Es muss davon ausgegangen werden

Herr E. soll etwas angestellt haben. Sein Name und seine Adresse waren aber unbekannt – bis ihn eine Zeugin vor einem Internetcafé sah. Sie rief die Polizei. Ein Streifenwagen kam raus. Die Beamten notierten sich lediglich Herrn E.s Personalien und nahmen eine Kurzbeschreibung ins Einsatzprotokoll. Interessant ist hier folgender Satz:

Die Person hatte kurze, hochgestellte schwarze Haare.

Der zuständige Kommissar lud erst Herrn E. zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Einige Tage später bestellte er die Zeugin zu einer sogenannten Wahllichtbildervorlage. Er zeigte der Zeugin Fotos von 8 Männern. Die Nr. 7 war Herr E. Auf dem Foto, das aus der erkennungsdienstlichen Behandlung stammte, hatte er nur Stoppelhaare. Die Zeugin meinte ihn zu erkennen, merkte aber an, bei dem Vorfall habe E. “kurze Haare” gehabt.

Der Kommissar schrieb dazu in seinen Abschlussvermerk:

Als die Personalien des E. festgestellt wurden, hatte er nach Feststellung der eingesetzten Kollegen “kurze, hochgestellte schwarze Haare”. Es muss also davon ausgegangen werden, dass er sich die Haare auf dem Kopf abrasiert hat, um eine Wiedererkennung durch die Geschädigte zu erschweren.

Muss wirklich davon ausgegangen werden? Auch dem Polizisten dürfte nicht entgangen sein, dass der Vorfall selbst schon mehr als zwei Monate zurücklag, als Herr E. von sich Bilder machen lassen musste.

Liegt es nicht ebenso im Bereich des Möglichen, dass Herr E. schlicht und einfach beim Friseur war und sich die Haare so schneiden ließ, wie er sie sich immer schneiden lässt?

Selbst zwischen seiner Kontrolle vor dem Internetcafé und den Fotoaufnahmen im Polizeipräsidium lagen wiederum zwei Wochen. Und möglicherweise hatte er bei dem eigentlichen Vorfall ja etwas längere (wenn auch kurze) Haare, weil er sowieso wieder zum Friseur wollte.

Aber nein, es wird erst mal ohne jede Tatsachengrundlage unterstellt, dass Herr E. seine Identifizierung erschweren wollte. Nichts als Spekulation also, zumal der Beamte Herrn E. noch nicht mal gefragt hat, warum er mit einem Bundeswehrschnitt auf dem Präsidium erscheint. Dazu gäbe es durchaus Grund. Immerhin steht in den Vorladungen zur ED-Behandlung ja keine Warnung, dass einem unterstellt wird, man wolle die eigene Identifizierung erschweren, wenn man mit einer (leicht) anderen Frisur erscheint.

Wenn so eine Bewertung zu Papier gebracht ist, wird sie später natürlich auch gelesen und beeinflusst die Stimmung. Aber genau das ist es ja auch, was dieser Polizist will. Er beendet praktisch keine Ermittlung, ohne dass aus seinem Abschlussvermerk nicht irgendwelches Ressentiment gegen den Beschuldigten trieft.

Seriöse Arbeit sieht für mich anders aus.

Was man alles so auf Videos sehen kann…

Sehr schlau vom Angestellten eines Elektromarkts, Geldbörse und Handy in eine Schublade am Infoterminal zu legen – und diese Schublade auch noch offen stehen zu lassen. Eines Abends waren die Wertsachen weg, und die hauseigene Security checkte die Überwachungsvideos. Die spätere Auswertung durch die Polizei ergab dann den Verdacht, mein Mandant sei Mittäter oder Gehilfe des Diebstahls. Bemerkenswert an der Geschichte ist, wie sich der zuständige Krip-Beamte das alles gemeinsam mit Verkäufern des Elektromarktes zusammengereimt hat.

Der Angestellte sah auf dem Videoband, dass mein Mandant um 19:31 Uhr und 5 Sekunden den Elektromarkt betrat. Er erinnerte sich, dass mein Mandant schon mal am Nachmittag da gewesen war; er hatte einen Blue-Ray-Player gekauft. Fakt ist weiter, dass derjenige, der in die Schublade griff, um 19.30 Uhr und 36 Sekunden den Markt betrat. Das war etwa eine halbe Minute, bevor mein Mandant abends durch die Eingangsschleuse ging.

