Organisierte Kriminalität gegen die Verfassung

Online-Durchsuchung und kein Ende. Das ARD-Magazin „Kontraste“ hat die Chronologie der neuartigen Fahndungsmethode aufgearbeitet. Es erklärt auch, wie es zur Dienstanweisung des damaligen Innenministers Schily kam, die solche grundgesetzwidrigen Maßnahmen billigte.

Zu Wort kommt auch der Frankfurter Juraprofessor Peter-Alexis Albrecht:

Das Schlimme ist, das der Politik die Achtung vor der Verfassung verloren gegangen ist. Wenn das Verfassungsgericht innerhalb der letzten Jahre 5 oder 6 Gesetze kippt, dann ist die Politik nicht demütig und sagt wir haben einen Fehler gemacht, sondern die Politik versucht die Gesetzeslage zu ändern und sie wieder ihrer absurden Optik der Welt anzupassen. Und das ist die verfassungsrechtliche Schweinerei, dass ein Verfassungsgericht sagt, hier ist die Grundrechtsgrenze erreicht und die aktive Exekutive hat nichts anderes im Sinn, als die Gesetzeslage auf ihre Absurdität hin anzupassen. Das ist strafbarer Verfassungsmissbrauch. Das ist organisierte Kriminalität gegen die Verfassung.

Aber im Raumschiff Berlin ist man ja schon längst nicht mehr auf Empfang.

(Link gefunden im Schnüffelblog)

Keine Fingerabdruck-Register

Die Fingerabdrücke für den biometrischen Reisepass werden jetzt doch nicht bei den Einwohnermeldeämtern gespeichert. Darauf haben sich nach einem Bericht von heise online die Koalitionsspitzen geeinigt.

Mit der Einigung sei auch ein Onlinezugriff von Polizei und Geheimdiensten auf die hinterlegten Fingerabdrücke ausgeschlossen. Die Abdrücke sollen bei den Meldeämtern nämlich sofort gelöscht werden.

Zeitvertreib

Bei einer Besprechung seelenruhig ans klingelnde Handy gehen. Gelassen und laut am Tisch telefonieren, während die drei Gesprächspartner schweigen und zwangsweise zuhören.

Ich bin nach einer Minute raus. Soll der Betreffende dann halt auf mich warten. Die Demonstration ging leider daneben. Als ich zurück ins Besprechungszimmer ging, telefonierte er immer noch.

Wusste gar nicht, dass wir Simpsons-Comics unter den Zeitschriften haben.

Wenn der wahre Vater im Dunkeln bleibt

Ein Ehemann kann zwar gerichtlich feststellen lassen, dass er nicht der Vater eines von seiner Ehefrau untergeschobenen Kindes ist – er kann aber juristisch nicht klären lassen, wer der biologische, also tatsächliche Vater ist. Damit kann der Ehemann auch von dem anderen Mann keinen bereits gezahlten Unterhalt zurückfordern.

Mit dieser Begründung hat kürzlich das Oberlandesgericht Hamm (AZ: 11 UF 210/06) die Klage des Ehemanns abgewiesen. Denn gesetzlich ist bislang festgeschrieben, dass die Vaterschaftsanerkennung nur von der Mutter, dem (erwachsenen) Kind und dem biologischen Vater beantragt werden kann. Wegen dieser komplizierten Rechtslage wurde die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. (pbd)

Passivraucher dürfen kündigen

Wer am Arbeitsplatz passiv rauchen muss und sich nicht dagegen schützen kann, darf sein Arbeitsverhältnis kündigen, ohne dass beim Arbeitslosengeld eine Sperrzeit eintritt. beck-aktuell berichtet über ein entsprechendes Urteil des Landessozialgerichts Hessen.

Fremde Intelligenz

Zu psychiatrischen Gutachten in Strafverfahren gehört meist ein Intelligenztest. Mir ist schon nicht ganz klar, wie ein Gutachter dem Beschuldigten die Fragebögen mitgeben kann, damit er sie zu Hause (oder in der Gefängniszelle) ausfüllt und zur nächsten Sitzung wieder mitbringt. Natürlich mit der Belehrung, sich nicht helfen zu lassen.

Dann kommt schon mal durch einen Zufall ans Licht, das Testergebnis bildet gar nicht die Intelligenz des Beschuldigten ab. Sondern die einer befreundeten Bankkauffrau. Allerdings müsste die eigentlich wieder so schlau sein, dem Bekannten zu sagen, dass er die Fragebögen doch besser alleine ausfüllt.

Jedenfalls bei Gewaltdelikten hat es nämlich noch keinem Täter geschadet, wenn er nicht der Hellste ist.

In die Waagschale

Unser Mandant verklagt eine Unternehmerin. Es geht um knapp 10.000 Euro. Der Prozess ist praktisch nicht zu verlieren, denn für jeden Teilbetrag hat die Dame Gutschriften erteilt.

