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Justizminister fordern neuen Namen für den „Palandt“

»Es ist dem Tatrichter unbenommen, sich schon vor der Hauptverhandlung durch die Fertigung eines Urteilsentwurfs (…) auf die Hauptverhandlung vorzubereiten.«

Bundeswehr: Das „Großgerät“ steht überwiegend nur rum

USA: James „Whitey Bulger“ stirbt im Gefängnis eines unnatürlichen Todes

Stadtbücherei in New York verleiht Taschen und Krawatten für Vorstellungsgespräche

Der wahre Dracula

Professorin verbummelt Leihfrist für Bücher

Weil sie die Leihfrist für 50 Bücher in einer Unibibliothek überzogen hat, soll eine Professorin aus Nordrhein-Westfalen insgesamt 2.250 Euro Verspätungsgebühren zahlen. Das war ihr deutlich zu viel Geld, deswegen zog sie gegen den Gebührenbescheid der Hochschule Niederrhein vor Gericht.

Man könnte jetzt vermuten, die Wissenschaftlerin beruft sich auf wichtige Gründe, warum sie die Bücher unverschuldet länger behielt. Zum Beispiel eine Erkrankung oder einen anderen plausiblen Notfall. Beides gab es aber anscheinend nicht, so dass die Professorin juristisch argumentierte. Sie fühle sich in ihrer Freiheit auf Forschung und Lehre eingeschränkt.

Dieses Argument zog allerdings vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf nicht. Die Forschungsfreiheit beinhalte eine Pflicht der Universität, ihr die für Forschung und Lehre benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen. Dieser Anspruch berechtige sie aber nicht dazu, die Leihfristen eigenmächtig zu verlängern – zumal wohl eine Verlängerung möglich gewesen wäre.

Etwas mehr Aussicht auf Erfolg hätte ich dem zweiten Argumentationsstrang zugetraut. Die Professorin machte geltend, die Säumnisgebühren von 20 Euro und eine Verwaltungsgebühr von 25 Euro je Buch seien unverhältnismäßig. Aber auch solche happigen Tarife sind bei einer Überschreitung von mehr als 30 Tagen noch in Ordnung, befand das Gericht.

Gegen das Urteil kann die Wissenschaftlerin die Zulassung der Berufung beantragen (Aktenzeichen 15 K 1130/16).

Zum Schweigen gebracht

Heute hat der Mordprozess gegen den Krankenpfleger Nils H. begonnen. Dem bereits wegen mehrfachen Mordes verurteilten Mann werden weitere 100 Taten zur Last gelegt – mutmaßlich die größte Mordserie in der bundesdeutschen Geschichte.

Ebenso ungewöhnlich wie sich der Fall gestaltet, so startete auch das Verfahren. Jedenfalls in einem Detail. Wie zum Beispiel der NDR berichtet, ordnete der Vorsitzende Richter zunächst eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer an.

Da habe ich schon ziemlich gestutzt.

Fest steht zunächst: Die Strafprozessordnung kennt viele mögliche Verfahrenshandlungen, eine Schweigeminute jedoch nicht. Das liegt offenkundig am eigentlichen Ziel des Strafverfahrens, nämlich Verantwortung und Schuld des Angeklagten herauszufinden. Damit steht der Angeklagte als Subjekt des Verfahrens im Vordergrund. Es geht in erster Linie um ihn und die ihm vorgeworfene Tat. Was man übrigens schon daran sieht, dass ein Strafprozess sofort endet, wenn der Angeklagte stirbt.

Ein sicher enger „Fahrplan“, aber dieser hat einen guten Grund. Offenkundig ist zunächst die Gefahr einer Emotionalisierung des Verfahrens durch eine vorgeschaltete Schweigeminute. Wenn Richter Trauer und Mitgefühl empfinden, ist das zwar eine menschlich nachvollziehbare Regung. Nur ist der Gerichtssaal hierfür doch eher der falsche Ort. Denn am Ende soll ein objektives Urteil im Namen des Volkes stehen.

