Keine Demo vor Wowereits Wohnung

Das Verwaltungsgericht Berlin hat heute entschieden, dass Flughafengegner die Abschlusskundgebung einer Demonstration nicht direkt vor dem privaten Wohnhaus des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit veranstalten dürfen.

Der Bürgerverein Brandenburg-Berlin e.V.plant für den 25. Februar nach einer Demonstration auf dem Kurfürstendamm eine etwa 30-minütige Abschlusskundgebung. Hierbei soll es auch “Fluglärmsimulationen” geben. Zweck der Versammlung sei es, dem Regierenden Bürgermeister für eine halbe Stunde an seinem privaten Wohnumfeld zu verdeutlichen, was die Teilnehmer der Versammlung infolge einer maßgeblich von Wowereit getragenen Entscheidung für den Flughafen Schönefeld künftig über Jahrzehnte hinweg zu erdulden hätten.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat das Verbot der Abschlusskundgebung direkt vor der privaten Wohnung Klaus Wowereits bestätigt. Auch und gerade herausgehobene Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die täglich der politischen Auseinandersetzung ausgesetzt seien, bedürfen nach Auffassung des Gerichts eines wirksamen Schutzes ihrer Privatsphäre.

Die von der Bürgerinitiative beabsichtigte Anprangerung der politischen Entscheidungen des Regierenden Bürgermeisters direkt vor dessen Wohnung sei daher unzulässig. Insofern wiege das grundgesetzlich geschützte Recht auf Privatsphäre stärker als die Versammlungsfreiheit.

Allerdings sieht das Verwaltungsgericht keinen Grund, die Abschlusskundgebung nun komplett von Wowereits Wohnung fernzuhalten. Es sei ein berechtigtes Anliegen der Demonstranten, die Folgen der Standortentscheidung für den Flughafen Schönefeld auch im privaten Wohnumfeld des Regierenden Bürgermeisters zu verdeutlichen. Die Kundgebung dürfe daher jedenfalls an einer der Wohnung nahen Straßenkreuzung abgehalten werden, von wo wohl noch etwas von dem Lärm bei Wowereit ankommen wird. Sofern er zu Hause ist.

Gegen den Beschluss ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 21. Februar 2012, Aktenzeichen VG 1 L 37.12

NRW testet rosa Zellen

In Nordrhein-Westfalen wird gestritten – um die Farbe von Gefängniszellen. Das Justizministerium hat, so berichtet die Rheinische Post, einen Pilotversuch gestartet. In zwei Haftanstalten wurden Zellen rosa angestrichen, weil das die Aggressionen dort Untergebrachter mindern soll.

Auf Nachfrage der Opposition hat SPD-Justizminister Thomas Kutschaty bestritten, dass es sich um einen Karnevalsscherz handelt. Vielmehr hätten Farbversuche in anderen Ländern ergeben, dass gerade pink gestrichene Zellen das Mütchen überdurchschnittlich kühlen. Leider sollen beim Testbetrieb in Dortmund und Hagen aber noch keine verwertbaren Erfahrungen angefallen sein, ob die verwendete Farbe “Cool Down Pink” hält, was sie verspricht.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Peter Biesenbach hält dagegen, dass Rosa als "gerade in dem vielfach von körperlicher Stärke und aggressiver Männlichkeit dominierten Haftalltag als Demütigung empfunden und im Ergebnis zusätzliche Spannungen im Strafvollzug auslösen wird". Womit er, so meine Einschätzung, den Nagel auf den Kopf trifft.

via

Kussmund beschäftigt Kölner Richter

Der Kussmund – so ein Lippenbekenntnis wirkt auf jeden Fall verheißungsvoll bis romantisch. Oder ist doch eher, ganz nüchtern wie es Juristen tun, vom roten Abdruck eines (bevorzugt weiblichen) Mundrandes zu sprechen? Und kann so ein Kussmund Kunst sein? Mit diesen Fragen haben sich die drei Berufsrichter des 6. Zivilsenats am Kölner Oberlandesgericht momentan zu beschäftigen.

Die Juristen müssen in einem Streit entscheiden, der über ein inzwischen auch wirtschaftlich bedeutungsvolles Bild von einem Bützje ausgebrochen ist. Es prangt auf Tassen und Tapeten, auf Karten und Kalendern, es wird im Internet angeboten, es dient mitunter gar als „Liebesgeschenk“.

Das mögliche Kunstwerk will ein Grafiker geschaffen haben. Er behauptet, er habe von einem Kuss-Modell zahlreiche Kussabdrücke machen lassen. Und daraus habe er “durch weitere Bearbeitung“ tatsächlich „den perfekten Kuss“ geschaffen. Er sieht in der Grafik ein Werk der freien Kunst. Und verlangt deshalb von seiner Gegnerin, die den Kussmund gewerblich verwertete, Schadensersatz.

