Geld ist „nicht erwünscht“

Wenn es um Schmerzensgeld und Schadensersatz geht, müssen viele Geschädigte vor Gericht ziehen. Selbst wenn sie Recht bekommen, heißt das noch lange nicht, dass am Ende eine Zahlung steht. Schlicht und einfach, weil auch ein Gerichtsurteil nicht weiter hilft, wenn der Verantwortliche die Forderung nicht bezahlen kann. Oder wenn er sich findig um die Zahlung drückt.

Deshalb sollte ein Angeklagter, wenn er realistischerweise eine Verurteilung nicht abwenden kann, stets über eine Geste des guten Willens nachdenken. Und sich im Zweifel dafür entscheiden, dem Geschädigten Wiedergutmachung anzubieten. Zu solchen Gesten rate ich meinen Mandanten natürlich dringend, ebenso übrigens zu einer Entschuldigung. Letztere wird zwar nicht immer angenommen, das Geld aber stets.

Dachte ich jedenfalls, bis heute.

Da ging es um mehrere Fälle des sexuellen Missbrauchs. Die noch sehr jungen Opfer mussten zum Glück nicht aussagen, aber die Eltern kamen teilweise in den Gerichtssaal. Mein Schmerzensgeldangebot stieß auf spürbares Wohlwollen des Gerichts. Eine Mutter reagierte allerdings überraschend.

Über ihre Anwältin ließ sie mir ausrichten, sie wolle momentan kein Geld annehmen. Auch eine Spende meines Mandanten für einen guten Zweck sei derzeit, ich zitiere, „nicht erwünscht“. Dabei ist es jedenfalls nicht so, dass die kleine Familie – die Mutter erzieht ihre Kinder alleine – in Geld schwimmt. Schichtarbeit macht die Frau sicherlich nicht aus Spaß.

Es war nun nicht meine Aufgabe, mich nach den Gründen dieser Haltung zu erkundigen. Zumal das Angebot natürlich auch die Zusicherung umfasste, dass alle Zahlungen über die Anwälte abgewickelt werden.

Für mich war das eine neue Erfahrung. Auch wenn ich die Beweggründe nicht kenne, nötigt sie mir einen gewissen Respekt ab. Aus Sicht meines Mandanten war die Sache ohnehin kein Fehlschlag. Das Gericht gewährte einen spürbaren Strafrabatt, und vielleicht überlegt es sich die Mutter doch noch einmal anders. Ihre Anwältin war jedenfalls genau so erstaunt wie ich.

Streit um 3 Cent

Wegen einer Zinsforderung von 3 Cent wollte ein Bürger gegen die Gemeinde Neustadt an der Weinstraße vollstrecken. Doch das Verwaltungsgericht Neustadt lehnt es ab, sich mit dem Antrag zu beschäftigen. Bei so einer Forderung, so das Gericht, gehe es offenbar nur um das „Prinzip des Rechthabens“.

Schon die Ausgangsforderung in dem Verfahren war bemerkenswert gering. Es ging um Prozesskosten in Höhe von 2,91 Euro, welche die Stadt zu erstatten hatte. Irgendwie ging die Überweisung zunächst schief, schließlich wurde korrekt gezahlt, aber die rechnerisch aufgelaufenen Zinsen von 3 Cent blieben möglicherweise zu Unrecht aus.

Laut dem Verwaltungsgericht hat zwar jeder Bürger Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Aber es gelte auch das Gebot von Treu und Glauben, das Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie den Grundsatz der Effizienz staatlichen Handelns, der auch für Gerichte gelte. Damit sei das Vorgehen des Antragstellers nicht zu vereinbaren.

Die ganze Geschichte lässt sich in einer Pressemitteilung des Gerichts nachlesen.

Noch was zu machen?

Anfrage:

Ich bin leider zu schnell gefahren. Der Bußgeldbescheid ist rechtskräftig. Leider habe ich nicht gesehen, dass ich nicht einen Punkt bekomme, sondern 2, weil ich schon früher Probleme hatte. Das ist für mich ein Problem, weil ich dann nur noch einen Punkt „Reserve“ habe.

Nun zu meiner Frage: Ich habe gelesen, dass man Punkte auf einen Dritten abwälzen kann, wenn der sich meldet und den Verstoß zugibt. Aber das scheint nur möglich zu sein, am besten wenn noch gar kein Bußgeldbescheid ergangen ist. Aber wie sieht es aus, wenn der Bußgeldbescheid schon rechtskräftig ist und die Punkte im Register stehen?

Gibt es da noch einen Trick?

