Er hat gehupt

Nötigung in der Tempo-30-Zone, kann es das überhaupt geben? Ein beleidigter Mitbürger warf meinem Mandanten jedenfalls vor, dieser sei im Wohnbereich sehr dicht aufgefahren und habe „gehupt“.

Abgesehen davon, dass die Anzeige von vorne bis hinten nach Querulant klang, kennt sich ihr Verfasser nicht mit dem Strafrecht aus. Er schrieb nämlich, der Fahrer des Wagens hinter ihm habe gehupt und sei dann sofort rechts in eine andere Straße abgebogen. Womit der Nötigungsvorwurf schon gegessen ist. Wer nötigt, muss nämlich auch einen bestimmten Erfolg anstreben. Etwa, dass der Vordermann schneller fährt. Gibt es keinen Nötigungszweck, macht man sich nicht strafbar.

Wenn der böse, böse Fahrer direkt nach dem Hupen abgebogen ist, ging es ihm gar nicht darum, den Vordermann auf Trab zu bringen. Er wollte ihm höchstens noch seine Meinung mitgeben.

Wie es aussieht, hat diese Argumentation den Staatsanwalt überzeugt. Der hat das Verfahren eingestellt. Das freut mich natürlich. Ein wenig bedauere ich es aber, dass wir auch künftig nicht wissen, ob die „Ich konnte im Rückspiegel sein Nummernschild nicht mehr erkennen“-Rechtsprechung für deutsche Autobahnen auf eine Tempo-30-Zone übertragbar ist.

Etwas ferngelegen

Wenn jemand vor dem Zivilgericht klagt, muss er die gesamen Gerichtskosten vorstrecken. Sonst wird seine Klage gar nicht bearbeitet. Bei einem Streitwert von 1.000 € reden wir über 165 €. Bei 10.000 € werden schon 588 € Gebühren fällig. Und für einen Prozess um eine Million Euro muss der Kläger mit 13.368 € in Vorleistung treten.

Im Verwaltungsgerichtsverfahren gibt es keine Vorschusspflicht. Das führt dann dazu, dass ich für meine Mandantin eine Rechnung über 370 € erhalte mit der Bitte, diese an die Auftraggeberin weiterzuleiten. Das tue ich natürlich gerne. Auch wenn sie etwas ferngelegen wohnt, nämlich im Bezirk Edo State, Nigeria.

Nachdem man ihr per Urteil ein Einreisevisum versagt hat, wird sie wohl – natürlich gegen meinen ausdrücklichen Rat – eher wenig geneigt sein, die Gebühren an die deutsche Justiz zu überweisen. Noch dazu, wo die Summe ungefähr der Hälfte des nigerianischen Sozialprodukts pro Kopf und Jahr entspricht.

Nichts bekommen

„Ich habe nur einmal was von Ihnen bekommen.“

Das klang durchaus vorwurfsvoll. Immerhin hatten wir erfolgreich das Gehalt des Gegners gepfändet. Da sollte der Auftraggeber auch sein Geld erhalten. Ich schaute also ins Kontenblatt und listete die Zahlungen auf:

7. Juli 2005
11. Oktober 2005
26. Januar 2006

Wie sich herausstellte, waren die zwei letzten Zahlungen beim Empfänger „einfach untergegangen“. Damit war für mich die Befürchtung vom Tisch, wir hätten was verschusselt. So was kann immer passieren. Aber möglichst nicht bei Geld, das einem nicht gehört.

Gegen die Enttäuschung meines Gesprächspartners, dass von uns kurz vor Weihnachten mit keinem weiteren Geldsegen zu rechnen ist, hatte ich leider kein Rezept.

Prepaid: Geld kommt nicht von alleine

Was geschieht mit Prepaid-Guthaben auf deaktivierten Telefonkarten? Trotz kundenfreundlicher Urteile gibt es noch immer keine richtig kundenfreundlichen Regelungen, berichtet heise online.

