Status: unterfordert

Heute eine Passage aus einer Strafanzeige der Polizei. Die Sache passierte am Rande der Festnahme eines mit Haftbefehl gesuchten Mannes in einer Fußgängerzone. Dabei kam es zu einer Kabbelei mit einem ansonsten unbeteiligten Passanten. Dieser hatte die nicht uniformierten Kripoleute wohl zunächst mit einem Schlägertrupp verwechselt und wollte dem Festgenommenen helfen. Ich zitiere:

Die am Einsatz beteiligten Beamten J., N. und B. stellen Strafantrag wegen Körperverletzung. Die Strafanträge sind beigefügt.

Keiner der Beamten wurde durch die Handlungen des Beschuldigten verletzt.

Ah, eine Körperverletzung ohne Körperverletzung. Manchmal fühlt man sich als Anwalt dann doch unterfordert…

EiEiEiEiEi

Eierlikör ist heute vielleicht nicht mehr der hipste Drink. Aber mir als Kind der 60-er und 70-er Jahre ist die Werbung „Eieiei Verpoorten“ noch in bester Erinnerung. Die Reklame lief damals rauf und runter, so begründete der Hersteller Verpoorten den legendären Ruf seines Getränks. Kein Wunder, dass der Produzent seine Marktmacht energisch verteidigt. Der Slogan „Eieiei Verpoorten“ genießt Markenschutz.

Stein des Anstoßes war die Werbung eines Verpoorten-Konkurrenten aus Niedersachsen. Eierlikörhersteller Nordik warb für fünf seiner Eierlikör-Spezialitäten mit dem Slogan „Ei, Ei, Ei, Ei, Ei“. Das Oberlandesgericht Düsseldorf musste prüfen, ob das „Ei“ in verbaler Form der Firma Verpoorten gehört. Tut es zumindest in der verwendeten Form nicht, stellte sich nun in der mündlichen Verhandlung heraus. Über diese berichtet die Legal Tribune Online.

Wenig überraschend stellte das Gericht fest, dass Ei – hoffentlich – die Grundlage des Eierlikörs ist. Deshalb, so der Vorsitzende Richter, könne ein locker formulierter Hinweis auf diese Zutat kaum versagt werden. Außerdem, so der Richter, sei „Eieiei“ ein Ausdruck der Überraschung. Als Symbol des Osterfestes sei das Ei auch nicht von einem einzelnen Unternehmen vereinbar.

Die endgültige Entscheidung soll nach Ostern verkündet werden.

„Flinke Frauenhände“

Ich weiß nicht, ob es einen Darwin Award für juristische Fehlleistungen gibt. Aber die Personalabteilung eines Herstellers von Modellfahrzeugen käme garantiert in die engere Wahl. Das Unternehmen wies einen männlichen Bewerber mit einer Begründung ab, die einfach vor Gericht enden musste.

Die Firma stellt Modellfahrzeuge her. Sie hatte eine Stelle als Bestücker (m/w/d) für eine Digitaldruckmaschine ausgeschrieben. Die Einzelteile sind sehr klein und müssen teilweise mit Pinzetten positioniert werden. Die Firma lehnte den männlichen Bewerber ab mit folgender Begründung: „Unsere kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände.“

Der Mann klagte auf eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil er zu Unrecht von der Stelle ausgeschlossen wurde. Vor Gericht behauptete die Firma, die Personalabteilung habe nach dem Bewerber im Internet gesucht. Man sei fündig geworden und habe festgestellt, dass der Mann „große Hände“ hat.

Auch dieses Argument ließ das Landesarbeitsgericht Nürnberg nicht gelten. Aus Fotos lasse sich nicht auf die Fingerfertigkeit eines Bewerbers schließen. Man hätte ihm zumindest die Gelegenheit für Probearbeit geben müssen.

Die Sache kostet das Unternehmen 2.500,00 €. Das entspricht 1,5 Monatsgehältern für den Job (Aktenzeichen 7 Sa 168/22).

Homosexuelle Männer dürfen leichter Blut spenden

Homosexuelle Männer dürfen künftig nicht mehr pauschal als Blutspender ausgeschlossen werden. Der Bundestag verabschiedete ein entsprechendes Gesetz. Danach darf die sexuelle Orientierung nicht mehr abstrakt zum Ausschluss von der Blutspende führen.

