Kindesmissbrauch durch Whats-App-Nachricht

Auch ein Whatsapp-Chat kann sexueller Missbrauch von Kindern sein, hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden. Ein Erwachsener hatte mit einer Neunjährigen in der Weise gechattet, dass er ihr ein sexuelles Erlebnis mit mehreren Beteiligten vorschlug.

Ende des Jahres 2014 chattete der 55 Jahre alte Angeklagte über Whatsapp mit einer Neunjährigen, die er, ebenso wie ihre Mutter, bereits einige Zeit kannte. Im Rahmen des Chats fragte der Angeklagte das Kind zunächst nach ihrem Freund und ob sie glücklich mit ihm sei. In den nächsten Tagen erkundigte er sich, ob die Nacht mit ihrem Freund „schön“ gewesen sei, ob sie für ihn „eine Freundin“ habe, „die nicht erwachsen“ sein müsse. Dann fragte er, ob man „zu 4 was machen“ können, „du und dein Freund und ich mit ihr“.

Die weiteren Nachrichten, die der Angeklagte über Whatsapp an die Geschädigte versandte, erhielt ihre Mutter, die zwischenzeitlich das Telefon ihrer Tochter an sich genommen hatte. Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung.

Die Revision des Angeklagten blieb erfolglos. Nach Auffassung des OLG Hamm hat sich der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB strafbar gemacht. Der genannte Straftatbestand sei erfüllt, wenn ein Täter auf ein Kind mittels Schriften oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt, um das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen. Das könnten sexuelle Handlungen sein, die das Kind an oder vor dem Täter oder einem Dritten vornehmen oder von dem Täter oder einem Dritten an sich vornehmen lassen soll.

Das Einwirken im Sinne des Gesetzes könne auf verschiedene Weise erfolgen, etwa durch wiederholtes Drängen, Überreden, Versprechungen oder das Erwecken von Neugier.

Im vorliegenden Fall sei es zwar noch nicht zu einem wiederholten Drängen oder zu einem Überreden gekommen, da die zuvor übersandten Nachrichten noch keinen hinreichenden sexuellen Hintergrund gehabt hätten. Die letzte Nachricht diene aber dem Wecken von (sexueller) Neugier, zumal die Nacht mit dem Freund vorher ein Thema gewesen sei (Aktenzeichen 4 RVs 144/15).

Zug ohne Klo: doch kein Schmerzensgeld

Eine Frau bekommt nun doch kein Schmerzensgeld, weil sie sich wegen einer fehlenden Toilette in einem Regionalsverkehrszug der Bahn in die Hose machte. Das Landgericht Trier hob nun eine frühere Entscheidung des Amtsgerichts auf, das der Frau 200 Euro als Entschädigung zugesprochen hatte.

Unstreitig in dem Prozess war, dass es in der Regionalbahn zwischen Koblenz und Trier Toiletten gab. Von denen aber keine funktionierte. Dass die Reisende ihrem Handrang letztlich nachgeben musste, wertete das Amtsgericht als Pflichtverletzung der Bahn. Ein Zug ohne funktionierendes Klo sei eine Pflichtverletzung, lautete das Urteil.

Die Richter am Landgericht sehen die Sache differenzierter. Sie lassen in ihrem Urteil ausdrücklich die Frage offen, ob in einem Regionalzug für Kunden eine Toilette nutzbar sein muss. Vielmehr, so das Gericht, sei letztlich doch „eigenverantwortliches Handeln“ der Frau ausschlaggebend für das Malheur gewesen. Zwischen Koblenz und Trier gebe es 29 Haltestellen. „Unter bestimmten Umständen kann es Reisenden zugemutet werden, den Zug zu verlassen und die Reise nach einem Toilettengang mit der nachfolgenden Bahn fortzusetzen“, zitiert die Rheinische Post aus dem Urteil.

Zoophile unterliegen vor Gericht

Sexuelle Handlungen mit Tieren werden in Deutschland auch weiter verfolgt. Die Verfassungsbeschwerde von zwei Betroffenen blieb erfolglos, die sich gegen § 3 S. 1 Nr. 13 TierSchG (Tierschutzgesetz) gewehrt haben. Die Vorschrift untersagt, „ein Tier für eigene sexuelle Handlungen zu nutzen oder für sexuelle Handlungen Dritter abzurichten oder zur Verfügung zu stellen und dadurch zu artwidrigem Verhalten zu zwingen“.

