Kein Infobus in Asylunterkunft

Nach geltender Rechtslage muss es unabhängige Beratungsstellen für Asylsuchende geben. Diese werden auch staatlich gefördert. Fraglich ist allerdings, ob diese Berater stets und ständig Zugang zu den Asylunterkünften haben dürfen. Das Bundesverwaltungsgericht musste jetzt einen Fall entscheiden, in dem eine NGO einen „Infobus für Flüchtlinge“ in der Aufnahmeeinrichtung parken wollte.

Das Land Bayern wollte den Beratern aber nur Zugang gewähren, wenn Asylsuchende auch einen konkreten Beratungswusch geäußert haben. Ähnlich wie bei Rechtsanwälten werde dann der Kontakt ermöglicht, so die Landesregierung. Eine Betreuung ohne belegten Beratungswunsch der Betroffenen auf dem Gelände ließ das Land dagegen nicht zu.

Zu Recht, wie nun das Bundesverwaltungsgericht entschied. Nach den Vorschriften (u.a. 12a AsylG) setze die Beratung eine vorhergehende Mandatierung voraus. Einen weitergehenden Anspruch von Beratungsvereinen gebe es nicht. Die Landesregierung hatte ihre Ablehnung damit begründet, dass ein Infobus möglicherweise die Ruhe und die Sicherheit in der Aufnahmeeinrichtung stört. Diese Argumente, so das Bundesverwaltungsgericht, seien nachvollziehbar (Aktenzeichen 1 C 40.21).

„Die sehen ja alle gleich aus“

Lichtbildvorlagen bei der Polizei sind ein beliebtes Mittel, um den Tatverdacht gegen Beschuldigte zu erhärten. Dabei werden Zeugen mindestens fünf Bilder von Personen gezeigt, die sich ähnlich sehen. Der Zeuge soll sagen, ob er auf den Fotos jemanden als Täter erkennt. Dann soll der Zeuge, was gerne vergessen wird, auch sagen warum.

So war es auch in einem Fall hier in Nordrhein-Westfalen. Da erkannte eine Zeugin bei der Lichbildvorlage einen der Beschuldigten „zu 100 Prozent“ wieder. Den anderen immerhin noch zu 60 Prozent. Das ist ja schon mal eine konkrete Aussage.

Allerdings war es so, dass die Zeugin schon etliche Monate vor der Lichtbildvorlage bei der Polizei eine Aussage machte. Da sagte sie folgendes, nachdem sie die möglichen Täter lediglich als „Südländer, zwischen 30 und 35 Jahren, Vollbart, jedoch nicht sehr lang, schwarzes nach hinten gegeltes und glattes Haar“ beschrieben hatte:

Da ich wirklich nicht sagen kann, ob es sich um die identische Person von 2018 handelte, kann … ich mich maximal auf die oben abgegebene Beschreibung beziehen.

Die sehen ja alle gleich aus.

Der letzte Satz ist für die Verteidigung natürlich Gold wert. Denn er entwertet das spätere Erkennen der Verdächtigen dramatisch. Oder auch vollkommen. Normalerweise wird die Erinnerung von Zeugen mit der Zeit nämlich nicht besser. Das Gericht sah das übrigens auch so, und selbst der Staatsanwalt konnte mit ins Boot genommen werden. Am Ende stand die Einstellung des Verfahrens. Die Zeugin musste gar nicht in die Mangel genommen werden.

Keine Vorabinfos mehr am Verfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht informiert ausgewählte Journalisten seit vielen Jahren vorab über anstehende Entscheidungen. Die aktuell rund 40 Mitglieder der „Justizpressekonferenz“ erhalten Urteile und Gerichtsbeschlüsse schon am Vorabend der Bekanntgabe. Für sie gilt zwar eine Sperrfrist bis zur Veröffentlichung. Gegenüber anderen Medien haben sie damit aber einen klaren Vorteil in der Berichterstattung.

Gegen diese Bevorzugung hatte die AfD im Jahr 2021 geklagt – und war gescheitert. Da kann man es als durchaus überraschend bezeichnen, dass das Bundesverfassungsgericht nun selbst reagiert. Und zwar drastisch. Ab dem 1. April kriegen die Mitglieder der Justizpressekonferenz keine Vorabinformationen mehr. Bei den Mitglieder der Justizpressekonferenz handelt es sich mehrheitlich um Redakteure des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks, großer Redaktionen und Nachrichtenagenturen, die laut Satzung alle in Karlsruhe sitzen müssen.