Insbesondere müsse sich der Kunde auch bei Anbietern, die Guthaben nicht mehr verfallen lassen, nach wie vor selbst darum kümmern, dass er sein Geld von einer stillgelegten Karte ausgezahlt bekommt. Anbietern, die Guthaben nach wie vor verfallen lassen, sollen die Verbraucherzentralen derzeit Klagen ins Haus schicken.

Peru, war doch klar

Die fünf Börsen mit der besten Performance seit 1. Januar 2006:

Peru 131,1 %
Venezuela 94,5 %
Vietnam 86,6 %
China 75,8 %
Botswana 71,9 %

(Der Aktionär 48/06, S. 6)

Musstu nicht gucken

Als er eine Klage einreichen wollte, suchte sich ein Arbeitnehmer die Adresse des Arbeitsgerichts aus der aktuellen Stadt- und Brancheninfo „Gewusst wo“. Die Adresse war falsch, deshalb ging seine Klage erst verspätet ein. Das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage doch noch zugelassen. Der Kläger habe die „ihm zumutbare Sorgfalt“ gewahrt, als er sich auf die Eintragung verließ.

Aus dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Köln (NZA-RR 2006, 492):

Zu Recht hat das Arbeitsgericht schließlich darauf hingewiesen, dass es in einem solchen Fall nicht zur Obliegenheit eines Arbeitnehmers gehört, vor Ort nachzusehen, ob sich das Gericht auch tatsächlich an der im Adressbuch angegebenen Adresse befindet.

Irgendwie beruhigend, finde ich.

Kauft sich Esser doch frei?

Der Mannesmann-Prozess steht möglicherweise vor der Einstellung. Deutsche-Bank-Chef Ackermann und Ex-Mannesmann-Vorstandsvorsitzender Klaus Esser sollen jeweils Millionenbußen zahlen, berichtet Spiegel online.

Wenn es stimmt, haben Essers Anwälte gute Überzeugungsarbeit geleistet. Immerhin kam für ihren Auftraggeber bis vor kurzem ausschließlich ein Freispruch in Frage. Ackermann und die anderen Mitangeklagten werden tief durchatmen. Endlich sind wieder alle in der Realität angekommen.

Kontaktschmutz

Aus einem Gutachten für das Amtsgericht:

Ein Reinigungsversuch des unterzeichneten Sachverständigen mit einem für Kunstoffböden üblichen Reinigungsmittel und Schrubber sowie Nachwaschen mit klarem Wasser zeigte beim Abreiben mit einem weißen Baumwolltuch, dass die Oberfläche der beschichteten Treppenstufen durch Kontaktschmutzansammlungen infolge der Frequentierung durch die Mieter oder deren Besucher verschmutzt vorlag, da an der Rückseite des Baumwolltuchs hellgraue bis dunkelgraue Rückstände nach dem Abwischen resultierten.

Kriminellenhatz im Provinzbahnhof

Zur Bundespolizei, die erst neulich wieder zwei Schwarzfahrer angezeigt hat, hat law blog – Leser „bo“ einiges zu sagen. Hier seine Anmerkungen:

Vor dem 11. September gab es in Deutschland ernsthafte Bestrebungen, den damaligen BGS (heute Bundespolizei) aufzulösen oder zumindest stark zu verkleinern. Grund war, dass nach den EU-Erweiterungen ein gesonderter polizeilicher Grenzschutz neben der Tätigkeit des Zolls, des Militärs (v.a. Flugraumüberwachung) und der Länderpolizei allenfalls noch an Flughäfen benötigt wurde. Mit m.E. nach guten Argumenten wurde vorgebracht, dass angesichts der ganz erheblichen Kosten, die die Institution BGS für den Steuerzahler mit sich bringt, die Bewachung von Flughäfen und Bahnhöfen ebensogut den für Polizeiaufgaben ohnehin zuständigen Ländern übertragen werden konnte.

