Am Ende zahlt der Typ

Am Ende eines Strafverfahrens stand für meinen Mandanten ein erfreuliches Ergebnis. Er wurde freigesprochen. Damit hatten wohl zwei Personen definitiv nicht gerechnet: die Frau, die meinen Mandanten einer Straftat gegen ihre Person bezichtigte. Sowie die Rechtsanwältin, welche das vermeintliche Opfer als Nebenklägerin vertrat.

Es kommt im Anschluss an diesen Freispruch zu leicht bizarren Verwicklungen. Anscheinend hat die Nebenklägeranwältin nicht so recht gewusst, wie die Kostenfolge im Falle eines Freispruchs ist. (Wahrscheinlich ist sie durch die ansonsten legendäre Verurteilungsfreude ihres Heimatgerichts verwöhnt.) Im Falle eines Freispruchs muss der Angeklagte auch nicht die Kosten der Nebenklägerin tragen. Sondern diese muss selbst schauen, wie sie ihren Rechtsbeistand finanziert. Das wiederum funktioniert juristisch aber auch nur dann, wenn die Nebenklägerin durch ihre Anwältin vorab ausreichend über das Kostenrisiko aufgeklärt war.

Genau das scheint aber nicht geschehen zu sein. Einige Tage nach dem Freispruch hatte ich die Frau am Telefon. Sie klagte mir ihr Leid. Nämlich dass die Anwältin jetzt von ihr bezahlt werden will. Wir reden über knapp 4.000 Euro. Und das, obwohl vorher nur einmal überhaupt über Kosten gesprochen worden sei. Mit der prägnanten Aussage der Anwältin, die sinngemäß lautete:

Machen Sie sich keinen Kopf, am Ende muss der Typ alles zahlen.

Dass die Anwältin die Sache sehr locker angegangen ist, zeigt auch ein anderer Umstand. Am Tag nach dem Urteil hat die Rechtsanwältin noch schnell beantragt, sie der Nebenklägerin beizuordnen. So eine Beiordnung hat den Effekt, dass die Staatskasse die Anwaltskosten übernimmt. Das geht problemlos, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Waren sie. Aber der Antrag muss halt gestellt werden, und eins geht definitiv nicht – die nachträgliche Beiordnung. Dementsprechend verpuffte der Rettungsversuch an der klaren Ansage des Gerichts, dass eine nachträgliche Beiordnung gesetzlich nicht vorgesehen ist.

Jetzt ist es mittlerweile wohl so weit, dass die Rechtsanwältin ihrer Mandantin mit einem Mahnbescheid droht. Ich fühlte mich durchaus ein wenig geehrt, als die Nebenklägerin mich fragte, ob ich sie gegen die Anwältin vertreten möchte. Ich habe allerdings abgelehnt, ihr aber einen fitten Zivilrechtler empfohlen.

„Ort und Datum“

Als Anwalt bin ich verpflichtet, auf Wunsch den Empfang hier eingegangener Schriftstücke von Gerichten und Behörden zu bestätigen. Das geschieht durch ein „Empfangsbekenntnis“ (§ 174 ZPO).

Das Empfangsbekenntnis ist an keine besondere Form gebunden. Üblicherweise schicken Gerichte ein vorbereitetes Formular mit, das ich unterschrieben zurücksende. So weit, so einfach. Allerdings fällt mir schon seit jeher eine Kleinigkeit auf. Von uns Anwälten werden auf den einschlägigen Formularen nämlich immer Angaben verlangt bzw. erbeten, die wir gar nicht machen müssen.

Das typische Formular sieht so aus.

Die vorstehend bezeichnete Sendung habe ich heute erhalten. Empfangsbekenntnis vollzogen zurückgesandt.

Ort und Tag

Unterschrift

Ihr werdet kein vorbereitetes Empfangsbekenntnis finden, in dem der Empfänger nicht den „Ort“ angeben soll. Ich habe jedenfalls noch keines gesehen.

Allerdings macht es juristisch überhaupt keinen Unterschied, an welchem Ort ein Anwalt ein solches Schreiben zur Kenntnis nimmt. Wenn ich es aus dem Büro mitnehme oder mir aufs Notebook mailen lasse und es dann in der Bahn lese, müsste ich bei Ort ja auch korrekterweise beispielsweise schreiben: „Zwischen Hannover und Braunschweig“.