Wohl niemand soll es mehr wagen, die Grafik zu verwenden. Die verklagte Kontrahentin ist sich indessen keiner Schuld bewusst. Der Kussmund diene Gebrauchszwecken und sei daher (auch) als Druckgrafik lediglich ein Werk der angewandten Kunst.

In diesem Bereich, so heißt es, seien „rein handwerkliche oder routinemäßige Leistungen“ nicht rechtlich geschützt. Die Richter des Senats haben, wie zu erfahren war, inzwischen die Beweislage erörtert. Sie wollen ihre Entscheidung erst nach weiterer Bedenkzeit verkünden, nämlich am 9. März.

Bis dahin, so betont das Oberlandesgericht Köln, seien negative Auswirkungen insbesondere auf das karnevalistische Treiben nicht zu erwarten. Das Bützen an sich bleibe (urheber-)rechtlich unbedenklich. (pbd)

Streit um Unterwäsche

Es ging um einen Bikini, einen Slip und eine Corsage. Eine gute Gelegenheit für das Amtsgericht München zu erklären, wie das in Deutschland mit dem Umtauschrecht geregelt ist.

Die Vorgeschichte: Im Mai 2011 suchte eine Münchnerin ein Miederwarengeschäft auf. Dort kaufte sie Bikini, Slip und Corsage zum Preis von insgesamt 347 Euro. Zwei Tage später kam ihr Ehemann in den Laden und wollte die Sachen zurückgeben. Außerdem verlangte er den Kaufpreis zurück.

Die Ladeninhaberin weigerte sich. Unterwäsche könne nicht einfach zurückgenommen. Aber man habe ihr doch zugesagt, so die Kundin später, dass sie die Teile zurückgeben könne. Schließlich sollten Slip und Corsage Teil eines Brautkleides sein und hätten mit dessen Farbe abgestimmt werden müssen. Das stimme nicht, erwiderte die Ladeninhaberin.

Die Kundin erhob daher Klage vor dem Amtsgericht München. Die Klage blieb jedoch erfolglos. Das begründete der Richter so:

Ein Recht auf Umtausch bei Nichtgefallen gebe es beim Einkauf in Geschäften grundsätzlich nicht. Ein solches müsse immer gesondert vereinbart werden. Ohne diese Vereinbarung bleibt es dabei, dass Waren nur zurückgegeben werden dürfen, wenn sie mangelhaft sind. In diesem Fall muss dem Verkäufer oft auch noch eine “Nachbesserung” ermöglicht werden.

Tatsächlich stehen Kunden, die online oder telefonisch Ware bestellen, in diesem Punkt besser da. Ihnen steht immer ein zweiwöchiges Widerrufsrecht zu. Sie können die Ware ohne Begründung zurücksenden und erhalten den Kaufpreis zurück. Dieses Widerrufsrecht gilt aber nicht, wenn man direkt in einem Geschäft einkauft.

Außerdem sieht der Richter bei Unterwäsche das praktische Problem, dass schon das Anprobieren die spätere Wiederaufnahme ins Sortiment unzumutbar mache. Abschließend musste das Gericht hierüber aber nicht entscheiden, weil die Klägerin ihre Behauptung, es ein Umtauschrecht vereinbart gewesen, nicht beweisen konnte.

Urteil des Amtsgerichts München vom 27. Dezember 2011, Aktenzeichen 155 C 18514/11

Bundestrojaner: Löschen geht nicht

Vor einigen Monaten machte der Bundestrojaner Schlagzeilen. Schon damals wurde vermutet, dass es in den etwa 40 Fällen, in denen die Software nach offziellem Eingeständnis bisher zum Einsatz kam, nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Diese Einschätzung bestätigt ein 66-seitiger Bericht des Bundesdatenschutzbeauftragten Peter Schaar. Das Dokument, welches eigentlich unter Verschluss bleiben sollte,  bescheinigt den Ermittlungsbehörden dilettantische Vorgehen und gravierende Gesetzesverstöße (HTML-Version, PDF).

Weil es nicht zu seinen Aufgaben gehört, fragt der Bundesdatenschutzbeauftragte in dem Bericht nicht vorrangig, ob der  Trojanereinsatz überhaupt durch die geltenden Gesetze gedeckt ist – was man mit Fug und Recht bezweifeln darf. Vielmehr schaut er sich die praktische Umsetzung der Überwachungsmaßnahmen an und überprüft, ob die Vorgaben des Datenschutzes beachtet werden.

Das Ergebnis fällt vernichtend aus. So stellt Schaar fest, dass praktisch alle Bundesbehörden sich voll und ganz dem Trojaner-Hersteller DigiTask, einem Privatunternehmen, anvertraut hatten. Sie kannten den Quellcode der von DigiTask entworfenen Software nicht und hatten so keine Kontrollmöglichkeit darüber, wie der Trojaner tickt und was für Ergebnisse er letztlich an wen auch immer abliefert. Beim Zoll und der Bundespolizei sollen noch nicht einmal Handbücher, Versionslisten oder gar die Software selbst vorgelegen haben. DigiTask habe die Aufträge mitunter vollständig in eigener Regie abgewickelt, was auf eine – unzulässige – Komplettprivatisierung solcher Ermittlungsmaßnahmen hinausläuft.

