Die „Handakte“ gehört dem Mandanten

Rechtsanwälte verstoßen gegen das Berufsrecht, wenn sie ihrem Mandanten nach Ende des Auftrags nicht die Handakten herausgeben. Der Anwaltsgerichtshof Nordrhein-Westfalen verurteilte einen 45-jährigen Anwalt jetzt zu einer Buße von 2.000 Euro.

Der Jurist hatte seinen Mandanten nach Ende des Auftrags mehrere Jahre dessen Unterlagen nicht zurückgegeben, obwohl er dazu aufgefordert worden war. Klar war auch bisher, dass der Auftraggeber in solchen Fällen zivilrechtlich vorgehen und auf Herausgabe klagen kann. Ob der Anwalt auch gegen eine Berufspflicht verstößt, wurde bisher teilweise verneint. Jetzt schwenkt der Anwaltsgerichshofs NRW auf die Linie ein, die der Bundesgerichtshof mit einer Entscheidung vorgegeben hat.

Mit „Handakte“ sind in der Praxis aber nur Unterlagen gemeint, die der Anwalt selbst direkt von seinem Auftraggeber erhalten hat. Also zum Beispiel Verträge oder andere Dokumente. Bei allen anderen Unterlagen, etwa Schreiben des Gerichts oder der Gegenpartei, reicht es, wenn der Anwalt den Auftraggeber mit Kopien informiert hat. Seine eigenen Unterlagen muss der Anwalt ohnehin nicht zurückgeben.

Der Anwalt kann die Rückgabe der Handakte normalerweise auch so lange verweigern, wie er sein Honorar nicht erhalten hat (Aktenzeichen 1 AGH 1/15).

Risiko Schuh

Wer bei einer Tätlichkeit nach dem Opfer tritt, geht ein erhebliches Risiko ein. Wer dabei nämlich feste Schuhe trägt, begeht nicht nur eine Körperverletzung. Sondern möglicherweise eine gefährliche Körperverletzung. Hierfür gibt es im Normalfall mindestens sechs Monate Gefängnis; bei einer einfachen Körperverletzung ist auch noch eine Geldstrafe möglich.

Das macht im Ergebnis einen gewaltigen Unterschied. Der Bundesgerichtshof beschäftigte sich jetzt mit der Frage, ob auch dann eine gefährliche Körperverletzung vorliegt, wenn der Täter nicht getreten hat, sondern den Fuß sehr fest auf den Hals des Opfers drückte, das in diesem Fall hilflos auf dem Boden lag.

Hierzu das Gericht:

Der Einsatz eines beschuhten Fußes kann im Einzelfall die Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs darstellen, wenn es sich um festes Schuhwerk handelt und die Art der Verwendung, insbesondere bei Tritten gegen bestimmte Körperteile, erwarten lässt, dass dadurch erhebliche Verletzungen entstehen.

Wird dagegen – wie hier – der Fuß des Täters gegen den Hals des Opfers gedrückt, kommt dem Schuh keine besondere Bedeutung dafür zu, ob dem Opfer erhebliche Verletzungen beigebracht werden. Die Wirkung dieser Handlung hängt vielmehr vor allem von dem Druck ab, den der Fuß auf den Hals ausübt.

Also keine gefährliche Körperverletzung. Und das sogar, obwohl der Täter so fest zudrückte, dass sich das Profil des Schuhs auf dem Hals des Opfers abbildete (Aktenzeichen 2 StR 467/14).

In letzter Sekunde

Ein Mandant trug sich mit dem Gedanken, seine bereits eingelegte und von mir begründete Revision gegen eine Verurteilung wegen Untreue zurückzuziehen. Ich hielt das Rechtsmittel zwar für aussichtsreich, aber letztlich bestimmt natürlich der Auftraggeber, was passiert. Und wenn er nicht mehr will, dann will er nicht mehr.

Ich diktierte also die Rücknahme der Revision. Wie es der Zufall wollte, rief mich wenige Stunden später ein Richter am Oberlandesgericht an. Der Richter arbeitet in dem Senat, der über die Revision meines Mandanten zu entscheiden hat.