Man braucht nur einen näheren Blick in den bereits erwähnten § 174 ZPO zu werfen, um zu sehen, dass die Angabe des Ortes in dem Formular für ein Empfangsbekenntnis an sich völlig überflüssig ist. Denn die Angabe des Ortes ist keine juristische Notwendigkeit für ein wirksames Empfangsbekenntnisses. In der Vorschrift steht nämlich:

Zum Nachweis der Zustellung genügt das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis…

Datum. Unterschrift. Mehr muss der Empfänger nicht liefern. Ich gebe deshalb schon seit vielen Jahren den Ort nicht mehr an. Und meine Mitarbeiter sind gebeten, den Ort wegzulassen, wenn sie das Datum vorab einsetzen.

Moniert wurde die fehlende Ortsangabe noch nie. Immerhin.

Acht Monate plus X

Im deutschen Recht ist ja alles gern ein wenig komplizierter. Über ein Beispiel bin ich heute gestolpert, als ich meinem Mandanten erklären musste, wie sich die Sperrfrist berechnet, nachdem ein Gericht die Fahrerlaubnis entzogen hat.

Wir reden über einen typischen Fall. Der Mandant ist am 23. August 2017 alkoholisiert Auto gefahren (1,2 Promille). Die Polizei kassierte an Ort und Stelle seinen Führerschein. Am 24. November 2017 erließ das Gericht einen Strafbefehl. Darin hieß es:

Ihnen wird die Fahrerlaubnis entzogen. Ihr Führerschein wird eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wird angewiesen, Ihnen vor Ablauf von acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Der Mandant rechnete, so wie es für jemanden naheliegt, der seit dem Tattag nicht mehr Auto fahren darf. Also acht Monate ab dem 23. August 2017. Die Fahrerlaubnis konnte er nach seiner Rechnung also im April 2018 wieder bekommen.

In Wirklichkeit ist es anders. Die vom Gericht festgelegte Frist für die Entziehung beginnt erst mit dem Tag, an dem der Strafbefehl erlassen oder ein Urteil gesprochen wurde. Der Mandant kann also erst drei Monate später wieder seine Fahrerlaubnis erhalten, nämlich ab dem 23. Juli 2018 (der Tag des Erlasses zählt gnädigerweise schon komplett zur Frist). Richter müssen also bei Erlass des Strafbefehls darauf achten, wann der Betroffene erwischt wurde. Diese Zeit müssen sie gedanklich einrechnen.

Für die Betroffenen ist natürlich kaum nachvollziehbar, dass im Strafbefehl acht Monate steht, aber faktisch „acht Monate plus X“ gemeint sind. Erläutert wird das durch die Justiz schon gar nicht. Es soll auch schon Anwälte gegeben haben, die das nicht im Blick hatten und ihren Mandanten die Sperrfrist quasi schön rechneten. Wobei das böse Erwachen dann auf dem Straßenverkehrsamt kam, als der Mandant den Antrag auf Wiedererteilung stellen wollte. Dort können sie definitiv Sperrfristen berechnen.

„Gegen Fehlblatt entheftet“

Vor kurzem habe ich erzählt, wie die Polizei bei Auswertung eines beschlagnahmten E-Mail-Postfachs auf Korrespondenz gestoßen ist, die der Beschuldigte mit Anwälten geführt hat, bei denen er Rechtsrat in genau dieser Strafsache einholen wollte. Da konnte er zwar schon ahnen, dass mal was passiert. Sonst hätte er die Anwälte ja auch nicht für ihre Dienste befragt.

Selbst schuld, könnte man sagen. Bei Korrespondenz mit dem Strafverteidiger ist das aber nicht so einfach. Die Nachrichten sind juristisch privilegiert. Kurz gesagt, sie hätten nie ausgewertet und schon gar nicht zur Akte genommen werden dürfen.

Das hat mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft eingesehen. Heute kriegte ich auf mein zweites Anschreiben in dieser Sache folgende Mitteilung:

Es wird mitgeteilt, dass Bd. I Bl. 137a – 147 d.A. aus dieser gegen Fehlblatt entheftet worden sind.

