Sylt-Video darf nicht unverpixelt gezeigt werden

Die „Ausländer raus“ – Gesänge auf dem Syltvideo waren das eine. Das andere aber war der Umstand, dass die Personen auf dem Video ersichtlich Privatleute sind – und nun im Sturm einer bundesweiten Empörungswelle stehen. War es nötig oder zumindest zulässig, die Betreffenden unverpixelt in den Medien zu zeigen? Das Landgericht München I verneint dies und verbietet der Bildzeitung die weitere Veröffentlichung.

Die einstweilige Verfügung des Gerichts ist, wie üblich, nicht begründet. Allerdings hatte die Anwältin der Betroffenen nach eigenen Angaben insbesondere mit der Prangerwirkung solcher Veröffentlichungen argumentiert. Die Bloßstellung führe zu einer Stigmatisierung, die bis zur Existenzvernichtung gehen kann. Es ist zwar grundsätzlich zulässig, bei Ereignissen der Zeitgeschichte Protagonisten abzubilden. Aber halt nur, wenn deren Persönlichkeitsrechte nicht überwiegen. Im Fall Sylt liegt es eigentlich auf der Hand, dass es gerade kein Interesse daran gab, die Gesichter unverfremdet zu sehen. Jedenfalls überwog dieses Interesse nicht die Risiken, denen die Betroffenen ausgesetzt waren und sind. Die Bildzeitung kann Rechtsmittel gegen den Beschluss einlegen (Aktenzeichen 26 O 6325/24).

Bericht in der Legal Tribune Online

Der Knöllchen-Hammer, der keiner ist

Können wir unser Auto ab sofort sorglos überall im Parkverbot abstellen, ohne dass es auch nur einen Euro kostet? Dafür soll ein angebliches „Knaller-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts sorgen. Der Beschluss könnte, so die frohe Botschaft in fast allen Onlinemedien, sämtliche Knöllchen-Sorgen in Luft auflösen. Steuern wir auf eine heile Autofahrer-Welt zu, sofern man sich am absehbaren Parkchaos nicht stört? Ganz so einfach ist es nicht…

Auch ich hatte etwas zu dem Fall geschrieben (Beitrag von gestern) Das dort Gesagte will ich nicht wiederholen, sondern nur in aller Kürze mit Missverständnissen zu der Entscheidung aufräumen.

Zunächst mal steht in dem Beschluss nichts Neues. Auch bei Parkverstößen gilt das Täterprinzip. Deshalb durfte das Ordnungsamt nicht davon ausgehen, dass der Halter des Wagens automatisch auch der Fahrer ist. Grundsätzlich ist es deshalb richtig, dass man sich gegen fast jedes Parkknöllchen erfolgreich vor Gericht wehren kann. Denn in den allerwenigsten Fällen haben die Ämter einen Beweis dafür, dass der Halter des Wagens auch tatsächlich der Fahrer war. Erlässt das Amt trotzdem einen Bußgeldbescheid, was die Regel ist, wird man richtigerweise spätestens vor Gericht freigesprochen – wenn man sich gegen das Bußgeld wehrt.

Allerdings, und das geht in der Berichterstattung unter, läuft es ja normalerweise so, dass der Parkverstoß erst mit einer „Verwarnung“ geahndet wird. Das ist sozusagen ein Angebot, die Sache gütlich zu regeln. Nur für den Fall, dass der Betroffene nicht antwortet oder nicht zahlt, erlässt die Behörde dann einen Bußgeldbescheid, gegen den man sich mit einem Einspruch wehren kann.

Das Problem bei dieser Gegenwehr ist nur: So was geht nicht lange gut. Denn spätestens nach zwei, drei solchen Runden droht die Behörde mit einem Fahrtenbuch. Dieses muss dann für das Auto geführt werden. Und ergibt sich bei einem neuen Verstoß aus dem Fahrtenbuch wiederum nicht, wer zum Tatzeitpunkt am Steuer saß, zieht das ein eigenes Bußgeld nach sich. Wer also vermeintlich geschickt gegen Bußgelder agiert, handelt möglicherweise mit Zitronen. Denn so eine Fahrtenbuchauflage ist wirklich lästig, glaubt es mir.