Schaar nennt krasse Beispiele, wie bei Trojanereinsätzen gegen die simpelsten Vorgaben verstoßen wurde. So ist es mittlerweile geltendes Recht, dass Aufnahmen zumindest sofort gelöscht werden müssen, wenn sie den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen. Dennoch protokollierten die Ermittler in einem von Schaar aufgegriffenen Fall “Liebesbeteuerungen” und “Selbstbefriedigungshandlungen” eines Überwachten.

Darüber hinaus stellt Schaar fest, dass der Trojaner über den zulässigen Umfang hinaus genutzt wurde. Während an sich nur die Kommunikation über den angezapften Computer überwacht werden dürfe, seien mitunter auch Bildschirminhalte fotografiert oder die Webcam und das Mikrofon zur Raumüberwachung aktiviert worden.

Das mag man im Einzelfall als “Versäumnis” ansehen, die Probleme liegen jedoch tiefer im System. Wie Schaar nämlich feststellte, verfügt die Software nicht über die Möglichkeit, löschpflichtige Inhalte auch tatsächlich gezielt zu entfernen. Die Ermittler haben nur die Möglichkeit, alles oder nichts zu löschen.

Auch ansonsten hält Schaar den DigiTask-Trojaner für technisch unzulänglich. So hätten Angreifer es einfach, wenn sie das Kommando über den Trojaner übernehmen. Ein Grund: Die gesamte Kommunikation mit der Überwachungssoftware läuft unverschlüsselt und ohne besondere Authentifizierung. Zu allem Überfluss werden die vom Trojaner zurückgesandten Daten auch immer mit dem gleichen AES-Schlüssel kodiert.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte kommt zum klaren Ergebnis, dass der Trojaner in der untersuchten Form nicht rechtmäßig eingesetzt werden kann. Trotz des bisherigen Fiaskos wollen die Behörden offenbar weiter mit DigiTask zusammenarbeiten. Das Bundeskriminalamt hat sogar einen Rahmenvertrag geschlossen.

Zum Thema: Stellungnahme des CCC, Netzpolitik.org

Rosenmontag in Großburgwedel

Die Presse berichtet ja heute über den toughen Staatsanwalt, der Christian Wulff zu Fall gebracht hat. Ich kann diesen Eindruck bestätigen, nachdem ich vor einigen Jahren mal mit Clemens Eimterbäumer das Vergnügen hatte. Meine Erinnerung: verbindlich im Ton, konsequent in der Sache. Und genau das lässt mich ziemlich sicher sein, dass das Ermittlungsverfahren dem ehemaligen Bundespräsidenten keine ruhigen Karnevalstage bescheren wird.

Vielmehr steht Christian Wulff eine Durchsuchung ins Haus. Die Ermittler werden spätestens am Rosenmontag an seinem Einfamilienhaus in Großburgwedel schellen, und mit einiger Sicherheit auch an seinem früheren Amtssitz und der Dienstwohnung in Berlin. Das wird, wie üblich, ziemlich früh morgens passieren. Die Ermittler werden Christian Wulff einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Hannover präsentieren, der die Beschlagnahme von Beweismitteln in den bekannten Fällen anordnet. Wahrscheinlich brütet in diesen Stunden der zuständige Ermittlungsrichter über dem Beschluss. Auch er wird zum Ergebnis kommen, dass die Durchsuchung erforderlich ist.

Wulff wird die Herren notgedrungen reinlassen müssen und dabei zuschauen, wie sie seinen Hausrat durchstöbern. Falls niemand da sein sollte, lassen die Beamten und zwei Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die als die gesetzlich vorgeschriebenen Zeugen fungieren, halt einen Schlüsseldienst kommen.

Dieser Ablauf ist deswegen so vorhersehbar, weil praktisch keinem Staatsanwalt, ob er nun Eimterbäumer heißt oder nicht, in dieser Konstellation eine andere Möglichkeit bleibt. Bei Wulffs früherem Sprecher wurde wegen vergleichbarer Vorwürfe bereits durchsucht – warum sollte es beim Ex-Präsidenten anders sein? Einen Hinweis hat Eimterbäumer auf den weiteren Ablauf ja schon selbst gegeben, als er erklärte, man werde Wulff wie jeden anderen Verdächtigen behandeln.