Also, ich muss leider passen, da ist mir nicht mal ein theoretisches Schlupfloch bekannt oder ersichtlich. Selbst wenn man ein Wiederaufnahmeverfahren anleiert und die hohen Zulässigkeitshürden nimmt, würde sich jeder Richter ja auch ganz genau die Beweismittel (Messfoto) ansehen. Er würde sicher nicht ein Geständnis kritiklos durchwinken, wie das wohl tatsächlich ab und zu bei Bußgeldstellen passieren soll.

Ich rate dem Mandanten, sich das Geld für den Anwalt zu sparen. Wenn er es wirklich mal eilig hat, kann er dann ja schon ein paar Mal den Taxifahrer Gas geben lassen, wenn der noch über ein ausreichendes Punktepolster verfügt.

Rundgefragt

Heute von einem altgedienten Oberstaatsanwalt gehört:

Die Überlastung der Justiz ist auch so eine Legende. Tatsächlich nehmen die Fallzahlen bei uns und in den Gerichten ab. Aber viele, gerade die jungen Kollegen rennen mit ihren Fällen aufgescheucht erst mal quer durch alle Abteilungen und fragen bei Gott und der Welt, wie man den Fall denn jetzt lösen kann.

Früher hast du einen Kollegen gefragt, heute geht es nicht unter einem Dutzend. Und dann muss alles auch noch mal in großer Runde beim Kaffee diskutiert werden. Am Ende haben alle tierisch viel zu tun, aber keiner kriegt am Ende was geschafft.

Ich gebe das einfach mal so weiter und vermute, das kennt der eine oder andere auch aus seiner Firma.

90 Jahre zu früh

Mail eines Mandanten:

Hallo Herr Vetter,

vielen Dank. Kleiner Korrekturhinweis zu Ihrem Schreiben: Der Vorfall ereignete sich nicht im Jahr 2108.

Da hat der Mandant wirklich recht. Aber immerhin ist das Aktenzeichen ohne Zahlendreher, so dass der Empfänger den Brief bei etwas gutem Willen wahrscheinlich zuordnen kann.

Baby stirbt, womöglich wird niemand bestraft

Fest steht, dass ein sechs Monate alter Säugling in Göttingen im Januar gewaltsam zu Tode kam. Das Baby soll etliche Knochenbrüche erlitten haben, auch im Kopfbereich. Auch wenn naheliegt, dass entweder der Vater, die Mutter oder beide für die Verletzungen verantwortlich sind, sind die Eltern bislang nicht wegen Totschlagsverdachts in Untersuchungshaft genommen worden.

Wie kann das sein?

Die Antwort ist nicht sonderlich kompliziert. Die Eltern haben als Beschuldigte das Recht, sich nicht zur Sache zu äußern. Davon machen sie, so wird berichtet, Gebrauch. Da niemand dabei gewesen sein dürfte, ist es für die Ermittler mangels konkreter Anhaltspunkte logischerweise sehr schwer, den möglichen Tatbeitrag jedes Elternteils zu klären.

Sicherlich eine traurige, schwer zu ertragende Konstellation. Aber auch in dieser Situation gibt es dann aber keine Sippenhaft. Es darf sie auch nicht geben. Vielmehr gilt die Unschuldsvermutung, worauf die Göttinger Staatsanwaltschaft gegenüber den Medien zu Recht hinweist. Die Ermittler müssen also im Zweifel zu Gunsten der Beschuldigten davon ausgehen, dass entweder der Vater (30 Jahre alt) oder die Mutter (22 Jahre alt) jeweils alleine für den Tod des Babys verantwortlich ist.

Das kann am Ende darauf hinauslaufen, dass niemand für den Tod des Kindes zur Rechenschaft gezogen wird. Allerdings setzen die Ermittler jetzt erst mal auf ein rechtsmedizinisches Gutachten, das wohl noch nicht fertig ist.

Abseits von der Tragödie zeigt der Fall, wie wirkmächtig Beschuldigtenrechte im Einzelfall sein können. Man muss als Betroffener halt nur von diesen Rechten Gebrauch machen, wenn man es denn möchte. Dass die Eltern genau dies tun, mag moralisch fragwürdig sein. Juristisch vorwerfen kann man es ihnen aber nicht, denn die Qualität des Rechtsstaats erprobt sich halt an so krassen Fällen.

Bericht über den Fall

Durch die Steckdose

Die Polizei protokolliert die Aussage einer Frau. Diese vermutet, ihr Nachbar baue in seiner Wohnung Marihuana an. Ich zitiere:

Zuletzt habe ich gestern wieder Cannabis gerochen. Das war diesmal im Kinderzimmer meines Sohnes. Es war gegen 21.00 Uhr. Ich wollte das Nachtlicht löschen. Vermutlich kam der Geruch durchs Fenster oder aber durch die Steckdose.