Um 19.33 Uhr und 31 Sekunden greift der Dieb in die Schublade. Er nimmt das Handy und die Geldbörse an sich und verlässt zügig den Laden. Nun haben die Kameras aber auch aufgezeichnet, dass mein Mandant in diesem Augenblick ungefähr zehn Meter weiter an einer Auslage steht. Dort spricht er mit dem einzigen Mitarbeiter, der um diese Uhrzeit in der Abteilung Dienst gehabt haben soll.

Die Polizei legte das nun so aus, dass mein Mandant den Dieb kennt und den “einzigen Zeugen” (so steht es in der Anzeige) ablenkte, damit die Tat nicht auffällt. Als unschlagbarer Beweis wird eine weitere Videosequenz herangezogen. In der geht mein Mandant an eben jenem Infoterminal vorbei. Wenn man viel Fantasie aufbringt, könnte man der Meinung sein, mein Mandant habe abends im Vorbeigehen in Richtung der offenen Schublade des Infoterminals geguckt. Ebenso fair muss man aber feststellen, dass der gerade Weg vom Eingang zu dem Regal, an dem mein Mandant mit dem Verkäufer sprach, an diesem Infoterminal vorbeigeht.

Dass mein Mandant keine redlichen Absichten hatte, leitet die Polizei übrigens aus dem Umstand her, dass er schon zum zweiten Mal an diesem Tag in den Markt gekommen ist. Da kann doch was nicht koscher sein – sagt zumindest die kriminalistische Erfahrung. War es aber wohl doch. Mein Mandant berichtet jedenfalls recht glaubwürdig, dem Player habe kein HDMI-Kabel beigelegen. Den Verkäufer, den er angeblich bewusst ablenkte, will er nur nach einem passenden Kabel gefragt haben.

Interessanterweise gibt es keine Sequenz, auf der mein Mandant und der Dieb nahe zusammen sind. Oder gar miteinander sprechen. Aber auch das irritierte den Polizeibeamten nicht. Denn er schreibt, der Verkäufer habe gesagt, er habe das Gefühl gehabt, dass sich die beiden kennen. Worauf dieser Eindruck beruhte, ist leider nicht festgehalten.

Womöglich hat sich der Beamte auch gedacht, er kann es ja mal versuchen. Von meinem Mandanten war nämlich Name und Adresse im System des Elektromarktes. Die Daten hatte er nachmittags angegeben, als er den Blu-Ray-Player kaufte. Vom eigentlichen Dieb gibt es dagegen nur das Video. Aber diese Person erkannte niemand.

Der einzige Anknüpfungspunkt waren also Name und Adresse meines Mandanten. In die Bilder wurde also enorm viel hineininterpretiert, was gar nicht zu sehen ist. Womöglich nur um meinen Mandanten mal auf gut Glück vorladen zu können. Die Freude, nun Beschuldigter zu sein, hätte also an sich jeden treffen können, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist – obwohl er selbst gar nichts Böses macht.

Positiv ist, dass der Staatsanwalt wohl ebenfalls keine Fakten sah, um einen Anfangsverdacht gegen meinen Mandanten zu hegen. Auf mein dreiseitiges Schreiben, in dem ich die Videoaufnahmen etwas anders als die Kripo interpretiere, stellte er die Sache “mangels Tatverdachts” ein.

Auf den Anwaltskosten bleibt mein Mandant allerdings sitzen. Insofern war das “Schnäppchen” in Form des Blu-Ray-Players am Ende doch keins.

Steuer-ID fördert Datenmissbrauch

Vier Jahre nach Einführung der Steueridentifikationsnummer kritisiert der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, dass die Steuer-ID zunehmend auch außerhalb der Steuerverwaltung genutzt wird.

Seine Befürchtungen hinsichtlich der zunehmenden Verwendung der Steuer-ID in den verschiedensten Lebensbereichen hätten sich leider bestätigt. Die Verwendung der Steuer-ID werde schleichend ausgeweitet.