Das Gericht überdenke seine gesamten Kommunikationsstrukturen und -abläufe, heißt es in einer Pressemitteilung. Als Auslöser des Denkprozesses werden reichlich nebulös „in den vergangenen Jahren eingetretene Veränderungen des Umfelds“ genannt. Konkreter wurde zum Jahresende ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Die Autoren äußern erhebliche juristische Zweifel an der Praxis, wie der Tagesspiegel mit vielen weiteren Hintergrundinformationen berichtet. Der Tagesspiegel hat beispielsweise keinen Justizjournalisten in Karlsruhe und kämpft seit Jahren gegen die Praxis.

Pressemitteilung des Gerichts

Brandenburg muss sich zu Stasi-Richtern äußern

Ein Journalist der Bild-Zeitung recherchiert seit langem zur Stasi-Vergangenheit von Richtern und Staatsanwälten in Brandenburg. Gegen die ihm verweigerten Auskünfte zu belasteten Personen im Justizdienst zog er bis vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dort erzielte er jetzt einen Teilerfolg.

Die Richter halten es zwar für zulässig, dass dem Journalisten nicht die Namen der in Frage kommenden 13 Justizmitarbeiter genannt werden. Deren Persönlichkeitsrechte gingen vor, so der EGMR. Allerdings gebe es keinen Grund, dass die brandenburgische Justiz allgemeine Informationen über die Gruppe der Richter und Staatsanwälte zurückhält, die während der DDR-Zeit mit der Stasi verbandelt waren.

Der Journalist will die ihm bislang zu Unrecht verweigerten Informationen jetzt einfordern.

Bericht in der Legal Tribune Online

Zu nüchtern ist auch nicht gut

Sachen gibt’s. Zum Beispiel Gerichte, die einen angeschickert in der Verhandlung erschienen Angeklagten gleich in Haft nehmen. Um so einen Fall geht es in einem Verfahren aus Bayern. Ich will gar nicht so sehr ins Detail gehen, aber eine Passage aus dem Beschluss, mit dem die Haft sehr zügig wieder aufgehoben wurde, möchte ich gerne zitieren:

Das Landgericht hat die in der Hauptverhandlung vom 15.02.2023 anwesende Sachverständige nicht befragt, ob durch eine frühzeitige Ingewahrsamnahme und Vorführung des Angeklagten zur nächsten Hauptverhandlung – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Facharztes – eine Verhandlungsfähigkeit hergestellt werden könne, zumal der Angeklagte sich bereit gezeigt hatte, zur Verhandlung zu erscheinen und die Sachverständige ausgeführt hat, der Angeklagte sei in Anbetracht seiner Erkrankung bei einem Alkoholgehalt von einem Promille weniger verhandlungsfähig als bei zwei Promille.

Am Ende hätte der schwer alkoholkranke Angeklagte bei dem Gericht womöglich auch Stress bekommen, wenn er zu nüchtern gewesen wäre…

Der ganze Beschluss ist beim Kollegen Detlef Burhoff nachzulesen.

Reiserücktritt: Bonusmeilen sind wie Geld

Eine Reiserücktrittsversicherung muss auch dann zahlen, wenn der Kunde seinen Flug mit Bonusmeilen bezahlt hat. Der Bundesgerichtshof stellt dies in einem aktuellen Urteil klar. Die Vorinstanzen haben noch anders entschieden.

Ein Mann buchte einen Hin- und Rückflug in die USA. Er bezahlte mit Bonusmeilen, musste den Flug aber wegen Krankheit stornieren. Die Rücktrittsversicherung wollte nichts zahlen, obwohl die Klausel im Vertrag so formuliert ist: „Entschädigung … für die vom Reisenunternehmen … vertraglich geschuldeten Rücktrittskosten.“

Der Bundesgerichtshof kann der Klausel nicht entnehmen, dass sie nur Geldzahlungen umfasst. Vielmehr verstehe ein verständiger Kunde sie so, dass „jegliche Aufwendung“ für die Bezahlung der Reise ersetzt werde. Eine Beschränkung auf Geld oder handelbare Leistungen sei nicht enthalten.

Das Landgericht muss nun klären, was die Bonusmeilen wert waren (Aktenzeichen IV ZR 112/22).

Allet jut im Unterricht

Ein Berliner Vater wollte untersagen lassen, dass seine beiden Töchter am Gymnasium mit genderneutraler Sprache arbeiten müssen. Lehrmaterialien und Arbeitsblätter würden seine Kinder indoktrinieren, machte der Vater vor dem Verwaltungsgericht geltend. Doch das Gericht sieht einen weiten Spielraum für die Schulen vor, ihr Lehrprogramm zu gestalten.

