ich heute sage, ist heute zutreffend.“ Er bleibe bei seiner Darstellung, dass er den Einsatz von agents provocatuers für verfassungswidrig und unangemessen halte. Aber bei dem Zivilpolizisten habe es sich eben nicht um einen agent provocateur gehandelt.

Ich bin gespannt, ob die zuständige Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht wegen Anstiftung zum besonders schweren Fall des Landfriedensbruch erkennen kann. Die Schwelle für intensive Ermittlungen, das wissen wir ja, liegt in Deutschland ja besonders niedrig.

Vor allem sollte nun auch die Frage gestellt werden: Wie viele Zivilbeamte befanden sich letzten Samstag im Schwarzen Block? Und wieso sind sie den Gewalttätern nicht unangenehm aufgefallen, wegen ihrer plötzlichen Zurückhaltung, als Steine flogen?

Kein Respekt vor den Rechten der Bürger

Die deutschen Datenschutzbeauftragten wenden sich einstimmig gegen die geplante Online-Durchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und weitere Verschärfungen der Telekommunikationsüberwachung. Sie halten die Pläne für verfassungswidrig:

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder wendet sich mit Nachdruck gegen die von Bundesregierung und Bundesratsgremien geplante Einführung der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten und die Verschärfungen verdeckter Ermittlungsmaßnahmen, vor allem durch Telekommunikationsüberwachung.

Die Datenschutzbeauftragten haben am 8./9. März 2007 auf ihrer Konferenz in Erfurt einen ersten Gesetzentwurf als verfassungswidrig beanstandet. Insbesondere haben sie vor heimlichen Online-Durchsuchungen und der Vorratsdatenspeicherung gewarnt. Damit würde tief in die Privatsphäre eingegriffen und das Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung – ob via Telefon oder Internet – pauschal und anlasslos erfasst.

Die einhellige Kritik der Datenschutzbeauftragten und ihre Aufforderung, stattdessen verhältnismäßige Eingriffsregelungen zu schaffen, wurden von der Bundesregierung nicht beachtet. In ihrem Gesetzentwurf vom 27. April 2007 wird demgegenüber der Schutz der Zeugnisverweigerungsberechtigten verringert, Benachrichtigungspflichten gegenüber betroffenen Personen werden aufgeweicht, Voraussetzungen für die Erhebung von Standortdaten in Echtzeit und für den Einsatz des IMSI-Catchers erheblich ausgeweitet und die Verwendungszwecke für die auf Vorrat gespeicher-ten Daten über die europarechtlichen Vorgaben hinaus auch auf leichte Straftaten, auf Zwecke der Gefahrenabwehr und sogar der Nachrichtendienste erstreckt.

Die nun im Bundesratsverfahren erhobenen zusätzlichen Forderungen zeugen von mangelndem Respekt vor den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger.

Dies zeigen folgende Beispiele: Die ohnehin überzogene Speicherdauer aller Verkehrsdaten wird von 6 auf 12 Monate verlängert. Die Überwachungsintensität erhöht sich durch eine Verschärfung der Prüfpflichten der Telekommunikationsunternehmen – bis zum Erfordernis des Ablichtens und Aufbewahrens von Identitätsnachweisen aller Personen, die Prepaid-Produkte nutzen wollen.

Die Sicherheitsbehörden erhalten Auskunft über Personen, die bestimmte dynamische IP-Adressen nutzen. Ausschüsse des Bundesrates wollen die Nutzung dieser Daten sogar zur zivilrechtlichen Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum gestatten und bewegen sich damit weit jenseits des durch die EG-Richtlinie zur Vorratsspeicherung abgesteckten Rahmens, die Nutzung auf die Verfolgung schwerer Straftaten zu beschränken.

Weiterhin ist eine Ausdehnung der Auswertung von Funkzellendaten von Mobiltelefonen mit dem Ziel der Ermittlung des Aufenthaltes von möglichen Zeuginnen und Zeugen geplant. Daten, die Beweiserhebungs- oder -verwertungsverboten unterliegen, sollen nicht unmittelbar gelöscht, sondern nur gesperrt werden.

Ganz nebenbei will der Innenausschuss des Bundesrats eine Rechtsgrundlage für die heimliche Online-Durchsuchung von Internet-Computern schaffen. Allein die Zulassung dieser Maßnahme würde rechtsstaatlichen Grundsätzen eklatant widersprechen und das Vertrauen in die Sicherheit der Informationstechnik massiv beschädigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in letzter Zeit eine Reihe von Sicherheitsgesetzen mit heimlichen Erhebungsmaßnahmen aufgehoben. Auch europäische Gerichte haben Sicherheitsmaßnahmen für rechtswidrig erklärt. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten sollte abgewartet werden ebenso wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur nordrhein-westfälischen Regelung, die dem Verfassungsschutz die Online-Durchsuchung erlaubt.