Der betroffene Halter hätte sich das Gerichtsverfahren übrigens auch sparen können. Hätte er dem Amt gleich mitgeteilt, dass er nicht gefahren ist und auch nicht weiß, wer am Steuer saß, wäre das Verfahren auch sogleich eingestellt worden. Allerdings greift dann eine besondere Halterhaftung, es fällt eine Gebühr von 20 Euro zuzüglich Auslagen an. Das sind am Ende meist 40 Euro. Auch bei dieser Variante haben die Behörden nur bedingt Geduld. Müssen sie sich öfter mit den 20 Euro begnügen, kann sie ebenfalls mit einer Fahrtenbuchauflage drohen.

Bei vernünftiger Betrachtung ist es also besser, das Knöllchen zu zahlen bzw. schon bei der Anhörung zu dem Parkverstoß den Fahrer zu benennen.

Verfassungsgericht verhandelt über 30-Euro-Knöllchen

Mit einem einfachen Parkverstoß einen Fall fürs Bundesverfassungsgericht zu schaffen, das muss man erst mal schaffen. Einer Richterin oder einem Richter am Amtsgericht Siegen kommt aber nun die Ehre zuteil, Tagesgespräch in der Kantine zu werden.

Es ging um ein Auto, welches das Ordnungsamt aufgeschrieben hat. Laut Parkscheibe durfte der Wagen bis 14.30 Uhr stehen, war aber um halb sechs am Abend immer noch da. Das sollte 30 Euro kosten. Der Bußgeldbescheid wurde an den Halter des Wagens adressiert, dieser zog dagegen vor Gericht. In der Verhandlung schwieg der Halter. Das Gericht verurteilte ihn kurzerhand wegen der Parksünde zu einer Geldbuße von 30 Euro.

Falsch, sagt das Bundesverfassungsgericht. Denn die Haltereigenschaft ist kein Beleg dafür, dass der Halter seinen Wagen auch selbst gefahren hat. Wer Halter ist, habe für diese Frage keinerlei Aussagekraft, so die Richter. Wenn vom Halter auf den Fahrer geschlossen werden solle, müsse es zumindest weitere Anhaltspunkte geben. Diese Beweise oder Indizien darf ein Richter auch ermitteln, aber das war hier nicht passiert. Jetzt kann sich ein anderer Richter am Amtsgericht Siegen freuen. Er darf die Sache neu verhandeln.

Nicht ganz unbeteiligt am Verfahren war übrigens das Ordnungsamt. Die Behörde hätte das Problem auch sehen können. Sie hätte besser zur sogenannten Halterhaftung gegriffen. Danach muss bei Verstößen im ruhenden Verkehr der Halter eine Art Strafgebühr in Höhe von 20 Euro bezahlen, wenn der Fahrer vor Verjährung nicht ermittelt werden kann (Aktenzeichen 2 BvR 1457/23).

Heute vor 259 Tagen

Vor 259 Tagen überfielen in Berlin zwei Männer eine 80-jährige Frau und raubten ihr die Handtasche. Die Seniorin stürzte, verletzte sich am Kopf und fiel in Ohnmacht. Die Täter ließen die bewusstlose Frau auf der Straße zurück. 259 Tage sind zweifellos eine lange Zeit, aber am heutigen 12. Juni 2024 kommt sichtbar Bewegung in die Sache. Die Polizei in Berlin holt die Porträts der Täter raus und startet eine Öffentlichkeitsfahndung. Denn bislang wurden die Täter nicht gefasst.

Der Berliner Tagesspiegel veröffentlicht die Bilder der beiden Tatverdächtigen. Ein Foto, wahrscheinlich von einer Überwachungskamera, ist gar nicht so schlecht gelungen, finde ich. Das führt auf jeden Fall zu einer deutlichen Wahrscheinlichkeit, dass jemand einen oder beide Räuber erkennt.

