Die Wünsche der bayerischen Polizei

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat vorhin eingeräumt, dass zumindest einer der vom Chaos Computer Club analysierten Trojaner aus Bayern stammt. Damit wird nur zugegeben, was ohnehin schon offensichtlich war. Immerhin hatte bereits am Vormittag ein bayerischer Strafverteidiger bekanntgegeben, er habe dem CCC eine Festplatte zur Verfügung gestellt, die einen von bayerischen Behörden aufgespielten Trojaner enthält.

Bemerkenswert ist, wie unverfroren der bayerische Innenminister nun an den Tatsachen vorbei argumentiert. So lässt er sich mit folgendem Statement zitieren:

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Online-Durchsuchung 2008 ist eine Quellen-TKÜ zulässig, wenn sich die Überwachung ausschließlich auf Daten aus einem laufenden Telekommunikationsvorgang beschränkt und dies durch technische Vorkehrungen und rechtliche Vorgaben sichergestellt wird. Nichts anderes ist in Bayern bisher praktiziert worden. Sämtlichen Maßnahmen ist – wie gesetzlich vorgesehen – auch ein richterlicher Beschluss vorausgegangen.

Das bayerische Innenminsterium stellt den Fall also so dar, als sei aufgrund der technischen Vorkehrungen und rechtlichen Vorgaben nur die Telekommunikation des Beschuldigten überwacht worden.

Genau das ist aber nicht der Fall.

Das dem Beschuldigten bei einer angeblichen Zollkontrolle am Flughafen untergejubelte Programm machte auch alle 30 Sekunden ein Foto vom Bildschirm des Computers und übermittelte es der Polizei. So hatten die Beamten auch Einblick in alle anderen Aktivitäten, die der Beschuldigte auf seinem Computer entfaltete. Rund 60.000 Screenshots sollen insgesamt zusammengekommen sein.

Festgehalten ist der Fakt, dass sich die Maßnahme eben nicht auf eine Telekommunikationsüberwachung beschränkte, in einer recht soliden Quelle. Das Landgericht Landshut hat am 20. Januar 2011 genau diesen Teil der Überwachung für rechtswidrig erklärt. Der Beschluss ist hier nachzulesen.

Selbst der Ermittlungsrichter am Amtsgericht, der die Maßnahme ursprünglich anordnete, hat die Überwachung auf die Telekommunikation beschränkt. Schon sein Beschluss ließ es ausdrücklich nicht zu, dass der Rechner selbst durchsucht oder andere Aktivitäten des Nutzers festgehalten werden.

Offenbar hatten die Ermittler aber andere Wünsche. Obwohl ihnen solche Maßnahmen ausdrücklich untersagt waren, richteten sie die Screenshot-Funktion ein – wofür der von ihnen verwendete Trojaner offensichtlich geeignet war. So viel zu den “technischen Vorkehrungen”, die das nach Angaben des bayerischen Innenministers verhindern. (Hinweis: Zunächst habe ich geschrieben, das Amtsgericht habe die Screenshots erlaubt. Das war falsch. Deswegen habe ich den Text berichtigt.)

Wenn Herrmann also wahrheitsgemäß behauptet, seine Beamten hätten sich an die rechtlichen Vorgaben gehalten und dies durch technische Vorkehrungen umgesetzt, dürfte es die Entscheidung des Landgerichts Landshut eigentlich gar nicht geben.

Ja, wenn.

Früherer Beitrag im law blog.

“Legitime Maßnahmen”

Über einen Punkt gibt es in Sachen “Bundestrojaner” keinen Streit. Das Recht zur umfassenden Ausspähung von Computern über die Telekommunikation hinaus hat derzeit, wenn überhaupt, allenfalls das Bundeskriminalamt. Andere Polizeibehörden dürfen keinen so weitgehenden Angriff auf die Computer Beschuldigter fahren.

Es fehlt für sie derzeit an einer gesetzlichen Grundlage – auch wenn Strafverfolger und manche Politiker sie vielleicht gerne hätten. Nun könnte man auf die Idee kommen und sagen: Okay, wenn es die Eingriffsnorm nicht gibt, dann ist klar, dass andere Polizeibehörden so was eben lassen. So wie sie ja auch nicht auf die Idee kommen, Beschuldigte zu waterboarden – auch wenn das vielleicht ein Geständnis im Einzelfall fördern würde.

