Umsatzsteuer-ABC für Rechtsanwälte

Zwölfeinhalb sehr nützliche Seiten Papier kommen in diesen Tagen von der Bundesrechtsanwaltskammer. Der Kammerausschuss Steuerrecht hat für Rechtsanwälte zusammengefasst, was diese bei der Umsatzsteuer beachten müssen.

Behandelt werden in den Hinweisen unter anderem die Mindestanforderungen an Anwaltsrechnungen, die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bei Reise-, Übernachtungs- und Bewirtungskosten und organisatorische Fragen, etwa zur Aufbewahrung von Rechnungen.

Mir ist noch etwas schwindelig vom Lesen. Denn wenn man wirklich alles haarklein beachtet, was so vorgeschrieben zu sein scheint, kann man als selbständiger Anwalt Mandanten wahrscheinlich nur noch im Nebenerwerb betreuen. Die meiste Arbeitszeit geht dann für die Ausarbeitung der perfekten Rechnung drauf.

Hier geht es zum Leitfaden.

„Gesocks“ darf man nicht sagen

Gerade in den Social Media wird der politische Meinungskampf durchaus etwas robuster geführt. Das Landgericht Koblenz zeigt jetzt allerdings auf, dass der Ehrenschutz auch auf Facebook eine Rolle spielt – und die Hürden für eine Beleidigung dort auch nicht wesentlich höher hängen als anderswo.

Ein AfD-Funktionär hatte gegen einen Facebook-Eintrag geklagt, in dem er als „blaunes Gesocks“ bezeichnet wurde. Das Landgericht Koblenz sieht trotz des Wortspiels eine glasklare Beleidigung. Bei der Äußerung stehe klar die Diffamierung im Vordergrund, somit liege ein unzulässige Schmähkritik vor. Die Richter bestätigen deshalb ein Urteil des Amtsgerichts Koblenz (Aktenzeichen 13 S 29/17).

14-Uhr-Fragen

Gar nicht so selten erhalten Anwälte ihr Honorar aus der Staatskasse. Als Pflichtverteidiger etwa. Die Vergütung ist starr geregelt. Es gibt fest Sätze. Diese staffeln sich nach dem Gericht, an dem man tätig ist. Für eine Verteidigung vor einer Strafkammer gibt es zum Beispiel mehr als für ein Mandat am Amtsgericht. Es gib auch eine Art Erfolgshonorar, wenn durch segensreiche Ausführungen des Rechtsanwalts eine Hauptverhandlung entbehrlich wird.

Daneben spielt auch der Zeitaufwand eine Rolle. So kriegt man als Pflichtverteidiger für einen normalen Verhandlungstag am Landgericht 312,00 € netto als sogenannte Terminsgebühr, wenn der Mandant inhaftiert ist. Dauert die Hauptverhandlung an dem Tag aber länger als fünf Stunden, gibt es noch einen Zuschlag. Dieser beträgt 128,00 €. Ab acht Stunden Verhandlungszeit verdoppelt sich der Zuschlag.

Wenn man als Strafverteidiger etwas betriebswirtschaftlich denkt, was man wohl muss, um langfristig klarzukommen, horcht man bei diesen Vorgaben natürlich etwas auf, wenn für den Verhandlungstag Folgendes angekündigt ist: Beginn der Sitzung um 9 Uhr, Dauer wegen anderer Verpflichtungen des Gerichts bis maximal 14 Uhr.

Erraten? In diesem Fall wäre es für den Pflichtverteidiger natürlich misslich, wenn die Sitzung schon um 13.59 Uhr geschlossen wird. Dann gibt es keinen Zuschlag. Aber so was passiert dann natürlich nicht, gerade wenn in der Verhandlung gleich zehn Anwälte sitzen.

Genau so war es dieser Tage: Das Gericht war schon um 13.54 Uhr mit seinem Programm durch. Aber es war sicher kein Zufall, dass von Seiten der Verteidiger noch einige Dinge zu klären bzw. zu erfragen waren. Haben sich Änderungen im Zeugenplan ergeben? Ist eine Ankündigung, die das Gericht vor einiger Zeit gemacht hat, noch aktuell? Dann fehlten einem Anwalt noch ein paar Unterlagen, die er gerne nachgereicht hätte.