Allerdings stellt sich natürlich die Frage, wieso die Behörden erst nach etlichen Monaten auf die Bevölkerung setzen. Deshalb ein paar Worte zur Rechtslage für die sogenannte Öffentlichkeitsfahndung. Diese ist nur zulässig, „wenn die Aufklärung einer Straftat, inbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre“. Demnach müssen vor einer Öffentlichkeitsfahndung sonstige andere Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um an die Täter zu kommen. Ab diesem Zeitpunkt kann ein Richter die Fahndung genehmigen.

Es wäre also interessant, welche Fahndungsansätze die Berliner Polizei in diesem Fall hatte. Und wie intensiv sie diesen nachgangen ist. Für mich ist es irgendwie schwer vorstellbar, dass bei unbekannten Tätern so viele Ermittlungsansätze vorhanden sind, dass es Monate braucht, um diese abzuarbeiten. Immerhin handelt es sich um eine schwere Straftat. Etwas Manpower sollte also zur Verfügung stehen, auch wenn natürlich immer ein Blitzermarathon oder eine Aktionswoche gegen Hasskriminalität im Netz dazwischenkommen kann. Im Ergebnis handelte es sich also wohl um einen ungewöhnlichen Fall, aus dem wir gar nichts schließen können. Oder jemand hat sich doch tatsächlich seeeehr lange Zeit gelassen, um auf die Idee mit der Öffentlichkeitsfahndung zu kommen.

Nirgendwo im Gesetz steht auf jeden Fall, dass man 259 Tage für so einen Schritt warten muss.

Grundgesetzänderung für Ehrenplatz beim CSD

Muss das Grundgesetz geändert werden, damit Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner die CSD-Parade eröffnen und auf einem Mottowagen mitfahren darf? Gar nicht so abwegig wie es klingt, denn laut Berliner Tagesspiegel verlangen die CSD-Organisatoren ultimativ, dass die „sexuelle Identität“ als Schutzgut im Artikel 3 des Grundgesetzes ausdrücklich aufgeführt wird. Als Druckmittel wird tatsächlich eine mögliche Ausladung bzw. Nichteinladung des Bürgermeisters zur Parade genannt.

Angesichts eines solch brutalen Ultimatums, welches jedem Berliner natürlich unter die Haut geht, kündigt der Antidiskrimierungsbeauftragte des Senats sogleich eine entsprechende Bundesratsiniative an. „In Zeiten zunehmender queerfeindlicher Hetze und eines erstarkten Rechtspopulismus brauchen wir einen verfassungsmäßigen Schutz der queeren Community nötiger als je zuvor“, heißt es von der Behörde. Künftig soll in Artikel 3 des Grundgesetzes demnach auch die „sexuelle Identität“ geschützt werden.

An der Idee ist einiges merkwürdig. Zunächst mal erwähnt Art. 3 GG bereits, dass niemand „wegen seines Geschlechts“ benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Es steht also offensichtlich schon in der Verfassung, was nun als zusätzlicher Schutz gefordert wird. Überdies ist die „geschlechtliche Identität“ auch bereits durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 GG geschützt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem in seiner Entscheidung zum Personenstandregister ausdrücklich festgestellt (1 BvR 2019/16). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben Gesetzescharakter (§ 31 BVerfGG). Somit kann keiner – ernsthaft – behaupten, der Schutz der „geschlechtlichen Identität“ sei derzeit nicht gewährleistet.

Der Hinweis auf queerfeindliche Aktivitäten und „Rechtspopulismus“ übersieht außerdem einen wichtigen Punkt. Das Grundgesetz regelt nicht das Verhältnis der Bürger untereinander. Das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte von Artikel 1 bis 19, sind Schutzrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Man spricht auch von Abwehrrechten. Auf das Verhältnis der Menschen untereinander wirken die Grundrechte allenfalls mittelbar. Kein queerer Mann, keine queere Frau und auch keine queere Person, die sich diesen Kategorien nicht zugehörig fühlt, kann nach einem körperlichen oder verbalen Angriff erfolgreich vor Gericht rügen, dass ihn der Täter in seinen Grundrechten aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 3 GG verletzt hat. Wohl aber, dass er Opfer eines strafbaren Angriffs geworden ist und deshalb vom Staat (zu Recht) erwarten kann, dass die Täter bestraft werden.

