Hasso hatte einen schlechten Tag

Vielleicht ist es ganz gut, dass es nicht auf jedem Polizeirevier einen Sprengstoffspürhund gibt. Denn dann würden wir wahrscheinlich öfter mal zu unserem Auto zurückkehren und es komplett verkokelt vorfinden. Ein falscher Alarm kann nämlich hochexplosive Folgen haben, wie jetzt ein aktueller Fall in Mainz zeigt.

Dort übte die Bundespolizei am Hauptbahnhof Nachwuchskräfte in der Gefahrenabwehr. Unter anderem war ein präparierter Sprengstoffkoffer in einem Schließfach versteckt. Vorrangig ging es natürlich um die Absicherung und Evakuierung des Bahnhofes, aber dennoch sollte die Übung realistisch wirken.

So ging es dann doch nicht ohne einen besonder qualifizierten Mitarbeiter, den Sprengstoffspürhund vom Dienst. Der schlug auch an, zur Verblüffung der Eingeweihten allerdings vor einem ganz anderen Schließfach.

Aus der Übung wurde, vielleicht nicht ganz ungelegen, tatsächlich Ernst. Die Kollegen vom Räumdienst walteten schulbuchmäßig ihres Amtes. Doch nach der Sprengung trat eine gewisse Ernüchterung ein. Man hatte den Laptop eines Geschäftsmannes sowie dessen Reiseutensilien in die Luft gejagt. Von Explosivstoffen keine Spur.

Am bewunderungswürdigsten an der skurrilen Sache ist eigentlich die Nonchalance, mit welcher der Polizeisprecher in diesem tagesschau-Bericht die Übung trotzdem verkauft. Nämlich als Riesenerfolg.

Den Reportern hat man dann wohl noch erzählt, der Laptopbesitzer habe keine Chance auf Schadensersatz. Das Problem der tatkräftigen Gefahrenabwehr bei einer Gefahr, die es gar nicht gibt, beschäftigt immer mal wieder die Gerichte. Die Frage ist dann, ob die Diagnose der Lage fehlerfrei war. Ausgerechnet auf die juristische Bewertung derer, die es selbst verbockt haben, sollte man sich da nicht unbedingt verlassen.

Video auf tagesschau.de

Domina: Arbeitsprobe im Gericht

Eine interessante Form der Eigenwerbung betrieb eine ohnehin stadtbekannte Domina im Düsseldorfer Amtsgericht. Wie der Express berichtet, kommandierte sie in einem Zivilverfahren nicht nur ihre eigene Anwältin lautstark herum. Sie fiel auch der Richterin ständig vehement ins Wort.

„Eine Furie“, fasst das Düsseldorfer Boulevardblatt den Auftritt wenig furchtsam zusammen. Dabei hätte das Blatt Grund zur Vorsicht. Immerhin ging es auch im Prozess um Medienrecht. Die Dienstlei(s)terin verlangte von dem großen Bordell, für das sie im Jahre 2012 arbeitete, 15.000 Euro Schadensersatz. Das Etablissment soll unerlaubt mit Bildern von ihr geworben haben.

2.000 Euro, welche ihre eigene Anwältin ins Spiel brachte, lehnte sie brüsk ab. Das sei ja gerade mal ihr Tagessatz, ließ sie ebenso lautstark wie empört wissen. Doch nach einer Beratung, die ebenfalls sehr hitzig gewesen sein soll, zeigte sich die Klägerin dann doch einsichtig. Möglicherweise kannte die Anwältin das Safeword.

Geklagt wird nun auf 2.000 Euro; das Gericht wird später entscheiden.

Nö. Tschö.

Wollen es sich die Ermittlungsbehörden in Sachen NSA einfach machen? Generalbundesanwalt Harald Range ist nach Medienberichten der Auffassung, er könne sowieso nicht herausfinden, ob und in welchem Umfang amerikanische und englische Geheimdienste (illegal) in Deutschland operieren. Angeblich stünden weder Zeugen noch Dokumente zur Verfügung. Deshalb wolle Range nach monatelangen Vorermittlungen gar nicht erst ein förmliches Verfahren einleiten.

Ich hatte Mühe, die Einleitung zu diesem Beitrag sachlich zu formulieren. Aber jetzt muss es raus:

IST DAS WIRKLICH EUER ERNST, IHR FEIGEN SCHNARCHNASEN?