Und es würde auch jeden Verdächtigen in dieser Lage ebenso treffen. Schlecht für Wulff ist nämlich, dass es in Deutschland keines besonders starken Tatverdachts bedarf, um in die Wohnung eines Beschuldigten zu marschieren. Es genügt vielmehr der bloße Anfangsverdacht. Das sind Tatsachen, die eine Straftat als möglich erscheinen lassen. Genau diesen Anfangsverdacht hat die Staatsanwaltsschaft ja am Freitag schon bejaht.

Liegt der Anfangsverdacht vor, stellen sich nur noch wenige Fragen. Zum Beispiel, ob zu erwarten ist, dass Beweismittel aufgefunden werden. Das wird man kaum verneinen können. Jedenfalls fällt es schwer jemandem wie Wulff ohne nähere Nachprüfung zu unterstellen, er hefte seine Kontoauszüge, aus denen sich zum Beispiel Abhebungen an Geldautomaten (wg. Barzahlung) ergeben können, und seine sonstigen Belege nicht fein säuberlich ab.

Zum Schluss muss man natürlich über die Verhältnismäßigkeit nachdenken. Bei der  Vorteilsnahme sind bis zu drei Jahren Gefängnis möglich. Sie ist damit zwar kein Verbrechen, aber auch kein Bagatelldelikt. In vergleichbaren Fällen tun sich Gerichte jedenfalls nicht sonderlich schwer, eine Hausdurchsuchung für verhältnismäßig zu erklären. Wenn es im Fall Wulff nicht dazu käme, müsste man aus meiner Erfahrung schon von einer Sonderbehandlung sprechen.

Dem ehemaligen Bundespräsidenten stehen also noch unruhige Tage bevor. Nach meinem Gefühl wird die Hausdurchsuchung auch der Anlass sein, wegen dem Christian Wulff auf seinen  Ehrensold verzichtet. Er tut damit der Kanzlerin und dem Kabinett einen riesigen Gefallen, weil diese natürlich zu Recht den Volkszorn fürchten, wenn sie Wulffs üppige Apanage abnicken.

Das passende Pöstchen kriegt der Ex-Präsident dann später – nach Einstellung seines Verfahrens gegen Zahlung eines stattlichen Betrages für einen guten Zweck.

Nachtrag: Die Staatsanwaltschaft erklärt, sie durchsuche derzeit nicht bei Christian Wulff, weil keine “Verdunkelungsgefahr” bestehe.

Strafrabatt hält auch in der Berufung stand

Zu den sehr vernünftigen Regeln in der Strafprozessordnung gehört, dass Berufung und Revision risikolos sind. Wenn nur der Angeklagte ein Rechtsmittel einlegt, darf die Strafe nicht härter ausfallen. Legt dagegen die Staatsanwaltschaft (auch) Berufung oder Revision ein, ist es natürlich anders. Dann kann die Strafe auch verschärft werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Celle wollte diesen Grundsatz jetzt zumindest aufweichen. Es ging um ein Urteil, mit dem ein Angeklagter wegen Drogenbesitzes zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Die Besonderheit: Wegen der langen Verfahrensdauer hatte das Landgericht Verden festgestellt, dass acht Monate der verhängten Freiheitsstrafe als verbüßt gelten. Das ist der heute übliche Weg, um bei unnötig langen Verfahren einen Ausgleich zu schaffen.

Nun hatte nur der Angeklagte Revision eingelegt, so dass er an sich nicht schlechter gestellt werden durfte – selbst wenn das Revisionsgericht eine härtere Strafe für angemessen gehalten hätte. Die Generalstaatsanwaltschaft griff dennoch die “Kompensation” von acht Monaten mit der Begründung an, für diese gelte das Verschlechterungsverbot nicht.

Dem ist das Oberlandesgericht Celle nicht gefolgt:

Das in §§ 358 Abs. 2 Satz 1, 321 Abs. 1 StPO kodifizierte Verbot der Schlechter-stellung trägt dem Grundsatz Rechnung, dass ein Angeklagter bei seiner Entscheidung über die Einlegung eines Rechtsmittels nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil entstehen. Dem Angeklagten sollen die durch das angefochtene Urteil erlangten Vorteile belassen werden, und dies selbst dann, wenn sie gegen das sachliche Recht verstoßen.

Um einen solchen Vorteil handelt es sich auch bei der Kompensation von Verfahrensverzögerungen im Strafausspruch, denn auch der nachträgliche Wegfall einer durch das Tatgericht angeordneten Kompensation würde durch den längeren Vollzug im Ergebnis eine härtere Bestrafung für den Angeklagten bedeuten. Die zu verbüßende Strafe kann deshalb im Rechtsmittelverfahren nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden

Überlange Verfahren sind heute an der Tagesordnung, dementsprechend oft gewähren Gerichte auch einen “Rabatt” auf die Endstrafe. Wäre dieser Rabatt bei einer selbst eingelegten Berufung oder Revision in Gefahr, würde das sicher so manchen Angeklagten abhalten, sein Recht in der nächsten Instanz zu suchen. So eine abschreckende Wirkung wollte der Gesetzgeber aber eindeutig vermeiden.