Für einen Durchsuchungsbeschluss hat es gereicht.

Darf ein Anwalt eine Strafe für seinen Mandanten fordern?

Mein Berliner Kollege Carsten R. Hoenig schaut in seinem Blog auf den NSU-Prozess in München. Konkret geht es den „Antrag“, welchen die Wahlverteidiger von Beate Zschäpe ans Schluss ihrer Plädoyers gestellt haben. Zehn Jahre Freiheitsstrafe halten die Anwälte bei ihrer eigenen Mandantin für angemessen, eine Verurteilung wegen Mordes ( = lebenslänglich) aber nicht.

Darf ein Anwalt eine Freiheitsstrafe für seinen Mandanten „fordern“? Das eher nicht, aber im Sinne eines dringenden Wunsches haben es Zschäpes Verteidiger sicher auch nicht formuliert. Anders als Carsten meine ich aber schon, dass auch ein Verteidiger sich zu einem Strafmaß äußern kann und sogar soll – zumindest wenn eine Verurteilung aus sachlichen Gründen zu erwarten ist.

Vornehme Zurückhaltung in dem Bestreben, dem Mandanten nicht zu schaden, zahlt sich nach meiner Erfahrung nämlich am Ende gar nicht positiv aus. Die Situation ist ähnlich, wie wenn man als Verteidiger mit der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht vor oder während der Verhandlung (informell) über einen Deal spricht. Auch hier ist es fast immer sinnvoll, wenn der Anwalt als erster eine konkrete, im Idealfalls natürlich nicht ganz zu absurde Vorstellung äußert.

Das ergibt sich aus dem sogenannten Ankereffekt. Wer als erster eine konkrete Zahl oder einen akzeptablen Rahmen nennt, beeinflusst sein Gegenüber damit regelmäßig in seine Richtung. Er manipuliert die Verhandlungsgrundlage sogar dann, wenn die Gegenseite widerspricht. So ganz kann sich nämlich auf der unterbewussten Ebene niemand dem Sog entziehen, den ein solches Commitment mit sich bringt. Das gilt gerade auch gegenüber ehrenamtlichen Richtern, die ja zu 99 % ihrer Lebenszeit nicht über das richtige Strafmaß für einen Angeklagten grübeln.

Der Ankertrick funktioniert natürlich nicht nur im juristischen Bereich, sondern in so gut wie allen Lebenssituationen. Man muss halt möglicherweise etwas über den eigenen Schatten springen, wenn man eher zurückhaltend ist. Wobei das jetzt nicht auf den Kollegen Hoenig gemünzt ist, denn den kenne ich alles andere als schüchtern.

Der Krieg nach dem Kampf

Als Anwalt sollte man sich eigentlich freuen, wenn der Mandant freigesprochen wird. Oder wenn das Gericht das Verfahren einstellt, wobei die Staatskasse die gesamten Kosten trägt. Auf der anderen Seite beginnt danach oft genug etwas, was ich einen Krieg nach dem Kampf nennen möchte. Es geht um die beharrliche Neigung vieler sogenannter Bezirksrevisoren, das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz extrem kleinlich auszulegen.

Dabei setzen die zuständigen Damen und Herren natürlich auch auf den Effekt, dass sie als Beamte alimentiert werden, wogegen der Anwalt den Streit um gestrichene oder reduzierte Kostenpauschalen, Fahrtkosten, die richtige Höhe der Verfahrensgebühren etc. erst mal mit Arbeitszeit unterfüttern muss, die er ansonsten womöglich besser bezahlt bekäme.

Ich habe vor langer Zeit beschlossen, zumindest echten Kriegserklärungen ( = wirklich hanebüchene Auslegungen des Vergütungsgesetzes) nicht deshalb aus dem Weg zu gehen, weil es vielleicht „nur“ um 94,30 Euro geht. Oder auch mal nur um 12 Euro. Wobei wir beim aktuellen Fall wären.

Thema war die sogenannte Aktenversendungspauschale. Diesen Betrag muss der Verteidiger an die Staatskasse zahlen, wenn er sich die Ermittlungsakte für die Akteneinsicht zusenden lassen will. Es gibt hunderte Gerichtsentscheidungen zu Einzelfragen. An sich dachte ich, dass da nichts mehr kommen kann (außer, dass sich ein Kostenbeamter schlicht nicht an die Präzedenzurteile hält). Aber vor kurzem wurde ich eines Besseren belehrt.