Die Beschwerdeführer fühlen sich sexuell zu Tieren hingezogen, sogenannte Zoophilie. Die entsprechende Verbotsnorm hindere sie in ihrer freien Entfaltung der Persönlichkeit, argumentierten sie vor dem Verfassungsgericht. Allerdings fanden sie damit kein Gehör.

Die Norm ist nach Auffassung der Richter nicht unklar. Das Erfordernis des „Zwingens zu einer sexuellen Handlung“ sei in etwa gleichzusetzen mit der Anwendung körperlicher Gewalt, im Gegensatz zu einem noch erlaubten „Abverlangen“. Woraus man unabhängig von der künftigen Auslegung durch die Gerichte der unteren Instanzen schon mal entnehmen kann, dass also nicht unbedingt jede sexuelle Handlung mit einem Tier verfolgt wird. Vielmehr sind sexuelle Kontakte mit Tieren, bei denen kein Zwang ausgeübt wird, nach wie vor erlaubt. Und das auch dann, wenn die Handlung „artwidrig“ ist.

Gegen den so definierten Tierschutz ist laut dem Verfassungsgericht aber grundsätzlich nichts einzuwenden. „Der Schutz des Wohlbefindens von Tieren durch einen Schutz vor artwidrigen sexuellen Übergriffen ist ein legitimes Ziel“, heißt es in dem Beschluss. Das sexuelle Selbestimmungsrecht der Zoophilen müsse hier zurückstehen.

Überschriften wie „Sodomie bleibt strafbar“, die man heute lesen kann, sind übrigens schlicht falsch. Es handelt sich um einen Bußgeld- und nicht um einen Straftatbestand. Das Bußgeld kann bis zu 25.000 Euro betragen.

Keine Drohnenflüge über Nachbars Garten

Das Amtsgericht Potsdam hat dem Besitzer einer Flugdrohne verboten, sein „Spielzeug“ über dem Grundstück eines Nachbarn schweben zu lassen. Die Lebensgefährtin des Klägers hatte sich beim Sonnenbad im Garten von der Drohne beobachtet gefühlt.

Das Amtsgericht Potsdam sieht den Garten eines Wohngrundstücks als typischen Rückzugsort des jeweiligen Nutzers, weshalb Beobachtungen anderer Personen als Ausspähung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen. Das gelte jedenfalls für Drohnen, die – wie das Fluggerät des Beklagten – mit Kameras ausgestattet sind und den fraglichen Luftraum nicht nur mehr oder weniger zufällig und noch dazu kurz überfliegen.

In dem Fall hatte der Beklagte die Drohne länger über dem Grundstück und der Nachbarin kreisen lassen (Aktenzeichen 37 C 454/13).

Schnuffelig

Heute kam, so kurz nach dem Valentinstag, die schnuffeligste Behördenpost aller Zeiten. Vom Amtsgericht Essen.

AG Essen 2

AG Essen 1

Es waren zur allgemeinen Enttäuschung aber doch nur Gerichtsakten drin, die wir jetzt einsehen dürfen.

Flugtickets: Vorkasse ist erlaubt

Fluggesellschaften dürfen schon bei Buchung den vollen Ticketpreis verlangen – auch wenn der Flug erst viel später stattfindet. Der Bundesgerichtshof billigt mit einer Grundsatzentscheidung die Vorauszahlungspraxis der allermeisten Airlines.

Die Verbraucherzentrale NRW hatte einige Fluggesellschaften wegen der 100-prozentigen Vorleistungspflicht des Ticketkäufers verklagt. Nach Auffassung der Verbraucherschützer ist es rechtswidrig, wenn vom Kunden mehr als eine etwa 20-prozentige Anzahlung verlangt wird. Der gesamte Flugpreis dürfe frühestens 30 Tage vor Abflug fällig werden.