Abgesehen davon, dass sich beim Angeklagten ein gewisser Eindruck der Voreingenommenheit auf Seiten der Richter aufdrängen könnte, stellt sich mir als Anwalt aber doch eher noch drängender die Frage, wieso und warum das Gericht hier andere Verfahrensbeteiligte mit einbezieht.

Wie soll man sich zum Beispiel als Verteidiger des Angeklagten dazu stellen, wenn einem durch Teilnahme an der Schweigeminute indirekt ein Bekenntnis menschlicher Regungen abgefordert wird, die man mit Blick auf die eigene Rolle als Interessenvertreter des Angeklagten vielleicht nicht kommunizieren möchte – schon gar nicht in großer Öffentlichkeit. Was bleibt einem Verteidiger, der an dieser Stelle nicht trauern möchte, für eine Option? Rausgehen? Nicht schweigen? Mit anderen Worten: einen Eklat provozieren?

Ohnehin ist es zumindest fraglich, ob dem Vorsitzenden in dem streng formalisierten Strafverfahren überhaupt die Kompetenz zukommt, um eine Schweigeminute zu „bitten“. Anknüpfungspunkt dafür kann höchstens die Sitzungsleitung des Vorsitzenden sein. Auch die Befugnis zur Leitung der Sitzung erfasst aber erst mal nur den nach der Strafprozessordnung vorgesehenen Ablauf des Verfahrens und die Sicherung dieses Verfahrens (zum Beispiel die Entfernung von Störern).

Ich habe persönlich noch keine Schweigeminute im Vorfeld eines Strafprozesses miterlebt. Google verrät hierzu auch nur einen Präzedenzfall. Im Prozess um das ICE-Unglück in Eschede gab es ebenfalls eine Schweigeminute. Dort war die Ausgangssituation aber eine ganz andere. Den Angeklagten wurden Fahrlässigkeitsdelikte zur Last gelegt.

Ob das Gericht insgesamt mit so einer Schweigeminute die Besorgnis der Befangenheit provoziert, ist eine spannende Frage. Nach meiner Meinung kommt es wohl darauf an, wie das Gericht vorgeht. War die Schweigeminute mit der Verteidigung abgesprochen, kein Problem. Kam das Ganze überraschend, sieht es schon ganz anders aus. Gleiches gilt natürlich für den Fall, dass das Gericht auf einer Schweigeminute besteht, obwohl die Verteidigung hieran nicht mitwirken möchte.

Womöglich müssen Strafverteidiger sich nach dem heutigen Tag also auf ganz neue Situationen vor dem eigentlichen Beginn der Hauptverhandlung einstellen. Ich persönlich wage aber die Prognose, dass die weitaus meisten Richter sich an Oldenburg kein Vorbild nehmen und eine Emotionalisierung des Verfahrens auch künftig eher vermeiden werden.

„… muss ich Ihnen mitteilen“

Heute zitiere ich mal die Antwort, die mir eine hessische Polizeidienststelle auf ein Akteneinsichtsgesuch geschickt hat:

Zu Ihrem Schreiben vom 26.10.2018 muss ich Ihnen mitteilen, dass die Ermittlungen derzeit noch andauern und dass die Polizei bei laufenden Ermittlungen keine Akteneinsicht gewährt.

Ihr Schreiben wird dem Vorgang beigefügt und nach Abschluss der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Wiesbaden übersandt.

Keine Ahnung, ob der Beamte so tatsächlich erfolgreich Anwälte abbügelt. Bei mir wird ihm das nicht gelingen. Denn was er da schreibt, geht an der Sache doch etwas mehr als haarscharf vorbei.

Richtig ist zunächst, dass die Polizei selbst keine Akteneinsicht gewährt. Aber das verlange ich ja auch gar nicht. Vielmehr schreibe ich in meine Anträge an die Polizei immer rein, dass ich die Akteneinsicht gegenüber der Staatsanwaltschaft beantrage und darum bitte, mein Schreiben zeitnah an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Und zwar, damit diese über mein Akteneinsichtsgesuch entscheiden kann.