Dank dem 11.09. und Innenminister Schily wurden derartige Bestrebungen aber abgemeiert. Das wiederum führt dazu, dass eine eigene Bundespolizei vermutlich zu mindestens 90% eben nicht Flughäfen schützt oder dem BKA bei länderübergreifender, organisierte Schwerkriminalität oder bei der Terrorismusbekämpfung zur Seite steht, sondern schon fast verzweifelt im Umfeld deutscher Provinzbahnhöfe nach irgendeinem Anlass sucht, irgendwelche teils an den Haaren hebeigezogenen Strafverfahren einzuleiten, um Gründe für die eigene (sehr teure) Existenzberechtigung zu schaffen.

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Haftanstalten: NRW schafft neue Stellen

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Seht her: Wir haben die unglaublichen Missstände ja nur übernommen! Mit dieser Botschaft ließ Justizministerin Müller-Piepenkötter (CDU) vor Beginn des Rechtausschusses im Landtag eine Erklärung ihres Vor-Vorgängers verteilen. Darin gestand Sozialdemokrat Jochen Dieckmann bereits am 3. Mai 1999: „Angespannte Lage im Strafvollzug verlangt Bediensteten äußerste Anstrengungen ab“.

Die aber kenne die christdemokratische Justizministerin, so drehte die SPD gestern den Spieß um, seit eineinhalb Jahren. Und in denen habe sie nicht nur nichts gegen die prekäre Lage getan. Die habe sie, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Ralf Jäger, noch im Sommer wahrheitswidrig beschönigt. Sie hatte erklärt, sie habe die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts bereits erfüllt – also gesetzliche Vorkehrungen dafür getroffen, dass Gefangene vor wechselseitigen Übergriffen geschützt sind. Das rechnete ihr heute die SPD als Lüge an und erwägt einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

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Kaminkehrer müssen sich dem Markt öffnen

Dem Schornsteinfegermonopol geht es möglicherweise an den Kragen. Spiegel online berichtet:

Der Schornsteinfeger kehrt alljährlich die Kamine, auch wenn sie blitzsauber sind. Er misst die Abgaswerte, selbst wenn die Heizung gerade gewartet wurde. Und er kassiert dafür Gebühren, die keiner unterbieten kann, weil die Kehrordnung sie festschreibt.

Geschaffen wurde dieses eigentümliche Biotop vor gut 70 Jahren. Damals teilten die Nazis das Deutsche Reich in lauter kleine Kehrbezirke auf. Das Dritte Reich ging unter, das Kehrmonopol aber blieb bestehen: Noch heute kann sich kein Hausbesitzer aussuchen, wen er in den Keller lässt. Und wenn der Schornsteinfeger dann noch etwas an den Abgaswerten auszusetzen hat, offenbart das System seine ganze Fragwürdigkeit.

Dann nämlich darf der Meister nicht etwa an Ort und Stelle selbst die Heizung neu einstellen, es wäre eine Kleinigkeit für ihn. Es muss vielmehr extra ein Installateur bestellt werden. Hat dieser die Anlage dann justiert, kommt der Schornsteinfeger erneut zur Visite, um noch einmal die Werte zu prüfen – und wieder eine Gebühr zu kassieren.

Der Bundesrepublik droht ein Vertragsverletzungsverfahren der EU. Deshalb soll in Berlin derzeit eifrig an einer Öffnung des „Marktes“ gearbeitet werden.

Schöne Erinnerung

Nachdem wir den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid zurückgenommen haben, entdeckt der Mandant doch noch Sinn in meiner Tätigkeit:

Immerhin habe ich das Video von dem Motorradpolizisten. Ist doch eine schöne Erinnerung.

OLG-Richter angeklagt

In Sachsen-Anhalt zeichnet sich ein ziemlich einmaliges Verfahren ab. Gegen Richter eines Familiensenats am Oberlandesgericht Naumburg hat die Generalstaatsanwaltschaft Anklage erhoben – wegen Rechtsbeugung.