Der Bundesgerichtshof sieht das anders. Die Klauseln würden Verbraucher nicht unzulässig benachteiligen. Zwar könnten die Kunden im Fall von Leistungsstörungen den Ticketpreis nicht mehr zurückhalten. Aber das spiele praktisch keine Rolle, weil die Kunden ja normalerweise ohnehin erst kurz vor dem Abflug erfahren, dass es Probleme gibt. Überdies seien Kunden durch die dichte Regulierung des Flugverkehrs abgesichert, dadurch sinke auch das Insolvenzrisiko von Flugfirmen. Im Falle von Flugverspätungen gebe es ohnehin feste Entschädigungssätze.

Wichtig war für den Bundesgerichtshof, dass Deutschland keine Extrawürste brät. Die Richter verweisen darauf, dass die IATA-Regeln praktisch weltweit gelten. Es sei auch im Allgemeininteresse, dass die Fluggesellschaften international mit gleichen Standards arbeiten können (Aktenzeichen X ZR 97/14; X ZR 98/14; X ZR 5/15).

Erschwerte Bedingungen

Anrufnotiz:

Frau G., Deutsche Bank, ruft später noch einmal an. Sie braucht eine aktuelle Forderungsaufstellung sowie eine Info zur Bankverbindung für Zahlungen in der Pfändungssache F. Da sie von einer Hotline angerufen hat, durfte sie mir angeblich keine Rückrufnummer nennen. Auch sei eine Kontaktaufnahme per E-Mail nicht möglich. Eine Postadresse oder Faxnummer wollte sie auch nicht hinterlassen. Sie wird sich deshalb wieder telefonisch melden.

So kann man natürlich auch arbeiten.

Ein Schriftsatz geht „zurück“

Nicht jeder Schriftsatz muss auch so richtig bei Gericht eingereicht werden, damit er wirkt. Habe ich heute erlebt. Es ging darum, dass mein Mandant wegen eines sogenannten Zufallsfundes in seiner Wohnung angeklagt wurde. Auslöser der Hausdurchsuchung war ein Bagatellvorwurf, der der sich später als völlig unbegründet erwies. Angeklagt wurde der Mandant dann wegen Gras, das sich bei der Durchsuchung in seiner Wohnung fand.

Nun war es nach meiner Meinung so, dass die Durchsuchung niemals hätte stattfinden dürfen. Denn es gab zwar einen Anfangsverdacht auf eine Straftat, aber keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass mein Mandant diese Straftat begangen haben könnte. Auf ihn kamen die Behörden nur, indem sie auf geradezu abenteuerliche Art und Weise kombinierten und spekulierten, wer wohl gewisse E-Mail-Accounts angelegt und genutzt haben könnte.

Die ganze „Beweiskette“ basierte vornehmlich auf sekundären Kontaktadressen, die manche Provider bei der Anlage eines Mailaccounts abfragen, die sie aber – ebenso wie die sonstigen Kontaktdaten – nie validieren. Was zu Folge hat, dass man da halt reinschreiben kann, was man will.

Das Ganze wurde holprig über vier Ecken zurückverfolgt. Und am Ende fand sich dann ein Skype-Account, bei dem die letzte hinterlegte E-Mail-Adresse zu einer der Kontaktadresse auf Stufe X passte. Der Inhaber des Skype-Accounts war dummerweise mein Mandant.

Kurz gesagt: Ein für eine Durchsuchung ausreichender Anfangsverdacht bestand gegen meinen Mandanten nie und nimmer, und verhältnismäßig war die Sache sowieso nicht. Das musste das nun für das Gras zuständige Gericht nicht unbedingt wissen, denn das Ausgangsverfahren lief in Bayern. Der Richterin, die sich hier mit den zufällig gefundenen Drogen beschäftigen musste, lag nur der Durchsuchungsbeschluss aus der anderen Sache vor.

Deshalb fasste ich vor dem Verhandlungstermin die Sache noch mal schriftlich zusammen und kündigte schriftlich an, dass ich ein Verwertungsverbot geltend machen werde. Klingt erst mal gut, aber leider ist das mit Verwertungsverboten bei uns so eine Sache. In der Regel sagen die Gerichte bei uns, das Strafverfolgungsinteresse des Staates ist wichtiger als mögliche Ermittlungsfehler. Das war es dann mit dem Verwertungsverbot.