Die E-Mails mit den Anwälten werden also nicht mehr Gegenstand der Entscheidungsfindung sein. Natürlich kann die zuständige Staatsanwältin ihre Existenz nicht aus dem Gedächtnis bannen. Aber wenn sie korrekt arbeitet, wird sie genau dies jedenfalls so weit wie möglich versuchen.

Bei meiner Überzeugungsarbeit hat mir übrigens auch ein neues Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geholfen. Der hat im November 2017 in der Rechtssache 37717/05 festgestellt, dass Nachrichten zwischen Betroffenem und Anwalt auch dann geschützt sind, wenn ein Verteidigungsverhältnis noch nicht besteht (was ja bei einem reinen Beratungsmandat im Vorfeld möglicherweise auch hier der Fall gewesen ist).

Der doppelte Beschuldigte

Vor Gericht und auf hoher See… Die altbekannte Weisheit habe ich jetzt mal wieder eindrucksvoll bestätigt erhalten.

Ein Herr P. hatte Strafanzeige gegen meinen Mandanten erstattet. Die Anzeige ging als Brief bei der Staatsanwaltschaft ein – und am Tag zuvor auch als Fax. Bei der Zuordnung hat jemand offensichtlich nicht aufgepasst. Also wurden zwei rote Akten angelegt und der doppelte Fall, der eigentlich nur einer ist, landete in zweifacher Ausfertigung auf den Tischen verschiedener Staatsanwälte.

Normalerweise fällt so was auf, wenn ein Mitarbeiter in das sogenannte Verfahrensregister guckt. Da gibt es dann nämlich eine Überschneidung bei den Daten, die früher oder später stutzig machen sollte. Nicht hier, denn bei der zweiten Eingabe des Geburtsdatums meines Mandanten schlich sich ein Zahlendreher ein. Im Behördencomputer dürfte er von diesem Augenblick an doppelt existiert haben.

Wie auch immer, von einem Verfahren erlangten wir Kenntnis. Ich habe Akteneinsicht genommen, anderthalb DIN-A-Seiten zu den Vorwürfen geschrieben. Ganz dummes Zeug kann es nicht gewesen ein. Es kam nämlich postwendend eine Einstellung mangels Tatverdachts. Diese übermittelte ich auch freudig dem Mandanten.

Die schlechte Nachricht folgte einige Wochen später. In Form einer Anklageschrift, und zwar in der anderen Sache, von der wir gar nichts wussten. Die Anklage ging zum Schöffengericht. Das Ganze ist insoweit interessant, weil man daran sieht, wie sehr die Bewertung einer Angelegenheit vom jeweiligen Staatsanwalt abhängen kann. (Und ein klein bisschen sicher auch davon, was ein Anwalt für den Mandanten dazu zu sagen hat.)

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft an der Anklage festhalten möchte. Das ist witzigerweise die Akte mit dem Fehler im Geburtsdatum. So weit ich überdies herausfinden konnte, war zum Glück dieser Staatsanwalt wohl eher nicht für den Fall zuständig. Sondern eigentlich sein Kollege, der uns mit der Einstellung erfreut hat.

Mal schauen, wie sie bei der Behörde die Kuh vom Eis kriegen. Ein Telefonat mit dem stellvertretenden Behördenleiter klang schon mal vielversprechend, aber man will sich natürlich Zeit nehmen, um die Sache zu prüfen. Leidtragender ist natürlich der Mandant, der momentan die Welt nicht mehr versteht.

Natürliche Gegebenheiten

Wer im Herbst sein Auto unter einem Walnussbaum parkt, muss damit rechnen, dass Walnüsse und – bei starkem Wind – auch ganze Äste herunterfallen. Der Baumbesitzer muss für dieses „natürliche“ Verhalten seines Baumes keinen Schadensersatz leisten, so sieht es zumindest das Amtsgericht Frankfurt am Main.