Nicht nur Finanzbehörden, sondern auch Banken, Versicherungen und Krankenkassen verwenden mittlerweile die Steuer-ID. Wer heute ein Konto eröffnen will oder Elterngeld beantragt, muss dafür meist seine Steuer-ID angeben. Damit, so Schaar, droht die Steuer-ID durch die Hintertür zu einem allgemeinen Personenkennzeichen zu werden.

Genau das hatten die Verantwortlichen laut Schaar bei Einführung aber bestritten. Sie waren der Auffassung, die Steuer-ID werde lediglich von den Finanzbehörden verwendet. 

Durch die Steuer-ID wurden erstmals alle Bundesbürger in einer zentralen Datenbank dauerhaft erfasst. Schaar: “Durch die Erweiterung der unter der Steuer-ID gespeicherten Daten etwa um Angaben zur Religionszugehörigkeit oder zu Familienangehörigen hat der Staat einen umfangreichen zentralen Datenbestand geschaffen, der für verschiedene Stellen von Interesse ist.”

Schon diese Daten enthielten Informationen über Lebensumstände eines jeden Bürgers. Wenn zudem auch weitere Dateien über die Steuer-ID verknüpfbar würden, verstärke sich die Gefahr der Bildung aussagekräftiger Persönlichkeitsprofile. Dies sei besonders bedenklich, wenn es ohne Kenntnis der Betroffenen geschehe.

Keine Menschen zweiter Klasse

Der zu lebenslanger Haft verurteilte Kindermörder Magnus Gäfgen hat vom Land Hessen eine Entschädigung erstritten. Er erhält 3.000 Euro dafür, dass ihm Polizeibeamte “unvorstellbare Schmerzen” angedroht haben für den Fall, dass er nicht sagt, wo sich ein von ihm entführtes Kind befindet. Für die Drohung waren die Polizeibeamten bereits zu Geldstrafen auf Bewährung verurteilt worden.

Das Landgericht Frankfurt fand klare Worte zu dem Verhalten der Beamten. Es handele sich um eine schwerwiegende Rechtsverletzung, für die das Land einzustehen habe. Auch jemand, der so eine Tat wie Gäfgen begangen habe, habe Anspruch auf Achtung seiner Menschenwürde. Bei der Frage nach dem Schmerzensgeld sei es "gänzlich unerheblich und darf schlechthin nicht berücksichtigt werden, dass der Kläger zuvor eine Straftat begangen hat".

Allerdings blieb das Gericht weit unter der Forderung Gäfgens. Das ergibt sich aus der Verteilung der Verfahrenskosten. Gäfgen muss vier Fünftel tragen – er hat also in entsprechender Höhe “verloren”. Das lag wohl daran, dass ein Gutachter nicht bestätigen konnte, dass Gäfgens psychische Probleme auf der damaligen Folterdrohung beruhen.

Im Ergebnis stellt das Landgericht Frankfurt klar, es gibt keine Menschen zweiter Klasse. Grundrechte können nicht relativiert oder gar aberkannt werden. Weder der Staat noch die moralische Empörung einer (möglichen) Mehrheit der Bevölkerung kann daran etwas ändern.

Sie wollen nur dein Bestes

Um eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen, ist manchem Gericht kein Argument zu blöd. Das mit Abstand dösigste ist: Die Durchsuchung beim Beschuldigten wurde auch angeordnet, um möglicherweise entlastende Beweise zu finden. Seltsamerweise greifen Gerichte immer mal wieder zu diesem juristischen Taschenspielertrick.

Denn um nichts anderes handelt es sich. Das Grundrecht des Beschuldigten verletzen, in seiner Privatsphäre rumtrampeln – und das alles (auch) zu seinem vermeintlichen Wohl. Wer schon mal eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste, die als solche ja schon eine private oder berufliche Existenz gefährden kann, wird den Zynismus in dieser Begründungskette noch am eigenen Leibe spüren.

Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt erneut klargestellt, dass die Grundrechte eines Betroffenen nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen, um ihm vordergründig zu helfen. Ein Landgericht hatte die Hausdurchsuchung bei einem Rechtsanwalt damit verteidigt, man habe ja auch entlastendes Material finden wollen.