Eine Richtlinie der Bundesärztekammer sieht vor, dass Männer, die mit Männern neue Sexualkontakte oder gleichzeitig mehrere Sexualpartner haben, grundsätzlich mindestens vier Monate von der Blutspende ausgeschlossen werden. Damit sollte verhindert werden, dass eine mögliche HIV-Infektion weitergegeben wird.

Diese pauschale Regelung ist künftig obsolet. Allerdings können Blutspendedienste auch künftig nach dem „individuellen Sexualverhalten“ beurteilen, ob ein erhöhtes Risiko besteht. Dieses Prüfungsrecht erstreckt sich dann aber auch nicht nur auf homosexuelle Männer – so jedenfalls die Vorgabe.

Außerdem wird die Altersgrenze für Blutspender aufgehoben. Bislang durften Erstspender – mit regionalen Unterschieden – höchstens 65 Jahre alt sein, die Obergrenze zwischen 70 und 75 Jahren. Künftig geht es um die „individuelle Spendentauglichkeit“, die unabhängig vom Alter sein soll.

Grünen-Politiker täuschte Bedrohungen vor

Ein ehemaliges Mitglied des Erkelenzer Stadtrats hat Bedrohungen gegen sich erfunden. Vier Strafanzeigen hatte der Grünen-Politiker erstattet. Angeblich war sein Auto mit einem Hakenkreuz und dem Schriftzug „Jude“ beschmiert worden, an seinem Hauseingang wollte der Mann SS-Runen entdeckt haben. Schließlich will er einen mit Rasierklingen gefüllten Brief und Morddrohungen der „NSU 2.0“ erhalten haben.

Alles erfunden, vermutete die Polizei recht schnell. Nach einer Durchsuchung seiner Wohnung, bei der wohl passende Malutensilien gefunden wurden, gab der Mann seine Täuschung zu. Gegen eine Geldstrafe von 3.600 Euro legte er dennoch Einspruch ein. Die Verhandlung lief jedoch nicht sonderlich erfolgreich. Sein Anwalt zog den Einspruch nach einem Rechtsgespräch zurück. Von seinen politischen Ämtern ist er zurückgetreten.

Schufa-Score rechtswidrig?

Die Schufa bewertet die Kreditwürdigkeit von Bürgern mit einem weitgehend geheimen Algorithmus. Doch diese Praxis könnte unwirksam sein, so jedenfalls die Tendenz am Europäischen Gerichtshof. Dort hat der zuständige Generalanwalt nun erhebliche Zweifel am Schufa-Score in seiner aktuellen Form geäußert.

Das EU-Recht will vermeiden, dass alleine Maschinen über Dinge wie Kreditwürdigkeit entscheiden. Da die Schufa den Score aber auch nach eigenen Angaben automatisch ermittelt, sieht der Generalanwalt ein unzulässiges Profiling gemäß Art. 22 DSGVO. Außerdem sieht der Generalanwalt eine Pflicht zur Transparenz. Der Betroffene müsse erfahren können, welche Daten in die Prüfung einfließen und nach welcher konkreten Methode ein Ergebnis zustande kommt. Die deutschen Gerichte haben die Schufa-Methode bislang quasi als Geschäftsgeheimnis anerkannt.

Außerdem kritisiert der Generalanwalt, dass die Schufa Daten doppelt so lange vorhält wie die zuständigen Registergerichte. Die nach einem Jahr vorgesehene Löschung solle Schuldnern die Rückkehr ins Wirtschaftsleben ermöglichen. Wenn die Schufa Daten bis zu zwei Jahre speichere, werde dieses Ziel konterkariert.

Mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist erst in einigen Monaten zu rechnen. In den meisten Fällen folgt das Gericht den Schlussanträgen des Generalanwalts (Aktenzeichen C-634/21).

Soldat muss Impfung nicht zustimmen

Wenn man rechtlich zu etwas verpflichtet ist, dann muss man sich nicht noch freiwillig damit einverstanden erklären. Diese Selbstverständlichkeit hat das Bundesverwaltungsgericht nun in einem Urteil hervorgehoben. Allerdings aus berechtigtem Anlass: Einem Soldaten wurde es als Befehlsverweigerung ausgelegt, weil er sich nicht schriftlich mit der Impfung gegen Covid-19 einverstanden erklärte – obwohl er zur Impfung aufgrund gesetzlicher Vorgaben verpflichtet ist.