Ich war heute einige Minuten vorher da. Richterin und Staatsanwalt auch. Nach kurzer informeller Erörterung reichte mir die Richterin meinen Schriftsatz zurück mit den Worten: „Schauen wir doch erst mal, ob wir das wirklich diskutieren müssen. Dann können Sie mir das Papier ja wieder geben.“

Dazu kam es dann nicht. Denn der Weg war offen für eine sinnvolle Verständigung und ein mildes Urteil. Auch der Mandant meint, dass er damit nach den nun mal gegebenen Umständen besser leben kann, als mit einem langen juristischen Kampf für ein Verwertungsverbot, bei dem die Erfolgsaussichten leider Gottes extrem bescheiden sind.

Bitte alles angeben

Aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft:

Einer eventuellen Verteidigungsschrift unter Benennung der nach Angaben des Beschuldigten ihm unbekannten Täter wird binnen 2 Wochen entgegengesehen. Der Beschuldigte mag ggf. die vollständigen Personalien der unbekannten Täter angeben.

Der Brief trägt das Datum vom Karnevalsdienstag. Vielleicht ist das eine Erklärung.

Karnevalspause

Die Karnevalstage nutze ich für eine kleine Pause. Das gilt auch fürs law blog.

Am Donnerstag, 11. Februar, geht es weiter. Bis dahin allen Lesern viel Spaß, ob mit oder ohne Karneval.

Auf Einreisende darf nicht geschossen werden

Dass führende AfD-Leute Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge als Option überhaupt andenken, sorgt für große Aufregung. Hier mal ein paar Anmerkungen zu den rechtlichen Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch.

Für die Bundespolizei, welche ja vorrangig die Grenzen absichert, gilt das „Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG)“. Man kann es sich hier anschauen. Das Gesetz enthält auch recht klare Klauseln zur Frage, ob im Grenzdienst Waffen gegen Minderjährige eingesetzt werden können (§ 12 Abs. 3) und wie die Verhältnismäßigkeit zu wahren ist (§ 4), nämlich immer.

Aber zum Kernthema dieses Beitrags:

§ 11 gestattet es Grenzpolizisten über die normalen Polizeibefugnisse des § 10 (z.B. Verbrechensverhinderung, Ergreifen Flüchtiger), Schußwaffen gegen Personen zu „gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder der etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen.“

Wenn man diesen Paragrafen mal genau liest, passt er jedenfalls nicht exakt auf das momentan wohl die Gemüter erhitzende Szenario, dass die Grenzpolizei Menschen bzw. Menschenmassen mit Schüssen an der Einreise in die Bundesrepublik zu hindern versucht. Flüchtlinge, die an der Grenze trotz gegenteiliger Aufforderung durch die Polizei die Bundesrepublik betreten, werden sich kaum der Überprüfung ihrer Person oder ihrer Habe entziehen wollen. Sie wollen ja im Zweifel nur das Land betreten, sich dann aber nicht den behördlichen Kontrollen entziehen. In der Regel werden sie auch nicht „flüchten“, warum auch, sie wollen ja eigentlich bleiben, und das in aller Regel möglichst legal.

Bleibt also nur die Frage, ob Flüchtlinge mit der vom Gesetz erwähnten Weigerung, auf Weisung der Polizei zu „halten“, den Schusswaffengebrauch auslösen können. Ob damit wirklich die Außensicherung der Grenzen in dem Sinne gemeint ist, dass Grenzpolizisten Schüsse androhen dürfen, wenn Menschen nicht auf der anderen Seite der Grenze bleiben wollen, wage ich zu bezweifeln. Und das schon deshalb, weil die illegale Einreise nach Deutschland „nur“ ein Vergehenstatbestand ist, und auch das nur, so lange der Betroffene keinen Asylantrag stellt. Aber selbst ein Straftatbestand wird allenfalls von der Staatsanwaltschaft verfolgt und möglicherweise auch geahndet, und zwar von den Strafgerichten. Jedenfalls aber nicht durch rumballernde Bundespolizisten vor Ort.

Ob mit „halten“ wirklich „vor der Grenze anhalten“ gemeint ist, kann aber sogar offenbleiben. Denn jedenfalls ist auch hier das tatbestandliche Erfordernis, dass sich Flüchtlinge „durch die Flucht zu entziehen zu versuchen“, ja gerade nicht gegeben. Zu der Einreise müsste nämlich auch hier noch der Fluchtwille nach der Einreise kommen. Doch den wird man bei Flüchtlingen ja gerade nicht haben. Die Flüchtlinge werden nämlich im Zweifel anhalten, nachdem sie in Deutschland sind.