Der Richter hatte eine Frage zu einem anderen Fall. Aber ich nutzte natürlich die Gelegenheit zu fragen, ob er die Revision meines Mandanten schon gelesen hat. Hatte er. „Das haben wir sogar schon beraten“, sagte er. „Ich würde mal sagen, das ist eine sichere Bank für Sie.“ Okay, mit so viel Offenheit war jetzt nicht unbedingt zu rechnen. Aber warum nicht…

Ich hatte es eilig, den Richer loszuwerden. So wie ich den Arbeitsplan kannt, war meine Sekretärin wahrscheinlich in dem Moment dabei, die Revisionsrücknahme zu schreiben und zu faxen. Wenn sie es nicht schon erledigt hatte.

Hatte sie zum Glück nicht. Denn ein Rechtsmittel kann man zwar zurücknehmen, aber damit ist dann Schluss. Eine Rücknahme der Rücknahme gibt es nicht. Ich legte den Schriftsatz erst mal auf Eis und rief den Mandanten an. Unter den Umständen war er dann doch bereit, weiter zu kämpfen.

Wenige Tage später kam der positive Beschluss vom Oberlandesgericht. Die Sache wurde ans Schöffengericht zurückverwiesen. Mittlerweile haben wir dort auch neu verhandelt. Am Ende stand ein Freispruch.

Gericht bestraft sich selbst

+++ Das Bundesverfassungsgericht bestraft sich selbst: Weil die Richter mehr als fünf Jahre für die Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde brauchten, erhält eine Frau eine Entschädigung von 3.000 Euro. Mindestens 30 Monate war das Verfahren unbearbeitet geblieben, weil sich zwei Kammern nicht über die Zuständigkeit einigen konnten. Diese Verzögerung war unnötig, entschied jetzt die Beschwerdekammer des Bundesverfassungsgerichts (Aktenzeichen 1 BvR 2781/13 – Vz 11/14). +++

+++ Das Verwaltungsgericht Köln hält es in einem Urteil für unzulässig, Flüchtlinge nach Ungarn zurückzuschicken. Begründet wird dies mit der Unmenschlichkeit, die Flüchtlinge in Ungarn erwartet. +++

+++ Der Epresser von Uli Hoeneß ist in der Neuauflage seines Prozesses zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hatte das ursprüngliche Urteil des Landgerichts München – drei Jahre neun Monate – wegen überzogener Härte aufgehoben. +++

+++ Gerichte müssen mindestens 15 Minuten warten, wenn sich ein Verteidiger verspätet. Darauf weist das Kammergericht Berlin in einer aktuellen Entscheidung hin. Das Amtsgericht hatte in einer Bußgeldsache den Einspruch des Betroffenen verworfen, der selbst nicht erscheinen musste. +++

Heidenau zum Nachlesen

Die Zeitschrift für Verwaltungsrecht Online (ZVR) veröffentlicht in einer Sonderausgabe alle Beschlüsse zum Versammlungsverbot in Heidenau. Letztlich hat das Bundesverfassungsgericht das Versammlungsverbot aufgehoben. Erstritten hat die Entscheidung der Jurastudent Michal Fengler.

Eine interessante Lektüre.

Geldwäsche: Ausnahmen für Anwälte

+++ Strafverteidiger machen sich nur wegen Geldwäsche strafbar, wenn sie positiv wissen, dass ihr Honorar aus Straftaten bezahlt wird. Diese Auffassung bekräftigt das Bundesverfassungsgericht in einer aktuellen Entscheidung. Der Geldwäscheparagraf müsse bei Strafverteidigern einschränkend ausgelegt werden, so dass bedingter Vorsatz nicht reicht. Das gelte für alle Alternativen der Vorschrift (Aktenzeichen 2 BvR 2558/14, 2 BvR 2573/14, 2 BvR 2571/14). +++

+++ Ein Jurastudent brachte das Versammlungsverbot in Heidenau zu Fall. Zum Glück hat er ein privates Faxgerät. +++

+++ Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) verklagt das Vergleichportal Check24. Das Portal ist nach Auffassung des BVK nur ein Deckmantel, um letztendlich Versicherungsverträge zu vermitteln. Dabei würden aber gesetzliche Standards für Vermittler nicht eingehalten, etwa bei der Kundeninformation und -beratung. +++

