Wer mit wem schläft

Die Gedanken sind frei. Meinungen ebenfalls, sogar öffentlich geäußerte. Es könnte also alles so einfach sein, würde der Meinungsdetektor mancher Gerichte nicht so zuverlässig in dem Maße versagen, wie sie ihren Ruf als bundesweit bedeutsame “Pressekammern” verteidigen wollen. Ein Beispiel hierfür liefert wieder mal das Landgericht Berlin, das derzeit mit den Kollegen in Köln um den zweiten Platz auf der Wichtigkeitsskala rangelt. Unangefochten ist natürlich nach wie vor das Landgericht Hamburg, dessen meinungsunfreundliche Urteile ja schon Legende sind.

Der Berliner Fall spielt in der Gemengelage von Adel und Entertainment. Ein Blaublütiger hat vor 14 Jahren mit einer Unterhaltungskünstlerin, die auch schon im Dschungelcamp war, einen Sohn gezeugt. Danach hat er anderweitig geheiratet. Offensichtlich erlebte aber die Beziehung zu der Künstlerin nach Jahren ein Revival. In jüngster Zeit sollen sich die beiden wiederholt auf sehr privater Ebene begegnet sein.

Das wiederum behagte der nunmehrigen Gattin des Adeligen nicht, zumal ihr Gatte über die Affäre in einem Buch über sein Leben berichtete. Bei der Präsentation des Buches trafen die Frauen aufeinander. Die Ehefrau nutzte die Gelegenheit für ein Interview mit einem Society-Magazin. Dabei sagte sie, natürlich habe ihr Mann keine Beziehung zu der Entertainerin. Das sei alles nur inszeniert.

Die Klage der Künstlerin kam postwendend. Sie erklärte dem Gericht, zwischen 2006 und 2011 eine heiße Affäre mit ihrer alten Flamme gehabt zu haben. Bis zu 35 mal im Jahr habe man sich getroffen, zuletzt im März 2011. Deshalb lüge die Ehefrau, dies müsse sie künftig unterlassen.

Das Landgericht Berlin könnte sich natürlich um eine realistische Sicht der Dinge bemühen. Was heißt, dass sich hier eine düpierte Ehefrau geäußert hat, die ihrem Frust über die Angelegenheit Luft machen wollte. Zumal das Ganze im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung geschah, auf der sich beide Kontrahentinnen “inszenierten”.

Aber nein, die Berliner Richter erkennen in den Äußerungen unverfroren eine Tatsachenbehauptung. Was für die Ehefrau des Adeligen die nachteilige Folge hat, dass man falsche Tatsachen nun mal nicht behaupten darf. Ernsthaft bestritten hatte die Gattin des Adeligen die außereheliche Beziehung nicht, was es dem Gericht auch etwas einfach macht.

Trotzdem halte ich das Urteil für einen groben Fehlgriff. Kann man wirklich übersehen, dass gerade in so einem privaten – und doch öffentlichen – Beziehungsgeflecht auch die Möglichkeit bestehen muss, verbal mal auszuteilen? Und dass, so würde es das Verfassungsgericht womöglich formulieren, das subjektive Werturteil weit wichtiger ist als die Aussage, wer nun mit wem schläft.

Vor Tagen habe ich über ein ähnlich unverständliches Urteil berichtet, bei dem auch krampfhaft eine Tatsachenbehauptung angenommen wurde, um einen Bürger wegen Polizistenbeleidigung verurteilen zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat die Entscheidung aufgehoben. Mein Tipp ist, dass es mit dem Urteil aus Berlin ähnlich laufen wird, allerdings wahrscheinlich schon eine Instanz höher oder am Bundesgerichtshof. 

Landgericht Berlin, Urteil vom 15. März 2012, Aktenzeichen 27 O 542/11

Hochmütige Richter

Der Angeklagte weigerte sich, bei der Urteilsverkündung aufzustehen. Dafür brummte ihm der Strafrichter fünf (!) Tage Ordnungshaft auf, die der Betroffene absitzen musste. So weit so gut. Bei Amtsgerichten muss man auf schräge Zeitgenossen eingestellt sein – auch auf der Richterbank. Was mich aber nachdenklich macht, ist die Haltung des Oberlandesgerichts Celle zu der Inhaftierung des Angeklagten. Die Richter von der höheren Instanz haben an fünf Tagen Gefängnis für einmal Sitzenbleiben nämlich rein gar nichts zu beanstanden.

Wer wann im Gerichtssaal aufzustehen hat, ist gesetzlich nicht geregelt. Richter, die aber Wert auf so was legen, können also gar nicht auf juristische Dos und Dont’s pochen. Vielmehr greifen sie bei renitenten Zeitgenossen auf die sogenannte “Ungebühr” zurück, einen reichlich schwammigen Begriff im Gerichtsverfassungsgesetz. Die Ungebühr kann mit Ordnungsgeld bis zu 1.000 Euro geahndet werden. Oder eben mit Haft von bis zu einer Woche.