Der Soldat hatte sich zur vorgeschriebenen Impfung gemeldet. Er kreuzte auf dem ärztlichen Anamnesebogen an, dass er die Impfung ablehnt. Gleichzeitig fügte er aber einen Hinweis hinzu: „Duldungspflicht, da einsatzgleiche Verpflichtung“. Nach eigenen Angaben war er auch bereit, sich impfen zu lassen. Die Mitarbeiterin im Sanitätszentrum schickte ihn nach Hause.

Laut Bundesverwaltungsgericht legt das Dienstrecht dem Soldaten lediglich die „Duldung“ der Impfung auf. Das sei weniger als die Pflicht, sich auch noch ausdrücklich damit einverstanden zu erklären. Für den Soldaten ging es um einiges. Gegen ihn wurden fünf Tage Disziplinarrest verhängt. Zur genaueren Aufklärung des Hergangs wurde die Sache an das Truppendienstgericht zurückverwiesen (Aktenzeichen 2 WNB 2.22).

Luises Tod und die Frage nach der zivilrechtlichen Haftung

Der gewaltsame Tod der 12-jährigen Luise beschäftigt die Menschen. Strafrechtlich können die mutmaßlichen Täterinnen nicht zur Verantwortung gezogen werden. Sie sind nicht strafmündig. Die Rechtslage habe ich hier umrissen. Unabhängig davon ist die Frage, ob die Verdächtigen möglicherweise zivilrechtlich verantwortlich sind – oder sogar ihre Eltern. Konkret geht es vor den Zivilgerichten um Schadensersatz und – vor allem – Schmerzensgeld.

Zivilrechtlich sind die Altersgrenzen im Bürgerlichen Recht anders als im Strafrecht. Keinerlei Ansprüche können gegen Kinder erhoben werden, die noch nicht sieben Jahre alt sind (§ 828 Abs. 1 BGB). Im Alter zwischen 7 und 18 Jahren haften Kinder und Jugendliche, wenn sie „bei Begehung der schädigenden Handlung“ die zur „Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht“ besitzen.

Das wird juristisch anhand folgender Frage beantwortet:

Ist der Betroffene nach seiner individuellen Verstandesentwicklung fähig, die Gefährlichkeit seines Tuns zu erkennen und sich der Verantwortung für sein Tun bewusst zu sein.

Kein Außenstehender kann niemand etwas zum Entwicklungsstand und der Einsichtsfähigkeit der 12- und 13-jährigen Mädchen sagen, denen die Tötung zur Last gelegt wird. Aber allgemein lässt sich festhalten, dass die zivilrechtliche Haftung für eine Messerattacke mit tödlichem Ausgang nicht ganz fern liegt. So musste ein 7-Jähriger haften, weil er trotz Warnung jemandem mit einer Schleuder ein Auge ausgeschossen hat. 10-Jährige sind verantwortlich für das Abfackeln einer Scheune oder die Verletzung eines Spielkameraden mit einem Beil. Ebenso verurteilt wurde ein 12-jähriger Sonderschüler, der auf einem Spielplatz mit Steinen warf.

In einem Prozess würde es natürlich in erster Linie um ein Schmerzensgeld gehen. Die Eltern von Luise haben einen möglichen Schmerzensgeldanspruch geerbt. Die in diesem Fall sicherlich besonders traurige Wahrheit ist allerdings: In Deutschland ist der Tod eines Menschen nicht sonderlich viel wert. Sofern das Opfer an Ort und Stelle verstirbt und nicht noch mehr oder weniger lange leidet, belaufen sich die Schmerzensgelder auf eher geringe Summen. Es gibt Urteile, die in solchen Fällen zehn- bis fünfzehntausend Euro zusprechen. Die Summe scheinen mir oft eher geeignet, bei den Hinterbliebenen noch zusätzliche Schmerzen zu verursachen.

Hinterbliebenen können auch eigene Schmerzensgeldansprüche zustehen. Diese setzten früher eine erhebliche Beeinträchtigung voraus, die über die in solchen Fällen normale psychische Belastung hinausgeht. Die Betroffenen, das können neben den Eltern auch Großeltern und Geschwister sein, mussten beweisen, dass sie nicht nur trauern, sondern tatsächlich physisch oder psychisch krank geworden sind.