Beschluss des Oberlandesgerichts Celle / Der Heymanns Strafrecht Online Blog zum gleichen Thema

Im Licht der Taschenlampen

Übereifrig ist ein zurückhaltender Ausdruck für das, was sich Polizeibeamte meinem Mandanten gegenüber geleistet haben. Obwohl die Polizisten einen einen ganz anderen Einsatz in der Nachbarschaft hatten, fielen sie nachts in den Garten meines Auftraggebers ein, der auf einem völlig anderen Grundstück liegt.

Das geschah nur deswegen, weil die Polizisten im Schein ihrer Taschenlampen ein Gewächshaus sahen, durch dessen milchige Scheiben – Überraschung – “Pflanzen” zu erkennen waren. Messerscharf folgte hier der Rückschluss, dass man ja – nun vielleicht aus Langeweile – auf gut Glück mal nachsehen könnte, ob in dem Gewächshaus nicht Marihuana blüht.

Ich habe die Vorgeschichte für den Staatsanwalt in einer Verteidigungsschrift aufgedröselt:

Die durch die „Durchsuchung“ des Gartens meines Mandanten erlangten Erkenntnisse unterliegen einem Beweisverwertungsverbot.

Die Polizei hat bereits rechtswidrig die Wohnung des Herrn F., den mein Mandant gar nicht kennt, in einem Haus in der Nachbarschaft durchsucht.

Das Verhalten der Beamten ist schon deshalb rechtswidrig, weil sie sich noch nicht einmal darum bemüht hatten, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen, obwohl Gefahr im Verzuge nicht vorlag.

Dass den Beamten die Rechtswidrigkeit ihres eigenen Verhaltens klar war, ergibt sich aus folgender Formulierung in der Anzeige (Bl. 6):

“Zudem würde die Einholung einer richterlichen Anordnung zur Wohnungsdurchsuchung über die Staatsanwaltschaft aufgrund des grundsätzlich schriftlich zu begründenden Antrags darüber hinaus zu einer unverhältnismäßigen Dauer einer Freiheitsentziehung des Beschuldigten führen. Aus diesem Grunde wurde auch auf die Hinzuziehung von noch aufzufindenden und bereitwilligen Zeugen verzichtet.”

Die Beamten haben hier sämtliche von der Strafprozessordnung verpflichtend aufgestellten Regeln aus Gründen der Bequemlichkeit zurückgestellt. Die Hilfserwägung, dass dies ja letztendlich auch im Interesse des Beschuldigten passiert, damit dieser nicht länger auf der Polizeiwache sitzen müsse, vermag derartige Verstöße gegen zwingende Normen nicht zu rechtfertigen.

Wenn man der Polizei erlauben würde so zu arbeiten, wären die Vorschriften der Strafprozessordnung zur Hausdurchsuchung und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG obsolet.

Die anschließende Durchsuchung des Kellers war ebenfalls rechtswidrig. Auch hierfür gelten die vorstehenden Gründe.

Sodann drangen die Beamten ohne nachvollziehbaren Grund in den Garten ein, der zum rückwärtigen Teil des Grundstücks N.straße 89 gehört. Dieser Garten wurde durchsucht, obwohl die Beamten keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte dafür hatten, dass der Garten von dem Beschuldigten F. genutzt wird.

Nachdem sie den Garten durchsucht haben, „testeten“ die Beamten an verschiedenen Garagentoren, ob sich diese mit einem noch nicht näher zugeordneten, rechtswidrig in der Wohnung des Herrn F. sichergestellten Schlüssel öffnen ließen. Hierbei handelte es sich bereits um Garagen, die ersichtlich zum Nachbargrundstück gehörten.

Während dieser Aktion schauten die Beamten dann über einen Zaun, der an diese Garagen grenzte. Es handelt sich um den Zaun des Grundstücks N.straße 85/87. Allerdings gehört dieser im rückwärtigen Teil des Hauses 85/87 liegende Garten ersichtlich auch gar nicht zu dem Grundstück 85/87, sondern zum Grundstück Hausnummer 85. Im Grundstück N.straße 85 wohnt mein Mandant.

Schon die Grundstücke N.straße 89 und N.straße 85/87 sind nicht nur durch die Garagen und Zäune, sondern auch durch eindeutig abgegrenzte Auffahrten voneinander abgetrennt.

Jedem unbefangenen Betrachter ergibt sich vor Ort sofort, dass es sich um völlig unterschiedliche Grundstücke handelt. Es ist also schon nicht ersichtlich, wieso sich die Beamten dem Grundstück N.straße 85/87 zuwandten. Ohnehin wäre desweiteren zu erkennen gewesen, dass der hinter dem Grundstück N.straße 85/87 gelegene Garten gar nicht zu diesem Haus gehört, sondern wiederum zum weiter rechts gelegenen Haus N.straße 85.