Der Bezirksrevisor beim Amtsgericht Köln wollte mir die 12 Euro nicht gönnen. Mit folgender Argumentation:

Unzweifelhaft ist eine Akteneinsicht des Verteidigers notwendig. Für die Einsicht vor Ort werden von dem Anwalt keine Kosten erhoben. (Die Aktenversendungspauschele) entsteht nicht, wenn die Akten innerhalb desselben Gerichts in ein Fach zur Abholung durch den Anwalt gelegt werden. … Ein örtlicher Verteidiger erhält weder bei einer Akteneinsicht vor Ort noch bei einer Abholung der Akten Ersatz seiner Reisekosten. Dienst die mit Kosten verbundene Übersendung der Arbeitserleichterung des Anwalts, sind solche Kosten keine zur Erfüllung des Mandantenauftrags Erforderlichen, also keine Aufwendungen.

Übersetzt heißt das: Weil in Köln eine (sicher überschaubare) Zahl von Anwälten sich die Post in ein Fach einlegen lässt und dies für sie kostenlos ist, müssen andere Anwälte – egal aus welchem Ort – sich halt auch ein solches Postfach besorgen. Oder eben die Aktenübersendung aus eigener Tasche bezahlen.

Das Amtsgericht Köln folgt dieser Argumentation allerdings nicht:

Nach hiesiger Auffassung wäre es auch einem in Köln und somit am Prozessgericht ansässigen Rechtsanwalt nicht zumutbar, für jede Akteneinsicht die Akte am Prozessgericht abzuholen oder sie dort einzusehen. (Somit kann dies einem außerhalb des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt erst recht nicht zugemutet werden.)

Ich will jetzt nicht lamentieren, wie viel Zeit, Personal- und Materialkosten sowie Porto mich dieser Streit um 12 Euro gekostet hat. Es ist mir vielmehr eine Freude, dass der betreffende Kostenbeamte sich jetzt nach einer noch abenteuerlichen Begründung umsehen muss. Dafür zahle ich gerne drauf (Aktenzeichen 540 Ds 161/15).

In die deutsche Sprache übernommen

Der Bundesgerichtshof erweist sich nicht als Gralshüter der deutschen Sprache. Aus einem aktuellen Beschluss:

Das Landgericht hat durch die Verwendung weniger einzelner, ursprünglich aus der englischen Sprache stammender Begriffe (wie „Blow-Job“ oder „Doggy-Style“) bei der Wiedergabe der Aussagen der Nebenklägerin im Urteil nicht gegen § 184 GVG (i.V.m. § 267 Abs. 1 StPO) verstoßen.

Dabei kann offenbleiben, ob die genannten Begriffe nicht ohnehin bereits in die deutsche Sprache übernommen worden sind, worauf der Generalbundesanwalt hinweist. Das aus § 184 GVG folgende Gebot, Urteile in deutscher Sprache sowie in verständlicher Form abzufassen, wäre allenfalls dann verletzt, wenn das Urteil wegen der Verwendung fremdsprachlicher Begriffe nicht mehr die durch § 267 StPO vorgegebenen Inhalte in einer nachvollziehbaren Weise darstellt.

Das ist angesichts der umfassenden Beschreibung der den Schuldsprüchen zugrunde liegenden sexuellen Handlungen des Angeklagten in deutscher Sprache offensichtlich nicht der Fall.

Ich wollte euch das nicht vorenthalten (Aktenzeichen 1 StR 625/17).

Mehr grün – vor der Radarfalle

Jeder(mann) soll ja im Leben mal ein Bäumchen pflanzen. Das haben Unbekannte jetzt erledigt, und zwar direkt vor dem mobilen Geschwindigkeitsmessgerät auf der B 51 bei Bitburg.

Die Fichte war mit dem gesamten Wurzelwerk fachmännisch eingepflanzt, wie die Bitburger Polizei anerkennend feststellt. Allerdings haben die Beamten den Baum dann doch entfernt. Was allerdings nichts daran ändert, dass nun alle Verkehrssünder ungestraft bleiben, seitdem die Anlage letztmalig inspiziert und kein Baum festgestellt wurde.

Auch wenn die Polizei von einem verfrühten „Hexennachtsscherz“ ausgeht, ermittelt sie jetzt schon noch, wer hinter der Aktion steckt.

Dämlich, pauschalisierend, herabsetzend

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes über Strafverteidiger:

Früher waren sie noch Organe der Rechtspflege, jetzt sind viele von ihnen eher Gehilfen der Angeklagten.