Verbessert hat sich die Situation durch § 844 BGB. Dieser gewährt nahestehenden Personen einen eigenen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatzansprüche, zum Beispiel wenn der Getötete unterhaltspflichtig war. Der Gesetzgeber geht beim eigenständigen Schmerzensgeldanspruch von etwa 10.000 Euro aus.

Selbst wenn die verdächtigen Kinder zivilrechtlich verantwortlich sind, muss sich ihre Ersatzpflicht also keineswegs auf exorbitant hohe Beträge belaufen. Die momentane finanzielle Situation der Mädchen spielt allerdings erst mal keine Rolle. Sollten sie zu Schmerzensgeld oder Schadensersatz verurteilt werden, erhalten die Kläger einen vollstreckbaren Titel. Aus diesem Urteil kann 30 Jahre vollstreckt werden. Also auch dann noch, wenn die Betreffenden arbeiten und Schulden abtragen können.

Haften möglicherweise die Eltern der Verdächtigen? Das ist denkbar, denn § 832 BGB normiert eine Haftung von Aufsichtspflichtigen. Das berühmte, aber ebenso oft missverstandene „Eltern haften für ihre Kinder“. Allerdings greift die Haftung laut Gesetz nicht, wenn die Eltern ihrer Aufsichtspflicht genügt haben oder der Schaden auch bei korrektem Verhalten entstanden wäre.

Ausgehend von dieser Prämisse müssten die Eltern konkrete Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft ihrer Kinder gehabt haben, noch dazu in diesem exorbitanten Ausmaß. Das erscheint doch eher unwahrscheinlich.

Im Ergebnis lässt sich festhalten: Vor das Strafgericht wird der Fall nicht kommen. Es sei denn natürlich, die derzeit laufende Suche nach strafmündigen Mittätern oder Gehilfen ist erfolgreich. Zivilrechtlich könnten die Eltern von Luise sehr wohl vorgehen – wenn sie die Kraft und die Nerven dafür haben. Zeit bleibt ihnen immerhin. Die Ansprüche wegen der Tötung eines Menschen verjähren erst nach 30 Jahren.

Schlüsselfragen

Es dürfte kein ganz einfacher Fall werden, den ein 40-Jähriger aus Neubrandenburg seinem (künftigen) Anwalt in die Kanzlei bringt. Der Mann war gegen Mittag am Steuer seines Wagens mit 2,88 Promille aufgefallen. Die Polizisten stellten seinen Führerschein sicher. Weil es schon frühere Trunkenheitsfahrten gab, stellten sie auch seinen Autoschlüssel und das Fahrzeug sicher.

Dies allerdings wollte der Mann wohl so nicht auf sich sitzen lassen. Weil der Abschleppdienst nicht sofort kommen konnte, stand das Auto unbeobachtet auf der Straße. Nachdem ihm auf der Wache eine Blutprobe entnommen worden war, holte der Mann den Zweitschlüssel aus seiner Wohnung. Dann kehrte er zu seinem Auto zurück, setzte er sich laut Zeugenaussagen ans Steuer und parkte das Fahrzeug ordentlich vor seinem Wohnhaus.

Logischerweise erschien die Polizei erneut. Ein erneuter Atemalkoholtest ergab nun 2,95 Promille. Also erneute Blutprobe. Die wurde aber erst entnommen, nachdem die Polizei den Verbleib des Zweitschlüssels geklärt hatte. Weil der 40-Jährige nichts dazu sagen wollte, mussten die Beamten suchen. Der Zweitschlüssel lag im Backofen.

Nicht auszudenken, wenn der Mann sogar noch einen Drittschlüssel hat. Oder das Geld, um sich ein anderes Fahrzeug zu besorgen. Dann allerdings verlangt der Anwalt garantiert Erschwerniszulage.

Das Rotlicht und die Haltelinie

90 Euro sollte mein Mandant bezahlen. Wegen eines Rotlichtverstoßes an der Ampel. Das hätte ihm auch einen Punkt in Flensburg gebracht. Aber eine kritische Nachfrage lohnt sich öfter, als man vielleicht denkt.