Insoweit war die polizeiliche Aktion in Bezug auf das Gartengrundstück N.straße 85 ohne jeden Anlass.

Insbesondere waren die Beamten nicht berechtigt, bloß aufgrund des Umstandes, dass sie im Licht der Taschenlampen ein Gewächshaus sahen, in dem wenig überraschend auch „Pflanzen“ wuchsen, wiederum das Gartengrundstück N.straße 85 zu betreten und das Gewächshaus auf gut Glück zu durchsuchen.

Spätestens für das Betreten des Grundstückes N.straße 85 und die Durchsuchung des Gewächshauses hätten die Beamten eine richterliche Anordnung einholen müssen. Der Garten gehört zum befriedeten Besitztum und unterfällt deshalb dem Art. 13 GG sowie den §§ 102, 103 StPO (Meyer-Goßner, StPO, § 102 Rdnr. 7).

Gefahr im Verzuge ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, sie ist überdies in der Ermittlungsakte auch nicht dokumentiert. Auch für die Beamten war klar, dass das Gewächshaus keinesfalls mit dem ursprünglichen Beschuldigten aus dem Haus N.straße 89 zu tun haben konnte, da es sich um ein völlig anderes Grundstück handelte.

Ohne richterliche Anordnung war es den Beamten also verwehrt, das Grundstück N.straße 85 zu betreten und insbesondere das Gewächshaus zu durchsuchen.

Angesichts des Ablaufs der Polizeiaktion gibt es keinen Zweifel, dass es sich hier nicht nur um gravierende Verfahrensverstöße durch die Polizei handelt. Vielmehr liegt Willkür im Sinne der Rechtsprechung vor, welche ein Beweisverwertungsverbot rechtfertigt.

Eine derartige Massierung von Gesetzesverstößen bei einer Polizeiaktion kann nicht mehr mit Arglosigkeit oder Gesetzesunkenntnis begründet werden. Dies gilt umso mehr, als die Beamten ja sogar vorsätzliche Verfahrensverstöße in der Akte zu rechtfertigen versuchen.

Im Ergebnis können also die gewonnenen Beweise nicht verwertet werden.

Ich beantrage deshalb, das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts einzustellen.

Das hat die Staatsanwaltschaft dann auch gemacht.

Polizist verbreitet zehn Jahre alten Hoax

Was, um alles in der Welt, hat der Polizeibeamte Roland L. da nur angerichtet? Er hat von seinem Arbeitsplatz aus, der Polizeizentrale im schleswig-holsteinischen Ahrensburg, eine E-Mail an einen größeren Empfängerkreis verschickt. Die Überschrift dazu heißt: „Bitte an alle Internet-Nutzer weiterleiten!!“. Und genau das passiert derzeit…

Roland L. hat es gewiss nur gut gemeint. Er warnt vor einem bösartigen Virus. „Es kursiert momentan eine Power Point Präsentation unter dem Titel ‚Das Leben ist wunderschön’ (Life is beautiful)”, schreibt der Beamte. Er empfiehlt dringlichst: „Diese Mail nicht öffnen!“ Falls das doch geschehe „verschwinden alle Daten aus deinem PC, und die Person, die dir diese Mail geschickt hat, hat Zugang zu allen deinen Informationen, Mail-Postfächern und Passwörtern“.

Inzwischen ist die Nachricht an Rhein und Ruhr angelangt. Besorgte Freunde schicken sie an unzählige Freunde und Bekannte. Und die wiederum leiten sie wenig erheitert immer weiter und weiter.

Sie befolgen damit den quasi amtlichen Rat des Polizeibeamten Roland L., der ja unter seiner offiziellen Dienstadresse mailt: „Gib diese Nachricht an so viele und so rasch wie möglich weiter!!!!!“

Doch was ist dran? Nichts. Wer in Ahrensburg die Polizei anruft, stößt auf blanke Nerven: „Wir haben eine Bandansage für Sie!“ Dort wird mit mehr oder weniger sonorer Stimme mitgeteilt, die E-Mail des Herrn L. sei eine „falsche Viren-Warnung“, eine überholte zumal. Sie stamme aus dem Jahre 2002.

Was L. getrieben hat, sie unter dem Absender Polizei in die Welt zu jagen, das weiß auch die Polizeidirektion in Ratzeburg nicht. „Er hat es gemacht“, antwortet lakonisch Behördensprecherin Sonja Kurz. Und lässt sich entlocken: „Der Beamte hat einschlägige Vorschriften verletzt.”