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts verstößt genderneutrale Sprache nicht gegen „die Vorgaben der deutschen Amtssprache“, weil sie trotz Verwendung von Sonderzeichen verständlich bleibe. Genderneutrale Lehrmaterialien und Arbeitsblätter verstoßen auch nicht gegen das Gebot der politischen Neutralität. Denn: Genderneutrale Sprache ist, so das Gericht, nicht mit einer politischen Meinungsäußerung verbunden.

Überdies schreibe die Schulverwaltung vor, dass genderneutrale Sprache die Regeln der deutschen Rechtschreibung einhalten müsse. Auch hier erkannte das Gericht keinen Verstoß.

Außerdem hatte der Vater kritisiert, seine Kinder würden neben der Gendersprache auch der Identitätspolitik und „Critical Race Theory“ ausgesetzt. Hierzu merkt das Gericht an, in einem freiheitlich-demokratischen Gemeinswesen könne die Schule „offen für ein breites Spektrum von Meinungen und Ansichten“ sein. Den Kindern sei es grundsätzlich zuzumuten, mit den Auffassungen und Wertvorstellungen einer pluralistischen Gesellschaft konfrontiert zu werden – trotz möglichen Widerspruchs zu ihren eigenen Überzeugungen.

Der Kläger überlegt nun, ob er Rechtsmittel einlegt. Er wird unterstützt vom Verein Deutsche Sprache (Aktenzeichen VG 3 L 24/23).

Diebstahl bei Madame Tussauds?

„Ihr Lieben, es handelt sich hierbei um einen von uns initiierten PR Stunt als Vorbereitung auf eine coole Aktion…“ Mit dieser eher kurzen Erklärung löste das Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds in Berlin einen angeblichen Kriminalfall auf. Zunächst hatte das Kabinett in sozialen Netzwerken verkündet, vermummte Männer hätten die Wachsfigur von Matthias Schweighöfer gestohlen und auf einen Lieferwagen geladen. Vermeintliche Aufnahmen von Überwachungskameras untermauerten die Straftat.

Dummerweise kriegte auch die Polizei Wind von der Sache. Kriminalbeamte sollen vor Ort gewesen sein, um den Fall zu untersuchen. Ob ihnen dabei schon reiner Wein eingeschenkt wurde, ist bislang nicht bekannt. Was angeblich als PR-Aktion gedacht war, könnte ein juristisches Nachspiel haben. Denn die Inszenierung füllt sehr gut den Straftatbestand des Vortäuschens einer Straftat aus (§ 145d StGB). Ob der echte Matthias Schweighöfer in die Sache involviert war, ist offen. Er hatte die ursprüngliche Meldung von Madame Tussauds in seiner Instagram-Story aufgegriffen.

Bericht auf stern.de

940,00 € im Portemonnaie

Ein Mandant wurde in einem Hauptbahnhof kontrolliert. Weil ohne sein Einverständnis auch sein Rucksack, seine Taschen und sein Geldbeutel überprüft wurden, habe ich die Unterlagen angefordert. Dort heißt es:

Der Betroffene widersprach der Durchsuchung, sperrte sich aber auch nicht gegen das Vorgehen. In seinem Portemonnaie fanden sich 940,00 € in bar. Diese Summe ist mit dem eher „studentischen“ Erscheinungsbild des Betroffenen nur schwer in Einklang zu bringen. Konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat fanden sich nicht. Eventuell sind weitere Finanzermittlungen angezeigt.

Der Mandant antwortete übrigens nicht auf die Frage, woher das Geld ist und was er damit vor hat. Musste er auch nicht. Die angesprochenen Finanzermittlungen haben dann nicht stattgefunden, jedenfalls findet sich dazu nichts in der Akte.

Vielleicht müsste man seitens der Ermittlungsbehörden mal eine Tabelle veröffentlichen, wie viel Bargeld je nach Kleidung, Frisur und Atemfrische noch nicht zu Argwohn führen.

Frau K. ist ein „Mann“ – warum der Pleiteticker falsch lag

Dem vom früheren Bild-Chefredakteur Julian Reichelt betriebenen „Pleiteticker“ ist es vom Landgericht Frankfurt verboten worden, eine trans Frau als „Mann“ zu bezeichnen. Es handelt sich um eine einstweilige Verfügung, die vom Gericht nicht begründet wurde. Reichelt-Mitarbeiter Ralf Schuler kündigt in einem Eintrag Widerspruch an.