Schwupps war es 14.02 Uhr, bis dann wirklich die Klappe fiel. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass der Protokollführer richtig auf die Uhr geguckt hat, als er das Sitzungsende notierte. Auf das, was später im Protokoll steht, kommt es nämlich an.

An der Jacke gezogen -> Jacke kaputt -> Straftat

Manche Freisprüche kann man vorher erschnuppern. Zum Beispiel jenen, den ich heute für meinen Mandanten abholen durfte. Kurz gefasst, ging es um eine Schlägerei auf dem Schulhof. Wobei mein Mandant sich daran nicht unmittelbar beteiligte, aber einem der Kontrahenten an der Jacke gezogen haben soll; die Jacke zerriss. Die Anklage lautete also auf Sachbeschädigung.

Nun konnte man schon den Vernehmungen bei der Polizei ziemlich übereinstimmend Folgendes entnehmen: Mein Mandant hat zwar mal an einen der Beteiligten angefasst, der sich im Schwitzkasten eines anderen befunden haben soll. Aber eben nicht, um ihn zu hauen. Oder um seine Jacke kaputt zu machen. Sondern um ihn von dem attackierenden Schüler wegzuziehen, also wohl in streitschlichtender Absicht.

Die Anklage ignorierte das und reduzierte den Vorwurf auf: „An der Jacke gezogen -> Jacke kaputt -> Straftat“. Aber so einfach ist es dann halt doch nicht. Schon wegen des Vorsatzes, den man für eine Sachbeschädigung haben muss. Die fahrlässige Sachbeschädigung ist halt nun mal nicht strafbar.

Immerhin gab es dann in der Hauptverhandlung um diesen Punkt wenigstens keine großen Emotionen. Die Staatsanwältin, welche die Anklage nicht selbst verfasst hatte, plädierte auf Freispruch. Und zwar mit genau den Gründen, die an sich schon ganz früh im Verfahren zu einer Einstellung mangels Tatverdachts hätte führen müssen. Ich brauchte mich ihren Worten nur anzuschließen. Das kommt auch nicht alle Tage vor.

Notebook-Verbot für Anwälte

Vorläufig gescheitert ist eine Amtsrichterin in Cottbus mit einem merkwürdigen Ansinnen. Sie schreibt Verteidigern in die Ladung:

Die Nutzung elektronischere Medien in der Hauptverhandlung ist nicht gestattet.

Gemeint ist damit wohl, dass der Verteidiger kein Notebook, Tablet oder Smartphone während der Verhandlung in Betrieb nehmen darf. Getrieben wird die Richterin von diffusen Sicherheitsbedenken, wohl insbesondere von der Furcht, der Verteidiger könne Ton- oder Bildaufnahmen fertigen.

Das jedenfalls kann man dem Beschluss entnehmen, mit dem das Landgericht Cottbus auf den Antrag eines betroffenen Anwalts die Anordnung wieder aufhebt. Aus der Entscheidung:

Nach diesen Maßstäben verfolgt die angefochtene Maßnahme, die das Verhalten des Verteidigers im Sitzungssaal im Zusammenhang mit der Hauptverhandlung regelt, keinen zulässigen sitzungspolizeilichen Zweck, denn sie beruht auf keinem konkreten Anlass.

Vielmehr sollen unerlaubte Ton- und Bildaufnahmen in der Hauptverhandlung ganz allgemein unterbunden werden, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für solche unerlaubten Aufnahmen durch den Verteidiger gegeben sind. Solchermaßen ist die Verfügung Ausdruck unbestimmter Sicherheitsbedenken oder eines allgemeinen Misstrauens gegen Verteidiger, ohne Rücksicht darauf, ob im konkreten Fall die Ordnung der Sitzung tatsächlich gefährdet ist. Ohne solch einen konkreten Anhaltspunkt für den Missbrauch des Laptops zu unerlaubten Ton- oder Bildaufzeichnungen ist eine Untersagung des Benutzung des Laptops unzulässig.

Der Anwalt hatte darauf hingewiesen, dass in seiner Kanzlei seit 2005 ausschließlich eine digitale Akte geführt wird. Die Arbeitsweise in der Kanzlei sei standardisiert nach DIN 9001. Die Anordnung des Gerichts bedeute neben dem Verstoß gegen die zertifizierte Arbeitsweise in der Kanzlei nach der Hauptverhandlung eine zusätzliche Mehrarbeit durch die Übertragung der Mitschriften vom Papier in digitale Form; das behindere ihn an der Ausübung seiner anwaltlichen Tätigkeit.