Die Verfassungsrichter erteilen dem “fürsorglichen Staat” die nötige Absage in einem Satz:

Das Auffinden etwaigen entlastenden Materials kann den Grundrechtseingriff – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht rechtfertigen, weil es dem Beschwerdeführer ohne weiteres möglich gewesen wäre, solches Material im Rahmen seiner Verteidigung selbständig vorzulegen.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5. Mai 2011, Aktenzeichen 2 BvR 1011/10

Richter mit sozialem Touch

Darauf muss man erst mal kommen. Das Amtsgericht Wetzlar hat auf bemerkenswerte Weise auf den Wunsch eines mutmaßlichen Temposünders reagiert, nicht in der Hauptverhandlung erscheinen zu müssen.

So einem Wunsch muss das Gericht stattgeben, wenn die Anwesenheit des Betroffenen nicht zur “Sachaufklärung” erforderlich ist. Der Autofahrer hatte vorher über seinen Anwalt erklären lassen, er sei der Fahrer gewesen. Ansonsten werde er in der Hauptverhandlung schweigen – was sein Recht ist. Normalerweise muss der Betroffene in so einer Konstellation von der Pflicht befreit werden, den ja oft sehr weiten Weg zum Gericht zu machen.

Das Amtsgericht Wetzlar dachte sich aber was anderes aus. Der Richter wollte nicht auf den Autofahrer verzichten, weil er ihm die Funktionsweise des Messgeräts erläutern und ihn über Sinn und Zweck von Geschwindigkeitsmessungen belehren wollte.

Das mag zwar ein ehrenwertes Anliegen sein. Oder auch oberlehrerhaft wirken. Auf jeden Fall hat der Richter damit eingeräumt, dass es ihm nicht um die Sachaufklärung geht. Das vorgesetzte Oberlandesgericht Frankfurt schulmeisterte nun wiederum den Amtsrichter. Es wies ihn nämlich darauf hin, dass auch er sich ans Gesetz zu halten hat – und keine Gründe erfinden darf, um den vermeintlichen Temposünder in seinen Gerichtssaal zu zwingen. Das geschah mit sehr deutlichen Worten:

Die Erzwingung der Anwesenheit des Betroffenen allein mit dem Ziel, diesen in der Hauptverhandlung schulmeisterhaft zu belehren, stellt sich aber nach Auffassung des Senats als Maßnahme dar, die auf einer unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben des § 73 Abs. 2 OWG völlig entfernenden Erwägung beruht und unter keinem Gesichtspunkt vertretbar erscheint.

Bei der neu angeordneten Verhandlung darf der Autofahrer dann wohl fernbleiben. Sie findet ohnehin vor einem anderen Richter statt.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 25. Juli 2011, Aktenzeichen 2 Ss-OWi 375/11

Und er ließ die Scherben fallen

Die Polizei ermittelte gegen meinen Mandanten. Es ging, so der Vorwurf, um versuchte Körperverletzung und Sachbeschädigung. Die Strafanzeige las sich etwas wie der Klausurtext für eine Anfängerübung im Jurastudium. Ich zitiere:

Zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten bestehen seit längerer Zeit nachbarschaftliche Streitigkeiten innerhalb einer Hausgemeinschaft. Diese gipfelten zunächst damit, dass der Beschuldigte nach Angabe der Geschädigten eine Handvoll Glasscherben nach ihr warf. Als diese auf ihrer Terrasse lagen, trat ein Hund der Geschädigten in die Scherben und verletzte sich an der Pfote.

Irgendwelche Ermittlungen ersparte sich die Polizei. Keine Feststellung auch zu der Frage, wie arg sich der Hund denn nun verletzt haben soll. Stattdessen lud die Kripo meinen Mandanten vor, um ihn als Beschuldigten zu vernehmen.

Er ist nicht hingegangen, wie ich ihm das geraten habe. Ich überlegte, ob wir überhaupt was schreiben sollen. Schließlich entschied ich mich aus reiner Vorsicht dafür, die ganze Geschichte zu erzählen. Das las sich dann so:

Herr J. hat sich nicht strafbar gemacht.