Zu einer Grundsatzdiskussion eignet sich der Fall allerdings nicht. Denn die Antragstellerin dürfte juristisch damit recht haben, dass sie sich nicht als „Mann“ bezeichnen lassen muss. Der entscheidende Punkt wird in Schulers Text erwähnt, in anderen Berichten (Beispiel) aber leider ausgelassen. Hierum geht es:

In einer eidesstattlichen Erklärung hatte K. vor Gericht erklärt, sich bereits in den achtziger Jahren einer geschlechtsverändernden Operation unterzogen und den Eintrag der Meldedaten verändert zu haben.

Für Menschen, die sich der Prozedur von Begutachtung, eventueller Operation und enormen Papierkrieg unterzogen haben, bestimmt auch das heute geltende Transsexuellengesetz (TSG) klipp und klar folgendes (§ 10 TSG):

Von der Rechtskraft der Entscheidung an, daß der Antragsteller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, richten sich seine vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten nach dem neuen Geschlecht…

Damit erwirbt der oder die Betroffene mit der vom Gericht bestätigten Geschlechtsangleichung auch schon heute den Anspruch, entsprechend dem neuen Geschlecht behandelt zu werden. Es ist somit ganz klar eine Persönlichkeitsrechtsverletzung und womöglich auch eine strafbare Beleidigung, wenn man die Antragstellerin wider besseren Wissens als „Mann“ bezeichnet.

Wenn die Angaben der Antragstellerin richtig sind, hat sie einen juristischen Anspruch darauf, nicht mehr als Mann bezeichnet zu werden. Das gilt nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber Dritten. Stichwort, wie schon erwähnt: Allgemeines Persönlichkeitsrecht. Wie gesagt, setzt dies aber das Durchlaufen des nach dem Transsexuellengesetz vorgesehenen Verfahrens voraus.

Die einstweilige Verfügung trifft aber mit Sicherheit keine Aussage dazu, ob nun auch der Hinweis auf das momentan tatsächlich zutreffende Geschlecht „strafbar“ ist – bloß weil jemand von seiner Umwelt verlangt, ihn als Frau bzw. Mann anzusprechen, obwohl er biologisch tatsächlich ein anderes Geschlecht hat.

So weit wären wir allerdings, wenn das neue Selbstbestimmungsgesetz kommt, für welches es bislang Eckpunkte gibt. Wenn jeder sein Geschlecht einmal jährlich nach Belieben neu definieren darf, wie es im Entwurf vorgesehen ist, wäre es in der Tat dann auch rechtswidrig, wenn man diese Selbstdefinition (wissentlich) ignoriert. Die Eckpunkte sehen fürs Misgendern Bußgelder vor.

Auch in Dortmund herrscht Meinungsfreiheit

Die Thesen des schweizer Historikers Daniele Ganser sind ganz sicher nicht Mainstream, wie man in der Wikipedia nachlesen kann. Aber sind sie so gefährdend, dass man ihm einen öffentlichen Auftritt in der Westfalenhalle vor erwarteten 2.000 Zuhörern verwehren kann? Wohlgemerkt, die Veranstaltung ist keine Demo, sondern der Vortrag eines Wisssenschaftlers.

Der Dortmunder Oberbürgermeister war allerdings davon überzeugt, dass er die Menschen in Nordrhein-Westfalen vor den Gedanken Gansers bewahren muss. Obwohl Ganser schon mal früher die Westfalenhalle buchen konnte, wurde ihm jetzt der Vertrag gekündigt. Begründung: Frühere Äußerungen Gansers seien als antisemitisch einzustufen. Andere holen noch weiter aus. Ganser gilt ihnen nicht nur als latenter Antisemit, sondern auch als Verbreiter kontrafaktischer und antidemokratischer Verschwörungstheorien.

Die Gerichte versagen der Stadt Dortmund aber eine Tätigkeit als Gesinnungspolizei. Nach dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen sagt nun auch das Oberverwaltungsgericht Münster, dass unliebsame und umstrittene Persönlichkeiten Vorträge halten dürfen. Ganser könne sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass seine Äußerungen strafbar seien.

Die Stadt Dortmund argumentierte recht unbeholfen mit einem Beschluss des Stadtrates, in dem sich dieser einer Grundsatzerklärung des Netzwerks zur Bekämpfung von Antisemitismus in Dortmund angeschlossen hat. Die Richter weisen ebenso unverblümt wie höflich darauf hin, dass nach dem Grundgesetz nur der Gesetzgeber die Meinungsfreiheit beschränken darf. Der Stadtrat sei kein Gesetzgeber, irgendein Netzwerk schon gar nicht (Aktenzeichen 15 B 244/23).

In München scheiterte zeitgleich der Versuch der Kommune, dem Musiker Roger Waters seinen Auftritt im Olympiastadion zu verwehren.