SIND WIR JETZT ENDGÜLTIG EINE BANANENREPUBLIK?

So, nun weiter im Text. Es mag ja sein, dass sich die angefragten Geheimdienste gegenüber dem Generalbundesanwalt bislang in Schweigen gehüllt haben. Stellen wir uns das praktisch vor. Ranges Mitarbeiter werden wohl im Rahmen der Vorermittlungen eine Mail an ausländische und deutsche Dienste geschrieben haben. Mit der höflichen Frage, ob man nicht der Einfachheit halber zugeben möchte, strafbare geheimdienstliche Agententätigkeit zu begehen oder Beihilfe dazu leisten. Vielleicht sogar garniert mit dem Hinweis, dass ein frühes Geständnis strafmildernd berücksichtigt werden kann.

Trotzdem kam nichts Substanzielles zurück aus den USA und England? Und die deutschen Spione berufen sich gar leutselig darauf, über die Aktivitäten ihrer Kollegen, deren Spitzelsoftware sie ja auch nur zu „Testzwecken“ nutzen dürfen, lediglich „Zeitungswissen“ zu haben? Ja, das ist natürlich überraschend. Aber wenn es so ist, muss man es halt glauben.

Ungefähr so, wie bekanntlich jeder Polizist oder Staatsanwalt auch sonst sofort einknickt, wenn er einen normalen stinknormalen Verdächtigen fragt, ob dieser was mit der Sache zu tun hat. Nö. Tschö. Nichts für ungut. So läuft das ja bekanntlich ständig.

Oder die Sache mit den Zeugenladungen? Mal so ganz schulmäßig jemanden einbestellen. Und ihm die Wahrheitspflicht näherbringen. Oder sogar höflich darauf hinweisen, dass es auch andere Möglichkeiten gibt. Ordnungshaft zum Beispiel. In der täglichen Praxis von Ermittlern sind das natürlich alles total vernachlässigte Instrumente. Ich kann das aus meiner Praxis als Strafverteidiger bestätigen. Deshalb habe ich ja auch so einen lauen Job.

Oder die Sache mit den Durchsuchungen. Bekanntlich werden ja auch unglaublich viele Wohnungen oder Firmen nicht durchsucht, weil es nur einen eher dürftigen Anfangsverdacht gibt. Siehe zum Beispiel diesen aktuellen Fall.

Warum sollte man es hier nun anders handhaben? Das wäre doch ungerecht. Die Samthandschuhe müssen doch für alle gleich sein. In weiser Voraussicht haben Herr Range und seine Mitarbeiter offensichtlich auch auch einen großen Bogen um das Buch „Der NSA-Komplex“ gemacht, obwohl es einen derzeit von jedem Büchertisch aus anspringt. Alleine da stehen genug gut dokumentierte Fakten drin, die einen ausreichenden Anfangsverdacht ergeben.

Aber wenn der Generalbundesanwalt sich lächerlich machen und – leider – das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz weiter untergraben will, bitteschön. Möglicherweise haben wir ja ohnehin mit nichts anderem gerechnet.

Eine weitere Sicht der Dinge

„Gemein und daneben“

Gemein und daneben – so bewertet Talkmaster Günther Jauch das Medienecho zum „Geständnis“ von Giovanni di Lorenzo. Der Chefredakteur der Zeit und Buchautor („Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“) hatte in Jauchs Sendung freimütig erzählt, er habe – dank seiner doppelten Staatsbürgerschaft – zwei Mal für das Europarlament gewählt.

In einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung kritisiert Jauch den Umgang mit di Lorenzo. Jauch:

Menschen fordern di Lorenzos sofortigen Rücktritt als Chefredakteur, vergleichen ihn mit prominenten Steuerhinterziehern oder plädieren ernsthaft dafür, dass er umgehend ins Gefängnis gehöre. Haben wir die Maßstäbe für Schuld oder Unschuld, für Vorsatz oder Fahrlässigkeit, für Wichtiges oder vergleichsweise Nichtiges völlig verloren?

In einem Punkt hat Günther Jauch völlig recht. Es ist maßlos, Lorenzo nun in den Knast zu wünschen. Aber diese Forderungen resultieren halt auch immer aus der Neigung mancher Redaktionen, die Höchststrafe als reale Drohung zu verkaufen.

