Natürliche Gegebenheiten

Wer im Herbst sein Auto unter einem Walnussbaum parkt, muss damit rechnen, dass Walnüsse und – bei starkem Wind – auch ganze Äste herunterfallen. Der Baumbesitzer muss für dieses „natürliche“ Verhalten seines Baumes keinen Schadensersatz leisten, so sieht es zumindest das Amtsgericht Frankfurt am Main.

Der geschädigte Autofahrer war der Meinung, der Baumbesitzer habe eine Gefahrenquelle geschaffen, weil der Baum 1,5 Meter auf die Abstellfläche des Autos ragte. Das Gericht folgte dieser Einschätzung nicht. Es entschied, dass der Kläger im Herbst bei einem Walnussbaum mit dem Herabfallen von Nüssen rechnen musste, denn ein solches sei eine „natürliche Gegebenheit“.

Anhaltspunkte dafür, dass der Baum krank gewesen sei, habe es nicht gegeben. Außerdem hatte der Besitzer den Baum regelmäßig zurückgeschnitten. Auch eine allgemeine Anmerkung erlaubt sich das Amtsgericht. Walnussbäume seien im Interesse der Allgemeinheit wünschenswert, gerade auch in Städten. Da gehe es nicht, das allgemeine Lebensrisiko auf andere abzuwälzen.

Der Autobesitzer bleibt auf seinem Schaden – immerhin 3.000 Euro – sitzen (Aktenzeichen 32 C 365/17 (72)).

Wildwest-Methoden auf dem Wohnungsmarkt

Gegen rabiate Vermieter, die bei Verzug des Mieters selbst die Wohnung räumen, dürfen Mieter sich ebenso tatkräftig wehren. Das Amtsgericht München gab einem Mieter recht, der sich nach der eigenmächtigen Räumung seiner Wohnung wieder Zugang verschaffte, indem er die neu angebrachten Schlösser aufbrach. Solche Selbsthilfe hält das Gericht für zulässig – sofern der Mieter „sofort“ reagiert.

Der Streit drehte sich um einen befristeten Mietvertrag. Nach Vertragsende war der Mieter nicht ausgezogen, außerdem fürchtete die Vermieterin, dass die Arge die Miete nicht weiter zahlt. „Ich schmeiß‘ Sie raus! Ich räume Sie!“, soll die Vermietern gedroht haben. Dabei blieb es nicht. Sie wechselte die Schlösser und bestellte Umzugshelfer, die die Wohnung leerräumen sollten. Nachdem es keine Einigung gab, brach der Mieter nachts um eins die Wohnungstür auf.

Das Gericht verweist auf § 859 BGB. Danach darf sich der Besitzer einer Sache (hier der Mieter) gegen verbotene Eigenmacht wehren. Dieses Abwehrrecht gilt grundsätzlich auch gegenüber dem Eigentümer (hier die Vermieterin). Die Frage war nur, ob der Mieter „sofort“ im Sinne des Gesetzes gehandelt hat. Der Mieter habe sich nicht auf eine körperliche Auseinandersetzung mit den Angestellten der Vermieterin einlassen müssen, so das Gericht. Er habe deshalb einige Stunden warten dürfen, bis die Wohnung unbewacht war. Auch Vermieter müssten den Rechtsweg einhalten. Gerade auf dem Münchner Wohnungsmarkt dürfe so ein Verhalten nicht geduldet werden (Aktenzeichen 461 C 9942/17).

Schreckgespenst Negativzinsen: Für Banken wird es nicht so einfach

Auch wenn die Zinsen gegen Null gehen, unter diese Marke fallen dürfen sie nicht. Zumindest nicht bei laufenden Geldanlagen. Das Landgericht Tübingen untersagt es deshalb der Volksbank Reutlingen, mittels geänderter Geschäftsbedingungen ihre Kunden mit Negativzinsen zu belegen.