Ungebühr ist aber nicht jedes widerspenstige Verhalten. Das schreiben die Richter vom Oberlandesgericht Celle selbst:

Eine Ungebühr … ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts. Zu einem geordneten Ablauf in diesem Sinne gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsführung.

Die Ordnungsmittel … können insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen oder bewusste Provokationen eingesetzt werden.

Wieso ausgerechnet bloßes Sitzenbleiben das Mindestmaß von äußeren Formen unterschreitet, begründen die Richter nicht. Ebenso wenig erklären sie, wieso ein sitzender Angeklagter ein erheblicher Angriff auf die Sitzungsordnung oder den Gerichtsfrieden sein soll oder gar die Würde des Gerichts verletzt.

Das tun sie nicht, weil es nicht geht. Das Sitzenbleiben ist sozusagen fast noch die mildeste Form des Protests, die sich ein Angeklagter im Gerichtssaal leisten kann. Nicht aufstehen macht keinen Krach, es hindert die anderen Beteiligten nicht bei der Arbeit und gefährdet schon mal gar nicht Leib oder Leben. Ekelig ist es auch nicht, ganz im Gegensatz zu anderen Aktivitäten beispielsweise mit Spucke, Urin und Kot, die Menschen auch noch entfalten können.

Das war anscheinend auch den Celler Richtern klar. Deshalb schweifen sie ab und zählen auf, was sich der Angeklagte beziehungsweise Zuschauer im Gerichtssaal noch geleistet haben. Da ist von weiteren Störungen die Rede, gar von Zuständen, die eher an ein Happening erinnerten.

Für sonstige Sperenzchen oder Aktivitäten Dritter hat der Angeklagte die Ordnungshaft aber gerade nicht kassiert. Mit dieser Methode könnte das Oberlandesgericht Celle demnächst auch ein Urteil wegen Diebstahls aufrechterhalten, obwohl der Angeklagte gar nichts geklaut hat, er aber vielleicht schwarzgefahren ist. Hauptsache, am Ende kriegt er eins übergebraten. So eine Argumentation unterschreitet auch Mindestmaße, nämlich die seriöser juristischer Arbeit.

Einer Justiz, die einen Sitzenbleiber fünf Tage ins Gefängnis steckt, scheint es am gesunden Selbstvertrauen zu fehlen. Auch wenn sie dies nach außen hin als Hochmut tarnt.

Passend zum Thema: Münchner Richter besteht auf Krawatte

Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 17. Februar 2012, Aktenzeichen 1 Ws 504/11 / Das Heymanns Strafrecht Online Blog zum selben Thema

Künstlerin darf keine Welpen strangulieren

Die grausame Tötung von Hundewelpen fällt nach einem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin nicht unter die Kunstfreiheit. Sie ist auch nicht als Protest gegen die grausame Tötung von Hundewelpen in anderen Ländern zulässig.

Die Antragstellerin hatte für den 30. April eine Performance mit dem Titel „Der Tod als Metamorphose“ in einem Spandauer Theater geplant. Im Rahmen einer an „traditionelle thailändische Kunstformen orientierten“ Veranstaltung sollten im Anschluss an eine 15-minütige Meditation nacheinander zwei Hundewelpen mittels eines Kabelbinders getötet werden; mit einem Gong und Trauermusik sollte die „Performance“ enden.

Das Kunstwerk sollte nach der Vorstellung der Antragstellerin provozieren und darauf hinweisen, dass ausgediente Schlittenhunde in Alaska und leistungsschwache Jagdhunde in Spanien auf gleiche Weise zu Tode stranguliert würden.

Etwaige Verstöße gegen das Tierschutzgesetz hielt die Frau für gerechtfertigt, da das Grundgesetz die Kunstfreiheit vorbehaltlos garantiere.

Das Verwaltungsgericht bestätigte das vom Bezirksamt Spandau verhängte Verbot der Veranstaltung. Nach dem Tierschutzgesetz dürfe niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Zudem sei es verboten, ein Tier zur Schaustellung oder ähnlichen Veranstaltung heranzuziehen, sofern damit Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden seien.

Ein Wirbeltier dürfe schließlich nur unter Betäubung oder sonst unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden. Vor diesem Hintergrund sahen die Richter in dem Verbot keinen verfassungswidrigen Eingriff in geschützte Freiheitsrechte.

Ein vernünftiger Grund für die geplante Tötung der Welpen sei auch unter Berücksichtigung der Kunst- und möglicherweise der Religionsfreiheit nicht anzuerkennen, zumal die Tötung eines Wirbeltieres ohne Betäubung einen gravierenden Eingriff in das Staatsschutzziel des Tierschutzes nach Art. 20a GG darstelle.

Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 24. April 2011, Aktenzeichen VG 24 L 113.12

Ehemalige Steuerfahnder sehen Kollegen als Verbrecher

Der ehemalige Steuerfahnder hat „Leid erfahren“. Das bekam vor knapp einem Jahr der 64-jährige Werner Borcharding vom amtierenden Finanzminister schriftlich bestätigt. Norbert Walter-Borjans (SPD) hat ihm auch geschrieben, er könne „gut verstehen, dass die Angelegenheit lhnen weiter nahegeht“. Diese scheinbar schlichte „Angelegenheit“ aber war ein Drama, so sieht es Borcharding noch heute. „Ich habe Verbrechen in der Oberfinanzdirektion Münster aufgedeckt, habe viele Straftaten leitender Juristen angezeigt und dafür bin dafür jahrelang diskriminiert, letztlich aus dem Amt gejagt worden.”

Ähnlich erging es seinem Kollegen Gerd Böckers (61). Beide gehen jetzt an die Öffentlichkeit. Gestern haben sie in Münster vor der Oberfinanzdirektion (OFD) demonstriert, heute ziehen sie in Düsseldorf vor das Finanzministerium. „Wir wollen rehabilitiert werden“, verlangen sie.

Der Hintergrund ist eine zunächst normale Steuerprüfung. Im Herbst 1993 stoßen Finanzbeamte bei einem großen Farbenhersteller auf eine Hnterziehung. Obwohl von 500.000 Mark die Rede ist, wird das Verfahren verschleppt, schließlich von hohen Beamten der Oberfinanzdirektion eingestellt. Die Beamten sollen mit dem Fabrikanten gekungelt haben, heißt es.

Anfang 1995 bekommt Steuerfahnder Werner Borcharding Teile der Akte zugespielt. Er informiert pflichtgemäß – aber unter Umgehung des Dienstwegs – den Generalstaatsanwalt in Hamm. Sein Kollege Gerd Böckers weist intern mehrfach auf begangene Straftaten hin. Beide Steuerfahnder werden daraufhin wie Aussätzige behandelt, „nur weil wir auf Missstände hingewiesen haben“, sagt Böckers, „wenn man was aufdeckt, wupp, ist man raus aus dem Geschäft, das ist schon komisch.“

Er war 50, als er „in den Ruhestand gemobbt worden ist“. Borcharding hat zwar von der Staatsanwaltschaft Münster bestätigt bekommen, dass sein Verhalten korrekt war. Beförderungen aber wurden ihm verweigert. Er scheidet mit gut 57 Jahren aus dem Dienst in die Altersteilzeit, will mit “kriminellen Spitzenbeamten” der OFD Münster nichts mehr zu tun haben.

Borcharding und Böckers sagen beide:  „Wir haben nachweisbar nach Recht und Gesetz gehandelt“ – und beide wollen nun endlich Genugtuung. Auch der finanziellen Art. Es geht um hunderttausende Euro, die ihnen nach eigener Einschätzung durch stressbedingte Krankheit, verweigerte Beförderungen sowie frühzeitiges Ausscheiden fehlen.

Dazu mag das Finanzministerium in der Sache nichts sagen. Es verweist auf eine „vertrauliche Personalsache“ und auf den Brief von Minister Walter-Borjans an Werner Borcharding. Dort heißt es: „Wir sehen nach erneuter intensiver Prüfung des Falles keine rechtliche Grundlage für eine von lhnen geforderte Entschädigung oder dienstrechtliche Maßnahmen“. Das ändere aber nichts daran, so ringt sich der Minister doch noch eine Gefühlsregung ab, „dass ich lhr damaliges Verhalten im Dienst respektiere und anerkenne.“ (pbd)

Höflichkeit ist eine Zier

Bei der Kripo im badischen Ettenheim arbeiten zuvorkommende Menschen. Selbst wenn die dortigen Kommissare gegen den mutmaßlichen Veranstalter blutiger und illegaler Hundekämpfe ermitteln, verlieren sie nicht das Gefühl dafür, was sich gehört.

Die Beamten wurden tätig, als glaubhafte Hinweise bei ihnen eingingen. Diese Hinweise besagten, der 50-jährige Betreiber einer Fitnesskette lasse auf seinem Privatanwesen im Ortsteil Altdorf Hunde gegeneinander kämpfen. Nachbarn wollten leidende Tiere gehört haben. Illustre Gäste seien in großen Limousinen angereist – und hinter den neu hochgezogenen Mauern um das Villengrundstück verschwunden.