Was nicht erlaubt ist, wird auch nicht gemacht. Ich würde so eine Einstellung als Voraussetzung für rechtsstaatliches Denken ansehen. Allerdings gibt es bei uns auch tonangebende Politiker, die das offensichtlich anders sehen. So zum Beispiel Hans-Peter Uhl, den innenpolitischen Sprecher der CDU-/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag.

Zuletzt hat Uhl Schlagzeilen gemacht, indem er den Massenmord in Norwegen nutzte, um eine Klarnamenpflicht im Internet zu fordern. Heute legt Uhl neu vor, aber wiederum in gewohnter Qualität. Er bedauert es nämlich, dass Behörden Beschuldigte mit Trojanern ausspähen, obwohl ihnen das kein Gesetz erlaubt und das Bundesverfassungsgericht es sogar ausdrücklich untersagt. Uhl:

Wer dagegen wie die Bundesjustizministerin eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage für die Quellen-TKÜ verweigert und die Strafverfolgungsbehörden damit zum Rückgriff auf die allgemeine TKÜ-Rechtsvorschrift zwingt, darf nicht beklagen, dass Vorgaben nicht eingehalten würden, die es derzeit noch nicht gibt und für deren Schaffung die Justizministerin zuständig wäre. Eine Skandalsierung legitimer Maßnahmen dagegen hilft nicht weiter.

Der Rechtsbruch durch Ermittlungsbehörden ist also kein Rechtsbruch, sondern eine “legitime Maßnahme”. Also eine Art Notwehr gegen den Gesetzgeber. Und schuld an all dem sind nur diese an die Freiheit und das Grundgesetz denkenden Politiker, die den Beamten einfach nicht all jene Gesetze geben, welche diese fordern.

Herr Uhl und ich haben wirklich ein unterschiedliches Verständnis vom Rechtsstaat.

Chaos Computer Club enttarnt den Bundestrojaner

Der Chaos Computer Club (CCC) hat nach eigenen Angaben Exemplare des Bundestrojaners untersucht, die ihm zugespielt wurden. Mit einem alarmierenden Ergebnis. Die analysierte Schnüffelsoftware kann nicht nur höchst intime Daten ausleiten, sondern bietet auch eine Fernsteuerungsfunktion zum Nachladen und Ausführen beliebiger weiterer Schadsoftware. Aufgrund von groben Design- und Implementierungsfehlern entstehen nach Einschätzung des CCC Sicherheitslücken in den infiltrierten Rechnern, die auch Dritte ausnutzen können. Den eng gesteckten rechtlichen Rahmen sieht der CCC eindeutig überschritten.

Der Bundestrojaner läuft seit längerem unter der unauffälligen Neusprech-Variante “Quellen-TKÜ” (TKÜ = Telekommunikationsüberwachung. Diese Quellen-TKÜ darf nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsw an sich ausschließlich für das Abhören von Internettelefonie verwendet werden. Dies ist an sich durch technische und rechtliche Maßnahmen sicherzustellen. Doch tatsächlich scheinen die Ermittler auch in den Fällen, wo sie eigentlich nur lauschen dürfen, eine regelrechte “Wunderwaffe” einzusetzen, die viel mehr kann.

Konkret veröffentlicht der CCC nun die extrahierten Binärdateien von behördlicher Schadsoftware, die nach seinen Angaben für "Quellen-TKÜ" benutzt wurde, gemeinsam mit einem Bericht zum Funktionsumfang sowie einer Bewertung der technischen Analyse. Im Rahmen der Analyse erstellte der CCC eine eigene Fernsteuerungssoftware für den Behörden-Trojaner und enthüllt so dessen tatsächliche Möglichkeiten.

Die Analyse des Behördentrojaners weist im als "Quellen-TKÜ" getarnten "Bundestrojaner light" bereitgestellte Funktionen nach, die über das Abhören von Kommunikation weit hinausgehen und die expliziten Vorgaben des Verfassungsgerichtes verletzen. So kann der Trojaner über das Netz weitere Programme nachladen und ferngesteuert zur Ausführung bringen.

Eine Erweiterbarkeit auf die volle Funktionalität des Bundestrojaners – also das Durchsuchen, Schreiben, Lesen sowie Manipulieren von Dateien – ist von Anfang an vorgesehen. Sogar ein digitaler großer Lausch- und Spähangriff ist möglich, indem ferngesteuert auf das Mikrofon, die Kamera und die Tastatur des Computers zugegriffen wird.