Eine Grundgesetzänderung wäre reine, überflüssige Kosmetik. Interessant ist übrigens auch, dass die Forderung nach einer Grundgesetzänderung längst nicht alles ist, was dem Regierenden Bürgermeister in der CSD-Community salonfähig machen soll. Von fünf weiteren Forderungen spricht der Tagesspiegel. Wie man beim CSD abseits dieser fragwürdigen Anspruchshaltung tickt, erklärt der zitierte Funktionär selbst: „Die Zeit drängt, denn wir wissen nicht, ob wir nach der Bundestagswahl noch mit der erforderlichen progressiven Mehrheit rechnen können.“ Wird sicher interessant, ob der CSD mit dieser albernen Pistole-auf-die-Brust-Taktik tatsächlich durchkommt.

„Buyx faselt“ – Strafanzeige

Als recht dünnhäutig erweist sich die ehemalige Vorsitzende des deutschen Ethikrates, Alena Buyx. Sie zeigte den Hannoveraner Professor und Corona-Kritiker Stefan Homburg wegen Beleidigung an. Homburg hatte auf Twitter geschrieben: „Buyx faselt ständig von der nächsten ‚Pandemie‘. Sie wollen das Spiel offenbar mit verfeinerten Methoden wiederholen. Der WHO-Vertrag macht’s möglich.“

Dass dies keine strafbare Beleidigung ist, sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Es lässt sich aber auch juristisch begründen, sogar in aller Kürze:

Es ist nicht Aufgabe des Beleidigungsparagrafen (§ 185 StGB), Menschen vor bloßer Taktlosigkeit oder Unhöflichkeit zu schützen. Bei nur unhöflichen Formulierungen müssen besondere Umstände hinzukommen, aus denen sich positiv der Wille ergibt, dem Angesprochenen seinen Achtungsanspruch als Mitmensch abzusprechen. Im Bereich der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung darf die Sprache auch „robust“ sein. Faseln bedeutet laut Duden, unüberlegt, wirr, meist weitschweifig und ohne genaue Sachkenntnis von etwas reden oder über etwas schreiben, Unsinn von sich zu geben. Da sich Stefan Homburg auf sachbezogene Äußerungen von Buyx bezieht, liegt also gar kein direkter persönlicher Angriff auf die Frau vor. Sondern nur eine Kritik, dass sie sich zu den Sachfragen nicht überzeugend äußert. Das aber ist im Kern eben nicht mehr als eine zulässige Meinungsäußerung.

Wir können also guter Dinge sein, dass spätestens der Staatsanwalt schon den Anfangsverdacht verneint. Ärgern dürfen wir uns allerdings darüber, dass mit solchen Aktionen – ein näher beschreibendes Adjektiv lasse ich bewusst weg – die Strafverfolgungsbehörden davon abgehalten werden, sich um wichtigere Dinge zu kümmern.

„Buyx faselt“: Ehemalige Ethikrat-Chefin zeigt Corona-Kritiker wegen Beleidigung an

Sylt – bald auch in Ihrer Stadt?

Die Polizei in Mönchengladbach löste am Samstag eine Geburtstagsfeier in einer Kleingartenanlage auf. Eine Nachbarin hatte gehört, wie Gäste das Lied „L’amour toujours“ mit dem Text „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ unterlegten. Angeblich hat die Nachbarin das gehört, muss es korrekt heißen. Denn an der Aussage der Frau gibt es mittlerweile Zweifel.

Die Polizei macht jedenfalls ein riesiges Fass auf. Die Party wurde nicht nur gesprengt, jetzt laufen auch umfangreiche Ermittlungen. Die Namen aller Gäste wurden notiert, alle werden mutmaßlich zur Zeugenaussage bzw. Beschuldigtenanhörung geladen. Überdies werden Nachbarn über die Medien aufgerufen, sich zu melden. Einige Gäste der Feier haben bereits mit der Presse gesprochen. Drei Gäste erklärten der Rheinischen Post, es habe keine rassistischen Gesänge gegeben. „Wenn ich so etwas gehört hätte, hätte ich die Party sofort verlassen“, zitiert die Zeitung einen Teilnehmer.