Das ließ die Kripo-Beamten nicht ruhen. Sie ermittelten und erwirkten einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss. Statt allerdings, wie üblich, unangemeldet vor der Türe zu stehen und sich notfalls gewaltsam Eintritt zu verschaffen, konnten die örtlichen Polizisten ihrer angeborenen Höflichkeit nicht widerstehen. Sie informierten, so berichtet der Ortenauer Stadtanzeiger, den Beschuldigten vorab von der Durchsuchung. Damit verbanden sie die Bitte, doch pünktlich zum angesetzten Termin der Razzia anwesend zu sein.

Eine geschlagene dreiviertel Stunde sollen die Polizisten vor der verrammelten Villa gestanden und geduldig auf den Hausherren gewartet haben. Doch dieser kam weder wie erbeten aus dem Haus und bat die Beamten herein, noch fuhr er vor. Stattdessen ist der Mann nun schon genau einen Monat auf der Flucht. Dazu hat er auch allen Grund: Die Polizei fand im Haus nicht nur den Hundekampfplatz, sondern auch Utensilien zur Tierbetäubung und –tötung. Auf eine Marihuana-Plantage stießen die Ermittler ebenfalls.

Die Ermittlungen zum Aufenthaltsort des Beschuldigten, ließ die Staatsanwaltschaft Freiburg den Ortenauer Stadtanzeiger wissen, laufen “auf Hochtouren”.

(Danke an Andreas H. für den Hinweis)

Schon 3 mal nicht!

Wie eilfertig Gerichte mitunter die Ehre von Polizeibeamten schützen, zeigt ein aktueller Fall des Bundesverfassungsgerichts. Um einen gekränkten Beamten Genugtuung zu verschaffen, waren sich ein Amts- und ein Landgericht nicht zu schade, die Meinungsäußerung eines unzufriedenen Bürgers in eine Tatsachenbehauptung umzudeuten – um ihn dann wegen übler Nachrede verurteilen zu können.

Nach Angaben des Betroffenen musste seine Frau dringend auf die Toilette. Deshalb befuhr der Mann mit seinem Auto die Straße zu seiner Wohnung. Nur war die Straße wegen eines Aktionstags gesperrt. Die Sperre endete allerdings in 15 Minuten. Der Mann wurde von der Polizei angehalten und sollte eine Verwarnung zahlen.

Das akzeptierte er jedoch nicht. In seiner Stellungnahme ans Ordnungsamt schilderte er das aus seiner Sicht unverständliche Verhalten der Polizisten. Dann äußerte der Betroffene folgendes:

Ehrliche Meinung meinerseits: Der Beamte war wohl den Tag über zu lange unten am A. Verkehrskreisel in der Sonne gestanden oder hat ganz einfach dort mitgefeiert. Normal war das jedenfalls nicht und menschlich schon 3 mal nicht!

Die Aussage des Mannes betrachteten sowohl das Amts- als auch das Landgericht für bare Münze. Indem sie eine Tatsachenbehauptung annahmen, hatten sie die Möglichkeit, den Betroffenen wegen übler Nachrede zu verurteilen. Nach Auffassung der Gerichte hatte der Mann nämlich zum Ausdruck gebracht, der Polizist habe durch Sonneneinwirkung einen "Dachschaden" erlitten oder sei blöd und im übrigen betrunken gewesen.

Das Bundesverfassungsgericht findet harsche Worte für diese einseitige Interpretation:

Die Gerichte verkennen, dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen nicht etwa um nicht erweislich wahre, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 186 StGB, sondern vielmehr um durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Werturteile und damit um Meinungen im engeren Sinne handelt.

Dies erschließt sich bereits aus dem einleitenden Halbsatz "Ehrliche Meinung meinerseits:". Aber auch die für strafbar erachtete Kernaussage ist ihrem Schwerpunkt nach eine solche, die zum Verhalten des betroffenen Polizeibeamten wertend Stellung nimmt, und nicht etwa – wie sich auch aus der Benutzung des Adverbs "wohl" ergibt – ein tatsächliches Geschehen, dass der Betroffene zu lange in der Sonne gestanden habe und mitgefeiert habe, zum Beweis anbietet.

Das Verfassungsgericht attestiert den früheren Richtern zwischen den Zeilen, sie hätten zutreffend erkannt, dass sie auf keinen Fall eine Meinungsäußerung annehmen dürfen, wenn sie den Mann verurteilen wollen. Denn gegen eine Meinungsäußerung wäre juristisch nichts zu machen gewesen. Indem die Richter dem Betroffenen sozusagen in den Mund legen, er behaupte als Tatsache, der Polizist habe entweder zu lange in der Sonne gestanden oder auf dem Fest getrunken, schaffen sie erst die Grundlage für die Verurteilung.

Anders ausgedrückt: Dass in der Entscheidung aus Karlsruhe nicht das Wort Rechtsbeugung auftaucht, liegt nur an der vornehmen Zurückhaltung des Verfassungsgerichts.