Es ist, so der CCC, also nicht einmal versucht worden, softwaretechnisch sicherzustellen, dass die Erfassung von Daten strikt auf die Telekommunikation beschränkt bleibt. Weitere Funktionalitäten der Computerwanze wurden vielmehr von vornherein vorgesehen.

"Damit ist die Behauptung widerlegt, dass in der Praxis eine effektive Trennung von ausschließlicher Telekommunikationsüberwachung und dem großen Schnüffelangriff per Trojaner möglich oder überhaupt erst gewünscht ist", kommentiert ein CCC-Sprecher die Analyseergebnisse. "Unsere Untersuchung offenbart wieder einmal, dass die Ermittlungsbehörden nicht vor einer eklatanten Überschreitung des rechtlichen Rahmens zurückschrecken, wenn ihnen niemand auf die Finger schaut. Hier wurden heimlich Funktionen eingebaut, die einen klaren Rechtsbruch bedeuten: das Nachladen von beliebigem Programmcode durch den Trojaner."

Der Behördentrojaner kann also auf Kommando – unkontrolliert durch den Ermittlungsrichter – Funktionserweiterungen laden, um die Schadsoftware für weitere gewünschte Aufgaben beim Ausforschen des betroffenen informationstechnischen Systems zu benutzen. Dieser Vollzugriff auf den Rechner, auch durch unautorisierte Dritte, kann etwa zum Hinterlegen gefälschten belastenden Materials oder Löschen von Dateien benutzt werden und stellt damit grundsätzlich den Sinn dieser Überwachungsmethode in Frage.

Doch schon die vorkonfigurierten Funktionen des Trojaners ohne nachgeladene Programme sind besorgniserregend. Im Rahmen des Tests hat der CCC eine Gegenstelle für den Trojaner geschrieben, mit deren Hilfe Inhalte des Webbrowsers per Bildschirmfoto ausspioniert werden konnten – inklusive privater Notizen, E-Mails oder Texten in webbasierten Cloud-Diensten.

Die von den Behörden suggerierte strikte Trennung von genehmigt abhörbarer Telekommunikation und der zu schützenden digitalen Intimsphäre existiert in der Praxis also offenbar nicht. Der Richtervorbehalt kann schon insofern nicht vor einem Eingriff in den privaten Kernbereich schützen, als die Daten unmittelbar aus diesem Bereich der digitalen Intimsphäre erhoben werden.

Die Analyse offenbarte ferner gravierende Sicherheitslücken, die der Trojaner in infiltrierte Systeme reißt. Die ausgeleiteten Bildschirmfotos und Audio-Daten sind nach Einschätzung der CCC-Techniker auf inkompetente Art und Weise verschlüsselt, die Kommandos von der Steuersoftware an den Trojaner sind gar vollständig unverschlüssselt.

Weder die Kommandos an den Trojaner noch dessen Antworten seien durch irgendeine Form der Authentifizierung oder auch nur Integritätssicherung geschützt. So könnten nicht nur unbefugte Dritte den Trojaner fernsteuern, sondern bereits nur mäßig begabte Angreifer sich den Behörden gegenüber als eine bestimmte Instanz des Trojaners ausgeben und gefälschte Daten abliefern. Es ist laut CCC sogar ein Angriff auf die behördliche Infrastruktur denkbar. Von so einem "Angriff” hat der CCC nach eigenen Angaben aber abgesehen.

"Wir waren überrascht und vor allem entsetzt, das die Schnüffelsoftware nicht einmal den elementarsten Sicherheitsanforderungen genügt. Es ist für einen beliebigen Angreifer ohne weiteres möglich, die Kontrolle über einen von deutschen Behörden infiltrierten Computer zu übernehmen", sagt der CCC-Sprecher. "Das Sicherheitsniveau dieses Trojaners ist nicht besser, als würde er auf allen infizierten Rechnern die Passwörter auf ‚1234‘ setzen."