Die Staatsanwaltschaft ist zu jedem Zeitpunkt „Herrin“ des Ermittlungsverfahrens, nicht die Polizei. Das heißt, wenn ich einen strafprozessualen Antrag an die Polizei schicke (zum Beispiel einen Antrag auf Akteneinsicht), dann muss die Polizei diesen Antrag an die Staatsanwaltschaft weiterleiten.

Weiter erweckt das Schreiben den Eindruck, solange die Polizei ermittele, gebe es schon mal grundsätzlich keine Akteneinsicht. Den „Abschluss der Ermittlungen“ legt aber gar nicht die Polizei fest, sondern die Staatsanwaltschaft. Der Abschluss der Ermittlungen ist nach der Strafprozessordnung der Zeitpunkt, ab welchem dem Verteidiger eine Akteneinsicht nicht mehr verwehrt werden kann. Mit der Frage, wie lange sich die Ermittlungsakte bei der Polizei befindet, hat das rein gar nichts zu tun.

Aber auch vor Abschluss der Ermittlungen muss Akteneinsicht gewährt werden. Das ist der Regelfall. Von diesem gibt es allerdings Ausnahmen. Die wichtigste ist, dass die Akteneinsicht den Erfolg der Ermittlungen gefährden kann. Um das prüfen zu können, muss sich der Staatsanwalt aber schon vorher mit meinem Antrag beschäftigen, selbst wenn sich die Akte offiziell noch zu Ermittlungen bei der Polizei befindet. Es besteht die Möglichkeit, dass der Staatsanwalt nach dieser Prüfung die Akte nicht herausrückt. Aber das alles gibt dem Polizeibeamten halt nicht das Recht, die Entscheidung über den Antrag durch die zuständige Stelle erst mal dadurch zu vereiteln, indem er ihn schlicht zurückhält. Oder indem er sogar so tut, als entscheide momentan er und nicht der Staatsanwalt.

Die Polizei ist in dem Teil des Spiels kein Akteur, sondern allenfalls Bote. Ich kann nachvollziehen, dass diese Rolle dem Selbstbild manches Kommissars nicht genügt, aber so ist es nun mal.

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Missbrauch in der Kirche: Strafrechtsprofessoren erstatten Strafanzeige

Gesetzentwurf: Schon 6-jährige Flüchtlingskinder sollen Fingerabdrücke abgeben

Menschenrechte gelten auch für einen Cosa-Nostra-Boss

Geburtstagsgruß an Hitler kostet Beamten auf Probe den Job

„Ende Gelände“: Kontrollstelle am Dürener Hauptbahnhof war rechtmäßig

Wen soll ein autonomes Auto im Zweifel überfahren?

EGMR: Gleichsetzung des Propheten Mohammed mit einem Pädophilen kann strafbar sein

Vor 80 Jahren nahm der „Volkszorn“ seinen Lauf

Beweismittel: „vergleichsweise dickes Gesäß“

Es geht um den Diebstahl und anschließenden Missbrauch einer Bankkarte. Einziges Beweismittel sind Videoaufnahmen aus der Bankfiliale, wo die Karte nach dem Diebstahl verwendet wurde. Darauf sieht man einen Mann in einem Trainingsanzug, etwa 1,75 Meter groß, nach meiner Meinung stinknormale Statur. Eine Baseball-Cap hat er so tief ins Gesicht gezogen, dass dieses nicht erkennbar ist. Die Turnschuhe, die der Mann trägt, sind von der Stange.

Die Frau, der die Scheckkarte abhanden gekommen ist, schaut sich bei der Polizei das Video aus der Bankfiliale an. Dann benennt sie einen Mann aus der Nachbarschaft. Der komme für sie in Frage, weil er, so habe sie gehört, schon öfter mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei. Im Protokoll steht, sie sei sich sogar „relativ sicher hinsichtlich der Identifizierung“. Die konkrete Kleidung habe sie zwar noch nie bei dem Nachbarn gesehen. Aber auch der trage gern Trainingsanzüge, jetzt mal so generell.