Der Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge, die sozusagen unser Land „stürmen“ und nicht anders an der möglicherweise illegalen Einreise mehr gehindert werden können, wäre also nach dem Gesetz gerade nicht legitimiert.

Völlig überraschend

Auch dieses Jahr ist wieder völlig überraschend am Donnerstag vor Rosenmontag „Altweiber“. Dies hat nun auch das Landgericht Düsseldorf in letzter Minute mitbekommen. Und sagt heute eine seit Monaten anstehende Beweisaufnahme kurzerhand ab:

160129c

Der Kläger und sein Anwalt werden sich freuen.

Leicht fassungslos

Manche Presseberichte (hier noch ein weiterer) lassen mich dann doch fassungslos zurück. Weil sie zeigen, wie groß in unserem Land die Bereitschaft ist, sich Recht und Gesetz passend zu biegen. Die Kieler Polizei hat wohl im Herbst eine Richtlinie an Polizeibeamte herausgegeben, wonach die Beamten bei möglichen Bagatellstraftaten durch Flüchtlinge gar nicht mehr ermitteln müssen. Was konkret heißt: Der Verdächtige darf gehen bzw. die Polizei kommt gar nicht, die Personalien werden erst gar nicht festgestellt.

Auch die Kieler Polizei sollte eigentlich schon mal was vom Legalitätsprinzip gehört haben. Ansonsten würde schon ein Blick in die Wikipedia helfen. Die Polizei hat bei einem hinreichenden Anfangsverdacht auf eine Straftat zu ermitteln. Da steht ihr auch kein Ermessen zu. Ob ein Verfahren später eingestellt wird, zum Beispiel wegen Geringfügigkeit, entscheidet allein der Staatsanwalt. Der Staatsanwalt kann diese Aufgabe auch nicht an die Polizei delegieren.

Natürlich kann man die praktischen Probleme zur Kenntnis nehmen, die es möglicherweise gibt, wenn Flüchtlinge wegen kleinerer Delikte wie Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung in Verdacht geraten. Aber man kann diese Probleme nicht dadurch lösen, dass man kurzerhand und eigenmächtig die Aufgaben der Polizei umdefiniert. Diese Aufgaben ergeben sich nämlich nicht aus den Rundschreiben eines Polizeipräsidenten, sondern aus dem Gesetz.

Gesetzestreue ist genau das, was die Polizei vom Bürger einfordert. Ebenso wie die Justiz ist sie die letzte Institution, die das Vertrauen ins Gesetz untergraben sollte. Das geschieht durch solche Vorgaben.

An sich müsste nun die Staatsanwaltschaft einschreiten. Wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt, §§ 258 StGB und § 258a StGB.

Beleidigungsfreier Raum

Hier mal ein kleiner, sich weitgehend selbsterklärender Text aus der Praxis. Es handelt sich um den Antrag, eine Anklage nicht zur Hauptverhandlung zuzulassen. Die Polizei hat in einem längeren Ermittlungsverfahren What’s-App-Chats beschlagnahmt. Dabei stellten die Beamten fest, dass ihre Arbeit von den Beschuldigten auch schon mal „kritisch“ diskutiert und mit despektierlichen Bildchen gewürdigt wurde. Hier der Antrag:

Die Anklage übersieht, dass sich die fraglichen Äußerungen jedenfalls auf den sogenannten „beleidigungsfreien Raum“ erstrecken (vgl. hierzu Thomas Fischer, Strafgesetzbuch, § 185 Rdnr. 12 a).

Die Staatsanwaltschaft geht in den umfangreichen Ermittlungsverfahren selbst davon aus, dass Herr J. und die Angeklagten Mitglieder einer maximal fünfköpfigen angeblichen Motorradfahrergruppe mit dem Namen … sind. Sollte das Gericht mit dem Komplex bislang nicht betraut sein, wird beantragt, die Akte der Strafsache …. beizuziehen.

Es handelt sich schon auf der Grundlage der Feststellungen der Polizei um einen engsten Freundeskreis, man könnte auch sagen eine „verschworene Gemeinschaft“.

