Wie lange dauert eine siebentägige Reise?

Wie viele Übernachtungen muss eine “siebentägige Reise” umfassen? Diese Frage stellte sich den Richtern am Oberlandesgericht Köln in einem Streit ums Wettbewerbsrecht. Verklagt war ein Reiseunternehmen, weil es für eine siebentägige Pauschalreise geworben hatte – obwohl der Aufenthalt vor Ort nur sechs Nächte dauerte.

Auch wenn Verbraucherschutz ansonsten groß geschrieben wird, mochten die Richter sich nicht mit der doch etwas sonderbaren Auslegung des Zeitraums “siebentägig” anfreunden. Üblicherweise verstehe niemand das Angebot einer siebentägigen Reise so, dass diese auch sieben Übernachtungen umfasst. Ganz im Gegenteil, so das Oberlandesgericht:

Vielmehr ist es bei Reisen üblich, dass sowohl der Anreise- als auch der Abreisetag als Reisetage mitgezählt werden, so dass von einer siebentägigen Reise bereits dann gesprochen werden kann, wenn diese sechs Übernachtungen umfasst. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Reiseangebot – wie bei dem der Antragsgegnerin – optional auch An- und Abreise umfasst.

Niemand – außer den Klägern – gehe davon aus, dass er bei einer siebentätigen Reise auch tatsächlich 7 x 24 Stunden vor Ort ist. Dementsprechend gebe es auch keinen Anspruch darauf, dass eine siebentägige Reise auch sieben Übernachtungen umfasst.

Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 22.01.2013, Aktenzeichen 6 W 17/13

Ein Grauen für alle, die ins Netz schreiben

Die Debatte um das Leistungsschutzrecht nimmt absurde Züge an. In letzter Minute vor der abschließenden Beratung im Bundestag hat die Regierungskoalition das Gesetz um genau den Punkt entschärft, der offiziell eigentlich noch eine Rolle spielte. Auch Suchmaschinen, insbesondere Google, sollen künftig weiter kostenlos Texte anreißen dürfen.

Da sich auf diesem Gebiet also nichts ändern wird, stellt sich die Frage: Wer braucht eigentlich das Leistungsschutzrecht? Ich habe nach wie vor die große Befürchtung, dass es in Wirklichkeit gar nicht gegen Google geht. Sondern darum, die Deutungshoheit der Verlage im Netz gegenüber Blogs, Facebook und Twitter zurückzugewinnen.

Um es vorwegzunehmen: Das Projekt kann nur um den Preis der Meinungsfreiheit gelingen. Ziel der Verleger ist es, die öffentliche Beschäftigung mit Nachrichten riskant zu machen. Wer sich in seinem Blog, auf Facebook oder Twitter mit aktuellen Ereignissen auseinandersetzt, soll sich abmahngefährdet fühlen. Mit der Folge, dass viele lieber gar nichts mehr schreiben, weil sie keinen Bock und schon gar nicht das Geld haben, um Verlagsabmahnungen wegen angeblich illegal übernommener Textpassagen abzuwehren.

Trotz der Entschärfung der ursprünglichen Entwürfe gibt es noch genug Einfallstore, um die Abmahnmeute auf Menschen zu hetzen, die im Netz ihre Meinung sagen. Man kennt das System doch zur Genüge von den Filesharing-Abmahnungen.

Die Rechtslage dort ist in vielen Punkten ungeklärt. Vieles spricht sogar dafür, dass der weitaus größte Teil der Abmahnungen nie und nimmer vor Gericht Bestand hätte. Aber hat das die Rechteverwerter daran gehindert, eine gigantische Abmahnwelle über deutsche Haushalte schwappen zu lassen?