Erstaunt sind die Karlsruher Richter auch darüber, dass die Angaben des Bürgers nach Auffassung der Vorinstanzen in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Fall gestanden haben sollen. Das Gegenteil sei der Fall:

Die für strafwürdig erachteten Äußerungen stehen – anders als von den Gerichten angenommen – inhaltlich durchaus noch im Zusammenhang mit seinem Begehren, eine Einstellung des gegen ihn eingeleiteten Bußgeldverfahrens zu bewirken. Der Beschwerdeführer stellt in dem fraglichen Schreiben ausführlich dar, dass er die Vorgehensweise des betroffenen Polizeibeamten für unangemessen und überzogen erachtet hat. Die für strafwürdig erachteten Äußerungen spitzen diese Darstellungen einerseits zu und schließen sie andererseits ab.

Somit habe sich der Man im Rahmen des “Kampfs ums Recht” geäußert. In diesem Bereich dürfe nicht alles auf die Waagschale gelegt werden; auch starke Worte seien erlaubt. Der Betroffene habe sich auch nur gegenüber dem Ordnungsamt so geäußert und habe die Sache nicht nach außen getragen. Etwas spitz merken die Karlsruher Richter zu diesem ja durchaus wichtigen Umstand an, die vorangegangen Entscheidungen verlören darüber kein Wort.

Die Sache muss jetzt vor dem Amtsgericht neu verhandelt werden.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Februar 2012, Aktenzeichen 1 BvR 2883/11

Die Reichsdeutschen

Geschichten, die das Leben schreibt.

Am Montagabend kontrollierten Beamte der Polizeiinspektion Fahndung aus Traunstein auf der Autobahn einen Pkw mit zwei Insassen. Beide händigten neben ihren nationalen Ausweisen auch noch solche des "Deutschen Reichs" aus.

Der Fahrer, ein 54-jähriger Österreicher, kam der Aufforderung sich auszuweisen sogleich nach. Doch paradoxerweise händigte er zwei Personalausweise aus: einen österreichischen und einen „Personalausweis des Deutschen Reichs“. Der Mann
erklärte den Beamten, der österreichische Ausweis sei falsch und nur der „Reichsausweis“ echt.

Dass es sich bei dem „Reichsausweis“ um ein Phantasiedokument handelte, welches selbst hergestellt wurde, war offensichtlich. Desweiteren überreichte der Fahrer auch noch einen selbst hergestellten Führerschein des „Deutschen Reichs“.

Bei der 46-jährigen Beifahrerin, welche zunächst ihren regulären deutschen Personalausweis aushändigte, wurden in der Handtasche ebenfalls ein solcher Dokumentensatz, bestehend aus einem „Reichsausweis“ und einem „Reichsführerschein“ sowie ein Stempelsiegel des „Reichsland Österreich“ gefunden.

Die anschließende polizeiliche Aufarbeitung brachte noch einige Überraschungen zu Tage. Kaum waren die Beamten auf der Wache eingetroffen, meldeten sich nacheinander telefonisch zwei Damen, welche behaupteten, sie seien von der „Staatsanwaltschaft – Deutsches Reich“ sowie der „Generalstaatsanwaltschaft in Berlin“.

Sie seien mit dem polizeilichen Einschreiten gegen die Fahrzeuginsassen nicht einverstanden. Eine Internetrecherche ergab, dass es sich bei den „Reichsdeutschen“ um eine Vereinigung handelt, welche der Idee anhängt, dass die Reichsverfassung der Weimarer Republik durch die Wiedervereinigung der DDR mit der BRD wieder in Kraft getreten ist.

Die Phantasieausweise und das Siegel wurden einbehalten, um zu verhindern, dass sie zukünftig im Rechtsverkehr eingesetzt werden.

Durch Tracking der eingehenden Anrufe konnten die beiden Anschlussinhaberinnen ausfindig gemacht werden. Nach Rücksprache mit dem „echten“ Staatsanwalt in Rosenheim wird nun gegen die beiden Frauen wegen Amtsanmaßung ermittelt.

Pressemitteilung der bayerischen Polizei

Extremismusklausel scheitert vor Gericht

Nur mit einer “Einverständniserklärung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung” können sich Vereine und Verbände Zuwendungen aus dem Bundesprogramm “Toleranz fördern – Kompetenz stärken” sichern, mit dem das Familienministerium Akzente gegen Rechts setzen will. Die Extremismusklausel stößt nun auch auf juristischen Widerstand. Das Verwaltungsgericht Dresden erklärte das Zwangsbekenntnis zum Grundgesetz heute für rechtswidrig. 

Das Gericht verhandelte die Klage eines gemeinnützigen Vereins. Diesem war für das Jahr 2011 eine Förderung in Höhe von 600,00 Euro zugebilligt worden. Die Unterstützung war allerdings an die Bedingung geknüpft, dass der Verein eine als Formblatt beigefügte Erklärung unterzeichnet.