Der Sohn der Anzeigenerstatterin hatte im gemeinsam genutzten Garten eine Party gefeiert. Die dort anwesenden Jugendlichen hatten unter anderem Flaschen zerschlagen. Weder der Sohn noch die Anzeigenerstatterin selbst machten Anstalten, die Scherben aus dem Garten zu räumen. Mein Mandant forderte die Anzeigenerstatterin Tage nach der Party auf, die Scherben zu entfernen. Sie erklärte ihm, sie werde das erledigen. 

Trotzdem fand mein Mandant, der selbst Kinder und einen Hund hat, wenige Tage später weitere Scherben, die eindeutig Hinterlassenschaften der Party waren. Er hatte einige dieser Scherben in der Hand, als er die Anzeigenerstatterin im Garten fragte, wieso sie die Scherben nicht ordentlich aufgeräumt hat.

Die Anzeigenerstatterin sagte dazu, ihr Sohn sei jetzt 16, sie könne auf ihn keinen Einfluss nehmen, sie habe mit der ganzen Sache nichts zu tun. Hierauf erwiderte mein Mandant: „Was soll ich nun mit den Scherben machen?“ Die Anzeigenerstatterin sagte, das sei ihr egal.

Mein Mandant ließ daraufhin, für die Anzeigenerstatterin deutlich sichtbar, die von ihm selbst kurz zuvor im Garten aufgesammelten Scherben an eben dieser Stelle wieder auf den Boden fallen. Er dokumentierte hiermit, dass er der Anzeigenerstatterin nicht hinterherlaufen wird. Ein Hund der Anzeigenerstatterin war zu diesem Zeitpunkt nirgends im Garten zugegen.

Wahrscheinlich hat die Anzeigenerstatterin die Scherben dann tatsächlich nicht aufgehoben und sich, wie bisher auch, um nichts weiter gekümmert. Sofern sich dann ein Hund der Anzeigenerstatterin an Scherben verletzt haben sollte, fällt dies nicht in den Verantwortungsbereich meines Mandanten. Die Scherben stammten von dem Sohn der Anzeigenerstatterin und nicht von meinem Mandanten.

Der Anzeigenerstatterin war auch klar, dass die Scherben dort nun liegen werden. Sie hat gesehen, wie mein Mandant die Scherben fallen ließ. Wenn sie ihren Hund an der entsprechenden Stelle laufen lässt, ist das ihre Sache.

Mein Mandant streitet entschieden ab, Scherben in Richtung der Anzeigenerstatterin geworfen zu haben. Dies ist eine falsche Verdächtigung.

Ich nehme an, der Staatsanwalt hat es mir angerechnet, dass ich nicht noch zu komplexen Rechtsfragen Stellung genommen habe. Zum Beispiel, wo bei einem angeblichen Scherbenwurf in Richtung einer Frau, bei Abwesenheit eines Hundes, der Vorsatz für eine Sachbeschädigung (am Hund) herkommen soll.

Jedenfalls ist das Verfahren jetzt sang- und klanglos eingestellt worden. Die Justiz hat unter einer Akte weniger zu ächzen.

Wer zahlt für die “Arbeit” des Drogenhunds?

Wenn ein Auto erfolgreich auf Drogen untersucht wird, haftet die Polizei nicht für Schäden am Fahrzeug. Mit dieser Begründung wies das Landgericht Magdeburg die Klage einer Autobesitzerin zurück, deren Sohn bei einer Drogenfahrt erwischt wurde.

Der erwachsene Sohn war mit dem Auto zum Drogeneinkauf gefahren. Hiervon wusste seine Mutter nichts. Die Polizei hielt den Mann an und durchsuchte den Wagen. Der Polizeihund soll bei seiner Arbeit Lackkratzer verursacht und sonst noch so einiges kaputtgebissen haben. Insgesamt betrug der Schaden laut Halterin rund 4.000 Euro.

Allerdings war der Polizeihund auch erfolgreich. Er entdeckte nämlich Marihuana und einen geladenen Revolver.

Das Landgericht Magdeburg hielt der Mutter zwar zu Gute, dass sie von der Straftat ihres Sohnes nichts wusste. Allerdings sei die Durchsuchung als solche rechtmäßig gewesen. Deshalb müsse der Steuerzahler jedenfalls dann nicht für Schäden aufkommen, wenn sich ein Vergehen nachweisen lasse.