Die Volksbank Reutlingen teilte ihren Kunden per Preisaushang mit, dass für bestimmte Angebote künftig negative Zinsen fällig würden. Sie begründete ihr Verhalten wie folgt: „Dies geschieht, um die mittlerweile anfallenden Kosten für die Annahme und Verwahrung großer Guthaben nicht auf alle Kunden umzulegen.“ Minuszinsen würden beim Tagesgeld bereits ab 10.000 Euro und bei Termin- und Kündigungsgeld ab 25.000 Euro fällig werden.

Hiergegen klagte die Verbraucherzentrale – erfolgreich. Über das Kleingedruckte können nach Auffassung des Gerichts keine Negativzinsen erhoben werden. Die Richter begründen das nachvollziehbar mit dem Hinweis, dass der Vertrag über eine Geldanlage nicht in etwas völlig anderes verwandelt werden dürfe. Nämlich einen Verwahrungsvertrag, der noch dazu kostenpflichtig ist (Aktenzeichen 4 O 187/17).

Sachgerechte Vorbereitung des weiteren Vorgehens

Aus einem Schreiben des Gerichts:

In der Strafsache gegen N. wird zur sachgerechten Vorbereitung des weiteren Vorgehens um Angabe der Dienstagstermine in den Monaten April, Mai und Juni 2018 gebeten, an denen nicht verteidigt werden kann.

Welch wohltönende Formulierung, jedenfalls für Juristenohren.

Verjährung, die gar keine mehr ist

In der Diskussion um den Regisseur Dieter Wedel spielen Verjährungsfristen eine Rolle. Nachfolgend einige Worte zur aktuellen Rechtslage:

Seit 2015 gilt die Regelung, wonach die Verjährung bei den weitaus meisten Sexualstraftaten frühestens ab Vollendung des 30. Lebensjahres beginnt. Ab dann läuft die normale Verjährung, die je nach Schwere der Tat zwischen 10 und 20 Jahre beträgt. Diese Verjährungsfrist kann sich durch diverse Unterbrechungsmaßnahmen (z.B. die erste Vernehmung des Beschuldigten, Anklageerhebung etc.) verlängern – und zwar jeweils bis zum Doppelten. Die maximale Verjährungsfrist beträgt in solchen Fällen 40 (!) Jahre.

Das bedeutet ganz praktisch, und ich zitiere aus dem Kommentar Dölling pp. zum Gesamten Strafrecht:

Mag die Regelung dazu dienen, dass erst dann das Opfer in vielen Fällen den Entschluss zur Strafanzeige aufgrund vorher bestehender Abhängigkeiten realisieren wird können, so können durch die ja erst dann beginnende Verjährung Fälle verhandelt werden, die bereits Jahrzehnte zurückliegen.

Schwere Sexualdelikte können daher frühstens mit Vollendung des 50. Lebensjahres des Opfers verjähren, wobei sich die Frist durch Unterbrechungshandlungen sogar bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres des Opfers verlängern kann.

Die Glaubhaftigkeit einer Aussage wird dann nur sehr schwer zu beurteilen sein.

Eine Verjährung gibt es also in diesem Deliktsbereich faktisch schon jetzt nicht mehr. Ob das noch verfassungsgemäß ist, wurde bislang noch nicht entschieden. Ich habe da so meine Zweifel. Aber vielleicht macht uns ja ausgerechnet der Fall Wedel schlauer.

(K)ein bescheidenes Angebot

Mein Mandant stand heute wegen Körperverletzung vor Gericht. Mit dem Prozess arbeitete das Gericht offenbar noch schnell die Karnevalssaison 2016/2017 auf, bevor es in den anstehenden bunten Tagen juristischen Nachschub gibt. Die Tat geschah an Altweiber in der Düsseldorfer Altstadt.

Manchmal ist es ja sinnvoll, sich reuig zu geben. So entschuldigte sich mein Mandant nicht nur bei den beiden Opfern. Er bot zu Beginn der Verhandlung, als die Zeugen noch nicht im Saal waren, über mich auch ein Schmerzensgeld an. Und zwar 500 bis 700 Euro für jeden Geschädigten.

