Normalnormalnormalfall

Staatsanwälte weisen gerne darauf hin, sie arbeiteten für die objektivste Behörde der Welt. Womit auch alles über Rechtsanwälte gesagt ist, denn diese sind dann ja schlicht unnötig.

Vorhin hatte ich jedoch ausnahmsweise mal wieder einen kleinen Moment, in dem ich für meine Berufsstand eine Existenzberechtigung erkannte. Und das ausgerechnet beim Lesen des sozusagen objektivsten Dokuments schlechthin: einer Anklageschrift.

Diese Anklageschrift lässt verlauten, ein Arzt habe bei der Geschädigten folgende Verletzungen festgestellt: diverse Prellungen im Bereich der Schulter und des Beckens, eine Halswirbelversteifung. Dumm nur, diese Diagnose stellt der Arzt, wie er ausdrücklich festhält, lediglich aufgrund „eigener Anamnese“ seiner Patientin.

Wie könnte es auch anders sein. Der angebliche Vorfall soll sich am 11.03.2020 ereignet haben. Laut Attest hat sich die Patientin aber erst am 15.07.2020 beim Arzt vorgestellt und ihm geschildert, sie wäre auf einem Parkplatz fast von einem Auto überrollt worden (absichtlich). Mit anderen Worten: Der Arzt unterstellt als richtig, was die Frau ihm sagt. Und sollte dies zutreffen, hält er Prellungen sowie eine Halswirbelversteifung für plausibel. Wer täte das nicht?

Schon durch die zeitliche Lücke wiederholen sich in dem Attest lediglich die eigenen Angaben der Anzeigeerstatterin. Also von wegen ärztliche Feststellungen. Hätte der Staatsanwalt auch selbst merken oder die Problematik zumindest kenntlich machen können, in diesem Normalnormalnormalfall. Hat er aber nicht, und deshalb klafft halt ab und an eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. In die passt dann auch mal ein Anwalt rein.