Innerhalb dieses Kreises fehlt der für eine Beleidigung erforderliche Kundgabecharakter. Die Kommunikation war auch nicht für eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit gedacht. Unter normalen Umständen, das heißt den aus völlig anderen Gründen erwirkten Durchsuchungsbeschluss, wäre die What’s-App-Kommunikation auch nicht nach außen gedrungen, schon gar nicht zu den möglicherweise gemeinten Polizeibeamten.

Da die Äußerungen lediglich in einem beleidigungsfreien Raum gefallen sind, ist eine Strafbarkeit nach § 193 StGB ausgeschlossen (s. auch Fischer, StGB, wie oben).

Die Anklage ist deshalb aus rechtlichen Gründen nicht zuzulassen.

Schauen wir mal, was der Richter davon hält.

Nur ein Kind „in falschen Kreisen“?

Ein Kriminalfall aus Berlin sorgt jetzt sogar für diplomatische Verwicklungen. Russland protestiert aufs Schärfste dagegen, dass die Berliner Polizei ein mögliches Sexualdelikt gegen ein 13-jähriges Mädchen mit russischer Abstammung herunterspielt. Russland spricht von dem Verdacht, das Kind sei von einem oder mehreren Flüchtlingen vergewaltigt worden. Von einer Vergewaltigung will die Polizei aber nicht sprechen.

Zu der Vorgeschichte finden sich nicht so viele Presseberichte, die inhaltlich was hergeben. Aber hier und hier gibt es detailliertere Informationen.

Wenn ich diese Berichte lese, kann ich die Aufregung aus Russland inhaltlich schon nachvollziehen. Die Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft machen nach meiner Meinung den Fehler, dass sie in den Vordergrund stellen, nach den bisherigen Ermittlungen spreche viel für einen einvernehmlichen sexuellen Kontakt der 13-Jährigen („Sie ist offenbar in falsche Kreise geraten“). Solche Aussagen erwecken durchaus den Eindruck, es handele sich um so was wie ein Bagatelldelikt, bei dem man mit angezogener Handbremse ermitteln darf.

Stattdessen sollten die Ermittler vielleicht mal klipp und klar kommunizieren, dass es sich selbst bei einem unterstellten Einverständnis der 13-Jährigen um eine durchaus schwere Straftat handelt, die schon im Grundtatbestand mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft wird (§ 176 StGB). Sexuelle Handlungen mit unter 14-Jährigen (Kind) sind nämlich auch dann verboten, wenn das Kind damit einverstanden ist oder gar die Initiative von dem Kind ausgeht.

In besonders schweren Fällen wird der sexuelle Missbrauch von Kindern mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bestraft (§ 176a StGB). Und das wiederum unabhängig davon, ob das Kind einverstanden war oder nicht. Ein schwerer Fall liegt zum Beispiel vor, wenn ein über 18-Jähriger den Geschlechtsverkehr ausführt, die Tat von mehreren begangen wird oder durch die Handlungen die körperliche oder seelische Entwicklung des Kindes gefährdet wird. Das alles wären nicht nur Vergehen, sondern Verbrechen.

Die Ermittler werden sich auch fragen lassen müssen, wieso sie zum jetzigen Zeitpunkt eine Vergewaltigung (§ 177 StGB) ausschließen. Allein der Umstand, dass eine ärztliche Untersuchung keine Gewaltspuren ergibt, schließt Gewalt ja nicht unbedingt aus. Eine Drohung mit „gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“ hinterlässt ohnehin keine Spuren. Und dann gibt es ja noch die Tatbestandsalternative des Ausnützens einer schutzlosen Lage. Sicher auch etwas, bei dem man gerade im Fall einer 13-Jährigen genauer hinschauen könnte. Sollte. Und wohl auch muss. Man kann nur hoffen, dass dies in der Kürze der Zeit auch schon hinreichend sorgfältig geschehen ist.

Das von der russischen Regierung geäußerte Unbehagen hat also schon etwas mehr Substanz als eine bloße Verwirrung über den Unterschied zwischen Vergewaltigung und Kindesmissbrauch. Die Fragen aus Russland sind jedenfalls mehr als Propaganda.