In dieser Erklärung sollte der Verein nicht nur erklären, dass er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleistet . Der Verein sollte darüber hinaus bestätigen, im Rahmen seiner Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen und Referenten sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Außerdem war die Verpflichtung enthalten, nicht einmal den Anschein zu erwecken, dass der Verein extremistische Strukturen unterstützt.

Der Verein sah einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Außerdem werde durch so einen Bekenntniszwang Misstrauen gesät. Überdies würde Bespitzelung Tür und Tor geöffnet.

Das Verwaltungsgericht Dresden sah die gesamte Klausel nach Angaben der Pressestelle als nichtig an. Das Urteil liegt nicht schriftlich vor, so dass die genaue Argumentationslinie des Gerichts derzeit nur teilweise bekannt ist. Die Klausel, wonach der Verein auch Verantwortung für Dritte übernimmt, hält das Gericht laut offizieller Mitteilung jedenfalls für zu unbestimmt. Überdies werde nicht klar, wie sich der Verein konkret verhalten solle.

Die Extremismusklausel war schon vorher auf harsche Kritik gestoßen. Die SPD spricht zum Beispiel davon, Initiativen gegen Rechtsextremismus müssten vom Gedanken des Vertrauens getragen sein. Dies kehre Ministerin Schröder ins Gegenteil um. Indem sie ein aktives Bekenntnis verlange, stelle sie Engagement unter den Generalverdacht der Verfassungsfeindlichkeit. 

Verwaltungsgericht Dresden, Urteil vom 25. April 2012, Aktenzeichen Az. 1 K 1755/11

Der unvorbereitete Anwalt

Der Richter hatte sieben Zeugen bestellt, aber schon nach einer Viertelstunde durfte er sie wieder nach Hause schicken. Einfach, weil auch ich mir nicht jedes Spielchen gefallen lasse…

In dem Verfahren geht es um drei Delikte. In einem ersten Gerichtstermin hatte ich eine angeregte Diskussion mit dem Richter. Diese endete damit, dass die Anklagepunkte 2 und 3 vorläufig eingestellt wurden. Selbst der Staatsanwalt in der Sitzung hatte es so beantragt. Die Punkte 2 und 3 waren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

Das Verhalten des Staatsanwalts im Gericht gefiel seiner Kollegin, welche die Akte eigentlich bearbeitet, ganz und gar nicht. Sie beantragte deshalb schriftlich beim Richter, die Anklagepunkte 2 und 3 wieder aufzurollen. Ich erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Von der Gelegenheit machte ich keinen Gebrauch.

Seitdem war Ruhe an der Front. Einige Termine platzten. Einmal hatte ich Urlaub, beim nächsten Mal war der Richter krank. So ging seit der letzten Verhandlung ein Jahr ins Land.

Nun marschierte ich nach so langer Zeit mit meinem Mandanten frohgemut ins Gericht. Dort empfing uns der Vorsitzende allerdings mit einer lapidaren Nachricht:

Nur zur Klarstellung, es geht heute wieder um alle Anklagepunkte.

Wie bitte? Ich erlaubte mir den Hinweis, die Fälle 2 und 3 seien in der letzten Verhandlung eingestellt worden. Bis heute sei mir kein Gerichtsbeschluss bekannt, der das rückgängig macht. Der Richter blätterte daraufhin zwar hektisch in seiner Akte. Einen Beschluss konnte er damit aber auch nicht herbeizaubern.

Ich beantragte dann auch gleich, das Verfahren zu vertagen. Begründung: Ich habe naturgemäß nur den verbliebenen Anklagepunkt vorbereitet. (Warum sollte ich mir auch Gedanken zu Komplexen machen, die derzeit als erledigt gelten?) Bei den Delikten 2 und 3 handele es sich um ziemlich komplizierte Sachverhalte, bei denen sich auch schwierige technische Fragen stellen. (Es geht um Onlinekriminalität.) Demgemäß sei ausreichend Zeit erforderlich, um auch diese Aspekte aufzuarbeiten. Ansonsten sei eine ordentliche Verteidigung unmöglich.

Der Richter hielt mir vor, ich müsse stets auf alle Anklagevorwürfe vorbereitet sein. Immerhin würde ich doch auch das Schreiben der Staatsanwältin kennen. Das stritt ich ja auch gar nicht ab. Aber es fehlte ja an einem Gerichtsbeschluss, welcher der Anregung der Staatsanwältin stattgibt. Diesen Beschluss zu verfassen und an mich zu schicken, dafür wäre ja nun auch ausreichend Zeit gewesen. Nämlich ein gutes Jahr.