Zur Tarnung der Steuerzentrale würden die ausgeleiteten Daten und Kommandos obendrein über einen in den USA angemieteten Server umgelenkt. Die Steuerung der Computerwanze findet also jenseits des Geltungsbereiches des deutschen Rechts statt. Durch die fehlende Kommando-Authentifizierung und die inkompetente Verschlüsselung – der Schlüssel ist in allen dem CCC vorliegenden Staatstrojaner-Varianten gleich – stelle dies ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dar. Außerdem sei fraglich, wie ein Bürger sein Grundrecht auf wirksamen Rechtsbehelf ausüben kann, sollten die Daten im Ausland “verlorengehen”.

Im Streit um das staatliche Infiltrieren von Computern hatten der ehemalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und BKA-Chef Jörg Ziercke stets unisono betont, die Bürger müssten sich auf höchstens "eine Handvoll" Einsätze von Staatstrojanern einstellen. Die Experten vom CCC wundern sich: Entweder sei nun fast das vollständige Set an staatlichen Computerwanzen in braunen Umschlägen beim CCC eingegangen oder die Wahrheit sei wieder einmal schneller als erwartet von der Überwachungswirklichkeit überholt worden.

Auch die anderen Zusagen der Verantwortlichen haben laut CCC in der Realität keine Entsprechung gefunden. So hieß es 2008, alle Versionen der "Quellen-TKÜ"-Software würden individuell handgeklöppelt. Der CCC hat aber nun mehrere verschiedene Versionen des Trojaners vorliegen, die alle denselben hartkodierten kryptographischen Schlüssel benutzen und mitnichten individualisiert sind. Die damals versprochene besonders stringente Qualitätssicherung hat weder hervorgebracht, dass der Schlüssel hartkodiert ist, noch dass nur in eine Richtung verschlüsselt wird oder dass eine Hintertür zum Nachladen von Schadcode existiert. Der Sprecher: “Wir hoffen inständig, dass dieser Fall nicht repräsentativ für die besonders intensive Qualitätssicherung bei Bundesbehörden ist.”

Der CCC verlangt nun eine klare Definition der Rechtslage. Das bislang vom Bundesverfassungsgericht eher schwammig formulierte Grundrecht auf “Integrität informationstechnischer Systeme” müsse normiert werden. Für die Praxis verlangt der CCC ein sofortiges Einsatzende für die betreffende Schnüffelsoftware.

Kommentar von Torsten Kleinz: Moment mal, wozu braucht ihr das?

Kommentar von Frank Schirrmacher: Reicht es wirklich, nur auf die Grundgesetztreue des Staates und seiner Diener zu hoffen?

Berichtigung

Verfügung des Landesgerichts Regensburg:

Das Protokoll der Verhandlung wird wie folgt berichtigt:

Die Angeklagte ist nicht bei den Sieben Zwergen, sondern bei den Siemens-Werken beschäftigt.

Quelle

Kachelmann bleibt ein freier Mann

Die Strafsache Jörg Kachelmann ist zu Ende. Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben ihre Revisionen zurückgenommen. Damit bleibt es nun endgültig beim Freispruch für den Wettermoderator.

Die Staatsanwaltschaft Mannheim begründet ihre Entscheidung so:

Die Staatsanwaltschaft geht nach Prüfung der schriftlichen Urteilsgründe davon aus, dass die Durchführung der Revision vor dem Bundesgerichtshof keine genügenden Erfolgsaussichten bieten würde. Im Revisionsverfahren werden Urteile ausschließlich auf das Vorliegen von Rechtsfehlern kontrolliert. Solche Fehler enthält das Urteil nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht.

Das Urteil sei sehr ausführlich begründet, heißt es weiter. Das Gericht komme mit nachvollziehbaren Argumenten zu dem Ergebnis, dass Kachelmanns Schuld nicht mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden könne. Deshalb sei die Entscheidung "im Zweifel für den Angeklagten” richtig.

Dieser Auffassung schloss sich offensichtlich auch das vermeintliche Tatopfer an. Die Frau, die als Nebenklägerin aufgetreten war, hat nach Presseberichten ebenfalls die Revision zurückgenommen.

Es spricht für die Staatsanwaltschaft Mannheim, nicht doch noch auf Biegen und Brechen ein anderes Ergebnis herbeiführen zu wollen. Es ist einer der wenigen Schritte der Anklagebehörde in diesem Verfahren, die man nicht kritisieren kann.