Es geht nämlich gar nicht darum, ob die Abmahner eindeutig Recht haben. Den Abmahnern reicht es schon, nicht offensichtlich im Unrecht zu sein. Den Rest besorgt das strukturelle Ungleichgewicht. Anwaltsbriefe, noch dazu mit hohen Geldforderungen, versetzen die meisten Menschen nach wie vor in Angst. Für viele stellt sich schon aus finanziellen Gründen gar nicht die Frage, ob sie sich gegen Abmahnungen wehren. Vielmehr bevorzugen viele notgedrungen eine andere Lösung: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

Nicht anders wird es mit dem Leistungsschutzrecht sein. Die Verlage werden abmahnen. Es reicht für dieses Vorgehen ja schon, wenn sie sich auf einen einigermaßen plausiblen Rechtsstandpunkt stellen. Ob und wie die Gerichte später darüber mal urteilen, spielt doch gar keine Rolle. Hauptsache, die Abmahnkarte zieht die ersten paar Jahre. Dann sieht man halt weiter.

Wie lange die Welle geritten werden kann, kann man schön an der Frage sehen, wie teuer einfache Abmahnungen eigentlich sein dürfen. Der Gesetzgeber wollte die Kosten auf 100 Euro deckeln. Weil die Formulierung, etwa zur Frage der Gewerblichkeit, auch nur ein wenig schwammig geraten ist, wurde dieses Einfallstor genutzt. Abmahnkosten von 100 Euro? Über die hehren Ziele des Gesetzgebers lachen sich die beteiligten Anwälte heute immer noch kaputt. Zumal eine jetzt in Angriff genommene Reform die alten Fehler wiederholt. Das Spiel geht also weiter.

Diese Einfallstore gibt es auch beim Leistungsschutzrecht. Alle Hinweise in den Gesetzesentwürfen, dass die Regeln nicht für Menschen gelten sollen, die privat ins Internet schreiben, werden bald vergessen sein. Oder schon von Anfang an keinen interessieren. Die Abmahnungen, welche Anwälte im Auftrag der Verlage wegen angeblicher Copyright-Verletzungen verfassen, werden jedenfalls ebenso überzeugend und bedrohlich klingen wie Post von Filesharing-Kanzleien.

Dies gilt umso mehr, als die Verleger niemals eine realistische Chance hatten, von Google nennenswerte Gelder zu bekommen. Entweder dreht Google den Hahn ab, indem die Firma alle Zeitungsangebote aussperrt. Oder es läuft auf eine symbolische Zahlung Googles für irgendeinen guten Zweck hinaus, welche die Finanzierungslücke der Verlage nie und nimmer schließt.

Der Glaube an das Gute im deutschen Verleger wird am Ende auch nicht weiterhelfen. So wie die Branche unter Führung des Axel Springer Verlages bislang agiert hat, wird sie es sich nicht nehmen lassen, bei uns allen wenigstens einige Früchte des Leistungsschutzrechts zu ernten.

Massenabmahner geht in die Insolvenz

Lange war die Firma DigiProtect eine feste Größe auf dem Abmahnmarkt. Das Unternehmen schickte unzähligen Internetnutzern Schreiben, in denen diese zur Zahlung stattlicher Beträge aufgefordert wurden. Fast immer ging es um angebliches Filesharing. Nun kommt eine überraschende Nachricht zu DigiProtect. Das Unternehmen hat Insolvenz angemeldet – nachdem es sich kurz vorher noch umbenannt hat.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat bei der Firma "FDUDM2 GmbH" das vorläufige Insolvenzverfahren angeordnet. Natürlich kam schnell heraus, dass es sich bei FDUDM2 um die frühere DigiProtect handelte.

Die Hintergründe der möglichen Pleite sind bislang unklar. An sich gilt das Abmahngeschäft im Filesharing-Bereich bislang als sichere Bank. Die Abmahnungen bestehen regelmäßig aus Textbausteinen, die Forderungen sind hoch. Ebenso die Zahl der Menschen, die sich von den Vorwürfen beeindrucken lassen und zügig Abmahnkosten und Schadensersatz überweisen.