Auf Wahlfälschung, wegen der gegen di Lorenzo nun der Staatsanwalt ermittelt, stehen bis zu fünf Jahre Haft. Die Betonung liegt allerdings auf bis. Denn die Höchststrafe ist bei uns nicht die Regelstrafe, sondern die Obergrenze des sogenannten Strafrahmens. Und der fängt bei Wahlbetrug mit „Geldstrafe“ an.

Mit ein bisschen Bauchgefühl und einiger Erfahrung als Strafverteidiger meine ich, di Lorenzo droht mit Sicherheit nicht die ewige juristische Verdammnis, die ihm jetzt von manchem in Aussicht gestellt wird.

Er hat die Sache freimütig selbst erzählt. Er hat die Problematik der Doppelwähler damit vehement ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Er hat sich sich schnell entschuldigt, und die Demokratie ist durch seine doppelte Stimmabgabe sicher nicht in ihren Grundfesten bedroht.

Bei Letzterem muss man bedenken, dass die Doppelwähler keine homogene Gruppe sind. Sie werden ihre zwei oder mehr Stimmen nicht wesentlich anders abgegeben haben als der Rest der Bevölkerung. Das Wahlergebnis dürfte also nur gering verzerrt werden.

Die Lorenzos mögliches Vergehen ist damit ganz eindeutig im unteren Bereich des Strafrahmens angesiedelt. Über eine Freiheitsstrafe braucht man da gar nicht zu diskutieren. Realistisch wäre eine Geldstrafe. Die läge mit Sicherheit noch unter der Eintragungsgrenze von 90 Tagessätzen (= drei Monatseinkommen), bis zu der sich ein Betroffener auch künftig als nicht vorbestraft bezeichnen kann.

Aber nicht mal so weit muss es kommen. In diesem Bereich kommt auch immer eine Einstellung des Verfahren wegen geringer Schuld in Betracht, sofern Staatsanwaltschaft und Gericht kein zwingendes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung erkennen. Wofür es, schon wegen der Ehrlichkeit di Lorenzos, nun gar keine Anhaltspunkte gibt.

Dann würde sich nur die Frage stellen, ob einfach so eingestellt wird, ohne jede Konsequenz. Oder gegen die berühmte Zahlung ans Rote Kreuz.

Das sind die tatsächlichen Perspektiven für den Zeit-Chefredakteur, natürlich neben der kompletten Einstellung seines Verfahrens mangels Tatverdachts. Nämlich dann, wenn die genaue rechtliche Prüfung seine Unschuld ergibt – was ja bei di Lorenzos „Habe ich nicht gewusst“-Argumentation nicht ganz ausgeschlossen ist.

Kümmernisse vom Arbeitsplatz

Nicht jedes Näheverhältnis schadet der Objektivität eines Richters. So reicht es für Befangenheit nicht aus, wenn der zuständige Richter und der Anwalt des Gegners regelmäßig gemeinsame Aufsätze und Fachkommentare verfassen sowie Seminare geben. Das meint das Oberlandesgericht Celle.

Ein Kläger monierte, sein Richter, der Vorsitzende eines Bausenats, sei ständig mit dem Anwalt seines Prozessgegners publizistisch tätig. Außerdem hielten die beiden gemeinsam Fachseminare. Daraus, so das Oberlandesgericht, dürfe der Kläger aber noch nicht auf Voreingenommenheit schließen.

Vielmehr, so das Gericht, beschränke sich die Kooperation Richter – Anwalt hier auf die „Ausübung der grundgesetzlich geschützten Wissenschaftsfreiheit“. Das alles diene der „Fachauseinandersetzung“ und damit der „Förderung des Fachwissens auf dem gegenständlichen Fachgebiet“. Würde man jede Zusammenarbeit zwischen Richtern und Rechtsanwälten auf ihren Fachgebieten als möglichen Befangenheitsgrund ansehen, behindere das die „schützenswerte juristische Betätigung“.

Etwas anderes könne allerdings gelten, wenn die Zusammenarbeit zu einem „besonderen persönlichen Näheverhältnis“ führt, etwa einer engen privaten Freundschaft. Denkbar sei auch, dass die Autoren sich – etwa „in der Hochphase einer Manuskriptfertigung“ – so oft träfen, dass sie neben der wissenschaftlichen Arbeit „naturgemäß auch die Kümmernisse vom Arbeitsplatz“ austauschen. Genau dies hatte der abgelehnte Richter jedoch aus Sicht des Oberlandesgerichts glaubwürdig verneint (Aktenzeichen 9 W 43/14).