Hätte ich den Beschluss gehabt, wäre ich natürlich auch auf die anderen Teile vorbereitet gewesen. Da das “Sie konnten es doch ahnen”-Argument nicht fruchtete, versuchte es der Richter allgemeiner. Es gehöre doch zu den Pflichten eines Anwalts, die ganze Akte zu lesen. Ob ich das denn unterlassen habe?

Das empfand ich dann doch als billig. Mit dem Lesen allein ist es doch nicht getan. Vielmehr geht die Arbeit danach erst los. Eine Verteidigungsstrategie will erarbeitet werden. Dabei denke ich in alle Richtungen nach, zum Beispiel über Beweisanträge. Die Zeit soll ich prophylaktisch auch für Teilaspekte aufwenden, die derzeit gar nicht mehr aktuell sind? Und das alles vor dem Hintergrund, dass der Mandant meine Zeit bezahlt…

Ich glaube, irgendwann schwante auch dem Richter, dass er die Folgen eines eigenen Versäumnisses nicht auf den Angeklagten abwälzen kann. Er erklärte sich also bereit, die Sache neu anzugehen. Allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er meine Argumente nicht für stichhaltig hält. Aber halt auch nicht weiß, ob es das Revisionsgericht nicht vielleicht doch anders sieht.

Voraussichtlich im Herbst geht es nun weiter. Ich werde vorbereitet sein.

Keine Rockerkleidung im Gerichtsgebäude

In Gerichtsgebäuden darf das Tragen von Rockerkleidung untersagt werden. Das Bundesverfassungsgericht hält ein faires Verfahren auch dann für möglich, wenn Angeklagte, Zeugen, Besucher und sonstige Personen im Gerichtsgebäude sich nicht durch Kleidung als Angehörige von Motorradclubs “ausweisen” dürfen.

Anlass für die Entscheidung ist ein Verbot des Landgerichts Potsdam. Es richtete sich vornehmlich gegen “Kutten”, die Rocker gerne tragen. Grund für die Anordnung war ein Prozess, in dem sich Angehörige der Hells Angels wegen räuberischer Erpressung und anderer Straftaten verantworten mussten. Der Gerichtspräsident wollte keine Kutten und sonstigen rockertypischen Symbole im Gebäude sehen. Rocker, die beim Prozess zuschauen wollten, sollten ihre Kutten außerhalb des Gerichtsgebäudes deponieren.

Gegen die Anordnung beschwerte sich einer der Angeklagten. Er sah sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Außerdem war er der Meinung, die gesetzlich vorgeschrieben Öffentlichkeit der Verhandlung sei nicht gewährleistet.

Das Bundesverfassungsgericht hält die Maßnahme dagegen für zulässig:

Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung nur unwesentlich erschweren und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach bestimmten persönlichen Merkmalen vermeiden, sind zulässig, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht. … Des Weiteren ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Einschätzung und Bewertung sowohl einer möglichen Beeinträchtigung der Hauptverhandlung durch das Tragen bestimmter Kleidung oder Abzeichen als auch der zur Abwehr dieser Gefahr geeigneten und erforderlichen Maßnahmen verfassungsrechtlich bedenklich wären.

Auch den Grundsatz der Öffentlichkeit sieht das Gericht nicht beeinträchtigt. Die Maßnahmen verhinderten nicht den Zugang zum Gerichtssaal. Jeder Besucher könne sich leicht an die Vorschriften halten und werde dann eingelassen. Es handele sich nur um eine “ganz geringfügige Beschränkung”.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. April 2012, Aktenzeichen 2 BvR 2405/11

Rechtsextremer Ladendiebstahl

Ob die Gerichte die Straftat eines Rechtsextremisten auch so einordnen – es reicht NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) nicht. Er will den Täter und dessen Motiv durchleuchtet wissen: Eine Straftat, und sei es ein Ladendiebstahl, müsse dem Rechtsextremismus zugerechnet und entsprechend datenmäßig erfasst werden, wenn der Täter beispielsweise der NPD angehört.

Diese Forderung erneuerte Jäger bei einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) in Düsseldorf. Ob die Tat selbst direkt politisch motiviert war, interessiert den Minister eher weniger.

Außerdem dürfe keinem Rechtsextremisten der Besitz einer Waffe erlaubt sein. Die charakterliche Eignung spreche dagegen. Er sei mit seinen Forderungen noch nicht bei allen Kollegen der Innenministerkonferenz und beim Bundesinnenminister durchgedrungen, räumte Jäger ein.  „Aber ich bohre da dicke Bretter!“ (pbd)

500 Euro für einen Monat Sicherungsverwahrung

Wegen überlanger Sicherungsverwahrung hat das Landgericht Karlsruhe heute das Land Baden-Württemberg in vier Fällen zu Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 240.000 € verurteilt.