Das Landgericht merkt noch an, die Frau könne sich das Geld ja bei ihrem Sohn wiederholen. Dieser sei ihr schadensersatzpflichtig.

Das noch neue Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Betroffene ist gut beraten, erst mal die Urteilsgründe abzuwarten. Denn so lapidar, wie die bislang lediglich vorliegende Pressemitteilung der Justiz Sachsen-Anhalt das Problem abhandelt, ist die Rechtslage beileibe nicht.

Landgericht Magdeburg, Urteil vom 14. Juli 2011, Aktenzeichen 10 O 787/11

Hoffnung für Euroweb-Kunden

Hoffnung für gebeutelte Kunden der Firma Euroweb. Das Landgericht Düsseldorf geht zwar nach wie vor von einem wirksamen Vertrag über eine Internetpräsenz aus. Es bestätigt aber auch ein jederzeitiges Kündigungsrecht der Euroweb-Kunden. Euroweb darf nach der Entscheidung des Gerichts ab der Kündigung nur den entgangenen Gewinn geltend machen. Der Firma gelang es aber nicht, das Landgericht von seiner Kostenstruktur zu überzeugen. Am Ende verlor Euroweb den Prozess.

Der Beklagte, ein gewerblicher Händler, hatte die Vorgeschichte des Vertrages so geschildert, wie man es von Euroweb-Kunden schon oft gehört hat. Ihm sei eine hochwertige Homepage versprochen worden. Außerdem sollte er als “Referenzkunde” gewonnen werden, so dass nur  Hostingkosten anfallen.

Gelesen hatte der Firmeninhaber den Vertrag nicht – so stellt es das Landgericht Düsseldorf fest. Sonst hätte er wohl gemerkt, dass die auf ihn zukommenden Kosten etwas höher waren, als man das für reines Webhosting erwarten darf. Die Firma sollte neben einer Anschlussgebühr von 199 Euro noch mindestens drei Jahre lang monatlich 280 Euro netto zahlen.

Trotz der vom Beklagten behaupteten Umstände hält das Landgericht Düsseldorf den Vertrag für wirksam. Die Richter argumentieren altbekannt: Wer nicht liest, aber trotzdem unterschreibt, ist selbst schuld.

Im Anschluss an ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs bejaht das Landgericht Düsseldorf aber ein jederzeitiges Kündigungsrecht des Euroweb-Kunden. Auch für die Zeit nach der Kündigung steht Euroweb das vereinbarte Entgelt zu. Aber das ist nur der Grundsatz. Denn Euroweb muss sich den Kostenvorteil dafür anrechnen lassen, dass der Kunde nicht mehr betreut werden muss. Juristen nennen das “ersparte Aufwendungen”. Um diese zu ermitteln, muss der Anbieter im Prinzip seine gesamte Kostenstruktur aufschlüsseln.

Das hat Euroweb vor dem Landgericht Düsseldorf auch versucht. Die Firma lieferte jede Menge Zahlen. So bezifferte sie die “Vertriebskosten” auf 1980 Euro. Das dürfte in etwa der Betrag sein, den der Euroweb-Vertreter als Provision erhält. Eine stattliche Summe, die auch ein wenig erklärt, wieso Euroweb-Außendienstler als hartnäckig gelten.

Das Webdesign habe 1874 Euro gekostet, hinzu kommen Kleckerbeträge fürs Einrichten, Registrieren und die Verwaltung der Domain.

Das Landgericht Düsseldorf nimmt die Zahlen zwar zur Kenntnis, kann aber wenig mit ihnen anfangen. Euroweb habe nicht ausreichend erklärt, aus welchen tatsächlichen Kostenpositionen sich die einzelnen Beträge zusammensetzen. Die Richter fordern eine konkrete und im Detail nachvollziehbare Kostenaufstellung für den Einzelfall. Eurowebs pauschale Zahlen akzeptierten sie deshalb nicht.

Wenn die Entscheidung Schule macht, wird Euroweb künftig also detailliert darlegen und beweisen müssen, was die eigenen Vertragsleistungen tatsächlich kosten. Für neuere Verträge könnte sich die Firma auch auf eine Gesetzesänderung stützen. Nach dieser kann der Anbieter fünf Prozent seines Honorars pauschal geltend machen, wenn er seine Kosten im einzelnen nicht darlegen kann oder will.