Recht und Alltag zitiert eine Pressemitteilung des Oberlandesgerichts (23/06, derzeit wohl nicht online):

Dem OLG ist bekannt geworden, dass die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg gegen zwei Richter des OLG Naumburg und einen Richter des Landgerichts (LG) Halle Anklage wegen Rechtsbeugung beim LG Halle erhoben hat. Die Vorwürfe beziehen sich auf ein Verfahren, das als Familiensache gemäß § 170 GVG nichtöffentlich verhandelt wurde. Schon deshalb verbietet sich eine inhaltliche Stellungnahme. Das OLG vertraut darauf, dass die erhobenen Vorwürfe in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden.

Für Angehörige der Justiz gelten in diesem Zusammenhang keine anderen Verfahrensregeln als für jeden anderen Bürger. Die Betroffenen können aber wie jeder andere Bürger auch ihre von der Verfassung garantierten Rechte wahrnehmen. Zu diesen Rechten gehört insbesondere die Unschuldsvermutung, d.h. dass die Betroffenen solange als unschuldig zu gelten haben, bis ein unabhängiges Gericht ihre Schuld rechtskräftig festgestellt hat.

Die Richter sollen im Verdacht stehen, einem türkischen Vater das Umgangsrecht mit seinem Kind zu verwehren. Unter anderem hatte sich der Familiensenat gegen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gestellt, welche dem Vater den Rücken stärkten.

Anklagen wegen Rechtsbeugung lassen sich in der Geschichte der Bundesrepublik an zwei Händen abzählen. Verurteilungen sind noch viel seltener.

Für die Richter ist dies jedenfalls eine ernste Sache. Die Mindeststrafe beträgt ein Jahr Gefängnis. Eine Veurteilung, auch auf Bewährung, hätte zwangsläufig zur Folge, dass die Justizdiener demnächst dem freien Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Frühere Berichte im law blog:

Recht gebeugt?

Renitent

Polizei: Handyortung bleibt günstig

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Im Streit um zu hohe Gebühren und Behinderungen bei akuten Rettungsarbeiten der nordrhein-westfälischen Polizei ist der Bonner Mobilfunkbetreiber „T-Mobile“ nun doch eingeknickt. Das Tochterunternehmen der deutschen Telekom AG hatte zum 1. November plötzlich schriftliche Telefax-Anträge und jeweils eine Gebühr von 30 Euro dafür verlangt, etwa die Handys vermisster Menschen in höchster Lebensgefahr auch öfters genau zu orten – und sich damit den Zorn von Innenminister Ingo Wolf (FDP) eingehandelt.

Dessen Drohung, für jede solcher Hilfsverweigerungen von T-Mobile ein Zwangsgeld zu je 2.500 Euro zu verlangen, hat gewirkt. Die Polizei, das regelt auch ein Erlass des Innenministeriums an alle Behörden (AZ: 44 – 57.01.63 (2056) – 02), fragt künftig per Telefax zu 0,05 Cent pro Minute an und bekommt auf diesem Wege Antwort.

Zur „Abwehr schwerwiegender Gefahren“ gibt es bei T-Mobile einen Eildienst. Damit kassiert das Unternehmen weiter, aber etwas weniger. Der Anruf dort kostet 1,86 Euro die Minute. Außerdem zahlen die Ermittlungsbehörden eine pauschale Gebühr von 17 Euro pro Fall, also nicht für jede Ortung. Mehrere davon sind dann notwendig, wenn Menschen in „akuter Gefahr für Gesundheit oder Leben“ sind und beispielsweise mit dem Auto fahren.

An die Pauschalgebühr für schnelle Hilfe hatten sich alle Mobilfunkgesellschaften gehalten; nur T-Mobile scherte aus, verweigerte eine ständige Rufbereitschaft und bestand auf der teuren Telefaxanfrage. Minister Wolf sorgte für den Meinungswechsel: mit deutlichem Hinweis auf die gesellschaftliche und gesetzliche Verantwortung von T-Mobile. (pbd)

Früherer Bericht zum Thema