Darüber hinaus steht die elektronische Gerichtsakte vor der Tür. Viele Staatsanwaltschaften und Gerichte versenden Akten heute nur noch digital. Auch darüber hinaus kann man einem Verteidiger heute kaum noch ernsthaft zumuten, in der Verhandlung auf juristische Informationssystem zu verzichten, die Zugang zu Urteilen, Kommentaren und Aufsätzen ermöglichen.

Ergänzend möchte ich anmerken, dass es mitunter auch todlangweilige Verhandlungen gibt. Etwa wenn stundenlang Dokumente verlesen werden, die man als Anwalt ohnehin schon kennt. Da kann es auch nicht schaden, wenn man zwischendurch schon mal Mails checken oder nach einem neuen Blogthema Ausschau halten kann. Aber das bleibt natürlich unter uns.

Link zum Beschluss des LG Cottbus / RA Detlef Burhoff zum gleichen Thema

Gericht: Keine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung

Vorratsdatenspeicherung reloaded – daraus wird erst mal nichts. Obwohl in Deutschland an sich eine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung (wieder) besteht, müssen Telekommunikationsanbieter wie die Telekom Verbindungsdaten ihrer Kunden derzeit nicht speichern. Das hat das Verwaltungsgericht Köln entschieden.

Die Kölner Richter sehen es in dem aktuellen Beschluss ebenso wie schon das Oberverwaltungsgericht Münster. Danach sind die Regelungen zur aktuellen Form der Vorratsdatenspeicherung nicht mit Europarecht vereinbar. Das Verwaltungsgericht verweist darauf, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine nationale Regelung unwirksam ist, die für die Strafverfolgung eine eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung sämtlicher Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer für alle elektronischen Kommunikationsmittel vorsehe.

Genau das erfolge bei der Vorratsdatenspeicherung. Das OVG Münster hatte bereits festgestellt, die Speicherpflicht verletze die Firmen in ihrer unternehmerischen Freiheit, die durch Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützt sei.

Im Ergebnis sind beide Gerichte der Auffassung, das deutsche Recht müsse derzeit nicht beachtet werden. Die Deutsche Telekom hatte geklagt, um dies ausdrücklich bescheinigt zu erhalten. Hintergrund dürfte auch sein, dass Ermittlungsbehörden den Anbietern schon mit Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung drohen, wenn diese keine Verbindungsdaten speichern.

Frist verbummelt – oder auch nicht

In einem Verfahren geht es darum, ob eine Frist eingehalten oder (möglicherweise) verbummelt wurde. Immer mal wieder ein schöner Anlass, nicht voreilig den Kopf in den Sand zu stecken. In solchen Fällen empfiehlt sich die Frage: Wurde die Gerichtsentscheidung überhaupt korrekt zugestellt?

Ich schaue mir also die bislang vorliegenden Zustellungsunterlagen an, das ist derzeit lediglich der gelbe Briefumschlag, in dem die Entscheidung ihren Weg zum Mandanten gefunden hat. Was dürfen meine müden Augen auf dem Umschlag erspähen:

Bis zum 02.10.2018 ist es ja noch etwas hin. Das Datum hat der Zusteller also grandios falsch notiert. Das ist keine Bagatelle. Denn interessanterweise regelt § 180 ZPO, dass das Datum der Zustellung zwingend auf dem Briefumschlag zu vermerken ist. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Ordnungsvorschrift, die man auch mal ignorieren darf. Vielmehr ist die Zustellung ohne die – korrekte – Angabe des Datums auf dem Briefumschlag nicht wirksam. Das hat zum Beispiel der Bundesfinanzhof im Jahre 2015 entschieden.

Es kommt demnach nicht nur auf die Zustellungsurkunde an, die ja an den Auftraggeber der Zustellung (hier: das Gericht) zurückgeschickt wird. Sondern halt auch auf die korrekten Angaben auf dem Briefumschlag.

Nun könnte man argumentieren, bei dem 02.10.2018 handele es sich ja erkennbar um eine ans Englische orientierte Datumsangabe. Gemeint sei ersichtlich der 10.02.2018. Die Annahme wird natürlich dadurch begünstigt, dass es den 02.10.2018 noch nicht gegeben hat.