Unzufriedene Euroweb-Kunden wären aber wahrscheinlich sehr glücklich, wenn sie mit einer Abstandszahlung von einem Zwanzigstel der vereinbarten Kosten davonkämen.

Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 28. Juli 2011, Aktenzeichen 7 O 311/10

S21: die manipulierte Jugend

Auf Facebook gibt es einen Aufruf zu einer “Schüler- und Jugendblockade” gegen die Bauarbeiten am Stuttgarter Bahnhof. Am 2. August sollen die Arbeiten am Grundwassermanagement verhindert werden. Die Polizei wertet das als öffentliche Aufforderung zu Straftaten und will, so berichtet die Stuttgarter Zeitung, gegen die Verantwortlichen ermitteln. Gleichzeitig warnt sie Schüler und Jugendliche, dem Aufruf zu folgen und droht ihnen ebenfalls mit Platzverweisen und Ermittlungsverfahren.

Der Stuttgarter Polizeipräsident Thomas Züfle bewertet den Aufruf mit bemerkenswerten Worten. “Alle Verantwortungsbewussten innerhalb des Widerstands gegen Stuttgart 21 müssen sich von diesem Vorhaben distanzieren“, sagte er. Er hält es für unverantwortlich, Kinder und Jugendliche zur Blockade der Baustelle am Grundwassermanagement (GWM) aufzurufen und sie damit für andere Interessen zu instrumentalisieren.

Mir ist nicht ganz klar, was der Polizeipräsident mit “anderen Interessen” meint. Seine Äußerung klingt jedenfalls so, als halte er es grundsätzlich für ausgeschlossen, dass junge Menschen eigene Interessen haben könnten und dafür demonstrieren dürfen.

Das Grundgesetz garantiert allen Deutschen Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Im Grundrecht steht nichts davon, dass es erst ab 18 Jahren gilt. Es gibt auch niemanden, der ernsthaft behauptet, Kinder und Jugendliche dürften nicht für ihre politischen Überzeugungen öffentlich eintreten. Es ist also schon eine ziemliche Irreführung, wenn der Polizeipräsident den möglichen Teilnehmern pauschal unterstellt, sie seien fremdgesteuert. (Wobei es natürlich ebenso fragwürdig ist, wenn Kinder und Jugendliche tatsächlich fremdgesteuert werden. Was ich durchaus für möglich halte. )

Offenbar ist der Stuttgarter Polizei auch nicht bekannt, dass Sitzblockaden durchaus ein legitimes Mittel in der politischen Auseinandersetzung sein können. Das Bundesverfassungsgericht hat das im Jahr 1995 ausdrücklich festgestellt; es hat den  Automatismus Blockade = strafbare Nötigung verworfen. Es kommt immer auf den Einzelfall an, nämlich auf die Intention der Blockierer, den Grad der Beeinträchtigung durch die Blockade und etwa die Bereitschaft, sich ohne Gegenwehr von Polizeikräften wegtragen zu lassen. Es ist zwar möglich, dass Teilnehmer der Sitzblockade sich wegen Nötigung strafbar machen. Es steht aber keineswegs fest.

Dementsprechend ist es auch nicht ausgemacht, dass die Veranstalter tatsächlich öffentlich zu Straftaten aufrufen. Daran ändert auch der Hinweis auf das Versammlungsrecht nichts. Eine Sitzblockade fällt zwar unter das Versammlungsgesetz. Allerdings liegt es in der Natur des Vorhabens, dass die formal vorgeschriebene Anmeldung der Veranstaltung wenig Sinn macht – die Sitzblockade würde daraufhin ja ohnehin verboten. Der Verstoß gegen die Pflicht zur Anmeldung einer Demonstration/Sitzblockade mag vielleicht selbst eine Ordnungswidrigkeit oder gar eine Straftat sein, aber zu diesem Delikt rufen die Verantwortlichen ja gar nicht auf; sie verwirklichen es nur möglicherweise.

Alles in allem argumentiert der Polizeipräsident also sehr einseitig. Ob das bewusst geschieht oder er nur die Sach- und Rechtslage grob fahrlässig in seinem eigenen Interesse hinbiegt – ich weiß es nicht. 