Der Richter nahm das zur Kenntnis, überlegte kurz und sagte dann, er habe in den letzten Jahren ja vorwiegend als Zivilrichter gearbeitet. Bei ihm hätten die Geschädigten ca. 300 Euro gekriegt. Wir nahmen das gerne auf und boten dann diesen Betrag. Damit waren die Geschädigten auch tatsächlich zufrieden. Die Entschuldigung akzeptierten sie überdies.

Meine etwas vorschnelle finanzielle Freigiebigkeit zahlte sich am Ende aber trotzdem noch aus. Der Richter rechnete es meinem Mandanten an, dass er ein „eher großzügiges Angebot“ gemacht und sich damit nicht knickerig gezeigt habe. Das Urteil fiel am Ende so milde aus, dass mein Mandant es akzeptieren und keine Berufung einlegen möchte.

Ich würde jetzt gern sagen, ich hatte das alles genau so geplant.

Die Polizei ist keine Arztpraxis

Die Polizei hat bei einer Mandantin, die des Deutschen nicht mächtig ist, eine erkennungsdienstlichen Behandlung angeordnet. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, die Begleitumstände aber mittlerweile schon.

Mit dem Bescheid über die Anordnung – es geht um eine ED-Behandlung nach § 81b StPO (2. Alternative) – erhielt die Mandantin nämlich keinen Termin. Vielmehr wurde sie aufgefordert, sich innerhalb von zwei Wochen bei der Dienststelle telefonisch anzumelden und selbst einen Termin für die ED-Behandlung zu vereinbaren.

Das mag erst mal bürgerfreundlich klingen. Aber woraus ergibt sich denn die Pflicht, sich selbst aktiv um einen Termin für eine so unangenehme Sache wie die Abnahme von Fingerabdrücken zu bemühen – und im Fall der Nichtbeachtung negative juristische Konsequenzen in Form eines Zwangsgeldes zu tragen (welches gleich mit angedroht wird)?

Nach meiner Kenntnis ist die Polizei doch keine Arztpraxis.

Erschwerend kommt hinzu, dass es der Mandantin bislang auch nicht gelungen ist, sich mit der Polizei zu verständigen. Ich habe es selbst getestet, und zwar mit freundlicher Unterstützung einer türkischsprachigen Mitarbeiterin. Wenn man die einzige angegebene Rufnummer wählt, meldet sich ein eher mürrischer Beamter. Dieser geht gleich in Abwehrhandlung, wenn er eine Fremdsprache hört. Sinngemäß hat er folgendes gesagt: Ich nix verstehen, du rufen mit Dolmetscher an, wir hier nix reden andere Sprachen.

Die Anruferin hat dann radebrechend versucht rauszufinden, ob sie vielleicht persönlich vorbeikommen kann, um den Termin zu vereinbaren. Oder ob vielleicht ein Kollege da ist, der sie versteht. Aber: nix Kollege hier. Du bloß nicht vorbeikommen, Tür vorne ist zu. Du rufen noch mal an mit Dolmetscher an.

Tja, und nun? Die Mandantin überlegt, ob wir nicht einfach mal gegen den Bescheid klagen. Es dauert sowieso ein, zwei Jahre, bis das Verwaltungsgericht entscheidet. Bis dahin hätte die Klage aufschiebende Wirkung. Und bis dahin ist es ja auch denkbar, dass bei der Polizei ein besser geeigneter Mitarbeiter ans Telefon geht. An die entfernte Möglichkeit, dass uns das Verwaltungsgericht sogar recht gibt, möchte ich gar nicht denken.

Daten von Demo-Anmeldern sind geschützt

Wer sich als Versammlungsleiter für eine Kundgebung zur Verfügung stellt, muss es nicht hinnehmen, wenn die örtliche Polizei seine Personalien dem Landeskriminalamt und dem Verfassungsschutz übermittelt. Ohne konkreten Anlass ist dies unzulässig, entschied das Verwaltungsgericht Lüneburg.