Weil die E-Mail nun bundesweit verbreitet wird, gute Freunde sorgen emsig dafür, müsse die Polizei die Falschmeldung nun „ganz groß aufarbeiten“ – und sicher auch Vertrauen in ihre IT-Kompetenz zurückgewinnen. (pbd)

Urteil: Keine Filterpflicht für soziale Netzwerke

Schlechte Nachrichten für die Verfechter von ACTA und all jene, die Internetprovider und soziale Netzwerke zu Hilfssheriffs bei Urheberrechtsverletzungen machen wollen. Der Europäische Gerichtshof hat (erneut) entschieden, dass Zugangsanbieter nicht verpflichtet werden können, Filtersysteme einzurichten. Dies wäre nach Auffassung der Richter eine umfassende Kontrolle auch unverdächtiger Nutzer. So was sei mit dem Europarecht und den individuellen Freiheitsrechten nicht vereinbar.

Filtersysteme, so der Europäische Gerichtshof, könnten die Grundrechte der Internetnutzer beeinträchtigen. Die Anordnung würde nämlich zum einen die Ermittlung, systematische Prüfung und Verarbeitung der ausgetauschten Informationen erfordern, bei sozialen Netzwerken überdies einen Abgleich mit dem hinterlegten Nutzerprofil. 

Außerdem würde die Filterpflicht auch die Informationsfreiheit beeinträchtigen. Es bestünde nämlich die Gefahr, dass das System nicht hinreichend zwischen unzulässigen und zulässigen Inhalten unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.

Auch auf Seiten der Provider und sozialen Netzwerke sieht der Europäische Gerichtshof eine unzumutbare Beeinträchtigung. Die Filterpflicht im ausschließlichen Interesse der Rechteinhaber schränke schon wegen der Kosten und des Aufwands die unternehmerische Freiheit ein.

Der Europäische Gerichtshof betont erneut, dass es eines fairen Ausgleichs zwischen Urheberrechten und dem Recht der Bürger auf Datenschutz und Informationsfreiheit bedarf. Filtersysteme, so die klare Ansage, gehen hierbei aber eindeutig zu weit.

Europäischer Gerichtshof, Rechtssache C-360/10

Anlage M

Das Papier nennt sich Anlage M zum Nationalen Luftsicherheitsplan – und vermutlich ist es aus gutem Grund “geheim”. Immerhin regelt der Erlass aus dem Bundesinnenministerium, dass bestimmte hochgestellte Menschen in diesem Land ohne Personen- und Handgepäckkontrollen in Linienflugzeuge steigen dürfen.

Die Bild-Zeitung erläutert das heute plastisch am Beispiel der Grünen-Chefin Claudia Roth. Roth soll vor einem AirBerlin-Flug von Berlin nach München einfach an den Kontrollen vorbei gegangen sein. Das habe lautstarke Proteste der Mitreisenden ausgelöst. Es dürfte aber kein Einzelfall sein.

Denn laut Bild genießt eine ganze Reihe Politiker und Staatsdiener das Privileg, die Kontrollen einfach zu passieren. Der Bundespräsident und der Bundestagspräsident sollen dazu gehören, die Kanzlerin, alle Bundesminister sowie die Partei- und Fraktionschefs auf Bundesebene. Gleiches gelte für die Ministerpräsidenten der Länder und den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.

Ich staune schon, welche Privilegien gewisse Positionen offenbar mit sich bringen.

Und ich frage mich, ob die Stellung des Einzelnen wirklich etwas darüber aussagt, dass er unter keinen Umständen und wirklich niemals gefährlich werden könnte? Steht denn zum Beispiel fest, dass die hohen Tiere ihr Handgepäck selbst zusammenstellen?

So beschäftigt wie die sich gerne geben, dürften doch auch Sekretärinnen und Assistenten Zugriff haben. Wie schließt man es denn aus, dass nicht ein Adlatus vielleicht mal dazu erpresst wird, verbotene Gegenstände ins Handgepäck zu schmuggeln?

Angesichts des ja mitunter wirklich demütigenden Prozederes, an das wir uns Normalbürger ja längst gewöhnt haben, bleibt ein fader Beigeschmack, wenn dann auf der anderen Seite solche Privilegien vergeben und damit Sicherheitslücken geschaffen werden. Aber genau das ist ja wahrscheinlich auch der Grund, warum die Anlage M geheim gehalten wird.

Medien dürfen nicht alles aus dem Gerichtssaal wiedergeben

Nicht alles, was in einer strafrechtlichen Hauptverhandlung besprochen wird, darf auch von den Medien berichtet werden. Diese müssen vielmehr auf die Intimsphäre des Angeklagten oder anderer Prozessbeteiligter Rücksicht nehmen. So hat es das Oberlandesgericht Köln heute in insgesamt drei Prozessen entschieden.

Geklagt hatte ein Fernsehmoderator, der mittlerweile rechtskräftig vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen ist. Die Verhaftung des Moderators und der anschließende Prozess hatten ein riesiges mediales Interesse hervorgerufen.