Mein Mandant ist fremd in der Stadt am Rhein, in welcher ihn ein Ordnungshüter stoppte. Der Polizist habe ihm vorgeworfen, bei rot „über die Ampel“ gefahren zu sein. Und zwar „mit der ganzen Autolänge“. Diskussion unerwünscht.

Das Ordnungsamt hat den Bußgeldbescheid natürlich erlassen, und zwar anhand der vom Beamten übermittelten Daten. Das ist ein juristischer Blindflug. Eine Schilderung des Sachverhalts fügen Polizisten meist gar nicht bei. In Zeiten von „Massenverfahren“ begnügt man sich mit Datum, Uhrzeit, Ort, Kfz-Kennzeichen, Personalien und Übermittlung des Bußgeldtatbestandes. Auf meine Rückfrage hin musste der Beamte allerdings eine Stellungnahme abgeben.

Danach hatte er meinen Mandanten tatsächlich beobachtet, wie dieser die Haltelinie überfuhr. An dieser Stelle wird es allerdings interessant: „Der Wagen stoppte, wobei nur noch das Heck auf der Haltelinie“ stand.

Aber HALLO, das ist doch kein Rotlichtverstoß. Dieser liegt nicht schon vor, wenn ein Auto über die Haltelinie fährt. Sondern nur, wenn der Wagen tatsächlich in den Bereich rauscht, der von der Ampel geschützt wird. Das kann mitunter auch ein Fußgängerüberweg sein, der noch vor der Ampel liegt, aber hinter der Haltelinie. So einen Überweg gibt es an der fraglichen Stelle aber nicht.

In dem Text des Beamten taucht drei Mal der Begriff Haltelinie auf, den von der Ampel geschützten Bereich thematisiert er dagegen nicht. Man darf also fast ein bisschen davon ausgehen, dass der Polizist (noch) nicht so richtig internalisiert hat, was den von ihm zur Anzeige gebrachten Rotlichtverstoß überhaupt ausmacht.

Das bloße Überfahren der Haltelinie ist zwar auch nicht ok. Aber das „Delikt“ kostet 10 Euro Verwarnungsgeld und damit auch keinen Punkt in Flensburg. Der Mandant war von unserem juristischen Erfolg etwas berauscht. So spekulierte er, ob das ein Geschäftsmodell des Polizisten sein könnte, damit er eine – offiziell natürlich nirgends existierende – Knöllchenquote seine Polizeipräsidenten erfüllt. Für so was habe ich natürlich keinerlei Anhaltspunkte. Aber berauscht hat mich das glückliche Ende dieses kleinen Falles ehrlich gesagt auch ein bisschen.

Zum Pflichtverteidiger „befördert“

Mir ist es – natüüüüürlich – noch nicht passiert, aber es gibt schon mal Zwistigkeiten zwischen Mandant und Verteidiger. Am Ende steht die Kündigung des Mandats, was gerade in einer laufenden Hauptverhandlung Probleme mit sich bringt. In erster Linie für das Gericht. Die Terminsplanung gerät ins Schwimmen, das schätzt kein Gerichtsvorsitzender.

Am elegantesten ist es, wenn der Vorsitzende den Ball wieder ins Feld von Anwalt und Mandant zurückspielt. Beispiel ist ein aktueller Fall. Dort setzte der Vorsitzende den durch Rausschmiss beschäftigungslos gewordenen Wahlverteidiger auf die Gehaltsliste des Staates. Er ernannte ihn zum Pflichtverteidiger. Der Anwalt protestierte zwar dagegen, aber er war erst mal dienstverpflichtet. So konnte weiterverhandelt werden.

Der Anwalt wehrte sich vor Gericht erfolglos gegen seine Bestellung als Pflichtverteidiger. Zur Sicherung des laufenden Verfahrens sei das durchaus denkbar, meint das Oberlandesgericht Brandenburg. Sonst könnte jeder Angeklagte das Verfahren dadurch torpedieren, dass er zu einem günstigen Zeitpunkt seinen Wahlverteidiger feuert und die Verhandlung platzen lässt. Dem nun quasi dienstverpflichteten Anwalt ist so was zuzumuten, es sei denn das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und Mandant ist komplett zerrüttet. Das ist allerdings etwas anderes als ein bloßer Streit über die Strategie. Nachweis also sehr schwierig.