+++ Firmen dürfen von Bewerbern sehr gute Englischkenntnisse verlangen. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Unternehmen in einer Branche tätig ist, in der Englisch die vorherrschende Sprache ist. Eine Bewerberin mit lediglich guten Englischkenntnissen hatte sich diskriminiert gefühlt, weil sie von einer Vertriebsfirma für Videospiele nicht berücksichtigt wurde. Das Landesarbeitsgericht Hamburg wies die Klage ab (Aktenzeichen 5 Sa 79/14). +++

Vorladung deluxe

Im law blog stehen etliche Beiträge, in denen ich mich mit fragwürdigen Vorladungen der Polizei beschäftige. Diese erwecken gern den falschen Eindruck, der Beschuldigte müsse auf der Wache oder dem Kommissariat erscheinen. Dass er hierzu nicht verpflichtet ist und schon gar nichts sagen muss, wird gern nach Kräften verschleiert.

Zu meiner Überraschung stelle ich fest, es geht auch anders. Nämlich in einem Schreiben, welches das Landespolizeipräsidium Saarbrücken an einen meiner Mandanten geschickt hat. Zwar ist der Brief auch als „Vorladung“ überschrieben. Aber ansonsten klingt er angenehm anders:

Wir bitten Sie, bei unserer Dienststelle vorzusprechen. Falls der Termin nicht wahrgenommen werden kann, bitten wir um eine neue Terminvereinbarung. Falls Sie von Ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen wollen, bitten wir um Mitteilung. … Beschuldigte sind bei der Vernehmung nicht verpflichtet, Angaben zur Sache zu machen.

Davon können sich andere Polzeibehörden aber echt mal eine Scheibe abchneiden.

Das geht nur einen was an

Strafrichter dürfen während der Verhandlung nicht privat simsen. Der Bundesgerichtshof erkennt darin mit deutlichen Worten einen Befangenheitsgrund. Einzelheiten habe ich bereits hier geschrieben.

Stutzig gemacht hat mich eine Anmerkung meines Kollegen Detlef Burhoff. Der meint, eine SMS aus dem Verhandlungssaal gehe dann wohl auch für Verteidiger nicht. Dem möchte ich widersprechen.

Und das schon aus grundsätzlichen Gründen. Es geht weder das Gericht noch den Staatsanwalt was an, wie ich meine Arbeit als Verteidiger organisiere. Ich kann aus dem Fenster schauen, in die anderen Gesichter oder halt auch in mein Notebook. Gleiches gilt für ein (leise gestelltes) Smartphone oder Tablet. Es geht dementsprechend auch keinen was an, ob ich in mein Notebook private oder mandatsbezogene Dinge schreibe. Und natürlich ebenso, was ich in mein Telefon tippe.

Das alles ergibt sich eigentlich schon daraus, dass ein Anwalt „unabhängiges“ Organ der Rechtspflege ist. Von daher darf er alles, was den Ablauf der Hauptverhandlung nicht stört. Ein Anwalt, der was in sein Smartphone schreibt, stört aber auch nicht mehr als einer, der was mit dem Kuli notiert.

Deshalb würde ich mich einer gerichtlichen Kontrolle oder gar einem Verbot sicher nicht unterwerfen. Vielmehr muss jeder Anwalt schon selbst entscheiden, wie weit er sich „ablenken“ lässt. Die maßgebliche Kontrollinstanz ist letztlich nicht das Gericht, sondern der eigene Mandant. Der hat natürlich einen Anspruch darauf, durch einen auch geistig präsenten Anwalt vertreten zu werden.

Atemtest soll Standard werden

+++ Die Polizei möchte Verkehrssünder gern eigenständiger verfolgen. Deshalb sollen Atemalkoholtests als vollwertiges Beweismittel anerkannt werden. Damit könnten aufwendige Blutproben überflüssig werden, die normalerweise auch noch ein Richter anordnen muss. In Nordrhein-Westfalen ist jetzt ein Feldversuch gestartet, der die Zuverlässigkeit des Atemtests belegen soll. +++