Allerdings spricht einiges dafür, dass die Zahl der “Sofortzahler” stetig sinkt. Zum einen ist die Rechtslage keineswegs so eindeutig, wie es die Abmahner gerne darstellen. Zum anderen bedeutet Leute verklagen natürlich einen viel größeren Aufwand als der tumbe Versand von Massenbriefen. Wobei hinzu kommt, dass jeder öffentlich verlorene Prozess (und davon gibt es eine ganze Menge) natürlich die Neigung vieler Betroffener sinken lässt, freiwillig auf die Forderungen einzugehen.

Mittlerweile verjähren mit jedem Jahreswechsel auch immer zigtausende Forderungen, weil dann eben doch nicht geklagt wird. Überdies war DigiProtect schon immer bekannt dafür, sehr schnell die Anwälte zu wechseln. So ganz reibungslos scheint das Geschäft also nicht gelaufen sein.

Was mit dem Geld passiert ist, das DigiProtect über die Jahre eingenommen hat, wird nun der Insolvenzverwalter klären müssen. Noch interessanter ist natürlich die Frage, was aus den Abmahnungen wird. Die heute noch Betroffenen wurden im Zweifel ja schon etliche Male angeschrieben. Sie haben sich aus guten Gründen nicht weichklopfen lassen.

Ob sich da noch jemand findet, der die Forderungen ernsthaft anpackt, darf bezweifelt werden.

Airlines haften auch für verpasste Anschlussflüge

Wenn es darum geht, eine Flugverspätung zu rechtfertigen, sind Fluggesellschaften um keine Ausrede verlegen. Einen Bärendienst hat jetzt die Air France ihren Mitbewerbern geleistet. Eine Klage gegen die Airline führte jetzt dazu, dass der Europäische Gerichtshof nun klare Vorgaben gemacht hat, wie eine Flugverspätung zeitlich zu berechnen ist. Reisende werden sich über das Urteil freuen.

Eine Frau hatte wegen der Verspätung ihres Zubringerfluges ihre Anschlussflüge nach Brasilien und Paraguay verpasst. Deshalb kam sie erst mit elf Stunden Verspätung in Paraguay an. Sie verlangte dafür die gesetzliche Entschädigung von 600 Euro, die bei mindestens dreistündiger Verspätung eines Fernfluges in Höhe von 600 Euro fällig ist.

Air France wollte dagegen gar nichts zahlen. Und zwar mit kreativer Begründung: Der Zubringerflug sei zwar verspätet gewesen, aber weniger als drei Stunden. Dafür gebe es aber keine Entschädigung. Dass die Frau wegen der Verspätung des Zubringerfluges die Anschlussflüge verpasst habe, spiele keine Rolle. Denn die Zubringerflüge seien ja ansonsten pünktlich gestartet.

Der Europäische Gerichtshof sagt hierzu klipp und klar: Es kommt nicht darauf an, um wie viel Einzelflüge verspätet sind. Bei verspätungsbedingt verpassten Anschlussflügen komme es nur darauf an, wie groß die Verspätung am Ziel der Reise ist. Air France muss der Kundin also die Entschädigung von 600 Euro zahlen.

Erst vor kurzem hatte der Europäische Gerichtshof ein weiteres wichtiges Urteil gefällt. Airlines können sich bei Verspätungen nicht auf “höhere Gewalt” berufen und den Kunden das Reiserisko aufbürden. In diesem Fall setzte sich eine Reisende durch, die wegen des Vulkanausbruchs eine Woche auf Island festsaß. Hier hatte sich Ryanair geweigert, Hotel und Verpflegung zu zahlen.

Auch Fußballtrainer haben Rechte

Der Kündigungsschutz ist vielen Arbeitgebern ein Dorn im Auge. Deshalb werden auch immer wieder kreative Lösungen gesucht, um sich zu einem angenehmen Zeitpunkt von Mitarbeitern trennen zu können. Ein bekannter Aachener Fußballverein verließ sich da womöglich zu sehr auf die Empfehlungen der Hausjuristen. Jedenfalls erlitt der Club jetzt vor dem Arbeitsgericht Aachen eine juristische Niederlage. Das Gericht erklärte die Kündigungen des Cheftrainers, der Co-Trainer und des Torwarttrainers für unwirksam.