Vielsagender Aufkleber

Für ein Mofa braucht man an sich keinen Führerschein. Trotzdem hat die Kreisverwaltung Mainz-Bingen einem Mann aus Rheinhessen verboten, Mofa zu fahren. Sie hält ihn für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen jedweder Art. Diese Einschätzung hat das Verwaltungsgericht Mainz nun bestätigt.

Der Betroffene war schon als Autofahrer auffällig. Seine Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen, nachdem er in zahlreichen Fällen am Steuer seines Autos Verkehrsdelikte begangen hatte. Damit war aber keine Ruhe. Der Mann stieg aufs Mofa um – und wurde wieder straffällig. Unter anderem kassierte er Urteile wegen Nötigung, Beleidigung und Sachbeschädigung.

Das nahm die Verkehrsbehörde zum Anlass, den Mofafahrer zum “Idiotentest” zu schicken. Ein Gutachten legte der Mann aber nicht vor, so dass ihn das Amt als ungeeignet einstufte. Ihm wurde daraufhin ausdrücklich verboten, Mofas zu lenken.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts hat sich die Behörde korrekt verhalten. Der Betroffene begehe seine Straftaten seit vielen Jahren mehr oder minder nach demselben Muster, indem er durch gezieltes Verhalten den nachfolgenden Verkehr behindere. Dadurch entstünden immer wieder gefährliche Situationen.

Es sei auch nicht zu erwarten, dass sich das Verhalten des Klägers bessere. Das Gericht sieht dies schon durch einen Aufkleber belegt, den der Mann an sein Mofa gepappt hat: „Ich fahre so, um Sie zu nerven.“

Verwaltungsgericht Mainz, Aktenzeichen 3 K 718/11.MZ

“Sicheres Publizieren im Web”

“Sicheres Publizieren im Web” heißt ein kleiner Vortrag, den ich am nächsten Donnerstag, 13. Oktober, in Düsseldorf halten werde. Die netten Leute vom Coworking Space GarageBilk haben mich eingeladen.

Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr in der Bilker Allee 217. Der Teilnehmerkreis ist nicht auf die Freunde und Kunden der GarageBilk beschränkt. Alle Interessierten sind willkommen.

Einzelheiten.

Gericht: Fingerabdrücke müssen in den Pass

Seit 2007 gibt es den deutschen Reisepass nur noch, wenn sich der Antragsteller Fingerabdrücke abnehmen lässt. Die Fingerabdrücke werden digitalisiert im Reisepass gespeichert. Hiergegen hat sich ein Dresdner vor Gericht gewehrt. Allerdings ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Dresden hält die Fingerabdruckpflicht in einem am 14. September 2011 verkündeten Urteil für rechtmäßig.

Bereits vor über zwei Jahren hatte der Bürger dagegen geklagt, dass er für einen Reisepass seine Fingerabdrücke abnehmen lassen musste. Der Kläger berief sich auf sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Fingerabdrücke begründeten die Gefahr einer intransparenten Datensammlung, auch wenn das Passgesetz derzeit noch keine Speicherung in einer Zentraldatei vorsehe. Der Kläger verwies insbesondere auf den Einschüchterungseffekt, der entstehen könne, wenn nicht mehr erkennbar sei, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Außerdem legte er dar, dass die Fingerabdruckpflicht unverhältnismäßig sei.

Das Verwaltungsgericht Dresden folgte seinen Argumenten nicht. Das Passgesetz sei weder verfassungs- noch europarechtswidrig. Jeder Bürger müsse es hinnehmen, dass seine Grundrechte im “überwiegenden Allgemeininteresse” eingeschränkt würden. Das sei der Fall. Die Fingerabdrücke sorgten für eine “möglichst sichere Identifikation des Passinhabers”. Das bislang alleine verwendete Foto könne eine derartige Sicherheit nicht gewährleisten.

Das Verwaltungsgericht hält die Fingerabdruckpflicht auch für verhältnismäßig. So würden nur zwei Fingerabdrücke gespeichert. Eine Zentraldatei sei nach geltender Rechtslage ausgeschlossen. Für Missbrauchsmöglichkeiten in anderen Ländern seien die deutschen Behörden nicht verantwortlich. Dazu heißt es im Urteil:

Insofern obliegt es jedem Passinhaber, vor der Einreise in ein anderes Land selbst Vorsorge zu treffen, indem er sich über die dort bestehenden datenschutzrechtlichen Vorschriften und Gepflogenheiten kundig macht und ggf. von einer Einreise absieht.