Die Forderungen im Gesetzgebungsverfahren zeugen von einem überzogenen Sicherheitsdenken. Sie führen dazu, dass die Freiheitsrechte der Bevölkerung untergraben werden. Sicherheit in der Informationsgesellschaft ist nicht mit überbordenden Überwachungsregelungen zu erreichen, sondern nur durch maßvolle Eingriffsbefugnisse mit effektiven grundrechtssichernden Verfahrensregelungen und durch deren besonnene Anwendung. Die betroffenen Grundrechte verkörpern einen zu hohen Wert, als dass sie kurzfristigen Sicherheitsüberlegungen geopfert werden dürfen.“

Quelle

Nachtrag: Der Bundesrat hat die Regelungen zumindest nicht durchgewinkt, berichtet die FAZ.

Stern-Kommentar: Stopschild für Schäuble

Käfighaltung

„Jedem Gefangenen stehen 2,5 Quadratmeter zur Verfügung.“ Eine Polizeisprecherin über die Unterbringung von Festgenommenen beim G8-Gipfel.

Spiegel online scheint der erste Blick hinter die Kulissen der Justizmaschine gelungen zu sein. Der Stern berichtet ebenfalls. Und auch tagesschau.de. Nach den Informationen in den Artikeln und dem Filmbericht kann ich gut nachvollziehen, warum die Polizei von sich aus keine Journalisten zu Besichtigungen eingeladen hat.

Wo schöpfen die Architekten solcher Anlagen ihre Inspiration? Aus Guantanamo? Oder gucken sie zu viele Filme? Wie V for Vendetta? Oder Children of Men? Hoffentlich haben sie auch die Handlung verstanden.

Beschwerde gegen Hamburger Postkontrolle

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Rechtsanwalt Dr. Fredrik Roggan, hat Beschwerde gegen die Postbeschlagnahme im Hamburger Briefzentrum 20 erhoben. Sein Mandant ist ein Hamburger Rechtsanwalt, der seine Kanzlei im Bereich des betroffenen Briefzentrums in Hamburg hat. Ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hatte, so Presseberichte, die Maßnahme nach den Paragrafen 99 und 100 der Strafprozessordnung angeordnet, um Bekennerschreiben von militanten G8-Gegnern frühzeitig aus dem Postgang aussortieren zu können. Polizisten nahmen im Briefzentrum sämtliche Sendungen auf verdächtiges Aussehen in Augenschein.

Das rasterartige Suchen nach verdächtigen Sendungen ist nach Ansicht Roggans ein tiefer Eingriff in das Postgeheimnis, der durch die gesetzlichen Regelungen der Postbeschlagnahme nicht gedeckt ist: „Bei den Kontrollen wurden die gesetzlichen Vorgaben gleich mehrfach außer Acht gelassen. Ein Aussortieren von Postsendungen kommt grundsätzlich nur durch Bedienstete der Post in Betracht, die im Übrigen keine Kenntnisse vom anlassgebenden Strafverfahren haben. Offenbar waren die Verfasser der gesuchten Bekennerschreiben namentlich nicht bekannt. Im Ergebnis musste sich die gesamte Bevölkerung der betroffenen Stadtteile einen äußerlichen Abgleich ihrer Briefe mit verdächtigen Schreiben gefallen lassen.“

Die Strafprozessordnung erlaube lediglich eine Beschlagnahme von Postsendungen, die von namentlich bekannten Verdächtigen stammen oder an diese gerichtet sind. Um nicht das Postgeheimnis sämtlicher Bürger zu verletzen, obliegt die Aussonderung solcher Sendungen allein Postbediensteten, die ausschließlich auf die Post der Beschuldigten zu achten haben. „Eine Kontrolle sämtlicher Briefe daraufhin, ob sie eventuell verdächtigen Aussehens sind, ist mit den gesetzlichen Vorgaben unvereinbar. Die Information, wer wem schreibt, unterliegt dem Postgeheimnis“ stellt Roggan fest.

„Das Vorgehen der Generalbundesanwaltschaft bedeutet im Ergebnis, dass beispielsweise die Korrespondenz von Rechtsanwälten mit einem polizeilichen Raster abgeglichen wurden. Die Ermittler konnten Kenntnisse über bestimmte Mandatsverhältnissen erlangen. Das ist mit dem verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensverhältnis zwischen Mandat und Rechtsanwalt unvereinbar. Aber auch andere Bürger müssen nun hoffen, dass ihre Briefe nicht zufällig einem Bekennerschreiben ähnelten – etwa weil sie den Absender vergessen hatten.“