Allerdings scheint mir dieses Argument nicht zugkräftig. Zum einen dienen Zustellungen ja dazu, um Rechtssicherheit zu erzeugen. Mit Vermutungen, Interpretationen und dem, was wir Juristen Auslegung nennen, wird man da nur schwer weiterkommen. Bei uns ist die Amtssprache deutsch (ich freue mich, dies einmal mit Nachdruck betonen zu dürfen). Das Deutsche kennt die Schreibweise nun mal definitiv nicht, bei der der Monat vor dem Wochentag kommt. Sicher gibt es da auch DIN-Vorschriften oder ähnliches, die muss ich mal in Ruhe raussuchen.

Ein anderer Punkt erscheint mir ohnehin gewichtiger: Solchen Zustellungsurkunden wohnt der Glaube ihrer Richtigkeit inne (§ 415 ZPO). Das heißt, was drauf steht, wird erst mal als richtig unterstellt und ein Gegenbeweis ist kaum möglich.

Was ist denn, wenn die fraglichen Dokumente einem Richter erst später vorgelegt werden, sagen wir im Juni 2019? Der Richter kann alleine anhand der Urkunden dann ja schlecht auf das Argument zurückgreifen, der 02.10.2018 sei noch nicht gewesen. Im Gegenteil: Wegen des öffentlichen Glaubens der Urkunde läge dann möglicherweise sogar die Beweislast beim Empfänger, dass er das Schreiben nicht am 02.10.2018 erhalten hat.

Nach meiner Meinung ist die Frist mangels wirksamer Zustellung gar nicht in Lauf gesetzt worden. Mal schauen, wie es die Gerichte sehen – vielleicht ja auch erst im Jahr 2019.

Abstoßende Rituale beim Kölner SEK

Sie wurden mit Handschellen eine Nacht lang aneinander gefesselt, mussten Tauchermasken tragen, in die Bier eingefüllt wurde, und sie mussten eklig schmeckendes Eis vom Oberschenkel eines Kollegen schlecken: Mit diesem Aufnahmeritual feierten Beamte eines Kölner Sondereinsatzkommandos das Ende der informellen Probezeit zweier Kollegen.

Das Ganze hatte jetzt ein juristisches Nachspiel. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf bestätigte Geldbußen von 200 bzw. 300 Euro gegen drei der Beamten. Diese hätten gegen die Pflicht zur Kollegialität verstoßen, indem sie den jungen Kollegen dieses entwürdigende Verhalten zumuteten.

Das Verwaltungsgericht betont, es komme nicht darauf an, ob die Betroffenen mit dem Ritual einverstanden waren. Freiwilligkeit sei hier kein Kriterium. Im Gegensatz übrigens zur strafrechtlichen Wertung der Sache. Die Staatsanwaltschaft Aachen hatte eine Strafbarkeit der Verantwortlichen unter anderem mit dem Hinweis verneint, die jungen Kollegen seien ja zu nichts gezwungen worden (Aktenzeichen 35 K 10700/16.O, 35 K 10458/16.O und 35 K 9371/16.O).

Strafvollstreckung mit Hindernissen

Es kommt nicht alle Tage vor, dass Justizbehörden Fehler einräumen. In Mönchengladbach ist das jetzt – womöglich notgedrungen – der Fall. Es geht um den Fall des Mannes, der in einem Fanzug eine Frau vergewaltigt haben soll. Obwohl er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt war, verzögerte sich sein Haftantritt – wegen der Bearbeitung diverser Kosten- und Akteneinsichtsanträge.

Am 29.11.2017 wurde das Strafurteil gegen (Name entfernt) rechtskräftig. Dann dauerte es erst mal einen Monat, bis das Landgericht und das Amtsgericht die Rechtskraftvermerke erteilten, die für eine Vollstreckung der Strafe erforderlich sind. Nachdem die Bescheinigungen vorlagen, ging die Akte allerdings nicht an die Staatsanwaltschaft zurück, die (Name entfernt) an sich zum Strafantritt hätte laden müssen.

Die Akte blieb vielmehr beim Amtsgericht Mönchengladbach. Dort begannen die Mitarbeiter Anträge abzuarbeiten. Darunter auch diverse Kostenanträge, zum Beispiel vom Pflichtverteidiger des Angeklagten, womöglich auch von Nebenklagevertretern und Sachverständigen. Außerdem hatte der Landschaftsverband Rheinland noch Akteneinsicht beantragt; das Tatopfer hatte dort Opferentschädigung geltend gemacht. Die Daten ergeben sich aus einer Pressemitteilung, welche das Landgericht Mönchengladbach veröffentlichte.