Das Arbeitsgericht sah sich mit einem “Klauselwerk” konfrontiert, das zunächst mal ganz plausibel klang. Danach verzichteten die drei Trainer auf Klagen gegen eine eventuelle Kündigung. Im Gegenzug sagte der Verein ihnen zu,  im Falle einer Kündigung eine Abfindung von drei Monatsgehältern zu zahlen.

Auch wenn solche Regelungen im Sport gar nicht selten vorkommen, hatte sie keinen Bestand vor den Augen der Richter. Die Vereinbarung entziehe dem Arbeitnehmer ein quasi unveräußerliches Recht. Nämlich die Möglichkeit, sich vor Gericht gegen eine unberechtigte Kündigung zu wehren. Dieses Recht dürfe nicht unzulässig beschnitten werden, auch nicht durch die Zusage einer Abfindung.

Das ist natürlich plausibel. Würde man solche Regelungen abnicken, gäbe es wohl bald keine Kündigungsschutzklagen mehr. Denn Arbeitgeber würden regelmäßig solche Klauseln in ihre Verträge aufnehmen. Und sicher auch nur Mitarbeiter einstellen, die sich mit einer Abfindung von vornherein einverstanden erklären.

Das Arbeitsgericht Aachen kassierte gleichzeitig auch noch eine weitere Kündigung der Trainer. Dabei stützte sich der Verein auf die Klausel, dass den Mitarbeitern gekündigt werden darf, wenn der Club den Aufstieg in die 2. Bundesliga verpasst. Juristen nennen das eine Verlagerung des “Unternehmerrisikos” auf die Angestellten. Auch das ist, so das Arbeitsgericht, schlicht unzulässig.

Arbeitsgericht Aachen, Urteil vom 22. Februar 2013, Aktenzeichen 6 Ca 3662/12

Das große Jammern

Unter dem vielsagenden Titel “Heule, heule Gänschen” berichtet die FAZ über das ständige Wehklagen der Polizeigewerkschaften. Die Interessenvertretungen stoßen sich bekanntlich an allem, was Polizibeamten möglicherweise nicht in den Kram passt. Von der vermeintlich schlechten Bezahlung bis zur Vorratsdatenspeicherung und dem Dauerbrenner Gewalt gegen Polizisten.

Der Artikel zeigt sehr schön, dass die Kakophonie auch einem sehr heftigen Konkurrenzkampf der Polizeigewerkschaften geschuldet ist. Wer am lautesten schreit, kriegt am Ende halt auch mehr “Follower”. Zu diesem Zweck wird nicht nur tagtäglich in Populismus gemacht, sondern auch hinter den Kulissen eifrig Lobbyarbeit betrieben. Meist geschieht das wenig seriös, findet die FAZ.

Zum Beitrag.

Mit dem Bierglas am Steuer

Der Anfangsverdacht bei Straftaten ist eine komplizierte Sache. Auf der einen Seite dürfen an so einen Anfangsverdacht nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Andererseits geht es (natürlich) nicht, dass die Polizei ohne jeden konkreten Anhaltspunkt vorgeht. Zum Beispiel Autofahrer zur Blutprobe oder dem Atemalkoholtest bittet. 

In Bonn ereignete sich jetzt ein Fall, der wohl über jede juristische Diskussion erhaben ist. Eine Autofahrerin, 23 Jahre alt, ignorierte in der Nacht zum Samstag alle Anhaltesignale der Polizei, Blaulicht eingeschlossen. Als sie schließlich anhielt, hatte sie noch ein Glas Kölsch in der Hand. Da dürften weitere Maßnahmen wohl unausweichlich gewesen sein, selbst wenn vor Ort nicht noch kräftiger Alkoholgeruch festgestellt worden wäre.

