Ein Richter am Amtsgericht Bautzen outet sich als Fan einer sehr umstrittenen Methode der Wahrheitsfindung. In einem Missbrauchsprozess setzt er einen Lügendetektor ein. Zur Verhandlung kam eine Rechtspsychologin und schloss den Angeklagten an den Polygrafen an – mit dessen Einverständnis.
Näheres zu dem Fall kann man in der Sächsischen Zeitung nachlesen. Interessant finde ich zunächst die Fotos, welche die Sachverständige mit ihrer Apparatur zeigen. Die Digitalisierung ist bei dieser Expertin offenbar bislang spurenlos geblieben. Und das, obwohl der Polygraf ja eigentlich nur körperliche Befindlichkeiten (Änderungen von Blutdruck, Puls, Hautwiderstand durch Schwitzen, Zittern) in zeitlichen Zusammenhang mit der Aussage einer Person bringt.
Ich sage es mal ganz offen: Der altertümliche Kasten, der da zu sehen ist, würde mich als Verteidiger schon ins Schwitzen bringen, lange bevor mein Mandant an das Gerät angeschlossen ist. Uraltes Equipment – ich gehe vom äußeren Anschein aus –
ist gerade bei medizinischen Sachverständigen für mich immer ein Warnsignal. Dafür dass jemand – auch aufgrund seines Expertentums – einem Wissensstand verhaftet sein könnte, der einfach nicht mehr up to date ist.
Dazu kommen rechtliche Bedenken. Der Bundesgerichtshof hat Lügendetektoren über Jahrzehnte hinweg für unzulässig gehalten. Der Polygraf mache den Angeklagten zum bloßen Objekt des Verfahrens. Das Gerät verschaffe (vermeintlichen) Einblick in die Seelenlage eines Menschen. Denn es antworte nicht nur der Mensch, sondern auch das Unbewusste in Form körperlicher Reaktionen. Das sei mit der Menschenwürde nicht vereinbar.
Daran hat sich im Kern auch nichts geändert, auch wenn der Bundesgerichtshof nun wohl nicht mehr davon ausgeht, dass ein freiwilliger Test durch den Angeklagten völlig undenkbar ist. Nur das im aktuellen Fall wieder auftauchende Bautzener Amtsgericht und das Oberlandesgericht Dresden haben Lügendetektoren ausdrücklich bislang für zulässig erachtet; das OLG Dresden in einem Sorgerechtsverfahren.
Der Bautzner Richter steht also ziemlich alleine da mit seiner Idee, der Wahrheit auch durch den Polygrafen auf die Spur zu kommen. Im Ergebnis finde ich die Skepsis der Justiz richtig. In der Wikipedia kann man nämlich sehr anschaulich nachlesen, wo die Reise ansonsten hingehen würde:
Der Berliner Neurowissenschaftler John-Dylan Haynes arbeitet an einem Lügendetektor, der „unfehlbar und unabhängig von subjektiven Einschätzungen“ sein soll. Ausgangspunkt der Überlegungen zur Entwicklung eines „Hirnscanners“, eines „Neuronalen Lügendetektors“ ist, dass ein Gehirn vorher erlebte Situationen als „neuronale Spiegelbilder“ speichere, sie wiedererkennt und das deutlich macht, auch wenn der Mensch das Wissen darum zu verbergen trachte: die Hirnaktivität einer Person verrate den Probanden.
Angedacht ist: Das Gehirn islamistischer Terroristen werde reagieren, wenn ihnen Bilder von Terrorcamps vorgespielt werden; auf derselben Basis – so die Vorstellung – werde man einer bestimmten Straftat verdächtigte Täter überführen können, wenn man ihnen Bilder von Tatorten vorspiele: Selbst wenn der Täter eine Tatbeteiligung leugnen würde, würde ihn das Wiedererkennen seines Gehirns überführen, wenn unter den vorgespielten Tatortsituationen diejenige dabei ist, die sich auf die ihm zu Recht vorgeworfene Straftat bezieht.
Vielleicht ist angesichts dieser rechtsstaatlich kaum noch erträglichen Perspektive besser, sogar die analogen Blechkästen zugeklappt zu lassen.