Die Weitergabe personenbezogener Daten ist laut dem Gericht ein schwerwiegender Eingriff in das grundrechtlich verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Für die Übermittlung bedürfe es einer Rechtsgrundlage. Diese sei jedoch nicht vorhanden gewesen.

Eine Weitergabe personenbezogener Daten unter verschiedenen Behörden komme nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, unter anderem wenn dies zur Gefahrenabwehr erforderlich sei. Daran fehle es aber. Selbst nach Ansicht der örtlichen Polizeiinspektion Lüneburg hätten keine konkreten Anhaltspunkte vorgelegen, dass es bei den angemeldeten Veranstaltungen zu Störungen hätte kommen können.

So sei in den Mitteilungen an die Verfassungsschutzbehörde und an das Landeskriminalamt jeweils vermerkt worden, dass Hinweise auf Störungen nicht vorliegen. Eine vorsorgliche Übermittlung von personenbezogenen Daten für noch nicht eingetretene Gefahrenabwehraufgaben ist laut dem Gericht aber unzulässig.

Eine interessante Entscheidung, die der Polizei und dem Verfassungsschutz einige Arbeit machen dürfte. So weit ich weiß, ist es fast schon Standard, dass die Anmelder von Kundgebungen in einer Meldekette namentlich benannt werden, die vom Ordnungsamt über die örtliche Polizei bis zum LKA und Verfassungsschutz reichen kann. Auch gegenüber den Landeskriminalämtern und dem Verfassungsschutz kann jedermann kostenlos Auskunft über die Daten verlangen, die zu seiner Person gespeichert sind. Für Demo-Anmelder könnte es vielleicht interessant sein zu erfahren, ob sie über diesen Weg zu einem Eintrag in den Dateien von VS und LKA gekommen sind (Aktenzeichen 1 A 334/15).

… und dann ist das Auto futsch

Nicht alles, was möglich ist, wird gemacht. Das gilt auch vor Gericht. So habe ich in den letzten Jahren etliche Autofahrer (und auch zwei oder drei -innen) verteidigt, die sich trotz fehlender Fahrerlaubnis mehr oder weniger emsig immer wieder ans Steuer setzten. Die Gerichte eskalieren bei den einzelnen Betroffenen regelmäßig die Höhe der Strafen. Dass aber daneben auch das Auto einkassiert wird, habe ich persönlich noch nicht erlebt.

Aber genau das scheint mitunter tatsächlich zu passieren, wie jetzt ein Fall aus Kleve zeigt. Da war ein Mann in den Jahren 2009 bis 2017 vier Mal am Steuer seines Autos angehalten worden, obwohl er keinen Führerschein hat. Nur wenige Monate nach dem letzten Mal passierte es schon wieder, und dem zuständigen Staatsanwalt platzte offensichtlich der Kragen.

Das Auto, ein BMW, wurde beschlagnahmt. Zu Recht, entschied nun das Landgericht Kleve. Das Straßenverkehrsgesetz (§ 21 StVG) lasse die Beschlagnahme ausdrücklich zu. Bei dem Betroffenen liege auch die Vermutung nahe, dass er künftig weiter „wie selbstverständlich“ Auto fährt. Deshalb sei es angemessen, ihm den fahrbaren Untersatz wegzunehmen, der auch auf seinen Namen zugelassen ist. Dass das Auto angeblich einer Bekannten sicherungsübereignet ist, spielt nach Meinung des Gerichts keine Rolle.

Link zum Beschluss des LG Kleve

Pauschalreisen: Veranstalter muss das Programm einhalten

Bei Pauschalreisen darf der Veranstalter nur sehr eingeschränkt das Programm umstellen. Fallen wesentliche Teile des Programms weg, kann dies sogar eine Kündigung durch den Reisenden rechtfertigen. Diese Grundsätze im Reiserecht hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil präzisiert.