Bis die Staatsanwaltschaft wegen des Vorfalls im Fanzug die Akte zurückforderte, befand diese sich also beim Amtsgericht Mönchengladbach. Mehr als drei Monate, in denen in Richtung Strafantritt schlicht nichts passierte. Und wäre es nicht zu der neuen Tat gekommen, hätte die Akte womöglich noch länger beim Amtsgericht gelegen. Das Gericht räumt ein, es seien noch längst nicht alle Anträge bearbeitet.

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass so ein Ablauf keineswegs ungewöhnlich ist. Kaum ein Verurteilter erhält seine Ladung zum Strafantritt im Blitztempo. Zwei bis drei Monate sind schon der Regelfall. Die vier Monate wie im Fall des (Name entfernt) sind auch nicht ungewöhnlich.

Ein wie auch immer geartetes Controlling der Ladungszeiten gibt es bei der Justiz offenbar nicht. Von Seiten der Verurteilten ist naturgemäß in der Regel auch kaum damit zu rechnen, dass diese auf ihren Strafantritt drängeln. Ich habe es bisher nur ganz selten erlebt, dass jemand schneller in Haft möchte, als er unbedingt muss.

In Mönchengladbach will man jetzt die Prioritäten anders setzen. Strafvollstreckung soll dort Vorrang vor Kostenanträgen etc. haben. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, es endlich zu ermöglichen, dass mehrere zuständige Stellen gleichzeitig an einem Vorgang arbeiten können. So lange aber an der Papierakte festgehalten wird und von dieser grundsätzlich auch nur ein Exemplar im Umlauf sein soll, das ständig hin- und hergekarrt wird, bleibt das Verfahren schwerfällig.

0,0 Promille

Man sollte ja eigentlich erwarten, dass Verkehrspolizisten eine gewisse Menschenkenntnis haben – soweit es ihre Klientel angeht. Bei einem meiner Mandanten lag die Besatzung eines Streifenwagens aber völlig daneben.

Angeblich war mein Mandant den Polizisten aufgefallen, weil er an einer Ampel etwas zu stark beschleunigt haben soll. Außerdem habe er – mitten in der Nacht – geringfügig die rechte Seitenlinie der superbreiten Schnellstraße überfahren. Hieraus folgte das gesamte Programm: Mitnahme zur Blutprobe, Sicherstellung des Autos bis zum nächsten Morgen.

Immerhin durfte mein Mandant seinen Wagen am Folgetag abholen. Den Führerschein hatten die Beamten schon gar nicht einkassiert. Vielleicht wohlweislich. Denn einige Tage später kam das Ergebnis der Blutanalyse: 0,0 Promille. Auch keine sonstigen verbotenen Substanzen fanden sich im Blut.

Gut, bei Behörden kann man bekanntlich kaum erwarten, dass diese sich für erlittene Unbill entschuldigen. Zum Beispiel für die drei oder vier Stunden, welche mein Mandant in einer zugigen Polizeiwache warten musste. Oder für die Blutprobe. Aber immerhin stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren wegen fehlenden Tatverdachts bei.

Was mich dann aber doch ein wenig wurmt: Die Staatsanwaltschaft schickte die Akte noch ans Ordnungsamt. Und dort entschied dann jemand, meinem Mandanten eine Verwarnung zu schicken. Über zehn Euro, weil er ja geringfügig den Seitenstreifen überfahren haben soll. Bei einer Einstellung nach § 47 Abs. 1 OWiG (Opportunitätsprinzip) wäre die Welt sicher nicht aus den Fugen geraten.

Zutiefst panisch

Vorhin meldete sich ein zutiefst panischer Mandant. „Ich habe einen Brief von der Staatsanwaltschaft bekommen – gegen mich läuft jetzt ein Vollstreckungsverfahren.“ Der Gute sah sich schon im Gefängnis und ich hatte erst wirklich Mühe, ihn zu beruhigen.