Verteidigen kann sie sich lediglich mit Gegenforderungen über knapp 2.000 Euro. Die wirken sehr gekünstelt, stehen aber nun mal im Raum. Mit den Gegenforderungen erklärt sie im Prozess auch die Aufrechnung.

Kurz darauf erhebt die Frau dann eine Klage vor dem Amtsgericht. Mit der Klage macht sie jetzt genau die Forderungen geltend, mit denen sie im Verfahren unseres Mandanten aufgerechnet hat.

Eigentlich sollte einem der gesunde Menschenverstand doch sagen, dass man die gleichen Forderungen nicht doppelt in die Waagschale werfen kann. Oder der Firmenjurist. Aber wer weiß, warum ich schon länger nichts von dem gehört habe.

Was die 68er mit Diekmann machen

Heute um 9.20 Uhr berichtet BILDblog, dass BILD-Chefredakteur Kai Diekmann ein Buch geschrieben hat. Unter dem Titel „Der große Selbstbetrug“ soll er mit dem Erbe der 68er abrechnen.

Gähn. Wäre da nicht eine saftige Erwiderung, die WELT-Kommentarchef Alan Posener auf die Onlineseite seines Blattes gesetzt hat:

Ah ja, klar. (…) Die 68er haben K.D, gezwungen, als Chefredakteur der Bildzeitung nach Auffassung des Berliner Landgerichts „bewusst seinen wirtschaftlichen Vorteil aus der Persönlichkeitsrechtsverletzung Anderer“ zu ziehen. Die 68er zwingen ihn noch heute, täglich auf der Seite 1 eine Wichsvorlage abzudrucken, und überhaupt auf fast allen Seiten die niedrigsten Instinkte der Bild-Leser zu bedienen, gleichzeitig aber scheinheilig auf der Papst-Welle mitzuschwimmen. (…) Man kann nicht die Bildzeitung machen und gleichzeitig in die Pose des alttestamentarischen Propheten schlüpfen, der die Sünden von Sodom und Gomorrha geißelt. So viel Selbstironie muss doch sein, dass man die Lächerlichkeit eines solchen Unterfangens begreift. (…)

Wenn man ein bisschen zynisch ist, auf miniberöckte Vorzimmermiezen großen, auf Ernsthaftigkeit eher weniger Wert legt, kann man [bei „Bild“] Karriere machen, und das ist völlig OK so. Einer muss es ja machen, so wie einer den Dieter Bohlen machen muss, und einer den Papst. Aber wenn Dieter Bohlen den Papst geben würde, müsste man auch lachen, oder?

Äh, hatte. Der Link funktioniert schon nicht mehr, wie auch BILDblog gerade meldet. Also, wenn Herr Posener Lust hat, kriegt er den vollständigen Text sicher auf unzähligen Weblogs unter, dieses eingeschlossen.

Nachtrag: Peter Turi veröffentlicht eine Stellungnahme des Springer Verlags:

Stellungnahme der Axel Springer AG zum Beitrag von Alan Posener über Kai Diekmann

Dies ist die Entgleisung eines einzelnen Mitarbeiters. Der Beitrag von Alan Posener über Kai Diekmann ist ohne Wissen der Chefredaktion in den Weblog von Alan Posener gestellt worden.

Der Beitrag ist eine höchst unkollegiale Geste und entspricht nicht den Werten unserer Unternehmenskultur.

Bei Axel Springer gilt Meinungspluralismus, aber nicht Selbstprofilierung durch die Verächtlichmachung von Kollegen.

„Ich fürchte um unseren Rechtsstaat“

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar hat dem Stern ein bemerkenswertes Interview gegeben. Kurz und verständlich stellt er da, wie in Deutschland die persönliche Freiheit vor die Hunde geht.

Schon die Möglichkeit der Überwachung verändert und beeinträchtigt unser Verhalten. Wenn ich befürchten muss, dass ich registriert werde, dann verhalte ich mich nicht mehr frei und vermeide bestimmte Dinge, mit denen ich auffallen könnte. Es ist eine Art Selbstzensur, mit der sich die Gesellschaft schleichend verändert – zum Duckmäusertum nach dem Motto „Bloß nicht auffallen!“

Strafbarer Handel mit Arztdaten?

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Eine Schar Düsseldorfer Ärzte und Psychotherapeuten hegt gegen die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KKNo) den bösen Verdacht einer Datenschutzverletzung. Dies schließen die Mediziner aus einem Werbeschreiben, das sie kürzlich alle von einer Firma aus Solingen bekamen. Das Unternehmen preist seine Software an, mit der Angehörige der Fachrichtung Psychotherapeutische Medizin die Behandlungskosten von Patienten auf elektronischem Weg mit der KVNo abrechnen können.

„Eine Sonderaktion“ nennt das die Solinger Firma, eine vermutlich erfolgreiche dazu, weil sie so einfach ist: „Sie tauschen einfach Ihre Praxis-EDV (Psyprax) aus!“ Und dieses eine Wort löste den Alarm bei den Ärzten aus: „Woher wissen die in Solingen, dass ich die Software Psyprax benutze“, fragt sich Bernd Klose. Und hat auch die Antwort parat: „Die KVNo! Wer sollte sonst die Quelle sein“.