Der Kläger will sich mit dem Urteil nicht abfinden und die Zulassung der Berufung beantragen.

Verwaltungsgericht Dresden, Urteil vom 14. September 2011, Aktenzeichen 6 K 1234/09

Astschere und Bügelsäge

Gerichte entscheiden täglich über zahlreiche Rechtsstreitigkeiten mit durchdachten Urteilen und Beschlüssen. Das muss aber nicht immer so sein. Manchmal ist eine praktische und schnelle Lösung mit scharfem Werkzeug die einfachste und beste. Das hat sich auch ein Amtsrichter aus Delmenhorst gesagt, als er den langjährigen Streit zwischen zwei Grundstücksnachbarn über den Bewuchs entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu entscheiden hatte.

Während der eine Nachbar darauf bestand, dass keine Zweige und Äste auf sein Grundstück hinüber wachsen, war es dem anderen Nachbar wichtig, dass sich die Bäume und Sträucher in seinem Garten möglichst natürlich entfalten können. Ein früherer Vergleich vor dem Schiedsmann ließ sich trotz anwaltlicher Hilfe nicht in eindeutige Handlungsanweisungen umsetzen.

So stritten die Nachbarn vor Gericht weiter. Der zuständige Amtsrichter ordnete
kurzerhand einen Ortstermin gemeinsam mit den streitenden Parteien und ihren Anwälten an. Dort war schnell klar, es muss eine unwiderrufliche und praktische Entscheidung her. Der Richter bat die eine Partei um eine scharfe Astschere und die andere Partei um eine ebensolche Bügelsäge.

Statt endloser juristischer Diskussionen ging er jeden Baum und jeden Strauch Ast für Ast mit den Parteien durch und legte mit Zustimmung der Parteien selber Hand an. Der Streit erledigte sich im Handumdrehen.

Die Parteien akzeptierten diese praktische Lösung und der Rechtsstreit konnte beendet werden. Allerdings muss der Amtsrichter jetzt noch über die Kosten des Rechtsstreits entscheiden.

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Der sägende Richter. (Foto: OLG Oldenburg)

Die Marke rot

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Nein, dies ist kein Ausflug in die Gegenwartskunst. Vielmehr hat sich der deutsche Sparkassen- und Giroverband schon 2007 die Farbe Rot als Marke gesichert. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat sie so wie oben abgebildet eingetragen. Einige Widersprüche und Löschungsanträge hatten keinen Erfolg. Die Marke genießt für die deutschen Sparkassen nun Schutz in praktisch allen Bereichen des Bank- und Versicherungsgeschäfts.

Aktuell klagen die Sparkassen gegen die Santander Consumer Bank, weil diese nach ihrem Geschmack zu viel rot in ihrem Auftritt verwendet (zum Vergleich: die Website der Sparkassen).

Wer keine Geldgeschäfte macht, darf rot übrigens verwenden. Noch.

(Bericht in einem Fachblog)

Fluggastrechte: ohne Ärger online melden

Das EU-Recht ist knallhart. Bei Annullierung, Überbuchung und Verspätung müssen Fluggesellschaften ihre Passagiere entschädigen. Mit Bargeld; warme Worte tun es nicht.

Die Praxis sieht dagegen beschämend aus. Die meisten Airlines tun alles, um ihre Kunden leer ausgehen zu lassen. Das fängt bei hyperbürokratischen Formularen an und hört bei den albernsten Ausreden auf. Hauptsache, der Fluggast wird abgeschreckt.

Wer sich das Prozedere nicht selbst antun möchte, kann seine Ansprüche jetzt einfach online über den Dienstleister Fairplane geltend machen (Apps für Android und iPhone gibt es auch). Die Gründer sind zwei österreichische Wirtschaftsanwälte. Sie melden die Ansprüche im Namen der Kunden über Vertragsanwälte bei den Airlines an. Nur im Erfolgsfall erhält Fairplane eine Provision von maximal 27 % der Entschädigung.

Als besonderen Vorteil betrachtet Fairplane seine Datenbank mit Flug-, Wetter- und Verfahrensdaten. Bei der großen Zahl bearbeiteter Fälle lasse sich der Vermeidungsstrategie von Fluggesellschaften so leichter etwas entgegensetzen.