Whats App braucht deutsche AGB

Whats App hat Allgemeine Geschäftsbedingungen, aber die gibt es nur in englischer Sprache. Das Landgericht Berlin urteilte jetzt, dass deutsche Kunden Anspruch auf AGB in deutscher Sprache haben. Whats App hat sich gegen die Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands nicht gewehrt. Das Landgericht Berlin hat deshalb ein Versäumnisurteil erlassen.

Die Verbraucherschützer bemängelten in ihrer Klage neben den englischen AGB auch das Impressum von Whats App. Auch hier muss das Unternehmen laut Gerichtsurteil nachbessern.

Whats App hat ohnehin Anlass, seine extrem komplizierten englischen AGB mal für lokale Märkte anzupassen. Und vor allem, sie verständlicher zu gestalten. In der letzten Woche gab es hitzige Debatten um einen Passus, wonach Whats App nach Belieben Nachrichten und Fotos seiner Kunden weitergeben oder gar verkaufen kann. Allerdings hat sich mittlerweile herausgestellt, dass sich die fragliche Klausel allenfalls auf das Profilbild und den Nutzerstatus bezieht, die Whats App mit Billigung des Nutzers öffentlich macht.

Whats App kann noch Einspruch gegen das Urteil einlegen.

Selbst schuld

Ballett kenne ich eher als Angelegenheit für grazile Personen. Kein Wunder, dass Ballettstangen möglicherweise nicht alles aushalten. Das musste ein Münchner erfahren, der 125 Kilogramm auf die Waage bringt. Die Ballettstange brach im Tanzkurs unter ihm weg – nun verlangte er vor Gericht Schmerzensgeld von seinem Sportverein.

Der 75-Jährige hatte sich bei einem Ballettlehrgang für Senioren angemeldet. Es ist unbekannt, welche Figur er gerade tanzte, aber die Balletstange spielte eine tragende Rolle. Auf diese hatte er beim Tanz nämlich nicht nur sein rechtes Bein gelegt, sondern auch noch den halben Po.

Für die zuständige Amtsrichterin reichte das schon, um die Klage abzuweisen. Wer bei einer Körperfülle von 125 Kilogramm die Ballettstange „vergleichbar einem Barhocker“ nutze, der zweckentfremde das Sportgerät und verschulde den Unfall ganz allein. Der Mann bleibt deshalb ohne Entschädigung. Er hatte über längerdauernde Schmerzen im Knie geklagt (Aktenzeichen 281 C 11625/13).

Handelsregister: immer wahr, immer klar

Das Transsexuellengesetz ist eine Chance für Menschen, die im falschen Körper geboren wurden, ihre wirkliche sexuelle Identität anzunehmen. Von dieser Möglichkeit machte eine Frau Gebrauch, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Ihre behördlich genehmigte Namensänderung stößt allerdings an behördliche Grenzen. Das Registergericht, weigerte sich, die alten Vornamen der als GmbH-Geschäftsführerin tätigen Frau endgültig zu streichen.

Stattdessen wurden nur die neuen Vornamen eingetragen, die alten aber lediglich als gelöscht markiert. Wer eine Chronologie des Handelsregisters anfordert, was problemlos möglich ist, kriegt also auch noch die alten Vornamen mitgeteilt.

Die Frau empfand das als unzumutbar. Nutzer des Registers würden entweder einen Geschäftsführer-Wechsel annehmen. Oder sie könnten Rückschlüsse auf die Geschlechtsangleichung ziehen, die aber ihre Privatsache sei.

Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht akzeptiert die Praxis des Handelsregisters. § 5 Transsexuellengesetz bestimme zwar ausdrücklich, dass die früheren Vornamen nicht ausgeforscht oder offenbart werden dürfen. Doch seien hierfür Fälle ausgenommen, in denen „besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern“.

Die Richter meinen, genau dies sei hier der Fall. Immerhin hätten alle Teilnehmer am Rechtsverkehr ein schutzwürdiges Interesse, dass die Richtigkeit und Vollständigkeit des Handelsregisters stets gewährleistet ist.