Im Ergebnis erkenne sie ihn aber, denn der Mann auf dem Video und der Nachbar hätten „ein vergleichsweise dickes Gesäß“. Tja, das nenne ich mal eine solide Beweissituation. Ich traue mich fast nicht zu sagen, dass die Polizei tatsächlich einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss gekriegt und vollstreckt hat. Auch wenn bei meinem Mandanten rein gar nichts Belastendes gefunden wurde, mache ich mir jetzt doch etwas Sorgen, dass es eng werden könnte, wenn es – wie soll ich es anders nennen – vor Gericht zum großen Arschvergleich kommen sollte.

Straftäter dürfen Bitcoins nicht behalten

Bitcoins sind auch nur ein wirtschaftlicher Wert wie so gut wie alles andere auch – so zumindest nach Auffassung des Bundesgerichtshofs. Und da diese Meinung zählt, ist nun auch höchstrichterlich klargestellt, dass Bitcoins im Strafprozess ebenso einkassiert werden können wie andere wirtschaftliche Werte, etwa Autos, Aktien oder Uhren.

In dem entschiedenen Fall ging es um Bitcoins im Wert von über 400.000 Euro. Die Angeklagten hatte die Bitcoins geschürft, indem sie über Botnetze fremde Computer kaperten und diese als Rechensklaven zum Bitcoin-Mining einsetzten. Das ist unter anderem eine strafbare Datenveränderung (§ 303a StGB). Gegen die Beschlagnahme ihres Erlöses hatten sich die Angeklagten eben mit dem Hinweis gewehrt, dass Bitcoins weder Sachen noch Rechte seien und somit nicht von den gesetzlichen Vorschriften erfasst würden.

Diese Argumentation hatte, wenig überraschend, keinen Erfolg. Die Richter sehen überhaupt keinen Grund, Bitcoin anders zu behandeln als sonstige Vermögenswerte. Auch der Einwand, dass die Behörden ohne Kenntnis des privaten Schlüssels nicht auf die Wallets der Angeklagten zugreifen könnten, ändert hieran nichts. Das sei eine reine Vollstreckungsfrage, so das Gericht. Dass der Zugriff möglicherweise nicht gelingen werde, ändere nichts daran, dass die Beschlagnahme rechtmäßig war und die Bitcoins dem Staat zustehen (Aktenzeichen 1 StR 412/16).

Einfühlende Zeugenmassagen

Spiegel Online bringt heute einen interessanten Artikel über Cold Cases. Das sind bislang ungeklärte Fälle, die nach Jahren oder sogar Jahrzehnten wieder aufgerollt werden. Anlass ist ein Cold Case aus Hamburg, in dem die (neuen) Ermittler wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen sind.

38 Jahre nach der Tat haben sie offenkundig den Falschen auf die Anklagebank gebracht. Es ging um einen versuchten Mord an einer damals 16-Jährigen. Das Landgericht Hamburg sprach den Angeklagten, auf den Ermittler erst 2018 stießen, jetzt frei, und die Richterin fand deutliche Worte in Richtung der Polizei: „Hätten wir zu Beginn gewusst, was wir heute wissen, hätten wir das Verfahren gar nicht eröffnet.“ Das Opfer, der Angeklagte und auch ein wichtiger Zeuge seien, so zitiert der Bericht die Richterin, „höchst suggestiv“ befragt und „gegebenenfalls sogar getäuscht“ worden.

So seien dem Opfer Bilder vorgelegt worden mit der Aussage, der Täter sei auf jeden Fall auf mindestens einem Foto zu sehen, er müsse nur noch überführt werden. Außerdem sollen dem Opfer Jugendfotos des Angeklagten gezeigt worden sein. Die Vergleichsbilder zeigten dagegen junge Männer in moderner Kleidung. Der Hauptbelastungszeuge soll seine Aussage im Laufe der Vernehmung um 180 Grad geändert haben – unter anderem, nachdem ihm von einer Belohnung berichtet wurde.