Interessanterweise haben die herbeigerufenen Polizisten selbst keine rassistischen Sprüche gehört. Ein „Beweis“ könnte also nur über die Gäste geführt werden. Jeden von denen steht aber zumindest ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO, weil sie sich nicht selbst belasten müssen. Schon die Angabe, auf der Party gewesen zu sein, begründet nämlich einen Anfangsverdacht, mitgesungen zu haben. Oder die Sprüche durch Anwesenheit unterstützt zu haben. Was man, wenn man es schon mit deutscher Gründlichkeit ausermitteln will, als Beihilfe zur denkbaren Volksverhetzung werten könnte. Jedem Teilnehmer steht also ein Schweigerecht zu. Das gilt natürlich erst recht für den Fall, dass die Polizisten alle angeblichen Gäste als Beschuldigte betrachten, was aus meiner Sicht korrekter wäre. Beschuldigte müssen bekanntlich sowieso nichts sagen.

Und selbst wenn der eine oder andere sich äußert, wird es eher in die Richtung gehen: „Ich habe da zwar was gehört, aber selbst gesungen habe ich nicht.“ Von daher bin ich mir sehr sicher, dass man beim Mönchengladbacher Staatsschutz derzeit überlegt, die Sache zu eskalieren. Warum nicht die Handys aller Teilnehmer beschlagnahmen? Der eine oder andere Gast wird ja gefilmt haben. Warum nicht eventuelle WhatsApp-Gruppen durchforsten, jemand wird ja was gepostet haben. Am Ende führen wir dann wieder die altbekannte Debatte, ob die für solche Maßnahmen erforderlichen Hausdurchsuchungen, man braucht ja ein Überraschungsmoment, verhältnismäßig waren.

Zumal es bislang noch keineswegs ausgemacht ist, dass solche Gesänge á la Sylt überhaupt strafbar sind. Das Bundesverfassungsgericht sagte im Jahr 2010 schon mal: eher nein. Dabei ging es um um die Parole „Ausländer raus“ auf Wahlplakaten. Allerdings verurteilte das Landgericht Magdeburg 2017 einen Angeklagten wegen Volksverhetzung, weil er auf einer Demonstration die Parole „Ausländer raus“ angestimmt hatte.

Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat erst vor knapp zwei Wochen ein Verfahren eingestellt, als auf einem Faschingsumzug der Landjugend solche Parolen zu hören gewesen sein sollen. Die Staatsanwaltschaft sah keinen hinreichenden Tatverdacht. Sie bezog sich darauf, dass Volksverhetzung mehr voraussetzt als die Kundgabe bloßer Ablehung und Verachtung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen. Der Straftatbestand sei nur erfüllt, wenn zu Hass oder Gewalt aufgestachelt oder tatsächlich die Menschenwürde von Ausländern verletzt wird. Selbst wenn also im Kleingarten so etwas gesungen wurde, steht noch lange nicht fest, dass es auch eine Straftat war. Die Kriminalstatistik für „Hassdelikte“ wird sich durch die absehbaren Fälle landauf landab aber auf jeden Fall aufblähen. Für interessierte Kreise ist ja schon das ein willkommener Effekt.

Wagendesinfektion für 153 Euro

Ach, die Corona-Zeiten. Am Bundesgerichtshof landete jetzt ein Fall aus dieser Zeit, der aber auch nach Corona noch durchaus interessant ist. Es ging um die Kosten einer Wagendesinfektion im Vorfeld einer Autoreparatur. 158 Euro berechnete die Werkstatt, um das stinknormale Fahrzeug virenfrei zu kriegen. Zu hoch sagte natürlich die Versicherung des Unfallverursachers.

So eine Desinfektion sei damals durchaus sinnvoll gewesen, urteilen die Richter. Deshalb müsse die Versicherung auch dafür zahlen. Aber die 158 Euro hält der Bundesgerichtshof für überzogen, ebenso wie die Vorinstanz. Hygienemaßnahmen habe es „in allen Bereichen des täglichen Lebens“ gegeben. Mit den damit verbundenen Kosten sei jeder Erwachsene konfrontiert gewesen. Somit bedürfe ein Richter auch keiner zusätzlichen Beratung durch einen Sachverständigen, um die erforderlichen Kosten zu ermitteln.