Man könnte ja auch mal ein paar billige Vorurteile über Richter sammeln. Von mir aus auch über Staatsanwälte, die der Herr Gnisa auch repräsentiert. Aber bitte mindestens ebenso dämlich, pauschalisierend und herabsetzend wie der Spruch, mit dem dieser Herr aus Bielefeld Stimmung macht. Ich vermute, bei diesen Vorgaben wird sich die Zahl der Kommentare in Grenzen halten.

Man merkt, ich bin echt ein wenig sauer, wie niveaulos die Debatte über die Zukunft des Rechtsstaats mittlerweile geführt wird.

Haftempfindlichkeit – keine Erfindung aus Zwickau

Dass Berufungsgerichte die Strafe eines Angeklagten mildern, kommt täglich vor. Schon allein deswegen, weil eine Strafschärfung in der Regel ausgeschlossen ist. Der rechtliche Grundsatz nennt sich „reformatio in peius“. Eine härtere Strafe kann das Berufungsgericht nur verhängen, wenn auch die Staatsanwaltschaft zu Lasten des Angeklagten in Berufung gegangen ist – was allerdings relativ selten geschieht.

Schlagzeilen macht gerade ein Strafrabatt, den das Landgericht Zwickau gewährt haben soll. Die Strafe eines Algeriers, der in sieben Monaten sechs Straftaten begangen haben soll, wurde von dreieinhalb auf zwei Jahre gesenkt. Vorrangig, weil der Täter, der unter anderem einen Mann mit einem Messer erheblich verletzt haben soll, nun in der Berufungsinstanz seine Taten gestand.

Allerdings soll das Gericht die Strafe auch reduziert haben, weil beim Angeklagten eine „erhöhte Haftempfindlichkeit“ vorliege. Gegenüber einem Boulevardblatt soll der Richter diese Feststellung mit dem Hinweis erläutert haben, es gebe für den Angeklagten eine Sprachbarriere, da diesere kaum deutsch spreche.

Hier geht es um Fragen der Strafzumessung. Das ist ein ganz schwieriges, weil extrem schwammiges Gebiet. Die individuelle Strafe richtet sich nach der Schuld des Täters. Um diese Schuld zu bewerten, gibt § 46 StGB eine Gebrauchsanweisung. Diese beschränkt sich allerdings im Kern auf die Aufgabe, dass alle Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, abgewogen werden müssen. Ansonsten nennt das Gesetz nur einen Beispielkatalog von Punkten, die insbesondere zu berücksichtigen sind. Die Motive des Täters etwa, die Art der Tatausführung, die Folgen der Tat.

Genannt werden aber auch die „persönlichen Verhältnisse“. Dazu gehört zunächst mal völlig zu Recht auch die Frage, wie der Verurteilte eine Haftstrafe erleben wird. Die individuelle „Haftempfindlichkeit“ spielt gerade bei Menschen eine Rolle, die zum Beispiel erstmals in den Bau gehen. Für denjenigen ist das natürlich ein größerer Kulturschock als für einen abgeklärten Wiederholungstäter.

Ein gutes Argument für die Verteidigung liefert die Haftempflichkeit gerade in den Fällen, wo jemand zum ersten Mal in Untersuchungshaft gekommen ist. Da lässt sich dann – meist nachvollziehbar – gut damit argumentieren, dass die U-Haft für praktisch jedermann ein brutaler Warnschuss ist mit der Folge, dass man es vielleicht doch noch mal bei einer Bewährungsstrafe belassen kann.

Dass ein Angeklagter der deutschen Sprache nicht mächtig ist, muss das Gericht zwar beachten, aber hieraus lässt sich nicht zwingend ein Strafrabatt ableiten. Die Urteile zu diesem Thema fordern in der Regel etwas mehr als bloße Sprachunkenntnis. Gut möglich aber, dass der Vorsitzende der Berufungskammer eben genau diese weiteren Umstände bejaht hat und sie in sein Urteil reinschreiben wird.

Festhalten lässt sich mangels Details momentan nur, dass die Frage nach der Haftempfindlichkeit keine abstruse Erfindung des Landgerichts Zwickau ist. Vielmehr gehört diese zu den (fast) unzähligen Faktoren, die das Gericht bei einer Urteilsfindung im Auge haben muss.

Vielleicht muss man auch sehen, dass der Richter der Vorinstanz in Sachsen als „beinhart“ gilt (Bericht) und auch schon mal mit legeren, man könnte auch sagen ausländerfeindlichen Sprüchen auffällt. Gut möglich also, dass das Landgericht nun ein übertrieben hartes Urteil lediglich aufs Angemessene reduziert hat.