Die Aufzählung der Polizeifehler in diesem Fall finde ich sehr aufschlussreich. Denn es handelt sich keineswegs um Probleme, die nur in Cold Cases auftreten. Fehlerhafte Lichtbildvorlagen, einfühlende Zeugenmassagen, aktive Täuschung und andere Tricks sind vielmehr potenzielles Thema in jedem Strafprozess. Um so wichtiger, dass Richter auch die Polizeiarbeit kritisch würdigen, so wie dies nun in Hamburg geschehen ist.

Ein schlafender Anwalt ist kein Anwalt

Die Anklageschrift in einem Koblenzer Mammutprozess umfasst 926 Seiten. Da gerade die Verteidiger die Anklageschrift schon vor ihrer Verlesung zum Prozessauftakt zur Genüge kennen bzw. jedenfalls kennen sollten, kann das Zuhören bei so einem Umfang schon zu einer Qual werden.

Gut, niemand kann den Anwalt in dieser Situation daran hindern, seine E-Mails abzuarbeiten oder sonst Dinge zu tun, die man mit Handy/Tablet/Notebook halt so machen kann. Ein Kollege in dem erwähnten Prozess wählte aber eine andere Exitstrategie, wie man dem druckfrischen Bericht der Koblenzer Verteidigerin Kerstin Rueber-Unkelbach entnehmen kann.

Der Anwalt döste bei Verlesung der Anklageschrift weg. Geholfen hat’s weder ihm noch den anderen zahlreichen Verteidigern in dem Großverfahren. Die geistige Abwesenheit wurde bemerkt und das Gericht ordnete wohlweislich an, dass alles, was der Anwalt verpasst haben könnte, noch mal vorgelesen werden muss. Das geht auch nicht anders, denn ein Angeklagter, dessen Verteidiger in einem Verfahren vor dem Landgericht schläft, gilt als nicht verteidigt. Das aber wäre ein Revisionsgrund.

Ob dem betroffenen Kollegen mit einem Käffchen oder einem anderen Wachmacher weitergeholfen wurde, wäre natürlich auch eine interessante Frage.

Social-Media-Team der Polizei darf Demonstranten nicht filmen

Wenn die Polizei auf Demos fotografiert und filmt, freut das Demonstranten in der Regel nicht. Es ist nämlich unklar, wo die Bilder abgespeichert und für welchen Zweck sie verwendet werden. Deshalb bedarf die Polizei regelmäßig eines vernünftigen und rechtlich belastbaren Grundes, um Demonstranten abzulichten. In der Regel ist das die konkrete Gefahr von Straftaten. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen musste jetzt die Frage beantworten, ob für ein „Social-Media-Team“ der Polizei andere Regeln gelten.

„Am Puls der Zeit“ wolle sie informieren, argumentierte die Essener Polizei vor Gericht. Deshalb hätten Beamte des Social-Media-Teams Aufnahmen bei einer Demo gemacht – nur um sie für die Öffentlichkeitsarbeit auf Facebook, Twitter & Co. zu verwenden. Dagegen klagten Demonstranten. Ihnen war es egal, warum die Polizei sie filmt.

Das Verwaltungsgericht positioniert sich recht klar. Fotografierende Beamte könnten einschüchternd wirken und Demonstranten von der Ausübung ihres Grundrechts abhalten. „Als Demonstrant kann ich nicht wissen, ob mich der Uniformierte nur unscharf fotografiert oder ob er mit einem Teleobjektiv ganz nah ran geht“, berichtet die Welt über den Prozess.

Es dürfe gar nicht der Eindruck staatlicher Überwachung entstehen. Deshalb erklärte das Gericht die Filmaufnahmen für rechtswidrig. Die Polizei Essen soll jetzt angekündigt haben, die betreffenden Mitarbeiter würden künftig gelbe Warnwesten mit der Aufschrift „Social Media Team“ tragen.

Ob das an der Grundsituation etwas ändert, würde ich stark bezweifeln. Der Deutsche Journalisten-Verband begrüßte die Entscheidung. Das Urteil stelle die Rollenverteilung klar. Es sei gar nicht Aufgabe der Polizei, die „Berichterstattung“ zu übernehmen.