Für die Beamten war es jedenfalls nur noch eine Formsache, kräftigen Alkoholgenuss zu vermuten. Was sich dann auch bestätigte. Die Frau hatte 2,5 Promille im Blut.

Auch eine Folge von VETTER’S LAW beschäftigt sich mit dem Thema Alkohol am Steuer.

Hat Google die “BoKraft” nicht gelesen?

Auf 600 Kopfstützen in Berliner Taxis wirbt Google derzeit für seinen Standpunkt in Sachen Leistungsschutzrecht. Google bringt den Aberwitz des Leistungsschutzrechts auf eine griffige Formel:

Mit der gleichen Logik könnte ein Restaurantbesitzer von Taxifahrern Geld verlangen, die ihm Gäste bringen.

Mittlerweile gibt es schon Diskussionen, von wem der Spruch eigentlich stammt. Der Berliner Journalist Mario Sixtus soll die Sentenz erstmals in seiner Kolumne im Berliner Tagesspiegel geprägt haben – sozusagen auf Feindesland.

Aber andere nehmen ein früheres Copyright in Anspruch. Unter anderem wird von weit davor liegenden Tweets geraunt. Wie auch immer, Sixtus hat Google jedenfalls das Zitat erlaubt und kriegt dafür nach eigenem Bekunden noch nicht mal Geld.

Wie lange der Spruch allerdings Taxigäste erfreuen bzw. Verlagsmanager und Lobbyisten sticheln wird, ist derzeit offen. Die Kampagne, ursprünglich auf mehrere Wochen angelegt, steht juristisch möglicherweise auf wackeligen Beinen. Die Gefahr droht aus Richtung einer unscheinbaren Verordnung.

Unter dem Begriff “BoKraft” würde man eher was Gutes zur Pferdemast verorten, jedoch handelt es sich um Ausführungsbestimmungen zum Personenbeförderungsgesetz. Darin ist unter anderem geregelt, wie eine anständige Taxiquittung auszusehen hat. Aber auch, dass Werbung auf den Außenflächen – aber nur den Seitentüren – und im Innenraum eines Taxis grundsätzlich zulässig ist.

Das gilt allerdings nicht für poltische oder religiöse Kampagnen. Dem Taxigast soll die BoKraft nämlich davor schützen, mit mehr oder weniger subtilen Botschaften in seiner Lebenshaltung gestört zu werden. Das ist natürlich im Grundsatz nachvollziehbar.

Wie das Branchenblatt “taxi heute” berichtet, könnte allerdings jetzt auch Googles Kampagne als politische Werbung eingestuft werden. Jedenfalls soll das Berliner Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) sich so geäußert haben. Dabei handelt es sich nicht um irgendeine Behörde. Das LABO ist für die Taxiaufsicht in Berlin zuständig.

Ob den Taxifahrern allerdings tatsächlich die Werbung verboten wird, ist noch offen. Die Einordnung als politische Werbung ist ja offenkundig Wertungssache. Google würde sich wahrscheinlich freuen, wenn die Kampagne ein so abruptes Ende nimmt. Dann hätten die Leute jedenfalls reichlich was zu googeln – und zu lachen.

Chefärzte sind keine Götter

Auch Chefärzte sind keine Götter. Das zeigt ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz. Die Richter bestätigten die fristgerechte Kündigung eines Chefarztes, der seinen 90-jährigen Vater während einer Operation hatte zusehen lassen.

Zu dem merkwürdigen Vorfall kam es, weil der Senior angeblich Angst vor einer Kniegelenksspiegelung hatte, bei der eine Vollnarkose erforderlich ist. Um seinen Vater von der Risikolosigkeit zu überzeugen, nahm der 60-jährige Chirurg seinen Vater einfach mit in den Operationssaal. Dort durfte er auf einem Rollhocker sitzen und zusehen, wie sein Sohn und das Operationsteam einer Frau die Gallenblase entfernte.