+++ Auch DIN-Normen sind urheberrechtlich geschützt. Deshalb ist es untersagt, die DIN-Normen einfach im Internet zu veröffentlichen, so das Landgericht Hamburg. Es handele sich nicht um „amtliche Werke“, deren Veröffentlichung frei sein könne. Die DIN-Organisation sei nämlich ein gemeinnütziger Verein und damit keine staatliche Stelle (Aktenzeichen 308 O 206/13). +++

+++ Wer sich auf dem Arbeitsweg verfährt, ist trotzdem von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützt. Es komme nur darauf an, ob der Arbeitnehmer nach wie vor sein Ziel erreichen wolle, urteilt das Landessozialgericht Hessen (Aktenzeichen L 3 U 118/13). +++

+++ Der Informationsdienst Juris verliert seinen exklusiven Zugang zu Gerichtsentscheidungen des Bundes. Der zu 50,01 % in staatlicher Hand befindliche Anbieter erhielt bisher als einziger die Urteilsfassungen, welche von den Dokumentaren der Bundesgerichte redaktionell aufbereitet werden, zum Beispiel mit Paragrafen und Leitsätzen. Nun soll es ab Anfang 2016 ein allgemein nutzbares Portal geben. Juris-Konkurrent Lexxpress hatte jahrelang geklagt, nun gab es eine außergerichtliche Einigung. +++

Holzklasse-Abgeordnete gibt es nicht

+++ Das Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat festgestellt, dass es in Deutschland keine Parlamentarier zweiter Klasse gibt. Das Gericht hebt eine Entscheidung des Innenministers auf, der es NPD-Landtagsabgeordneten untersagen wollte, eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge zu besuchen. Als gewählte Volksvertreter hätten auch NPD-Abgeordnete ein „(Selbst)informationsgewinnungsrecht“, befindet das Gericht. Allerdings könne der Innenminister Tag, Dauer und Ablauf des Besuchs regeln und alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Bewohner der Einrichtung zu schützen. +++

+++ Ein Berliner Schüler muss seiner Ex-Freundin Schmerzensgeld zahlen, weil er intime Bilder von ihr über WhatsApp geteilt hat. Der 13-Jährige ließ sich Nacktbilder von seiner gleichaltrigen Freundin schicken. Dann teilte er die Fotos mit anderen auf WhatsApp, ohne dass das Mädchen einverstanden war. Das Gericht hält den Schüler juristisch für voll verantwortlich. +++

+++ 90.000 Euro will ein Duisburger Feuerwehrmann einklagen, weil er bei seinem Einsatz auf der Loveparade im Jahr 2010 psychische Schäden davongetragen hat. Das Landgericht Duisburg gibt der Klage aber wenig Aussicht auf Erfolg, wie sich im Verhandlungstermin heute zeigte. Bei dem 53-Jährigen habe sich ein „typisches Berufsrisiko“ verwirklicht; dafür gebe es kein Schmerzensgeld. +++

+++ Der Düsseldorfer Oberbürgermeister durfte aus Protest gegen die Pegida-Demonstrationen nicht die Lichter der städtischen Gebäude abschalten. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf sieht den Grundsatz der Unparteilichkeit verletzt. Gleichwohl wies das Gericht die Pegida-Klage ab, weil es keine Wiederholungsgefahr gebe. Pegida hat in Düsseldorf alle Demonstrationen vorerst abgesagt (Aktenzeichen 1 K 1369/15). +++

Erst mal anzeigen

Für Wirbel sorgt ein Spruch, den der bayerische Innenminister Joachim Herrmann gestern in der Talkshow „Hart aber fair“ machte:

Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger, der den meisten Deutschen wunderbar gefallen hat.

Auf Twitter werden schon eifrig Strafanzeigen gegen Hermann angekündigt, gleichwohl dieser seine Äußerung mittlerweile nachvollziehbar als Reaktion auf einen Einspieler erklärt hat.

Strafanzeigen machen die Sache aber ohnehin nicht zu einem Fall für den Staatsanwalt. Nur einer könnte ein Verfahren in Gang bringen – Roberto Blanco selbst. Das liegt daran, dass eine Beleidigung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur auf Antrag des Beleidigten verfolgt werden kann. Der will aber offensichtlich nicht.

Ohne Strafantrag des Künstlers helfen dann noch so viele Strafanzeigen nicht.