Riesige Probleme durch Strafverschärfung

Hauptsache, Verbrechen. Dies war das Motto der früheren Justizministerin Christiane Lambrecht. Mit der Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis wollte sie weg vom Vorwurf des zu laxen Umgangs mit dem Besitz und der Verbreitung von Kinderpornografie. Nun zeigt sich, dass die Gesetzesverschärfung zum Jahresanfang 2022 zu riesigen Problem führt und den Rechtsstaat beschädigt.

Mittlerweile haben Amtsrichter den neuen § 184b StGB vor das Bundesverfassungsgericht gebracht. Die Landesjustizminister forderten im November, die Neuregelung rückgängig zu machen. Nun nehmen sich laut Medienberichten Politiker der Regierungskoalition den Bedenken an und wollen eine Änderung prüfen. Ob und inwieweit der Bundesjustizminister mit im Boot ist, scheint momentan allerdings noch unklar.

Hauptkritikpunkt ist, dass schon der Besitz eines einzigen strafbaren Bildes zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr führt. Genannt werden etwa Beispiele, in denen Eltern auf dem Handy ihres Kindes fragwürdige Inhalte finden und diese zur Warnung an andere Eltern weiterleiten. Auch Spaßbilder und -videos, die in häufig riesigen Chatgruppen geteilt, aber nicht unbedingt vom einzelnen zur Kenntnis genommen werden, sind ein Problem. Aufgefallen ist irgendwann auch, dass die Berufsgruppe der Beamten besonders betroffen ist. Bei der nun zwingenden Mindeststrafe müsste ein Beamter entlassen werden, überdies verlöre er seine Pensionsansprüche.

Es fehlt bei der Neuregelung also erkennbar an der Möglichkeit, minder schwere Fälle als solche zu behandeln. Der minder schwere Fall ist sonst im Gesetz regelmäßig eingebaut, um Härten abzufedern. „Staatsanwälte brauchen die Möglichkeit, bei Bagatellfällen von der Strafverfolgung absehen zu können“, sagt etwa der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner. Nach seiner Meinung binden solche Fälle zu viel Personal bei Polizei und Justiz. Diese Kräfte fehlten bei der Verfolgung des in der Realität stattfindenden Missbrauchs.

Ihren Fingerabdruck, bitte

Der Fingerabdrucksensor auf dem Handy ist eine bequeme Sache. Aber wie weit reicht der Schutz, wenn wenn die Polizei an die Daten im Handy gelangen möchte? Keinen Zentimeter, wie eine aktuelle Entscheidung des Landgerichts Ravensburg zeigt.

Ein Beschuldigter hatte sich geweigert, sein Handy zu entsperren. Er war vor allem nicht bereit, den passenden Finger auf den Fingerabdrucksensor zu legen. Der Ermittlungsrichter ordnete an, dass dem Mann Fingerabdrücke abgenommen werden. Mit den Prints entsperrte die Polizei selbst das Handy.

Diese Maßnahme ist nach Auffassung des Landgerichts Ravensburg durch § 81b Abs. 1 StPO gedeckt. Dieser Paragraf lässt die Abnahme von Fingerabdrücken zu, soweit dies für das Strafverfahren notwendig ist. Natürlich war die Vorschrift nie und nimmer dafür gedacht, biometrische Sperren zu umgehen. Als sie in Kraft trat, war das Leben noch 100 % analog, und es ging um den Vergleich von Tatortspuren oder Identifizierung von Personen.

Doch für die Ravensburger Richter ist das kein großes Problem. Sie meinen, der „statische Wortlaut“ sei eben „technikoffen“ formuliert. Der Gesetzgeber habe ja schon mehrfach Gelegenheit gehabt, die Vorschrift zu begrenzen. Mit anderen Worten: Passt was nicht, wird es passend gemacht.

Die Entscheidung wird schnell die Runde machen. Und dann soll man beim Polizeikontakt also künftig nicht nur seinen Ausweis zeigen, sondern je nach Gesprächsverlauf auch noch seinen Fingerabdruck hergeben, damit die Beamten „mal auf das Handy schauen können“. Das fängt übrigens schon bei der durch andere Urteile entfachten Jagd auf Blitzer-Apps an. Zumal in dem Fall zwar ein Richter entschieden hat. Das ist aber an sich gar nicht notwendig. Die Abnahme von Fingerabdrücken steht nicht mal unter Richtervorbehalt.