Maximal 33 Euro sind für eine Wagendesinfektion angemessen gewesen, heißt es im Urteil. Falls ihr mal mehr gezahlt habt, könnt ihr euch jetzt ärgern. Ein ähnliches Problem gibt es übrigens immer wieder mit der Pauschale für „Kleinteile“ oder „Verbrauchsmaterialien“ auf Handwerkerrechnungen. Die ist zwar grundsätzlich zulässig. Aber nur dann, wenn tatsächlich Kleinteile eingebaut oder verbraucht wurden. Außerdem dürfen dann einzelne dieser Kleinteile nicht noch zusätzlich auf die Rechnung gesetzt werden. Die Kleinteilepauschale darf auch 2 % des Auftragswertes nicht übersteigen (Aktenzeichen VI ZR 348/21).

Neuer Grenzwert für Cannabis am Steuer

Auch nach der Freigabe von Cannabis müssen Autofahrer aufpassen. Denn die Legalisierung bedeutet nicht, dass man sich bekifft ans Steuer setzen darf. Vielmehr wird künftig ein Grenzwert gelten. Dieser fällt nicht gerade freizügig aus. Ab 3,5 Nanogramm THC im Blut gibt es künftig einen Monat Fahrverbot, außerdem 500,00 € Geldbuße. Der Bundestag beschloss Ende letzter Woche ein entsprechendes Gesetz.

Der neue Grenzwert entspricht laut der Gesetzesbegründung ungefähr 0,2 Promille Blutalkohol. Somit wird Cannabis – gemessen an der 0,5-Promille-Grenze für Alkohol – weiter streng behandelt. Begründet wird dies mit der viel weniger berechenbaren Wirkung von THC. Danach wirkt Cannabis am stärksten 20 bis 30 Minuten nach dem Konsum. Die Wirkung klinge dann normalerweise innerhalb von drei oder vier Stunden ab. Allerdings nur bei Gelegenheitskonsumenten (1 x pro Woche). Bei häufigem Konsum sind die Wirkstoffe länger nachweisbar und die Konzentrationen tendenziell höher. Für Führerscheinneulinge in der zweijährigen Probezeit gilt der Grenzwert nicht. Vielmehr gilt ein Cannabisverbot.

Wer allerdings Cannabis verschrieben bekommt und auch nur die ärztlich freigegebenen Mengen konsumiert, muss sich nicht um Grenzwerte sorgen. Denn diese gelten in diesem Fall nicht, so die Neuregelung. Wer also durch ärztliche Verschreibung bekifft ist, gilt somit von Amts wegen nicht als Verkehrsrisiko. So ganz logisch ist das alles nicht.

Auch wenn das Gesetz noch nicht in Kraft ist, hat es schon Auswirkungen. So sprach das Amtsgericht Dortmund im April einen Autofahrer mit 3,1 Nanaogramm THC im Blut frei, obwohl an sich noch der bisherige superstrenge Grenzwert von 1,0 Nanogramm THC gilt. Auf so Entgegenkommen seitens eines Gerichts sollte man sich allerdings nicht verlassen.

Finanzamt versemmelt Revisionsfrist

Mit Fristen und Formvorschriften werden wir Anwälte ja gerne gegängelt. Es gibt aber auch so was wie ausgleichende Gerechtigkeit. Der Bundesfinanzhof erklärte jetzt die Revision eines Finanzamtes gegen ein Urteil des Finanzgerichts für unzulässig. Im Finanzamt hatte jemand glorios gepennt…

Dem zuständigen Finanzbeamten war anscheinend nicht bekannt, dass auch für seine Behörde mittlerweile bestimmte Formvorschriften gelten. So müssen Finanzämter Rechtsmittel elektronisch auf einem sicheren Übermittlungswg einreichen, zum Beispiel über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo). Da war es natürlich nicht sinnvoll, das Urteil per Fax anzufechten. Als der Fehler auffiel, war die Revisionsfrist schon einen Tag abgelaufen (Aktenzeichen VII R 26/22).