Dieser Meinung ist auch Ingeborg Lackinger Karger, ihr war aus Solingen ebenfalls exakt beschrieben worden, dass sie die elektronische Datenverarbeitung „smarty“ der New Media Company benutzt. Sie sagt, niemand wisse das – außer ihr, der Firma und der KVNo. Mit ihrem Verdacht wandte sie sich per E-Mails an den Kreis der Kollegen und bekam auch eine solch’ drastische Antwort: „Natürlich sitzt die undichte und womöglich korrupte Stelle irgendwo in der KVNo!“

Doch das werde schwer zu beweisen sein. „Die KV Nordrhein hat diese Angaben nicht gemacht“, so dementiert deren Sprecherin Ruth Bahners. Und fügt hinzu: „ Es liegen auch keine Hinweise vor, die vermuten lassen, dass diese Angaben aus dem Hause der KV Nordrhein stammen“. Woher sie die sensiblen Daten hat, mag die Solinger Firma nicht preisgeben.

Sie lässt lieber ihren Kölner Anwalt schreiben. Der raunzt, es sei „nicht nachvollziehbar, inwieweit aus einem Anschreiben der Verdacht auf Verletzung des Datenschutzes hergeleitet werden kann“. Das sieht die Datenschutzbeauftragte des Landes völlig anders: „Für die Nennung dieser Daten gibt es weder eine Rechtsgrundlage noch eine Einwilligung“, sagt Behördensprecher Niels Schröder.

Der Fall sei sogar strafrechtlich interessant, weil solche Verletzungen mit Geldstrafe und bis zu zwei Jahren Haft bedroht sind. Außerdem haben die Ärzte das Auskunftsrecht, auch von der Solinger Firma deren Datenquelle zu erfahren. Die Doktorin Lackinger Karger hat es versucht: „Der Mitarbeiter hat sich um eine Aussage herumgedrückt“.

Inzwischen fragt sie sich, wenn schon jemand die Marke der Abrechnungssoftware ihrer Praxis kennt – welche Geheimnisse sind dann noch welchen Leuten bekannt? Deswegen hat sie jetzt eine Strafanzeige erstattet. Damit wird aus einem Werbeschreiben ein Fall für den Staatsanwalt. Der hat, in der Abteilung gegen Organisierte Kriminalität, jetzt seine Ermittlungen begonnen. (pbd)

U-Haft als Erziehungsmittel

Weil er sich vom Gesetzgeber daran gehindert sieht, jugendliche Verdächtige wegzusperren, nutzt der Berliner Oberstaatsanwalt Roman Reusch die Untersuchungshaft als „Erziehungsmittel“ und prahlt auch noch damit. Das ist, worauf in einem Spiegel-Gespräch seine Gesprächspartner hinweisen, rechtswidrig.

Auszug:

Reusch: Das wäre vielleicht ein bisschen überzogen. Ich kann nur für mich sprechen, nicht für die Berliner Justizpolitik, aber ich bin dafür: Sobald sich ein Knabe in die falsche Richtung entwickelt, muss er eine Konsequenz verspüren, die ihm weh tut, und Knast tut weh. Wir machen damit gute Erfahrungen. Die, die einmal in Untersuchungshaft gesessen haben, machen nicht mehr den dicken Max. Diese Jungs sind sehr viel vorsichtiger, wenn sie wieder rauskommen.

Sonnen: Um es ganz deutlich zu sagen: Nach dem Gesetz ist das nicht erlaubt. Die Untersuchungshaft hat nur ein einziges Ziel, nämlich die Durchführung einer Hauptverhandlung zu sichern. Das Jugendstrafrecht hat nicht zum Ziel, jemanden aus dem Verkehr zu ziehen.

Reusch: Wir müssen oft genug zähneknirschend zusehen, wie ein Täter noch mehr Menschen überfällt, demütigt, zusammenschlägt, weil uns der Gesetzgeber daran hindert, diese Jungs einzusperren. Wenn es rechtlich irgendwie möglich ist, greifen wir zur U-Haft als Erziehungsmittel. Das ist die pure Verzweiflung und weitverbreitete Praxis in Deutschland.

SPIEGEL: Sie brechen das Gesetz?

Reusch: Unsinn, selbstverständlich bewegen wir uns immer im Rahmen des geltenden Haftrechts. Wir reizen lediglich jeden Spielraum aus.

Vielleicht sollte sich der Staatsanwalt mal überlegen, ob ihn der Gesetzgeber vielleicht aus gutem Grund an manchem „hindert“? Und dass es eigentlich seine selbstverständliche Aufgabe ist, das Gesetz umzusetzen. Und nicht seine private Auffassung von law and order.

Mit solchen Statements tut der Mann dem Rechtsstaat jedenfalls keinen Gefallen.