Aber schließlich konnte ich ihn dazu bewegen, auch mal auf die Folgeseiten des Briefes zu schauen. Da standen nämlich erfreuliche Nachrichten. Dass der Mandant freigesprochen wird und die Staatskasse alle seine Kosten tragen muss. So war es ja tatsächlich auch gewesen. Nur der Mandant war nicht da, er hatte den Gerichtstermin verpennt. Aber das machte nichts. Es ging um einen Strafbefehl, da war er zum Erscheinen nicht verpflichtet und konnte sich von mir vertreten lassen.

Nach einiger Zeit dämmerte dem Mandanten, dass ich ihn in meinem Bericht über die Verhandlung nicht angeflunkert hatte. Und dass die Staatsanwaltschaft halt schlicht nicht den Betreff ihres Vorganges ändert, bloß weil jemand freigesprochen wurde. Es ist und bleibt halt ein Vollstreckungsverfahren, auch wenn es nichts zu vollstrecken gibt.

„Es wird gebeten …“

Aus einer Anklageschrift der Staatsanwaltschaft:

Es wird gebeten, im Rahmen der Hauptverhandlung darauf hinzuwirken, dass der Angeschuldigte eine freiwillige DNA-Probe abgibt.

Womit, so frage ich mich, soll diese „Bitte“ des Gerichts denn verknüpft werden? Mit der Ankündigung, dass die Strafe höher ausfallen kann, bloß weil sonst das für die DNA-Speicherung vorgesehene Verfahren durchgeführt werden muss? Oder mit der Verheißung eines kleinen Strafrabatts, wenn der Angeklagte in diesem Punkt willig ist?

Beides ist denkbar. Schon dem Umstand, dass es solche konträren Alternativen gibt, kann man problemlos entnehmen, dass so eine „Bitte“ in dieser Form schlicht und einfach nicht in eine Anklageschrift gehört. Ich würde schon jetzt darauf wetten, in dieser Form tragen die Richter am Landgericht dem Wunsch des Staatsanwalts sicher keine Rechnung.

Auch der Islamische Staat kann betrogen werden

Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs klingt erst mal reichlich skurril: Die Richter bestätigen die Verurteilung eines Mannes zu einer Haftstrafe von zwei Jahren, weil dieser die Terrororganisation Islamischer Staat betrügen wollte. Über Mittelsmänner wollte er sich vom IS 180.000 Euro besorgen, angeblich um in Deutschland Terroranschläge mit Autos zu verüben, die mit Sprengstoff beladen sein sollten.

Tatsächlich wollte der Angeklagte aber gar keine Terroranschläge verüben, sondern das Geld für sich behalten. Angeblich litt er unter Geldnot. Das Landgericht Saarbrücken verurteilte den Mann wegen versuchten Betruges am Islamischen Staat. Dies hat der Bundesgerichtshof jetzt bestätigt. Die Richter hielten offensichtlich nicht viel von dem Argument des Verteidigers, eine Terrorganisation könne man nicht betrügen, denn deren Vermögen sei ja nicht schützenswert (Bericht zur Vorgeschichte).

Dabei klingt das auf den ersten Blick zumindest nachvollziehbar. Wäre es denn besser gewesen, wenn der Mann tatsächlich Anschläge geplant und „ordnungsgemäß“ durchgeführt hätte – und wenn das Geld dafür auch noch geflossen wäre? Natürlich nicht, aber juristisch blieb dem Landgericht Saarbrücken und auch dem Bundesgerichtshof eigentlich gar kein großer Spielraum, anders zu entscheiden.

Hintergrund ist ganz einfach, dass man bei geschützten Rechtsgütern im Strafrecht eben nicht nach Gut und Böse unterscheiden kann. Jedenfalls nicht, so lange man der Willkür nicht Tür und Tor öffnen will. Auf kleinerer Flamme stellen sich immer wieder solche Probleme. Beispiel: Darf man einen Räuber freisprechen, weil der „nur“ einen Drogendealer beraubt hat?

Wenn man allgemein geschützten Rechtsgütern, also hier dem Vermögen, im Einzelfall den Schutz entzöge, würde das im vorliegenden Fall zwar den Islamischen Staat (mehr oder weniger spürbar) treffen. Aber für den Rechtsstaat wäre kaum was gewonnen. Im Gegenteil: Der Staat würde nicht nur Kriminalität legitimieren, sondern auch Selbstjustiz dulden. Das aber wäre so was wie Selbstmord durch die Hintertür; dem IS wäre das vermutlich sogar recht.

