STRAFSCHÄRFEND

STRAFSCHÄRFEND

Aus einem Urteil des Amtsgerichts Neuss:

Strafschärfend hat das Gericht ihre unhaltbare Theorie von der Unterschlagung des Geldes durch einen Postmitarbeiter berücksichtigt. Damit ist sie über zulässiges Leugnen in unrechter Weise hinausgegangen.

Klingt simpel, ist aber stupid. Es ist das gute Recht jedes Angeklagten, die Tat zu leugnen. Im Gegensatz zu Zeugen ist er gerade nicht verpflichtet, die Wahrheit zu sagen. Ein Geständnis kann nach dem Gesetz strafmildernd honoriert werden; das Leugnen der Tat darf aber nicht strafschärfend gewertet werden.

Der Richter – übrigens der, der sich weigert, mit Anwälten zu telefonieren – versucht diese Klippe zu umschiffen, indem er der Angeklagten unterstellt, sie habe einen „Postmitarbeiter“ beschuldigt. Die Schuld einem Dritten zuzuschieben, kann unter Umständen strafschärfend gewertet werden. Allerdings nur dann, wenn die Angeklagte einen konkreten Dritten bezichtigt und dieser in die Gefahr gerät, zu Unrecht verfolgt zu werden.

An all dem fehlt es aber, weil die Angeklagte nur dargelegt hat, dass Geld in einer (offenen) Postsendung von einem Postmitarbeiter entwendet werden kann. Auf dem Weg von Neuss nach Heidelberg und zurück gibt es dazu reichlich Gelegenheit, was man wohl nicht ernsthaft abstreiten kann.

Das Aufzeigen eines möglichen anderen Geschehensablaufes ist keine verwerfliche Schuldzuweisung an Dritte, sondern eine zulässige Verteidigungshandlung. Das resultiert aus dem Grundsatz, dass die Angeklagte nicht beweisen muss, dass sie die Tat nicht begangen hat. Vielmehr muss das Gericht ihr beweisen, dass sie es war. Das kann und darf man dadurch erschweren, indem man schildert, wie es auch gewesen sein kann.

In der Konsequenz bedeutet der Satz: Die Angeklagte ist nicht nur zu bestrafen. Sie hat sogar eine höhere Strafe verdient, weil sich so dreist war, sich gegen den Tatvorwurf zu wehren.

Man könnte sich glatt über so eine Einstellung aufregen, wenn sie nicht gleichzeitig ein herrlicher Angriffspunkt für das Rechtsmittel wäre.