Die Argumentation erscheint auf den ersten Blick ziemlich dünn. Immerhin nimmt es das Transsexuellengesetz ja gerade in Kauf, dass die Historie eines Transsexuellen sich rückwirkend ändert; zum Beispiel wird ja auch eine neue Geburtsurkunde ausgegeben. Persönlichkeitsrecht geht hier nun mal vor Rechtssicherheit. Wieso ausgerechnet das Handelsregister hier eine besondere Stellung haben soll, ist die Frage.

Allerdings dürfte das letzte Wort in der Angelegenheit noch nicht gesprochen sein. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen (Aktenzeichen 2 W 25/14).

Krautreporter

Es sind noch einige Tage Zeit, um ein wichtiges Projekt auf die Beine zu stellen. Eines, das eine Alternative zum heutigen Journalismus bieten könnte. Weg vom Eilmeldungsterror, tausendfach recycleten Klickstrecken, suchmaschinenorientierter Schreibe und dem von Nachrichtenagenturen angerührten Nachrichtenbrei. Bei Krautreporter soll alles anders sein – wenn die Nutzer dafür zahlen.

Die Krautreporter sind ein Team gestandener und – soweit ich sie persönlich kenne – durchaus liebenswürdiger Journalisten, die ihre Honorare direkt von den Lesern beziehen wollen. 60 Euro im Jahr soll sich jeder Leser die Krautreporter-Lektüre kosten lassen. Oder freiwillig mehr. Dafür wollen die Krautreporter liefern, was in vielen Redaktionen heute auf der Strecke bleibt: eigene, gut recherchierte Storys.

Die Krautreporter zählen auf ihrer Webseite zehn Gründe auf, warum sie dem Internet gefehlt haben. Nummer 7 hat mir übrigens die Tränen in die Augen getrieben. Auch FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sieht Potenzial:

Das Ereignis dieser Tage ist doch, dass eine Idee wie „Krautreporter“, die aus dem Herzen des Internets kommt, zumindest partiell auf Bezahlinhalte und den Club-Charakter setzt, den die Printmedien seit Jahren diskutieren und nie umsetzen. Was dort über Klick-Journalismus und Google-getriebene Geschichte steht, teile ich zu 100 Prozent. Viele Verlagsleute hatten aber Angst, das Gleiche zu sagen, aus Angst, als altbacken zu gelten. Nun kommt es als Revolution daher. Dafür bin ich richtig dankbar.

15.000 Unterstützer braucht Krautreporter. Mehr als 5.000 Abonnenten haben sich bereits gefunden. Bezahlt werden muss nur, wenn es genug Förderer gibt und Krautreporter im Herbst tatsächlich startet.

Doppeltes Seil für Stream-Gucker

In den Prozessen um die Redtube-Abmahnungen haben einige Betroffene den Spieß umgedreht. Sie verklagten die Abmahnfirma The Archive AG. Ziel: Feststellung, dass die von der Anwaltskanzlei Urmann & Collegen geltend gemachten Ansprüche nicht bestehen. Nun findet das Amtsgericht Potsdam deutliche Worte zu den Abmahnungen.

In dem aktuellen Verfahren waren die Anwälte der The Archive AG gar nicht mehr vor Gericht erschienen (Bericht aus dem law blog). Das Gericht erließ deswegen ein Versäumnisurteil. Dabei wird der Sachverhalt zu Grunde gelegt, den die Klägerseite (hier: die Abgemahnten) schriftlich vorgetragen hat.

Das Urteil ist trotzdem interessant, weil das Amtsgericht Potsdam einige Worte zur Rechtslage beim Streaming sagt. Das bloße Betrachten von Videos aus dem Netz ist demnach zulässsig. Aus dem Urteil:

Vor diesem Hintergrund kann zur Zeit dahinstehen, dass das Gericht das „Streaming“ nicht als rechtswidrige Vervielfältigung im Sinne von § 16 UrhG ansieht, da es sich dabei im Sinne von § 44a Nr. 2 UrhG um eine jedenfalls vorübergehende Vervielfältigung handelt, solange die Beklagte nicht vorträgt und beweist, der Kläger habe eine Sicherungskopie der gestreamten Datei auf seiner Festplatte gespeichert, es sich um eine flüchtige oder begleitende Vervielfältigung handelte, die spätestens beim Herunterfahren des Computers gelöscht wird, die wesentlicher Teil des technischen Verfahrens „Streaming“ ist, dessen alleiniger Zweck es ist, eine rechtmäßige Übertragung zu ermöglichen.