Leben gegen Eigentum

Ende letzten Jahres hat ein 77-jähriger Renter in Sittensen einen jungen Mann von hinten erschossen. Der Getroffene war Mitglied einer Bande, die in das Haus des Senioren eingebrochen war. Die Einbrecher hatten den Hausbesitzer vor dem tödlichen Schuss bedrängt und ausgeraubt.

Die Staatsanwälte in Stade mussten entscheiden, ob sie den Rentner wegen Totschlags anklagen. Sie entschieden sich nun dagegen. Der Mann habe in Notwehr gehandelt, erklärte heute die Staatsanwaltschaft. "Er hat sein Eigentum verteidigt", wird ein Sprecher der Behörde in der Presse zitiert.

Das klingt zunächst nach einer höchst fragwürdigen Lösung. Der Entschluss, den 77-Jährigen nicht zu verfolgen, ist jedoch mit dem deutschen Notwehrrecht vereinbar. Jeder darf einen rechtswidrigen Angriff auf sein Eigentum abwehren – notfalls auch mit tödlicher Gewalt. Ausnahmen gibt es nur, wenn die Täter Kinder oder Jugendliche sind. Oder es sich um absolute Bagatellwerte handelt. In der Geldbörse des Sittenser Rentners sollen immerhin 2.000 Euro gewesen sein.

Aber war der Täter nicht bereits auf der Flucht? Kann man da überhaupt noch von einem Angriff sprechen? Das ist eine Auslegungssache, wie immer unter Juristen.

Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass der Angriff im Sinne des Gesetzes sich nicht notwendigerweise gegen eine Person richtet, sondern gegen ein Rechtsgut – hier das Eigentum des Rentners.

Nach überwiegender Meinung findet ein Angriff statt, wenn die Bedrohung des Rechtsgutes unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert. Der letzte Punkt dürfte für die Entscheidung der Staatsanwaltschaft maßgeblich gewesen sein. Die Täter hatten ihre Beute noch nicht in Sicherheit gebracht, so dass das Eigentum des Hausbesitzers nach wie vor nur bedroht war. Der Angriff auf das Rechtsgut Eigentum dauerte also noch an.

Anders wäre es gewesen, wenn den Einbrechern die Flucht geglückt wäre und der Rentner sie erst später irgendwo gestellt hätte. Dann hätte der ursprüngliche Angriff auf das Eigentum nicht mehr “angedauert”, sondern wäre schon beendet gewesen. Derselbe Schuss wäre dann sehr wahrscheinlich als Totschlag bestraft worden.

Natürlich kann man fragen, ob es zeitgemäß ist, dass unser Notwehrrecht eines der wenigen Rechtsinstitute ist, bei denen das Abwehrmittel nicht auf Verhältnismäßigkeit geprüft wird. Dass also in krassen Fällen Leben genommen wird, um Eigentum zu verteidigen. Es ist aber momentan so. Deshalb ist die Entscheidung, den Rentner laufen zu lassen, jedenfalls nicht falsch. Auch wenn sie, wie ich meine, in die falsche Richtung ermutigt – nämlich zu Selbstjustiz.

Zwecks Bearbeitung zugefaxt

Bei der Recherche für sein Blog, wie man es in Nordrhein-Westfalen mit einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten hält, wandte sich Peter Peter Piksa auch an Theo Kruse. Kruse ist innenpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Abseits von der Sache machte Piksa eine epische Erfahrung, als er mangels Antwort auf seine Mail in Kruses Büro nachfragte:

Einen oder zwei Tage später sprach ich dann mit seiner Sekretärin, die mich darüber informierte, daß sie Herr Kruses Mails verwaltet. Von meiner Anfrage wusste Sie bisher nichts, doch es gelang dann schließlich doch noch diese im Postfach des Herrn Kruse zu finden – nach inzwischen dürften es sieben oder acht Tage gewesen sein, wohlgemerkt. Die freundliche Dame versicherte mir, meine Mail auszudrucken und Herrn Kruse zwecks Bearbeitung zuzufaxen.

Die Antworten der Parteien als solche sind aber auch interessant. Zu Peter Piksas Blog.