Der Homie von der Bullerei

Die Berliner Polizei hat vor einigen Tagen ein Youtube-Video veröffentlicht. Ich verstehe nicht so ganz, ob es jetzt in erster Linie um Imagepflege in eigener Sache geht. Oder um ein (weiteres) Bekenntnis gegen Fremdenfeindlichkeit, also an sich um eine Selbstverständlichkeit bei der Polizei. Oder vielleicht ist das Ziel ja ein Ehrenplatz im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler. Falls letzteres der Fall ist, dieser Plan geht garantiert auf.

Aber seht selbst:

Weil das Video völlig überraschend im Netz doch eher nur verhaltene Zustimmung erfährt, stilisiert sich die Berliner Polizei jetzt sogar als Opfer von „Hass“. In einem Twitter-Beitrag heißt es:

Mal in aller Deutlichkeit: Wer schweigt, der stimmt gar nichts zu.

Dieser ganze verkorkste Pathos in dem Video und die nun auch noch zur Schau getragene Weinerlichkeit sind vielmehr an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Ich jedenfalls wünsche mir eine Polizei, die in jeder Situation und unabhängig von der Herkunft der Beteiligten ihre Arbeit ruhig, sachlich und vorurteilsfrei macht. Wenn das geschieht, muss man sich auch an nix und niemanden so ranzwanzen wie insbesondere der sonnenbebrillte „Homie“ in Uniform. Für mich bislang unangefochten die Witzfigur des Monats.

„Sind Sie gefahren?“

Gerade bei Straßenverkehrsdelikten, sind sehr viele, ach was, die allermeisten Polizeibeamten der Meinung, dass sie bei möglichen Beteiligten zunächst mal etwas durchführen dürfen, was man „informatorische Befragung“ nennt. Dabei handelt es sich um nichts anderes als das Herauskitzeln der notwendigen Informationen, die für die spätere Überführung des Täters erforderlich sind („Sind Sie gefahren?“).

Die vom Gesetz vorgeschriebene Belehrung des Betroffenen über sein Schweigerecht findet dann gerne später statt – wenn überhaupt. Etwa nach der Atemalkoholmessung, wie in einem Fall, den das Oberlandesgericht Bamberg nun entschieden hat. Dabei ging es um eine mögliche Trunkenheitsfahrt. Die Polizei war schon vor dem betroffenen Autofahrer an dessen Wohnung, und seine Ehefrau hatte ihn schon glaubhaft als Fahrer des Autos ins Spiel gebracht.

In dieser Situation plauderten die Polizisten jedoch erst mal mehr oder weniger locker mit dem Mann, der dann auch im Kern auch zugab, mit dem Wagen gefahren zu sein (obwohl er nicht in oder an seinem Auto angetroffen wurde). Das Oberlandesgericht Bamberg findet dazu klare Worte:

Zwar begründet nicht jeder unbestimmte Tatverdacht bereits die Betroffeneneigenschaft mit der Folge einer entsprechenden Belehrungspflicht. Vielmehr kommt es auf die Stärke des Verdachts an. Es obliegt der Verfolgungsbehörde, nach pflichtgemäßer Beurteilung darüber zu befinden, ob sich dieser bereits so verdichtet hat, dass die vernommene Person ernstlich als Täter oder Beteiligter der untersuchten Tat in Betracht kommt.

Hier hatte sich der Tatverdacht aber – auch weil der Betroffene nach Alkohol roch – schon so stark verdichtet, dass mit der Belehrung nicht mehr getrödelt werden durfte. Besonders erfreulich ist an der Entscheidung, dass das Gericht nicht nur einen Regelverstoß der Beamten bejaht, sondern auch juristische Konsequenzen zieht. In Form eines Verwertungsverbotes, das im deutschen Recht ja leider nicht zwingend ist.

Selbst wenn sich ein Betroffener also mangels ordnungsgemäßer Belehrung selbst um Kopf und Kragen geredet hat, gibt es immer noch eine Chance. Mit der sehr nachvollziehbaren Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg sind die Chancen noch ein wenig mehr gestiegen.