Urteil stoppt Gehwegparken nicht

Seit Jahren schwelt ein Streit zwischen Bremer Bürgern und der Stadtverwaltung. Die Anwohner wehren sich gegen Gehwegparker. Insbesondere wollen sie, dass das Ordnungsamt von sich aus entschieden gegen „aufgesetztes Parken“ vorgeht und auch Verbotsschilder aufstellt – obwohl das Gehwegparken schon in § 12 Abs. 4 StVO ausdrücklich verboten ist. Nun endete der Streit vor dem Bundesverwaltungsgericht. Wenn man das Ergebnis nüchtern betrachtet, wird wohl auch künftig auf Gehsteigen geparkt werden.

Zunächst bejaht das Bundesverwaltungsgericht eine sogenannte „drittschützende Wirkung“ des Gehwegparkverbots. Das heißt, Anlieger in Bremen dürfen von der eigenen Stadtverwaltung verlangen als, zum Beispiel, der Anzeigenhauptmeister. Für diese drittschützende Wirkung zieht das Gericht allerdings enge Grenzen. Konkrete Maßnahmen kann man nur für eigene Straßenseite verlangen, und auch nur bis zur nächsten Querstraße. Iniativen für ganze Wohnviertel haben sich damit erledigt, sofern sich nicht Beschwerdeführer für jeden Straßenabschnitt finden.

Der Anspruch gegen die Stadt geht laut dem Urteil auch nicht so weit, dass bestimmte Maßnahmen verlangt werden dürfen. Die Behörden dürften nämlich zurecht darauf schauen, wo die größten Parkprobleme zu lösen sind und nicht, wo die lautesten Schreihälse wohnen. Insbesondere sei es zulässig, wenn die Stadt erst mal den Problemdruck ermittelt und dann ein stadtweites Konzept gegen Gehwegparker ausarbeitet. Auf keinen Fall sei der Handlungsspielraum der Ämter auf Null reduziert. So eine Handlungspflicht hatte das Verwaltungsgericht Bremen als Vorinstanz bejaht.

Die Kläger können nach dem Urteil also keine konkreten Maßnahmen erwarten (Aktenzeichen 3 C 5.23).

Indymedia: Link ist keine verbotene Unterstützung

Das Landgericht Karlsruhe hat einen Journalisten freigesprochen, der in einem Artikel ein Archiv der verbotenen Vereinigung „Linksunten.Indymedia“ verlinkt hatte. Der Link soll eine verbotene Unterstützung (§ 85 Abs. 2 StGB) von Indymedia gewesen sei. Das kann mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden.

Der Prozess vor der Staatsschutzkammer dauerte sieben Wochen. Zuerst hieß es nach dem Urteil, das Gericht habe den Journalisten freigesprochen, weil Indymedia gar nicht mehr aktiv ist (weswegen eine Unterstützung gar nicht mehr möglich sein könnte). Das ist allerdings nicht der Fall. Denn ein Sprecher des Gerichts bestätigte nun, dass laut der Staatschutzkammer eine bloße Verlinkung auf die Seite einer verbotenen Vereinigung grundsätzlich keine Unterstützungshandlung im Sinne des Strafgesetzes sei. Nähers soll sich aus den Urteilsgründen ergeben, die noch nicht vorliegen. Allerdings haben die Verteidiger des Journalisten nun mit ihrer Aussage Recht, das Verfahren habe Bedeutung für die Pressefreiheit in Deutschland.

Wenige Worte vom Gericht, große Sprengkraft für ARD und ZDF

Dürfen Gebührenzahler den Rundfunkbeitrag verweigern, wenn ARD und ZDF nicht mehr ausgewogen und objektiv berichten und somit ihren Auftrag verfehlen? Das Bundesverwaltungsgericht ist jedenfalls bereit, dieser Frage nachzugehen. Die Richter ließen jetzt die Revision einer Gebührenzahlerin aus Rosenheim zu. Die Frau hatte sich geweigert, den Rundfunkbeitrag zu zahlen, weil das öffentlich-rechtliche Programm in seiner Einseitigkeit nicht mehr zumutbar sei.