Es ging um eine Rundreise durch China. Beim Stopp in Peking sollten laut Programm die Verbotene Stadt und der Platz des Himmlischen Friedens besichtigt werden. Das war aber wegen einer Militärparade nicht möglich, was der Veranstalter den Kunden kurz vor Reisebeginn mitteilte. Diese traten die Reise daraufhin gar nicht an und verlangten unter anderem ihre Anzahlung in Höhe von 90 Prozent des Reisepreises zurück.

Wesentliche Programmänderungen sind laut dem BGH überhaupt nur zulässig, wenn der Veranstalter sich diese im Vertrag vorbehalten hat. Zwar enthielt der Vertrag eine solche Klausel, diese war jedoch wegen Unzumutbarkeit insgesamt unwirksam. Dem Kunden zumutbar sind nach dem Gesetz nur Änderungen, die nach Vertragsschluss eintreten und für den Reiseveranstalter bei Vertragsschluss auch nicht vorhersehbar sind. Außerdem dürfen sie den Charakter der Reise nicht verändern. Das ist laut dem BGH aber der Fall, wenn bei einer Chinareise Spitzenattraktionen gestrichen werden.

Reisende müssen im Streitfall also genau schauen, ob eine mögliche Änderungsklausel, auf die sich der Veranstalter beruft, auch tatsächlich wirksam ist (Aktenzeichen X ZR 44/17).

Falscher Strafzettel kostet Polizisten den Job

Ein Polizeibeamter aus Rheinland-Pfalz hat für 20 Euro seinen Job riskiert – und ihn nun verloren. Das Verwaltungsgericht Trier erklärte die Entlassung des Beamten für rechtmäßig. Der Polizist hatte von einem Autofahrer ein Verwarngeld von 20 Euro kassiert und es für sich behalten. Dem Autofahrer hatte er eine falsche Quittung gegeben.

Möglicherweise war dies jedoch kein Einzelfall. Bei dem Polizisten wurden noch drei weitere, gefälschte und womöglich für den Einsatz gedachte Quittungsformulare gefunden. Das Verwaltungsgericht attestiert dem Mann ein hohes Maß an Pflichtvergessenheit. Zwar sei der finanzielle Schaden gering, doch die Integrität und Vertrauenswürdigkeit des gesamten öffentlichen Dienstes werde durch solche Aktionen nachhaltig geschädigt. Hinzu kam noch, dass der Beamte schon früher negativ aufgefallen war. Unter anderem hatte er unberechtigt Daten aus den Polizeidatenbanken abgerufen.

Der Mann habe insgesamt so nachhaltig als Polizeibeamter versagt, dass er aus dem Dienst entfernt werden müsse. Gegen das Urteil kann der Betroffene noch Berufung einlegen (Aktenzeichen 3 K 5232/17.TR).

Botschaften im Hexadezimalcode

Bei einem Mandanten gab es eine Hausdurchsuchung. Es wurde viel Hardware sichergestellt. So ganz unerwartet scheint die Durchsuchung allerdings nicht gekommen zu sein, wie sich aus dem Ermittlungsbericht eines Polizeibeamten ergibt:

Bei der forensischen Aufbereitung dieser Festplatte hat der Unterzeichner einen mit „VeraCrypt“ verschlüsselten Bootloader festgestellt. Im Hexadezimalcode des Bootloaders hat der Beschuldigte den Text „Fick dich du scheiss KT!“ eingetragen.

KT ist dummerweise die gängige Abkürzung für die „Kriminaltechnik“ auf Polizeidienststellen. Immerhin – ein Strafantrag wegen Beleidigung wurde bislang nicht gestellt.

Der Graubereich

Seit einem guten Jahr gibt es eine neue Vorschrift im Strafgesetzbuch, den § 184i StGB. Er heißt „Sexuelle Belästigung“ und ist maßgeblich ein Resultat der Vorfälle in der Kölner Silvesternacht 2015/2016. Der Paragraf soll den Graubereich anstößigen Verhaltens schließen, der vom eigentlichen Sexualstrafrecht nicht erfasst wird und wegen dem die Behörden bislang immer zur juristischen Krücke einer „Beleidigung auf sexueller Grundlage“ greifen mussten. Ich hatte jetzt erstmals mit der Norm zu tun und will erzählen, um was es ging.