Wenn man dieser Wertung folgt, sind Stream-Gucker juristisch doppelt abgsichert, wenn sie zur Kasse gebeten werden sollen. Da ist einmal der vom Gericht angesprochene Umstand, dass Streaming gar keine „Vervielfältigung“ ist.

Zum anderen kommt aber meist noch hinzu, dass Nutzer sich nicht bei offensichtlich rechtswidrigen Quellen bedienen, wenn sie etablierte Portale wie Redtube nutzen. Selbst wenn also die Vervielfältigung bejaht wird, fehlt es dann meist noch an diesem Umstand.

Was natürlich auch bedeutet, dass Nutzern dubioser Streams auch immer noch ein juristischer Rettungsanker bleibt (Aktenzeichen 20 C 423/13).

Schon wieder ein Maskenmann

Frank Rosin ist Sterne-Koch, Showmaster („The Taste“, „Hell’s Kitchen“) und, wie ich finde, begnadeter Kochbuchautor. Außerdem bewarb er sich dieser Tage um einen Titel: Ausrede-Künstler des Jahres. Rosin will einen Tempoverstoß mit seinem Auto nicht selbst begangen haben – obwohl er auf dem Messfoto, das die Polizei in Gelsenkirchen geschossen hat, deutlich zu erkennen ist. Das sei ein Maskenmann gewesen, erklärte Rosins Anwalt dem Richter. Weit kam er mit dieser Argumentation jedoch nicht…

Rosins Geschichte: Er selbst nutze den auf ihn zugelassenen BMW kaum, in letzter Zeit gar nicht. Es würden vorwiegend Bekannte und Mitarbeiter damit fahren. Aber wie kommen nun die Masken mit den angeblichen Rosin-Porträts ins Spiel? Die Vermummung hätten ihm Fans geschenkt, ließ der Sternekoch wissen. Die Masken hätten wohl im Auto rumgelegen. Irgendjemand, der sein Auto nutzt, habe wohl beim Fahren die Maske aufgesetzt. Er selbst sei jedenfalls nicht in Gelsenkirchen unterwegs gewesen und 32 Stundenkilometer zu schnell gefahren. Sondern der unbekannte Scherzbold.

Der Richter glaubte schon gar nicht, dass eine Maske im Spiel war. Auf dem Foto sei Rosin gut zu erkennen, befand er. Und stellte die Frage, ob Rosin es wirklich ernst meine. Das war anscheinend nicht der Fall, denn sein Anwalt zog den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurück.

Die knapp 300 Euro Geldbuße dürften den Starkoch weniger schmerzen, dafür aber das einmonatige Fahrverbot. Zumal Rosin schon einige Punkte in Flensburg hat. Für die automobile Durststrecke hatte der Richter einen Tipp parat: Rosin möge doch nach Brasilien zur Fußball-WM fahren. Das komme von der Länge gut hin.

Bericht in den Ruhr Nachrichten

Nachtrag: Der Fußball-Bundestrainer muss seinen Führerschein sechs Monate abgeben, zeigt sich einsichtiger.

Auch Samenspender haben Rechte

Auch Samenspender können von Müttern verlangen, über die Entwicklung ihrer Kinder aufgeklärt zu werden. Das Oberlandesgericht Hamm bejaht in einer aktuellen Entscheidung grundsätzlich das Recht eines Samenpenders, regelmäßig Informationen und Fotos von seiner Tochter zu erhalten.

Über ein Internetportal hatte eine Frau im Jahr 2012 einen Samenspender gefunden. Nach der künstlichen Insemination kam 2012 ihre Tochter zur Welt. Die Mutter verweigert weiteren Kontakt mit dem Kindesvater. Dieser terrorisiere sie und andere Frauen, die mit seinem Samen schwanger wurden. Den Vorwurf belegte die Frau mit entsprechenden Mails, die der Mann ihr geschickt hatte.

Das Oberlandesgericht Hamm bejaht zwar, dass sich der Vater unmöglich verhält. Der Mann äußere sich vulgär und beleidigend, teilweise in strafbarer Heftigkeit.