Der geschädigte Autofahrer war der Meinung, der Baumbesitzer habe eine Gefahrenquelle geschaffen, weil der Baum 1,5 Meter auf die Abstellfläche des Autos ragte. Das Gericht folgte dieser Einschätzung nicht. Es entschied, dass der Kläger im Herbst bei einem Walnussbaum mit dem Herabfallen von Nüssen rechnen musste, denn ein solches sei eine „natürliche Gegebenheit“.

Anhaltspunkte dafür, dass der Baum krank gewesen sei, habe es nicht gegeben. Außerdem hatte der Besitzer den Baum regelmäßig zurückgeschnitten. Auch eine allgemeine Anmerkung erlaubt sich das Amtsgericht. Walnussbäume seien im Interesse der Allgemeinheit wünschenswert, gerade auch in Städten. Da gehe es nicht, das allgemeine Lebensrisiko auf andere abzuwälzen.

Der Autobesitzer bleibt auf seinem Schaden – immerhin 3.000 Euro – sitzen (Aktenzeichen 32 C 365/17 (72)).

Wildwest-Methoden auf dem Wohnungsmarkt

Gegen rabiate Vermieter, die bei Verzug des Mieters selbst die Wohnung räumen, dürfen Mieter sich ebenso tatkräftig wehren. Das Amtsgericht München gab einem Mieter recht, der sich nach der eigenmächtigen Räumung seiner Wohnung wieder Zugang verschaffte, indem er die neu angebrachten Schlösser aufbrach. Solche Selbsthilfe hält das Gericht für zulässig – sofern der Mieter „sofort“ reagiert.

Der Streit drehte sich um einen befristeten Mietvertrag. Nach Vertragsende war der Mieter nicht ausgezogen, außerdem fürchtete die Vermieterin, dass die Arge die Miete nicht weiter zahlt. „Ich schmeiß‘ Sie raus! Ich räume Sie!“, soll die Vermietern gedroht haben. Dabei blieb es nicht. Sie wechselte die Schlösser und bestellte Umzugshelfer, die die Wohnung leerräumen sollten. Nachdem es keine Einigung gab, brach der Mieter nachts um eins die Wohnungstür auf.

Das Gericht verweist auf § 859 BGB. Danach darf sich der Besitzer einer Sache (hier der Mieter) gegen verbotene Eigenmacht wehren. Dieses Abwehrrecht gilt grundsätzlich auch gegenüber dem Eigentümer (hier die Vermieterin). Die Frage war nur, ob der Mieter „sofort“ im Sinne des Gesetzes gehandelt hat. Der Mieter habe sich nicht auf eine körperliche Auseinandersetzung mit den Angestellten der Vermieterin einlassen müssen, so das Gericht. Er habe deshalb einige Stunden warten dürfen, bis die Wohnung unbewacht war. Auch Vermieter müssten den Rechtsweg einhalten. Gerade auf dem Münchner Wohnungsmarkt dürfe so ein Verhalten nicht geduldet werden (Aktenzeichen 461 C 9942/17).

Schreckgespenst Negativzinsen: Für Banken wird es nicht so einfach

Auch wenn die Zinsen gegen Null gehen, unter diese Marke fallen dürfen sie nicht. Zumindest nicht bei laufenden Geldanlagen. Das Landgericht Tübingen untersagt es deshalb der Volksbank Reutlingen, mittels geänderter Geschäftsbedingungen ihre Kunden mit Negativzinsen zu belegen.

Die Volksbank Reutlingen teilte ihren Kunden per Preisaushang mit, dass für bestimmte Angebote künftig negative Zinsen fällig würden. Sie begründete ihr Verhalten wie folgt: „Dies geschieht, um die mittlerweile anfallenden Kosten für die Annahme und Verwahrung großer Guthaben nicht auf alle Kunden umzulegen.“ Minuszinsen würden beim Tagesgeld bereits ab 10.000 Euro und bei Termin- und Kündigungsgeld ab 25.000 Euro fällig werden.

Hiergegen klagte die Verbraucherzentrale – erfolgreich. Über das Kleingedruckte können nach Auffassung des Gerichts keine Negativzinsen erhoben werden. Die Richter begründen das nachvollziehbar mit dem Hinweis, dass der Vertrag über eine Geldanlage nicht in etwas völlig anderes verwandelt werden dürfe. Nämlich einen Verwahrungsvertrag, der noch dazu kostenpflichtig ist (Aktenzeichen 4 O 187/17).