Mit dem Vorwurf „strukturellen Versagens“ kam die Klägerin zunächst nicht weit. Das Verwaltungsgericht und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof schmetterten die Klage ab. Rundfunkteilnehmer haben laut den Urteilen nur Anspruch darauf, mit einem Programm versorgt zu werden. Die Gebührenpflicht orientiere sich aber nicht im Inhalt des Programms.

Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Und möglicherweise gibt es auch juristischen Gesprächsbedarf. Im Zulassungsbeschluss des Bundesverwaltungsgerichts heißt es wörtlich:

Das Revisionsverfahren kann Gelegenheit zur Klärung der Frage geben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen gegen die Beitragserhebung geltend gemacht werden kann, der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ein der Vielfaltssicherung dienendes Programm anzubieten, werde strukturell verfehlt, so dass es an einem individuellen Vorteil fehle.

Das Ganze kann für ARD und ZDF also durchaus spannend werden. Vielleicht gibt es ja schon vorher eine Panikreaktion bei den Öffentlich-Rechtlichen – in Form einer Vielfalts- und Qualitätsoffensive. So könnten unzufriedene Zuschauer schon vor einem möglichen Urteil profitieren.

Link zum Beschluss

Schröder weiter ohne Büro im Bundestag

Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat keinen Anspruch, dass ihm der Staat ein Büro und Mitarbeiter im Bundestag finanziert. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg verneinte heute einen Rechtsanspruch des ehemaligen Regierungschefs auf solche Privilegien. Schon die Vorinstanz hatte Schröder das Büro verweigert.

Dabei hatte Schröder lange Jahre dieses Büro und auch die Mitarbeiter. Erst nach Beginn des Ukraine-Kriegs strich ihm der Bundestag die Mittel. Offizielle Begründung war, dass Schröder keinerlei aktiven Aufgaben für die Bundesrepublik wahrnimmt. Hintergrund ist aber natürlich auch, dass der Ex-Kanzler eine von vielen als schändlich empfundene Nähe zu Russland pflegt; unter anderem war er gegen hohe Bezahlung für russische Energiekonzerne tätig.

In der mündlichen Verhandlung machte Schröder heute geltend, er brauche das Büro insbesondere auch für seine Vermittlungsversuche im Ukrainekrieg. Ob er sich mit dieser doch sehr hoch gegriffenen Aussage einen Gefallen getan hat? Unter fehlendem Selbstbewusstsein hat der Ex-Kanzler noch nie gelitten.

Abgeschlossen ist der Prozess noch nicht. Das Oberverwaltungsgericht ließ die Revision zu. Ganz ohne Erfolgsaussicht ist Schröders Klage sicher nicht. Immerhin kann er sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Seiner Nachfolgerin Angela Merkel hat bislang niemand das Büro und die Mitarbeiter abgesprochen.

Abschiebehäftling wurde zu lang eingesperrt

Abschiebehaft für ausreisepflichtige Ausländer ist zwar grundsätzlich zulässig, aber deshalb dürfen Betroffene nicht in Gefängnisse eingesperrt werden. In einer aktuellen Entscheidung bekräftigt der Bundesgerichtshof nochmals den – nach Europarecht vorgeschriebenen – Grundsatz, wonach Abschiebegefängnisse und Strafanstalten getrennt sein müssen. Das Gericht äußert sich auch zu der Frage, wie lange Abschiebehäftlinge in ihren Zellen eingesperrt sein dürfen.

Ein Algerier saß im bayerischen Hof rund sechs Monate in Abschiebehaft. Dabei war seine Zellentür von 7 bis 19 Uhr geöffnet und er konnte sich in der Einrichtung bewegen (Umschluss). Ab 19 Uhr war der Mann dagegen eingeschlossen. Das ist zu lang, urteilt der Bundesgerichtshof. Die Richter verweisen darauf, dass etwa in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ein Einschluss nur für die Zeit von 22 bis 7 Uhr morgens zulässig ist. Außerdem kritisiert der Bundesgerichtshof, dass der Mann nur vier Stunden Besuch im Monat erhalten durfte (Aktenzeichen XIII ZB 85/22).