Geistige Brandbeschleunigung

Die Aussage „Impfen macht frei“ ist Volksverhetzung (§ 130 StGB), wenn sie in das berühmte Foto vom Eingang eines Konzentrationslagers mit dem Spruch „Arbeit macht frei“ montiert wird. Das Oberlandesgericht München bestätigt die gegen einen Immobilienmanager verhängte Geldstrafe.

Der Mann hatte das Originalfoto und seine „Impfen macht frei“-Abwandlung nebeneinander auf Facebook eingestellt. In das bearbeitete Foto waren zwei schwarz uniformierte Männer mit überdimensionalen Spritzen montiert und angemerkt: „Alles schon mal dagewesen.“ Dadurch bagatellisiert der Angeklagte laut Gericht die Judenverfolgung im Dritten Reich in einem „unerträglichen Maß“. Zum anderen suggeriere er Gegnern der Corona-Maßnahmen, ihnen werde ein den Gräueltaten der NS-Zeit vergleichbares Unrecht zugefügt. Hierdurch agiere er als „geistiger Brandbeschleuniger“ in der bereits aufgeheizten Stimmungslage wegen Corona (vor Zulassung des ersten Impfstoffes).

Die Strafbarkeit nach § 130 Abs. 3 und 4 StGB ist natürlich gut zu bejahen. Wieso das Oberlandesgericht aber auch noch ausdrücklich das Narrativ vom „geistigen Brandbeschleuniger“ gutheißen muss, mit dem die Vorinstanzen ihre Verurteilung begründeten, erschließt sich mir nicht. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, er emotionalisiere seine Leser auf „aggressive Weise“. Es ist vielleicht etwas deplatziert, wenn man als Richter im gleichen Atemzug ebenfalls emotional und aggressiv formuliert (Aktenzeichen 206 StRR 1/23).

Sekundenklebertransportverbot

Nachdem in Bayern Klimaaktivisten schon präventiv eingesperrt wurden, setzt die Stadt München auf Gefahrenabwehr der besonderen Art. Gegen bislang sieben bekannte Klimakleber ist ein „Sekundenklebertransportverbot“ erlassen worden. Den Betroffenen werden erhebliche Bußgelder – angeblich bis zu 1.000 Euro – angedroht, wenn sie im Stadtgebiet Sekundenkleber dabei haben.

Die Betonung liegt auf dabei haben, denn die Ordnungsverfügung greift nicht erst, wenn mutmaßliche Klimakleber sich auf die Straße kleben. Es genügt, wenn sie mit Sekundenkleber angetroffen werden. Auch wenn es erst mal abenteuerlich klingt, das Ganze ist kein Scherz.

„Zur Verhütung von Straftaten und Gefahren hat das Kreisverwaltungsreferat […] Mitführ-, Transport- und Benutzungsverbot für Klebstoffe, beschränkt auf das Stadtgebiet München, erlassen“, zitiert die Abendzeitung aus einer Stellungnahme der Polizei. Die Maßnahme sei „ein Ausgleich zwischen den Interessen der Betroffenen und den Interessen der Stadtgesellschaft“.

Natürlich steht im bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetz (noch) nichts zu Sekundenkleber in Herren- und Damentaschen oder im Handschuhfach eines Autos. Aber es gibt ja die ordnungsbehördliche Generalklausel. Nach Art. 7 des LStVG dürfen Sicherheitsbehörden „für den Einzelfall“ Anordnungen treffen, „um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, … zu verhüten oder zu unterbinden“.

Der Prüfungsmaßstab für solche Maßnahmen ist stets gleich. Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Nach meiner Meinung fehlt es schon an der Eignung. Denn bekanntermaßen besteht die „Letzte Generation“ nicht nur aus sieben Personen. Wer aber dem Sekundenklebertransport nicht unterliegt, darf den Stoff derzeit noch legal zum Ort der Blockade mitnehmen. Dann kann sich der vom Transportverbot betroffene Klimakleber in Ruhe festkleben. Oder besser noch: festkleben lassen. Wenn diese Aufgabe ein anderer Aktivist erledigt oder vielleicht sogar der REWE Lieferservice, hat der Betroffene den Kleber ja nicht mit sich geführt, sondern nur verwendet. Wegen der Verwendung bei einer Straßenblockade kann man ihn aber nicht noch mit einem Bußgeld belegen, weil das Festkleben Teil der Nötigung ist – für die gilt dann das vorrangige Strafrecht.

Die Maßnahme ist also schon nicht geeignet, um Straßenblockaden zu verhindern. Dementsprechend haben die von den Betroffenen mittlerweile angekündigten Klagen beste Erfolgsaussichten.