Sachgerechte Vorbereitung des weiteren Vorgehens

Aus einem Schreiben des Gerichts:

In der Strafsache gegen N. wird zur sachgerechten Vorbereitung des weiteren Vorgehens um Angabe der Dienstagstermine in den Monaten April, Mai und Juni 2018 gebeten, an denen nicht verteidigt werden kann.

Welch wohltönende Formulierung, jedenfalls für Juristenohren.

Verjährung, die gar keine mehr ist

In der Diskussion um den Regisseur Dieter Wedel spielen Verjährungsfristen eine Rolle. Nachfolgend einige Worte zur aktuellen Rechtslage:

Seit 2015 gilt die Regelung, wonach die Verjährung bei den weitaus meisten Sexualstraftaten frühestens ab Vollendung des 30. Lebensjahres beginnt. Ab dann läuft die normale Verjährung, die je nach Schwere der Tat zwischen 10 und 20 Jahre beträgt. Diese Verjährungsfrist kann sich durch diverse Unterbrechungsmaßnahmen (z.B. die erste Vernehmung des Beschuldigten, Anklageerhebung etc.) verlängern – und zwar jeweils bis zum Doppelten. Die maximale Verjährungsfrist beträgt in solchen Fällen 40 (!) Jahre.

Das bedeutet ganz praktisch, und ich zitiere aus dem Kommentar Dölling pp. zum Gesamten Strafrecht:

Mag die Regelung dazu dienen, dass erst dann das Opfer in vielen Fällen den Entschluss zur Strafanzeige aufgrund vorher bestehender Abhängigkeiten realisieren wird können, so können durch die ja erst dann beginnende Verjährung Fälle verhandelt werden, die bereits Jahrzehnte zurückliegen.

Schwere Sexualdelikte können daher frühstens mit Vollendung des 50. Lebensjahres des Opfers verjähren, wobei sich die Frist durch Unterbrechungshandlungen sogar bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres des Opfers verlängern kann.

Die Glaubhaftigkeit einer Aussage wird dann nur sehr schwer zu beurteilen sein.

Eine Verjährung gibt es also in diesem Deliktsbereich faktisch schon jetzt nicht mehr. Ob das noch verfassungsgemäß ist, wurde bislang noch nicht entschieden. Ich habe da so meine Zweifel. Aber vielleicht macht uns ja ausgerechnet der Fall Wedel schlauer.

(K)ein bescheidenes Angebot

Mein Mandant stand heute wegen Körperverletzung vor Gericht. Mit dem Prozess arbeitete das Gericht offenbar noch schnell die Karnevalssaison 2016/2017 auf, bevor es in den anstehenden bunten Tagen juristischen Nachschub gibt. Die Tat geschah an Altweiber in der Düsseldorfer Altstadt.

Manchmal ist es ja sinnvoll, sich reuig zu geben. So entschuldigte sich mein Mandant nicht nur bei den beiden Opfern. Er bot zu Beginn der Verhandlung, als die Zeugen noch nicht im Saal waren, über mich auch ein Schmerzensgeld an. Und zwar 500 bis 700 Euro für jeden Geschädigten.

Der Richter nahm das zur Kenntnis, überlegte kurz und sagte dann, er habe in den letzten Jahren ja vorwiegend als Zivilrichter gearbeitet. Bei ihm hätten die Geschädigten ca. 300 Euro gekriegt. Wir nahmen das gerne auf und boten dann diesen Betrag. Damit waren die Geschädigten auch tatsächlich zufrieden. Die Entschuldigung akzeptierten sie überdies.

Meine etwas vorschnelle finanzielle Freigiebigkeit zahlte sich am Ende aber trotzdem noch aus. Der Richter rechnete es meinem Mandanten an, dass er ein „eher großzügiges Angebot“ gemacht und sich damit nicht knickerig gezeigt habe. Das Urteil fiel am Ende so milde aus, dass mein Mandant es akzeptieren und keine Berufung einlegen möchte.

Ich würde jetzt gern sagen, ich hatte das alles genau so geplant.