Der Angeklagte kann sich dennoch ein wenig freuen. Die Staatsanwaltschaft wollte ihn nämlich wegen Vorbereitung von Terrortaten verurteilt und für mindestens zehn Jahre im Gefängnis sehen (Aktenzeichen 5 StR 595/17).

Der Beschuldigte wollte seine Handy-PIN nicht verraten

Aus dem Ermittlungsbericht einer, nun ja, doch eher ländlichen Polizeistation:

Das sichergestellte Handy wurde am 12.10.2017 dem Beschuldigten wieder ausgehändigt. Es konnte nicht ausgewertet werden, da die PIN für das Telefon nicht bekannt gewesen ist und der Beschuldigte diese auch nicht mitteilen wollte.

Es soll bei der Polizei ja IT-Spezialisten geben, die solche Hindernisse aus dem Weg räumen können. „Auf einen Versuch wäre es vielleicht angekommen“, merkte der Staatsanwalt in einem Telefonat mir mir an. Eher rhetorisch war wohl sein Hinweis zu verstehen, es mache ja wahrscheinlich wenig Sinn, wenn er nach Monaten das Handy meines Mandanten noch mal von etwas kompetenteren Ermittlern beschlagnahmen lässt.

Ich wollte das nicht dementieren. Heute kam ein Brief vom Staatsanwalt. Er hat das Verfahren mangels Tatverdachts eingestellt. Ich nehme an, der Mandant fällt vor Freude auf die Knie.

Einfach, schnell, kostengünstig – aber nicht immer

Der Mahnbescheid gilt gemeinhin als einfaches, schnelles und kostengünstiges Mittel, um die Forderung gegen einen Schuldner in einen vollstreckungsfähigen Zahlungstitel zu verwandeln. Das ist richtig – wenn der Schuldner still hält. Genau das habe ich für einen Mandanten aber nicht gemacht.

Die Geschichte war schon damals etwas merkwürdig. Mein Mandant soll an einem Wohnungseinbruch im Jahr 2011 beteiligt gewesen sein. Er weiß zwar von nichts, auch verurteilt worden ist er nicht, aber die Anwälte der Hauseigentümerin scheinen ihrer Mandantin gesagt zu haben: Beantragen wir halt mal einen Mahnbescheid über ziemlich genau 10.000 Euro, gucken wir mal, ob sich der Betroffene wehrt.

Der Mahnbescheid wurde im Jahr 2016 beantragt, was ich bei einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren schon für recht sportlich hielt. Wie auch immer, ich legte Widerspruch ein und die Akte erst mal weg. Es war ja nun erst mal an der Gegenseite, das Verfahren weiter zu betreiben. Dazu hätte sie eine Anspruchsbegründung ans Gericht schicken müssen. Tat sie aber nicht.

Viele Mahnverfahren verlaufen so im Sande, weil der Anspruchsteller den eigentlichen Gang ans Gericht scheut. Allerdings steht es auch dem angeblichen Schuldner frei, jederzeit die Durchführung dieses „streitigen Verfahrens“ zu beantragen. Das habe ich für den Mandanten gemacht, und zwar exakt einige Monate, nachdem der eigentliche Anspruch nun wirklich absolut und unverbrüchlich verjährt war.

Die Gegenseite machte dann das, womit zu rechnen war. Sie nahm den Mahnbescheidsantrag zurück, jedenfalls mehr oder weniger. Dem gegnerischen Anwalt schwante wohl schon, dass er sich am Ende unbequeme Fragen seiner Mandantin nach den Kosten gefallen lassen muss. Er versuchte sich nämlich um eine ausdrückliche Rücknahme zu drücken und formulierte sinngemäß, die Antragstellerin lege keinen Wert auf Fortsetzung des Verfahrens. Die Sache solle doch bitte „dauerhaft ruhend“ gestellt werden.

Das wiederum konnte das Gericht so natürlich nicht akzeptieren. Schließlich kam dann die eindeutige Antragsrücknahme. Mit der Folge, dass der Antragstellerin und späteren Klägerin die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden. Ich musste dann zwar noch mal mit Vollstreckung drohen, aber schließlich wurde gezahlt. Das waren immerhin 900 Euro, und ich kann die Akte jetzt nach mehr als sieben Jahren doch noch mit einem Geldeingang schließen. Wobei das gar kein schlechtes Honorar ist – für ein Kreuzchen auf dem Widerspruchsformular.