Der Chefarzt hatte sich offenbar recht wenig bei der Sache gedacht. Immerhin sorgte er aber dafür, dass sein Vater sich die Hände desinfizierte und Operationskleidung anzog. Zu Anfang der Operation stellte er seinem Team den Gast noch launig vor:

Guten Morgen, das ist mein Vater. Der heißt natürlich auch C.. Er möchte sich heute die Operation gerne auf dem Fernseher anschauen.

Um die Privat- und Intimsphäre der Patientin, die nichts von dem Besucher wusste, machte sich der Chefarzt keinerlei Sorgen. Dabei hätte er dazu guten Grund gehabt, denn während des Eingriffs war die Patientin komplett entblößt. Zur Operationsvorbereitung war die Patientin ebenfalls unbekleidet gewesen. Die Einzelheiten der Operationsvorbereitung und des Eingriffs konnte der Vater, der etwa drei Meter entfernt inmitten von Patientenunterlagen an einem Tisch saß, über einen Monitor verfolgen.

Die Richter sehen in dem Verhalten des Chefarztes eine gravierende Verletzung seiner Dienstpflichten:

Der Schutz der Menschenwürde und der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gebieten es, dass bei derartigen Eingriffen nur Personen anwesend sind, die an der Durchführung der Operation beteiligt sind, d. h. die behandelnden Ärzte sowie das sonstige Klinikpersonal. Für andere Personen gilt dies nur dann, wenn es hierfür einen rechtfertigenden Grund gibt, etwa zur Ausbildung oder zur Installation oder Kontrolle des technischen Geräts. Die Anwesenheit von Personen, die der Operation nur zuschauen, verletzt die Intimsphäre der Patientin und degradiert sie zu einem Anschauungsobjekt.

Bei einer Verletzung der Intimsphäre sei es nicht geblieben. Der Chefarzt habe auch die Gesundheit der Patientin gefährdet:

Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Vater des Klägers seinen Ehering oder gar mehrere Ringe trug, ob er sich den Hygienevorschriften entsprechend desinfiziert hatte, ob er akut an einer Infektionskrankheit litt und wie weit er vom Operationstisch entfernt saß. Die Gegenwart jeder weiteren Person im Operationssaal erhöht die Gefahr einer Übertragung von Krankheitserregern, sei es dass die Person Keimträger ist, sei es dass sie vorhandene Keine aufwirbelt. Ist die Anwesenheit nicht erforderlich, handelt es sich um ein überflüssiges und vermeidbares Risiko.

Letztlich sieht das Landesarbeitsgericht auch eine Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht. Die herumliegenden Patientenunterlagen seien für den Vater des Chefarztes einsehbar gewesen. Ob dieser sich dafür interessierte oder nicht, spiele keine Rolle.

Das Gericht wandelte die fristlose Kündigung des Chefarztes allerdings in eine ordentliche Kündigung um. Es hielt dem Arzt zu Gute, dass er bislang ohne Beanstandungen gearbeitet habe. Außerdem habe er seinen Fehler nachträglich bereut. Der Chefarzt muss seinen Posten deshalb erst nach Ablauf der sechsmonatigen Kündigungsfrist räumen.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Dezember 2012, Aktenzeichen 2 Sa 402/12

Pressegesetze der Länder gelten nicht für den Bund

Die Landespressegesetze sind keine Grundlage, auf der Journalisten Auskunft von Bundesbehörden verlangen können. Das hat das Bundesverwaltungsgericht heute entschieden. Ganz rechtlos sind Journalisten gegenüber Bundesbehörden aber nicht. Sie können schon aus dem Grundrecht der Pressefreiheit einen “Minimalstandard an Auskunftsrechten” gegenüber Behörden durchsetzen.

Mit dem Urteil setzt das Bundesverwaltungsgericht eine jahrzehntelange Rechtspraxis außer Kraft. Bislang war es nämlich weitgehend unbestritten, dass sich auch Bundesbehörden an ihrem jeweiligen Sitz an das dort gültige Landespressegesetz halten müssen.