Auf der Seite des Angeklagten, der sich ebenfalls wehrte, sah die Sache anders aus. Der Vorsitzende hat nämlich den Fehler gemacht, ihn nicht vor der Bestellung seines bisherigen Verteidigers zum Pflichtverteidiger anzuhören. Genau das ist in § 142 Abs. 5 StPO aber vorgeschrieben. Der Angeklagte darf sich einen Anwalt wünschen. Das Gericht hätte zwar wichtige Gründe finden können, dem Wunsch des Angeklagten nicht zu entsprechen. Aber um die Anhörung kommt es halt nicht herum, so das Oberlandesgericht Brandenburg.

Die betreffende Stellungnahmefrist für den Angeklagten muss auch bei einem Anwaltswechsel im laufenden Verfahren angemessen sein. Deshalb lässt sich, so das Oberlandesgericht, selbst ein Platzen des Prozesses nicht immer vermeiden. Der Zweck heiligt halt nicht jedes Mittel.

Der Beschluss ist bei Rechtsanwalt Detlef Burhoff nachzulesen.

Darf man vor der Polizei flüchten?

Wir waren vor Gericht in Geständnislaune. Ja, mein Mandant hatte im Stadtpark einige Gramm Marihuana bei sich. Außerdem hatte er auch schon was davon geraucht, so dass ihm auf seiner Parkbank nichts auffiel – bis sich zwei Kripo-Beamte zu ihm gesellten. Und dann war es natürlich zu spät…

… oder auch nicht. Mein Mandant nutzte die eher lockere Gesprächsatmosphäre, um sich schnellen Fußes zu entfernen. Die beiden Polizisten hatte er schon abgehängt. Bei einem Motorradpolizisten gelang ihm das aber nicht. Vorläufige Festnahme. Später eine Anklage wegen des Besitzes von Betäubungsmitteln.

Die Polizisten waren im Gericht eigentlich gut drauf. Die Männer von der Kripo erkannten neidlos an, dass mein Mandant besser in Form war. Der Krad-Polizist lobte meinen Mandanten fürs prompte Stehenbleiben, als er die Sirene aufheulen ließ. Nur der Vertreter der Staatsanwaltschaft schoss quer. Der Rechtsreferendar hielt ein besonders schneidiges Plädoyer. Kernsatz:

Strafschärfend ist zu Lasten des Angeklagten ganz erheblich zu berücksichtigen, dass er geflohen ist.

Klingt erst mal plausibel. Entspricht aber leider nicht der Rechtslage. Das deutsche Strafrecht respektiert seit jeher den Freiheitsdrang des Menschen. Abhauen als solches ist nicht strafbar. Wer also vor der Polizei davon läuft, darf deswegen nicht härter bestraft werden. Siehe auch dutzende Gerichtsurteile.

Ich sagte in meinem Plädoyer bewusst gar nichts Großartiges zu dem Fluchtvorwurf. So kriegte der Richter die Gelegenheit, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft höflich, aber bestimmt die Rechtslage zu erklären. Das Urteil selbst fiel am Ende noch einen Tick milder aus, als ich es ohnehin erhofft hatte.

Todesfall Luise: Kinder können nicht bestraft werden

Der gewaltsame Tod der 12-jährigen Luise durch Messerstiche könnte aufgeklärt sein. Die Staatsanwaltschaft gab heute bekannt, dass es zwei Tatverdächtige gibt. Es handelt sich um zwei Mädchen, 12 und 13 Jahre alt. Laut den Ermittlern haben die Kinder die Tat eingeräumt.

Können die Mädchen für ihre Tat bestraft werden? Diese Frage lässt sich eindeutig beantworten. Sie können nicht. Denn nach deutscher Rechtslage gelten Kinder als schuldunfähig (§ 19 StGB). Fehlt die Schuld, ist eine Bestrafung schlicht nicht möglich. Demgemäß gilt das Jugendstrafrecht auch erst für Personen über 14 Jahren (§ 1 JGG).

Die Altersgrenze von 14 Jahren ist starr ausgestaltet. Das heißt, selbst bei schwersten Delikten ist eine Bestrafung von Kindern nicht erlaubt. Natürlich muss das zuständige Jugendamt schauen, ob es bei den Tatverdächtigen Hilfsbedarf gibt. Der Blick der Jugendämter ist aber immer nur in die Zukunft gerichtet und am Erziehungsgedanken orientiert. Sanktionen wegen eines Fehlverhaltens in der Vergangenheit dürfen diese Träger nicht verhängen.