Der Kläger hatte zu Beginn der Ermittlungen in einer richterlichen Vernehmung im Detail den zwischen ihm und der Anzeigenerstatterin üblichen (einvernehmlichen) Sexualverkehr geschildert. Über Details hatten Medien berichtet. Sie beriefen sich darauf, das Protokoll sei in der Hauptverhandlung erörtert worden. Somit dürfe es zum Gegenstand der Berichterstattung gemacht werden.

Das Oberlandesgericht Köln bejaht dagegen einen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Klägers.

Die Öffentlichkeit eines Gerichtssaales sei nicht mit der Wirkung zu vergleichen, die von einer Veröffentlichung in den Medien, erst recht bei einer Veröffentlichung im Internet ausgehe. Die veröffentlichten Details hätten in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Tatvorwurf gestanden und seien von den Medien auch in der Berichterstattung nicht in einen solchen Zusammenhang gerückt worden.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht strafrechtlich verurteilt worden sei. Während des laufenden Ermittlungsverfahrens und bis zu einer gerichtlichen Verurteilung gelte zu Gunsten des Beschuldigten die Unschuldsvermutung. Dementsprechend zurückhaltend und ausgewogen müsse über den Tatvorwurf und den auf dem Angeklagten lastenden Verdacht berichtet werden.

Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

“Dann schreibe ich im Zweifel auf”

Handy am Steuer – bei diesem Vorwurf machen viele Amtsrichter kurzen Prozess. Haben Polizeibeamte gesehen, wie der Autofahrer ein Mobiltelefon ans Ohr hält, dann war das eben so. Ein Richter am Amtsgericht Berlin-Tiergarten wäre heute wahrscheinlich auch gern so verfahren. Doch leider legten ihm ausgerechnet die Zeugen der Anklage so viele Steine in den Weg, dass ein Autofahrer am Ende doch noch um Bußgeld und Punkte herumkam.

Der Autofahrer hatte sich schon mal geschickt verteidigt. Er sei sehr viel im Auto unterwegs. Deshalb nutze er auch eine Freisprecheinrichtung. Allerdings ein Modell, über das man die Rufnummer nicht wählen kann. Deshalb gab der Autofahrer auch zu, dass er an einer Berliner Innenstadtkreuzung das Handy in die Hand genommen und eine Nummer gewählt habe. Aber nur, so lange er vor einer roten Ampel stand. Und während das Auto stand, habe er den Motor ausgeschaltet.

Das Wort hatten nun die Zeugen. Eine 30-jährige Polizistin und ihr gleichaltriger Kollege. Sie erzählten, dass sie öfter an der betreffenden Kreuzung gezielte Kontrollen machen. Sie stehen dann in Zivil in Höhe der Ampel und gucken, wer im Auto telefoniert. Die Sünder geben sie per Funk an den Anhaltetrupp durch, der etwa 200 Meter hinter der Kreuzung wartet.

“Haben Sie denn gesehen, dass der Autofahrer beim Fahren telefoniert?” fragte der Richter. “Er befand sich im Fließverkehr”, antwortete die Polizistin. “Was ist denn für Sie Fließverkehr?” “Fließverkehr ist alles, wenn das Auto nicht abgeparkt ist.” “Also kann es auch sein, dass der Autofahrer an der roten Ampel gestanden hat?” “Ja, was macht das für einen Unterschied?” “Es könnte ein Unterschied sein, wenn er den Motor aus hatte. Haben Sie darauf geachtet?” “Nein, ob der Motor angeschaltet ist oder nicht, das interessiert uns nicht.”

Der Polizist sagte im Kern das Gleiche. Auch ihm ist es egal, ob er einen Autofahrer aufschreibt, der nur in einem stehenden Wagen telefoniert. Seine Erklärung: “Die Kreuzung ist so laut, da kann ich doch gar nicht feststellen, ob der Motor läuft. Viele Autos haben ja heute auch eine Start-Stop-Automatik.” Auf Rückfrage des Richters: “Also, wenn einer vor der roten Ampel steht und telefoniert, dann schreibe ich den im Zweifel auf. Für mich fällt das eindeutig in den Schutzbereich der Ordnungswidrigkeit.”

Dem Richter blieb nichts anderes übrig, als die Beamten mal in die Vorschriften gucken zu lassen. § 23 Straßenverkehrsordnung verbietet zwar Handys am Steuer. Aber nicht, “wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist”. Betretenes Schweigen. Der Paragraf war den beiden Beamten offenbar nicht bekannt.

Nun ja, der Richter sah es nicht als seine Aufgabe an, auf der Polizeischule offensichtlich nie vermitteltes Basiswissen nachzuholen. Er stellte das Verfahren kurzerhand ohne Folgen für den Autofahrer ein, auch wenn das Polizistenpärchen das offensichtlich als völlig neben der Sache betrachtete. Jedenfalls guckten sie ziemlich schräg und rauschten empört aus dem Saal. Man darf also damit rechnen, dass der Lerneffekt eher gegen Null ging und die Kontrollen so weiter gehen, wie man das für richtig hält.