Link zum Beschluss

Die Ausnahme von der Ausnahme der Ausnahme

Seit einiger Zeit gilt ja ein weiter gefasstes Handyverbot am Steuer. Tatsächlich geht der neue § 23 StVO weit über das ursprüngliche Handyverbot hinaus. Mittlerweile sind auch Navigationsgeräte, Tablets (die Vorschrift nennt sie liebevoll „Flachrechner“), Audioplayer und eigentlich so gut wie alles mit Elektronik drin am Steuer verboten, wenn es ablenken kann. Wobei man die Geräte witzigerweise nicht mal mehr in die Hand nehmen muss – eine zu lange „Blickzuwendung“ reicht bereits aus.

Die unglaublich verkorkste Fassung der Vorschrift wird die Gerichte sicher noch ausdauernd beschäftigen. Interessant ist zum Beispiel, dass das Verbot ausdrücklich nicht gilt, „wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist“. Allerdings gilt der Motor, obwohl er ausgeschaltet ist, nicht als ausgeschaltet, wenn er durch eine Start-Stopp-Automatik abgeschaltet wurde. Oder wenn der Antrieb eines E-Autos „ruht“. Ja, das muss man vielleicht zwei Mal lesen, um es trotzdem nicht zu verstehen.

Das Kammergericht Berlin musste sich jetzt mit der Frage beschäftigen, ob der Fahrer eines Autos, der den Motor manuell ausgeschaltet hat, möglicherweise doch kein Handy benutzen darf. Auf diese Idee kam das Amtsgericht in der ersten Instanz, weil es sagte, die Gefährdung bei einem im Verkehr manuell abgeschaltete Motor sei ja wohl genau so hoch wie bei einem Motor, den die Start-Stopp-Automatik abgeschaltet hat. Insofern seien die Fälle gleich zu behandeln.

Diese Sicht der Dinge geht dem Kammergericht aber zu weit, und zwar zu Recht. Denn immerhin ist das Gesetz ja so formuliert, dass die Wirkung der Start-Stopp-Automatik eine Ausnahme von der Ausnahme ist. Wenn man davon noch eine Ausnahme zulassen würde, wäre man ja letztlich in der Situation, dass nur noch Ausnahmen gelten und der Regelfall (manuell ausgeschalteter Motor berechtigt zur Handynutzung) praktisch nicht mehr existiert. Das wäre dann aber eine Auslegung, welche die Vorschrift selbst ad absurdum führt. Die Richter am Kammergericht sprechen deshalb von einer „Lücke im Gesetz, die nicht geschlossen werden kann“.

Im Falle eines Falles muss man also glaubhaft darlegen können, dass der Motor nicht nur stand, sondern dass man ihn auch wirklich selbst ausgeschaltet hat, so ganz ohne Einwirkung jeder Automatik. Dann gibt’s noch eine Chance (Aktenzeichen 3 Ws (B) 217/18).

RA Detlef Burhoff bloggt zum gleichen Thema

Wer zustimmt, kann nicht widerrufen

Mieterhöhungsverlangen gehören eher zur unerfreulichen Post. Jedenfalls, wenn man der Mieter ist. Der Bundesgerichtshof hat jetzt entschieden, ob dem Wohnungsmieter ein Widerrufsrecht zusteht, wenn er der Mieterhöhung zunächst zugestimmt hat. Nein, sagen die Richter.

Bei einer Mieterhöhung hat der Mieter mindestens zwei Monate Zeit, um sich eine Zustimmung zu überlegen. Außerdem muss der Vermieter die Mieterhöhung sogar begründen, wenn der Mieter dies verlangt. Angesichts dessen vermisst der Bundesgerichtshof eine Situation der möglichen Überforderung, vor der die Regeln über Fernabsatzverträge eigentlich schützen sollen. Der Mieter in dem entschiedenen Fall muss sich an seine Zustimmung halten lassen (Aktenzeichen VIII ZR 94/17).