Interview mit den Fairplane-Gründern

Strafgeld für lahme Gerichte

Verfahrensverzögerungen kosten künftig Geld – und zwar dem Staat. 1.200 Euro muss die öffentliche Hand regelmäßig für jedes volle Jahr an Prozessparteien zahlen, um das ein Prozess verschleppt worden ist. Eine entsprechende gesetzliche Regelung beschloss der Bundestag Ende letzter Woche.

Etliche Male hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Verfahrensverzögerungen in Deutschland kritisiert. Zuletzt forderte er in einem Grundsatzurteil die Bundesrepublik auf, eine Wiedergutmachung für Verfahrensverzögerungen gesetzlich zu verankern. Hierzu setzte das Gericht eine Frist bis zum Ende des Jahres 2011.

Mit der nun verabschiedeten Regelung gibt es erstmals einen pauschalen Schadensersatzanspruch bei vertrödelten Verfahren. Dabei spielt es keine Rolle, ob die zuständigen Richter tatsächlich faul waren. Auch nicht vorwerfbare Verzögerungen, etwa die Überlastung von Gerichten, lösen den Entschädigungsanspruch aus.

Wie lange ein Verfahren dauern darf, ist im Gesetz allerdings nicht geregelt. Somit gibt es auch künftig keine klare Obergrenze, ab wann von einer Verzögerung überhaupt gesprochen werden kann. Außerdem geht der Betroffene leer aus, wenn er sich selbst nicht rechtzeitig über die schleppende Bearbeitung beschwert hat. Künftig kann es also wichtig sein, die Richter zu zügiger Arbeit zu ermahnen.

Die Neuregelung sanktioniert Fehlverhalten von Richtern in ganz neuer Art und Weise. Bisher konnten sich die Juristen im Staatsdienst immer darauf verlassen, dass ihr Verhalten von der nächsten Instanz vielleicht missbilligt wird – andere spürbare Konsequenzen gab es aber fast nie. Nun muss der Staat immerhin in die Kasse greifen; das gibt der Sache eine andere Dimension.

Vielleicht hat diese Neuausrichtung Signalwirkung auch für andere Bereiche. Bei illegalen Hausdurchsuchungen und unnötigen Verhaftungen wird auch nicht selten festgestellt, dass die Maßnahme rechtswidrig war. Diesen Beschluss darf sich der Betroffene dann zu Hause an die Wand hängen, während dieselben Polizisten, Staatsanwälte und Richter am nächsten Tag in anderer Sache wieder genau dasselbe machen.

So lange es kein automatisches Beweisverwertungsverbot für illegal erlangte Beweismittel gibt, könnte ruhig zumindest ein Strafgeld verhängt werden. Einfach, damit Rechtsverstöße nicht wie ohne Konsequenz bleiben, wie es heute so oft geschieht. 

Das neue Gesetz muss noch den Bundesrat passieren.

Keine Durchsuchung aus Bequemlichkeit

Auf bloße Behauptungen hin darf keine Hausdurchsuchung angeordnet werden – schon gar nicht bei einer Fernsehproduktionsfirma. Mit dieser Begründung erklärte jetzt das Landgericht Berlin eine Razzia bei einem Unternehmen für unzulässig, das regelmäßig für SAT 1 Fernsehberichte erstellt.

Bei einer Recherche in einer Firma sollen die Reporter einen Angestellten gestoßen und sich geweigert haben, die Räume zu verlassen. Lediglich auf diese Angaben gestützt, erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Durchsuchungbeschluss, um die Namen der verantwortlichen Reporter zu erhalten. 

Das Landgericht sah dies als rechtswidrig an. So hätte es zunächst weiterer Ermittlungen bedurft, ob an den Vorwürfen etwas dran ist. So hatte die Staatsanwaltschaft nicht einmal den Filmbericht angesehen. Schon dieses Material zeige jedoch, dass die Reporter sich korrekt verhalten haben. Zeugen wurden ebenfalls nicht befragt.

Schon wegen dieser fehlenden Ermittlungen im Vorfeld sei der Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig. Die Ermittlungsbehörden müssten stets zunächst andere Erkenntnisquellen auswerten. Eine Hausdurchsuchung aus Bequemlichkeit ist damit unzulässig.

Landgericht Berlin, Beschluss vom 4. August 2011, Aktenzeichen 525 Qs 10/11