Meinem Mandanten wurde vorgeworfen, er habe im Schwimmbad eine 15-Jährige sexuell belästigt. Die junge Frau sagte aus, sie sei mit ihrem Bruder im Becken gewesen, als es zu einem Kontakt mit meinem Mandanten kam. Dieser sei auf sie zugeschwommen, dann habe er ihr mit dem Daumen an die vorderen Rippen und mit den anderen Fingern an die hinteren Rippen gefasst und zugedrückt. Ich verstehe das so, dass mein Mandant die 15-Jährige gekniffen hat.

Meine Stellungnahme fiel recht kurz aus:

Herr N. bestreitet das ihm zur Last gelegte Verhalten.

Aber selbst wenn man die Aussage der Zeugin als richtig unterstellt, erfüllt das Verhalten meines Mandanten keinen Straftatbestand.

§ 184i StGB ist nicht einschlägig. Voraussetzung einer sexuellen Belästigung ist eine Berührung oder Handlung, die typischerweise eine sexuelle Intimität zwischen den Beteiligten voraussetzt. Es muss ein objektiver Sexualbezug gegeben sein. Mein Mandant hat nach Angaben der Zeugin deren Brust nicht berührt. Das „Kneifen“ in die vorderen und hinteren Rippen hat nicht die erforderliche sexuelle Konnotation, sondern ist lediglich als Ungehörigkeit oder Distanzlosigkeit einzustufen (vgl. Dölling, Duttge u.a., Gesamtes Strafrecht, 4. Auflage, § 184i StGB).

Hier kommt hinzu, dass die Zeugin nicht auf der Haut berührt worden sein will, sondern lediglich auf ihrem Badeanzug.

Eine Körperverletzung liegt ebenfalls nicht vor. Die Zeugin sagt hierzu selbst: „Wehgetan hat das nicht.“ Das körperliche Wohlbefinden der Zeugin war also allenfalls unerheblich beeinträchtigt.

Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts eingestellt. Allerdings lässt sich auch unschwer erahnen, wie geringfügig anders die Aussage der Zeugin – ganz unabhängig von ihrer Richtigkeit – hätte ausfallen müssen, um die Sache vor den Richter zu bringen.

Die Sache mit dem Mamofen

Heute mal eine Geschichte, wie sie wirklich nur das Leben schreibt.

Herr J. hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet er mit den Antidoping-Vorschriften in Konflikt gerät. Denn sportlich ist Herr J. überhaupt nicht. Eher im Gegenteil. Sein Testesteronspiegel ist stark vermindert, deshalb neigt er zu ganz erheblichem Übergewicht.

Auch mit der Familienplanung wollte es nicht so recht klappen. Herr J. ließ sich deshalb in einer Uniklinik behandeln, um seine Fertilität zu steigern. Die Therapie, unter anderem mit dem Medikament Mamofen, hatte einen durchaus angenehmen Nebeneffekt. Herr J. nahm sehr schnell rund 20 Kilogramm ab. Am Ende hatte er Normalgewicht – und fühlte sich nach eigenen Angaben prächtig.

Aber mit den Tabletten war es irgendwann vorbei. Was an dem unlängst geborenen Sohn liegt, für den sich Herr J. sozusagen bei seinen Ärzten bedanken kann. Mit Feststellung der Schwangeschaft seiner Frau kriegte Herr J. aber kein Mamofen mehr. Sein Leibesumfang erhöhte sich also leider schneller als der seiner Gattin, was wiederum Herrn J. sehr bedrückte.

Also besorgte er sich das Mamofen online bei einer Versandapotheke. Das wiederum bekam der Zoll mit. Die Folge war ein Strafverfahren gegen Herrn J., denn der Wirkstoff Tamoxifencitrat hat natürlich auch für Sportler seinen Reiz. Deshalb steht er auf der Antidoping-Liste.