All das ändert nach Auffassung des Gerichts aber nichts am gesetzlichen Anspruch jedes Elternteils, zumindest Auskunft über die „persönlichen Verhältnisse“ des Kindes zu verlangen. So eine Basisinformation sei nur ausgeschlossen, wenn das Kindeswohl gefährdet ist.

Davon geht das Gericht aber nicht aus. Auskünfte über das Kind, einschließlich der verlangten Fotos, könnten über eine Mittelsperson erfolgen, etwa das Jugendamt oder einen Rechtsanwalt (Aktenzeichen 13 WF 22/14).

Podcaster 1 : Polizei 0

Ein Sieg für die Pressefreiheit, eine Niederlage für übereifrige Polizisten: Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat die Beschlagnahme des Metronaut-Podcast-Busses während eines Castortransports im Jahr 2011 für rechtswidrig erklärt.

Metronaut ist ein bekanntes Autorenblog, Schwerpunkt soziale Bewegungen, Grundrechte, Medien, Politik und Aktivismus. Autoren des Metronaut-Podcasts hatten sich samt Übertragungswagen auf dem Gelände des „Camp Metzingen“ eingefunden, um über den Protest gegen die Castor-Transporte füe Metronaut und Radio Freies Wendland zu berichten. Das Podcast-Equipment störte Polizisten so, dass sie das gesamte Fahrzeug beschlagnahmten und erst sechs Stunden nach Ende der Demonstrationen wieder freigaben.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Lüneburg war dies rechtswidrig. Die von der Polizei angenommene „gegenwärtige Gefahr“ habe tatsächlich nicht vorgelegen, da sich die Polizei überhaupt nicht die Mühe machte zu klären, was an der technischen Ausrüstung denn nun so gefährlich sein könnte. Die Beamten, so das Gericht, hätte nicht handeln, sondern nur „ermitteln“ dürfen. Nur wenn sich der Gefahrenverdacht erhärtet hätte, wäre eine Sicherstellung in Frage gekommen.

Auch im Verhandlungstermin versuchte die Polizei nach Angaben der Metronauten, den Podcastern das Grundrecht auf Pressefreiheit abzusprechen, nur weil diese bei der Kontrolle keine „offiziellen“ Presseausweise hätten vorzeigen können (Aktenzeichen 5 A 120/13).

Nummeritis

Es macht ohnehin eher selten Spaß, deutsche Gesetze oder Verordnungen zu lesen. Aber dafür sind sie ja auch nicht unbedingt da. Jedoch wird es auch mit rein professionellem, auf keinerlei Lesegenuss gerichtetem Herangehen nicht sehr viel leichter. Gerade, wenn mal wieder die Nummeritis um sich greift.

Ein Beispiel für dieses Bürokraten-Leiden ist die Weinrechtliche Straf und Bußgeldverordnung (abgekürzt WeinSBV). Erlassen wurde sie vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, das selbst auf die Abkürzung BMEL hört.

Hier mal ein Beispiel aus dem Text. Ordnungswidrig handelt nach § 5, wer

entgegen Artikel 36 Absatz 1, auch in Verbindung mit Artikel 38 Absatz 2 Unterabsatz 3, jeweils in Verbindung mit Artikel 36 Absatz 3 Satz 1, Artikel 38 Absatz 1 Unterabsatz 1 oder Absatz 2 Unterabsatz 1, Artikel 39 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe b, Buchstabe c, Buchstabe d oder Buchstabe e, Artikel 39 Absatz 1 Unterabsatz 3, Artikel 40 Absatz 1 oder Absatz 4, Artikel 41 Absatz 2, Artikel 42, Artikel 43 Absatz 1 Unterabsatz 1 oder Absatz 2, Artikel 45 Absatz 1 Unterabsatz 1 oder Artikel 46 Satz 3 oder Satz 4, ein Buch nicht, nicht richtig oder nicht vollständig führt…

Bußgeldvorschriften sollen eigentlich dazu dienen, dem Bürger zu sagen, was er nicht darf. Und das, ohne einen Anwalt auf eigene Kosten erst mal zwei Stunden nur damit zu beschäftigt, dass sich der Jurist eine verästelte Mindmap bastelt und ihm anschließend noch eine dreiviertel Stunde übersetzt, was das BEMEL denn nun sagen möchte.

Die Verordnung ist übrigens kein Relikt aus alten Tagen. Sie trat vor drei Monaten in Kraft.

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