Die Polizei wird die Tatumstände natürlich nach Möglichkeit klären. Dem Staatsanwalt bleibt aber nichts anderes übrig, als das Verfahren am Ende ohne Anklage oder sonstige Folgen einzustellen.

Keine Faxe ans Gericht

Herr S. fand sich in einem abgeschlossenen Raum der Psychiatrie wieder. Am frühen Abend komme der Richter, wurde ihm gesagt. Der Richter werde über seine vorläufige Zwangsunterbringung entscheiden. Freundlicherweise hatte man Herrn S. immerhin sein Handy gelassen. Bei der Suche nach einem Anwalt fiel ihm mein Name ein – und so hatte ich ihn am Telefon.

Die Sache spielt zu weit weg, Unterbringungsrecht bearbeite ich auch nicht. Aber immerhin konnte ich Herrn S. einen Anwaltskollegen vor Ort empfehlen. Der war aber zunächst nicht zu sprechen. Deshalb gab ich Herrn S. den Tipp, per Fax einen Antrag bei Gericht zu stellen, dass ihm der Anwalt beigeordnet wird – auch schon für die für den späten Abend geplante Anhörung durch den Richter.

Herr S. ging, ebenso wie ich, davon aus, es sei in einem Rechtsstaat selbstverständlich, dass sich ein vorläufig Untergebrachter jederzeit ans Gericht wenden darf. Doch die Ärztin belehrte Herrn S., das Gericht nehme nur Briefe an. Keine Faxe Er müsse das Schreiben in die normale Post geben. Was bei den Postlaufzeiten natürlich unheimlich Sinn macht. Im übrigen hatte die Ärztin keine Erklärung dafür, wie denn ihre Klinik selbst eilige Unterbringungsanträge bei Gericht stellt. Auch per Briefpost? Na, dann viel Glück bei den künftigen Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung.

Vorsicht an der Bahnsteigkante

Manche Mandanten haben ein sonniges Gemüt. So jener, der mit dem Brief eines Amtsgerichts zu mir kam. Das Gericht erwäge den Erlass eines Strafbefehls, wurde dem Mandanten mitgeteilt. Er möge binnen einer Woche einen Pflichtverteidiger benennen. Sonst werde ihm ein Pflichtverteidiger vom Gericht bestellt.

Besonders erfreut war der Mandant vom Servicegedanken. Fand er super, dass er sogar einen Anwalt vom Gericht bekommt. Tja, in der Justiz wird der Servicegedanke halt noch groß geschrieben.

Das mit dem Strafbefahl gefiel dem Mandanten auch. Sicher hat er Mist gebaut. Aber jetzt könne er doch auf die ersehnte Geldstrafe hoffen. Mehr als 90 Tagessätze, also etwas bis zur Eintragungsgrenze für Vorstrafen, dürften doch kaum werden. Sagt Rechtsanwalt Dr. Google.

Ich durfte den Überbringer schlechter Nachrichten spielen. In mehrfacher Hinsicht. Den Pflichtverteidiger gibt es im Strafbefehlsverfahren nur, wenn der Richter eine Haftstrafe verhängen will. Ohne Verteidiger dürfen nur Geldstrafen verhängt werden, mit Verteidiger Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr.

Die vermeintlich großzügige gerichtliche Beiordnung eines Anwalts ist letztlich eine Mogelpackung, jedenfalls in finanzieller Hinsicht. Wenn der Beschuldigte verurteilt wird, muss er die Verfahrenskosten tragen. Zu diesen gehören auch die Honorare, die das Gericht an den Pflichtverteidiger zahlt. Mehr als ein Kredit ist die Beiordnung also nicht.

Allerdings gab es natürlich doch noch eine positive Seite. Nichts wird im Strafverfahren so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das steht wahrscheinlich auch bei Google, stimmt aber. Auch wenn der Richter sich schon recht deutlich positioniert hat, ist eine Geldstrafe nicht ausgeschlossen. Nicht mal eine Einstellung. Der Instanzenzug steht ja quasi noch im Bahnhof, auf der anstehenden Reise kann viel passieren…