Geklagt hatten vier Straftäter, die zwischen 1970 und 1989 wegen Vergewaltigung und teilweise weiterer Straftaten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. In den Urteilen war wegen der Gefährlichkeit der Täter die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet worden, die zum damaligen Zeitpunkt jedoch höchstens zehn Jahre andauern durfte. Nachdem diese Zehnjahres-Höchstgrenze 1998 vom Gesetzgeber aufgehoben wurde, blieben die Betroffenen über diese zehn Jahre hinaus weitere acht bis zwölf Jahre in der JVA Freiburg in Sicherungsverwahrung.

Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Die Kläger, die daraufhin im Jahr 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden, haben mit ihren Klagen Entschädigungen für die Dauer der zehn Jahre übersteigenden Sicherungsverwahrung gefordert.

Das Landgericht Karlsruhe hat den Klägern Entschädigungen zugesprochen, blieb dabei aber in der Höhe deutlich hinter den Klagforderungen zurück. Die Kammer betont in ihren Urteilen, dass dem Land und seiner Justiz zwar kein Vorwurf gemacht werden könne, da die Vollstreckungsgerichte, die die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die zuvor geltende Zehnjahresfrist hinaus anordneten, das damals geltende Bundesrecht pflichtgemäß anwandten.

Eine Verurteilung des Landes hatte dennoch zu erfolgen, da die rückwirkende Aufhebung der Zehnjahresfrist gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß und diese bei konventionswidriger Freiheitsentziehung einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch vorsieht.

Für die Höhe des den ehemaligen Sicherungsverwahrten zustehenden Entschädigungsanspruchs legten die Richter einen monatlichen Betrag von 500 € zugrunde, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst in vergleichbaren Fällen zuerkennt. Damit sprach das Gericht den Klägern knapp die Hälfte bis zwei Drittel der jeweils eingeklagten Beträge zu, im Einzelnen 65.000 €, 49.000 €, 53.000 € und 73.000 €.

Landgericht Karlsruhe, Urteile vom 24. April 2012, Aktenzeichen: 2 O 278/11, 2O 279/11, 2 O 316/11, 2 O 330/11

Studenten rollen Verfahren neu auf

Der Justizskandal um Harald Friedrich, den ehemaligen Abteilungsleiter des NRW-Umweltministeriums, wird noch einmal aufgerollt. Aber nicht von der Justiz, sondern von Studenten. Deren Dokumentation öffnet einen Blick auf heikle Details des Falls.

Gegen den 60-jährigen Friedrich (Bündnis 90/Grüne) hatten vor vier Jahren das Landeskriminalamt und die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal jahrelang ermittelt. Nach einer Strafanzeige aus dem seinerzeit von der CDU geführten Ministerium waren ihm und 15 anderen Personen banden- und gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen worden.

Das Verfahren endete jedoch nahezu sang- und klanglos mit einer Einstellung. Nachdem schon ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags den politischen Einfluss auf die Ermittlungen untersucht hatte, wollte es Medienprofessor Johannes Ludwig (62) noch genauer wissen;: „Was steckt eigentlich hinter der Geschichte, gibt es noch unbekannte Hintergründe?“

Diese Fragen ließ er sechs Studentinnen und vier Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg erkunden. Die angehenden Akademiker sichteten bislang rund 20.000 Dokumente, befragten Zeugen und erforschten in 6 Semesterwochen auch abstrus klingende Verbindungen von handelnden Personen: „Wo wohnt denn eigentlich der ehemalige CDU-Minister Eckhard Uhlenberg? Etwa in einer nachbarschaftlichen Beziehung zum Chefermittler Ralf M. von der für Korruption zuständigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal?“

Johannes Ludwig, einst selber investigativer Journalist, will bei den Studentinnen und Studenten einen Lerneffekt erreichen: „Es ging um das Schicksal eines Menschen – wie funktioniert da die Justiz? Konnte die Staatsanwaltschaft unabhängig arbeiten?“

In jeweils vier Gruppen arbeiteten die Studenten die Knackpunkte auf. Die eine kümmerte sich um den Bereich „Wasser“ (zum Unmut von Minister Uhlenberg hatte Harald Friedrich auf scharfe Vorschriften zur Reinhaltung der Ruhr gedrungen), die andere um den aufwendigen Lauschangriff (mehr als 1.000 Telefonate waren abgehört worden). Die dritte Gruppe nahm die Arbeit der Justiz ins Visier (Oberstaatsanwalt Ralf M. hatte die Arbeit des Landeskriminalamtes nur nachlässig begleitet). Die Vierte schließlich durchleuchtete entstandene Konflikte (etwa gegenteilige rechtliche Bewertungen von M. und der ihm vorgesetzten Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf).

„Wir bewerten das alles nicht“, betont Professor Johannes Ludwig, das Ergebnis solle „für sich sprechen“. Die Dokumentation ist online nachlesbar. (pbd)