Die Polizei ist keine Arztpraxis

Die Polizei hat bei einer Mandantin, die des Deutschen nicht mächtig ist, eine erkennungsdienstlichen Behandlung angeordnet. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, die Begleitumstände aber mittlerweile schon.

Mit dem Bescheid über die Anordnung – es geht um eine ED-Behandlung nach § 81b StPO (2. Alternative) – erhielt die Mandantin nämlich keinen Termin. Vielmehr wurde sie aufgefordert, sich innerhalb von zwei Wochen bei der Dienststelle telefonisch anzumelden und selbst einen Termin für die ED-Behandlung zu vereinbaren.

Das mag erst mal bürgerfreundlich klingen. Aber woraus ergibt sich denn die Pflicht, sich selbst aktiv um einen Termin für eine so unangenehme Sache wie die Abnahme von Fingerabdrücken zu bemühen – und im Fall der Nichtbeachtung negative juristische Konsequenzen in Form eines Zwangsgeldes zu tragen (welches gleich mit angedroht wird)?

Nach meiner Kenntnis ist die Polizei doch keine Arztpraxis.

Erschwerend kommt hinzu, dass es der Mandantin bislang auch nicht gelungen ist, sich mit der Polizei zu verständigen. Ich habe es selbst getestet, und zwar mit freundlicher Unterstützung einer türkischsprachigen Mitarbeiterin. Wenn man die einzige angegebene Rufnummer wählt, meldet sich ein eher mürrischer Beamter. Dieser geht gleich in Abwehrhandlung, wenn er eine Fremdsprache hört. Sinngemäß hat er folgendes gesagt: Ich nix verstehen, du rufen mit Dolmetscher an, wir hier nix reden andere Sprachen.

Die Anruferin hat dann radebrechend versucht rauszufinden, ob sie vielleicht persönlich vorbeikommen kann, um den Termin zu vereinbaren. Oder ob vielleicht ein Kollege da ist, der sie versteht. Aber: nix Kollege hier. Du bloß nicht vorbeikommen, Tür vorne ist zu. Du rufen noch mal an mit Dolmetscher an.

Tja, und nun? Die Mandantin überlegt, ob wir nicht einfach mal gegen den Bescheid klagen. Es dauert sowieso ein, zwei Jahre, bis das Verwaltungsgericht entscheidet. Bis dahin hätte die Klage aufschiebende Wirkung. Und bis dahin ist es ja auch denkbar, dass bei der Polizei ein besser geeigneter Mitarbeiter ans Telefon geht. An die entfernte Möglichkeit, dass uns das Verwaltungsgericht sogar recht gibt, möchte ich gar nicht denken.

Daten von Demo-Anmeldern sind geschützt

Wer sich als Versammlungsleiter für eine Kundgebung zur Verfügung stellt, muss es nicht hinnehmen, wenn die örtliche Polizei seine Personalien dem Landeskriminalamt und dem Verfassungsschutz übermittelt. Ohne konkreten Anlass ist dies unzulässig, entschied das Verwaltungsgericht Lüneburg.

Die Weitergabe personenbezogener Daten ist laut dem Gericht ein schwerwiegender Eingriff in das grundrechtlich verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Für die Übermittlung bedürfe es einer Rechtsgrundlage. Diese sei jedoch nicht vorhanden gewesen.

Eine Weitergabe personenbezogener Daten unter verschiedenen Behörden komme nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, unter anderem wenn dies zur Gefahrenabwehr erforderlich sei. Daran fehle es aber. Selbst nach Ansicht der örtlichen Polizeiinspektion Lüneburg hätten keine konkreten Anhaltspunkte vorgelegen, dass es bei den angemeldeten Veranstaltungen zu Störungen hätte kommen können.

So sei in den Mitteilungen an die Verfassungsschutzbehörde und an das Landeskriminalamt jeweils vermerkt worden, dass Hinweise auf Störungen nicht vorliegen. Eine vorsorgliche Übermittlung von personenbezogenen Daten für noch nicht eingetretene Gefahrenabwehraufgaben ist laut dem Gericht aber unzulässig.