Das Bundesverwaltungsgericht will dies jedoch nicht anerkennen. Das Landesrecht gelte nicht für Bundesbehörden, weil das Gesetzgebungsrecht dem Bund zustehe. Nur habe der Bund bislang keine Regelungen für seine Behörden erlassen, so dass es für die Auskunftsansprüche der Presse keine spezielle Rechtsgrundlage gebe. Jedoch ergebe sich aus dem Grundrecht der Pressefreiheit, dass Journalisten gegenüber Bundesbehörden Antworten auf Fragen erhalten müssen, soweit nicht “berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen”.

Geklagt hatte ein Journalist, der über Ex-Nazis im Bundesnachrichtendienst und dem Vorgängerdienst “Organisation Gehlen” recherchierte. Er verlangte vom Bundesnachrichtendienst Auskunft, wie viele offizielle und inoffizielle Mitarbeiter Mittglied der NSDAP, der SS, der Gestapo oder der Abteilung „Fremde Heere Ost“ waren.

Diese Auskunft erhält der Journalist allerdings nicht. Das Bundesverwaltungsgericht schränkt den Auskunftsanspruch nämlich dahingehend ein, dass die Presse nur Informationen verlangen darf, die tatsächlich vorliegen. Die Behörde sei aber nicht verpflichtet, die erfragten Tatsachen erst zu recherchieren. Der Bund hatte geltend gemacht, die Zahl der vorbelasteten Mitarbeiter nicht zu kennen. Auch eine Unabhängige Historikerkommission, die bereits eingesetzt ist, habe noch keinen Abschlussbericht vorgelegt.

Mit der Entscheidung hat der Bundestag eine neue Aufgabe erhalten. Er darf nun die Auskunftsansprüche der Medien gegenüber Bundesbehörden in ein Gesetz gießen. Es wird interessant sein, wie lange das dauert. Und wie viele Auskunftsverlangen bis dahin unter Hinweis auf eine angeblich fehlende Rechtsgrundlage abgeschmettert werden.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. Februar 2013, Aktenzeichen  6 A 2.12

Weitere Hintergründe im Rechercheblog Der Westen

Wer ist künftig das Volk?

Der Slogan “Wir sind das Volk” darf wieder auf T-Shirts gedruckt und auch sonst benutzt werden. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat die bisher eingetragene Marke gelöscht. Inhaber waren die Stadt Leipzig und einige DDR-Bürgerrechtler.

Durchgesetzt hat die Löschung eine heute in Dänemark lebende Frau. Sie lebte früher in der DDR und war, so berichtet die Leipziger Volkszeitung, 1988 von der Stasi verhaftet und im Frauengefängnis Hoheneck eingesperrt worden. Die Frau hatte 120 Flugblätter mit der Überschrift “Was ist ein Staat ohne sein Volk – NICHTS” verteilt. Einer ihrer Mitstreiter hat nach ihren Angaben das erste Transparent mit dem Slogan “Wir sind das Volk” angefertigt.

Ihren Kampf gegen die von der Stadt Leipzig in Beschlag genommene Marke begründet die Frau damit, dass niemand private Rechte an dem Slogan “Wir sind das Volk” halten dürfe. Die Stadt Leipzig hatte die Marke damit gerechtfertigt, dass sie Neonazis abhalten will, den Spruch in Beschlag zu nehmen.

Der Löschungsantrag ging nach dem Bericht der Leipziger Volkszeitung schon deshalb durch, weil die Markeninhaber den Slogan selbst nicht benutzt haben. Eine Marke darf aber nur gehalten werden, wenn sie auch wirtschaftlich verwertet wird. Das hat die Stadt Leipzig nach eigenen Angaben aber nie gewollt. Gegen die Löschung soll, so die Stadt, kein Rechtsmittel eingelegt werden.