„… haben wir Sie aufzufordern“

Zivilrechtlich tätige Anwälte sind da mehr gewohnt. Für mich als Strafverteidiger ist es eher ein seltenes Vergnügen, dass mir eine Frist gesetzt wird, und zwar mit deutlichen Worten:

Zur Übersendung der Dokumente haben wir Sie bis zum 30.12.2020 aufzufordern.

Ausnahmsweise fühle ich mich aber unschuldig. Es geht um den Fall eines jungen, aber volljährigen Mannes, den ich in einem Strafverfahren verteidige. Der Betreffende wohnte seinerzeit zu Hause bei seiner Mutter, weshalb bei der Durchsuchung Sachen mitgenommen wurden, die möglicherweise der Mutter gehören. Darunter Computer und Tablets, die dann wohl auch ausgewertet wurden.

Ich kann ja verstehen, dass die Mutter dies alles nicht gut findet und deshalb gerne Akteneinsicht bzw. nähere Informationen haben möchte. Aber doch bitte nicht von mir. Schon deswegen, weil ich als Verteidiger ihres Sohnes Dritten keine Beschlagnahmeprotokolle und erst recht keine Auswerteberichte übersenden darf – was sie aber unbedingt möchte. Auch die Mutter ist Dritte im Sinne des Gesetzes. Und vor allem auch deswegen, weil die Ermittlungen in diversen Komplexen noch andauern. Ich kann und will gar nicht beurteilen, welche Rolle die Mutter vielleicht spielte. Ein Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung gegen mich selbst brauche ich nun auch nicht unbedingt zum Jahresausklang.

Das habe ich der Mutter nun schon mehrfach erklärt. Anscheinend erfolglos, denn die Mutter ging nun zu einer Anwältin. Die Kollegin ruft nicht erst mal an, sondern setzt mir gleich schriftlich eingangs zitierte Frist, um ihr Kopien aller Unterlagen aus der Ermittlungsakte zu übersenden. Rechtlich hat sie ihr Begehren nicht näher begründet. Was im Hinblick auf § 32f Abs. 5 StPO aber auch sehr schwierig wäre. Denn diese Vorschrift verbietet es mir als Verteidiger wie gesagt ausdrücklich, Aktenteile durch die Welt zu schicken.

Die Anwaltskollegin hätte ihrer Mandnatin womöglich effektiver geholfen, wenn sie in der Strafprozessordnung etwas weiter geblättert hätte. Fast bis ganz nach hinten, zugegeben. Denn auch Drittbetroffene von Durchsuchungen haben einen Anspruch auf Einsicht in die maßgeblichen Unterlagen, damit sie eventuelle Ansprüche durchsetzen können. Das steht in § 475 StPO. Ein klassischer Fall für so ein berechtigtes Interesse ist etwa der Vermieter, dessen Haustür bei einer Durchsuchung zu Schaden kam und der jetzt sehen muss, von wem er den Schaden ersetzt bekommt.

Ich habe der Rechtsanwältin den Paragrafen mal rübergeschickt. Vielleicht hilft es ihr bei Bearbeitung des Falles weiter. Sie könnte ein entsprechendes Gesuch an die Staatsanwaltschaft formulieren und darin sogar ihre Fristsetzungs-Floskel recyclen. Mit einem Dankeschön rechne ich nicht, mir genügt das Gefühl, die „Frist“ im Kalender doppeldick als erledigt markieren zu können.