Eine interessante Entscheidung, die der Polizei und dem Verfassungsschutz einige Arbeit machen dürfte. So weit ich weiß, ist es fast schon Standard, dass die Anmelder von Kundgebungen in einer Meldekette namentlich benannt werden, die vom Ordnungsamt über die örtliche Polizei bis zum LKA und Verfassungsschutz reichen kann. Auch gegenüber den Landeskriminalämtern und dem Verfassungsschutz kann jedermann kostenlos Auskunft über die Daten verlangen, die zu seiner Person gespeichert sind. Für Demo-Anmelder könnte es vielleicht interessant sein zu erfahren, ob sie über diesen Weg zu einem Eintrag in den Dateien von VS und LKA gekommen sind (Aktenzeichen 1 A 334/15).

… und dann ist das Auto futsch

Nicht alles, was möglich ist, wird gemacht. Das gilt auch vor Gericht. So habe ich in den letzten Jahren etliche Autofahrer (und auch zwei oder drei -innen) verteidigt, die sich trotz fehlender Fahrerlaubnis mehr oder weniger emsig immer wieder ans Steuer setzten. Die Gerichte eskalieren bei den einzelnen Betroffenen regelmäßig die Höhe der Strafen. Dass aber daneben auch das Auto einkassiert wird, habe ich persönlich noch nicht erlebt.

Aber genau das scheint mitunter tatsächlich zu passieren, wie jetzt ein Fall aus Kleve zeigt. Da war ein Mann in den Jahren 2009 bis 2017 vier Mal am Steuer seines Autos angehalten worden, obwohl er keinen Führerschein hat. Nur wenige Monate nach dem letzten Mal passierte es schon wieder, und dem zuständigen Staatsanwalt platzte offensichtlich der Kragen.

Das Auto, ein BMW, wurde beschlagnahmt. Zu Recht, entschied nun das Landgericht Kleve. Das Straßenverkehrsgesetz (§ 21 StVG) lasse die Beschlagnahme ausdrücklich zu. Bei dem Betroffenen liege auch die Vermutung nahe, dass er künftig weiter „wie selbstverständlich“ Auto fährt. Deshalb sei es angemessen, ihm den fahrbaren Untersatz wegzunehmen, der auch auf seinen Namen zugelassen ist. Dass das Auto angeblich einer Bekannten sicherungsübereignet ist, spielt nach Meinung des Gerichts keine Rolle.

Link zum Beschluss des LG Kleve

Pauschalreisen: Veranstalter muss das Programm einhalten

Bei Pauschalreisen darf der Veranstalter nur sehr eingeschränkt das Programm umstellen. Fallen wesentliche Teile des Programms weg, kann dies sogar eine Kündigung durch den Reisenden rechtfertigen. Diese Grundsätze im Reiserecht hat der Bundesgerichtshof in einem aktuellen Urteil präzisiert.

Es ging um eine Rundreise durch China. Beim Stopp in Peking sollten laut Programm die Verbotene Stadt und der Platz des Himmlischen Friedens besichtigt werden. Das war aber wegen einer Militärparade nicht möglich, was der Veranstalter den Kunden kurz vor Reisebeginn mitteilte. Diese traten die Reise daraufhin gar nicht an und verlangten unter anderem ihre Anzahlung in Höhe von 90 Prozent des Reisepreises zurück.

Wesentliche Programmänderungen sind laut dem BGH überhaupt nur zulässig, wenn der Veranstalter sich diese im Vertrag vorbehalten hat. Zwar enthielt der Vertrag eine solche Klausel, diese war jedoch wegen Unzumutbarkeit insgesamt unwirksam. Dem Kunden zumutbar sind nach dem Gesetz nur Änderungen, die nach Vertragsschluss eintreten und für den Reiseveranstalter bei Vertragsschluss auch nicht vorhersehbar sind. Außerdem dürfen sie den Charakter der Reise nicht verändern. Das ist laut dem BGH aber der Fall, wenn bei einer Chinareise Spitzenattraktionen gestrichen werden.

Reisende müssen im Streitfall also genau schauen, ob eine mögliche Änderungsklausel, auf die sich der Veranstalter beruft, auch tatsächlich wirksam ist (Aktenzeichen X ZR 44/17).