Ich war allerdings zu Recht guter Dinge, dass ich den Staatsanwalt mit meiner Verteidigungsschrift nicht nur ein wenig unterhalten, sondern ihn auch zu einer Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld bewegen kann. Dafür sind sie dann halt auch sehr gut geeignet, solche Geschichten, die nur das Leben schreibt.

Ein Strafbefehl muss nicht richtig sein

Mein Mandant bekam einen Strafbefehl, in dem eine üppige Geldstrafe verhängt wurde. Der Mandant soll jemanden falsch verdächtigt haben, was nach § 164 StGB strafbar ist.

Hintergrund ist ein Streit mit einem anderen Autofahrer. Dabei kam es zu einer Rangelei. Der andere Autofahrer wurde verletzt. Mein Mandant wurde deswegen schon wegen Körperverletzung verurteilt, und zwar unter segensreicher Mitwirkung eines anderen Anwalts. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Aber der zuständige Staatsanwalt meinte, das sei nicht ausreichend. Deshalb holt er im Entwurf für den jetzigen Strafbefehl entsprechend aus:

Am 23.12.2015 legten Sie zu Protokoll der Rechtspflegerin beim Amtsgericht vor dem Rechtspfleger P. Einspruch gegen den Strafbefehl (Anmerkung: den ursprünglichen Strafbefehl wegen Körperverletzung) ein und begründeten diesen wahrheitswidrig damit, dass der Zeuge L. Sie zuerst geschlagen habe…

Dies überzeugte den zuständigen Richter so, dass dieser den Strafbefehl ohne Änderung unterschrieb. Nun ja, schauen wir einfach mal, wie mein Mandant seinen Einspruch vor dem Rechtspfleger damals begründet hat:

Am nächsten Ampelstopp bin ich dann ausgestiegen, um den Geschädigten nach dem Grund zu fragen. Dabei habe ich mich durch das geöffnete Seitenfenster des PKWs des Geschädigten gebeugt, um den Schlüssel abzuziehen. Ich wollte dadurch den Geschädigten an der Flucht hindern.

Der Geschädigte hat mir dabei meine Brille vom Kopf geschlagen, die dabei auch noch beschädigt wurde (kleiner Sprung im Glas).

Den Schlüssel habe ich abgezogen und den Geschädigten dann – als Reaktion – mit der flachen Hand, nicht aber mit der Faust, ins Gesicht geschlagen.

Es geht in dem Fall nur darum, ob der Mandant seinen Kontrahenten zu Unrecht einer Straftat bezichtigt. Ich erlaubte mir vor Gericht den Hinweis, dass mein Mandant nie und nimmer das gesagt hat, was ihm der Strafbefehl zur Last legt. In der Begründung steht nicht, der Geschädigte habe meinen Mandanten geschlagen. Da steht nur, der Geschädigte habe ihm die Brille vom Kopf geschlagen.

Also erhob mein Mandant gar nicht den Vorwurf der Körperverletzung. Sondern er sagte lediglich, ihm sei die Brille vom Kopf geschlagen worden. Warum, das bleibt offen. Es kann also unvorsätzlich passiert sein, als der Geschädigte gestikulierte. Eine fahrlässige Sachbeschädigung der Brille ist aber nicht strafbar. Im Ergebnis hat mein Mandant den anderen zwar „bezichtigt“, aber eben nicht unbedingt einer Straftat.

Oh.

Der Prozess war nach wenigen Minuten zu Ende – mit dem unvermeidlich positiven Ergebnis. Ich erzähle diese Geschichte gerne für alle, die in ihrem Leben noch mal einen Strafbefehl bekommen werden. So ein Strafbefehlsentwurf wird vom Staatsanwalt, dem Strafverfolger, verfasst. Da kann es gern auch mal zu einer gewissen Betriebsblindheit kommen. Der Richter wiederum prüft den Strafbefehl nur, bevor er ihn unterschreibt.

Wie sorgfältig das mitunter geschieht, zeigt der vorliegende Fall.