Die Lehre aus dem Beschluss? Wer vorausschauend denkt, deaktiviert die Fingerabdrucksperre. Ein Passwort muss man in Deutschland bislang nicht herausgeben. Auch kann man bislang nicht gezwungen werden, ein Entsperrmuster zu zeichnen.

Nachlesen kann man den Beschluss im Burhoff Blog.

Mission Impossible

Manche Fälle sind eine Mission Impossible. Am Mittwoch einer meiner Mandanten festgenommen. Aufgrund eines neu gegen ihn ausgestellten Haftbefehls. Ihm werden Betrugstaten zur Last gelegt. Angeblich Fluchtgefahr.

Nun ja, als Verteidiger schaut man dann natürlich immer: Wie lässt sich der Haftgrund entkräften? In diesen Fall gibt es einen ganz besonderen Umstand. Der Mandant ist nämlich vor einiger Zeit zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dabei ging es nicht um Betrug. Das klingt jetzt viel, aber dank des Bundesgerichtshofs erging dieses Urteil in einer Neuauflage des Prozesses. Im ersten Urteil hatte der Mandant noch fünfeinhalb Jahre gekriegt. Die vier Jahre sind nun aber rechtskräftig, beim erneuten Revisionsanlauf waren die Revisionsrichter weniger gnädig.

Wie das so bei rechtskräftigen Urteilen ist, folgte die Ladung zum Strafantritt auf dem Fuß. Bis nächsten Dienstag hätte der Mandant seine vierjährige Haftstrafe ohnehin antreten müssen. Damit habe ich in der neuen Angelegenheit beim Haftrichter argumentiert. Der Mandant wurde nämlich ganz brav zu Hause verhaftet. Obwohl er nun seit langer Zeit weiß, dass ihm eine Haftstrafe bevorsteht. Wenn er wegen des unmittelbar bevorstehenden Haftantritts nicht wegläuft, warum sollte er es dann wegen der neuen Vorwürfe tun?

Aber wenig überraschend sah es der Haftrichter genau anders herum. Die neuen Vorwürfe erhöhen nach seiner Meinung den Fluchtanreiz. Natürlich sah der Richter mein Dilemma: Selbst wenn ich nun sofort eine Haftprüfung beantrage, dürfen bis zur Verhandlung zwei Wochen vergehen. Bis dahin hätte die Strafhaft des Mandanten ohnehin schon begonnen. Und eine Beschwerde? Kaum vorstellbar, dass das Landgericht bis zum heutigen Freitag entscheidet – und dem Mandanten so noch ein Wochenende in Freiheit gewährt. Am Montag wäre eine positive Entscheidung ohnehin weitgehend für die Katz. Die Strafhaft muss der Mandant wie gesagt am Dienstag antreten.

Den Mandanten konnte ich nur damit trösten, dass ihm die Untersuchungshaft bis Dienstag am Ende angerechnet wird. Er kommt so oder so ein paar Tage früher raus. Begeisterung sieht allerdings anders aus.

Auf der Lauer

Wo ist die Polizei, wenn man sie mal braucht? Für einen Herbsttag im Jahre 2022 kann ich es euch sagen. Lesen wir doch die Strafanzeige:

Die Beamten (Dez. Bekämpfung Straßenkriminalität) observierten das Freigelände im Übergangsbereich zum dortigen Berufskolleg. Sie konnten beobachten, wie der Beschuldigte J. sich einen Joint drehte. Der Beschuldigte S. stand daneben. Beide Beschuldigten konsumierten den Joint. … Der Beschuldigte J. hatte noch eine geringe Menge (ca. 1 Gramm) Marihuana in der Tasche. Die Durchsuchung des Beschuldigten S. verlief ergebnislos. Beide wurden nach Ende der Maßnahme zurück in die Berufsschule entlassen.

Auch gegen meinen Mandanten, Herrn S., wurde ein Ermittlungsverfahren auf den Weg gebracht. Zur Erinnerung: S. ist derjenige, der nur am Joint gezogen hat. Der Vorwurf lautete: „Besitz von Betäubungsmitteln.“

Außer Spesen nichts gewesen, kann man als Anwalt dazu nur sagen. Mein Mandant hat keine Betäubungsmittel besessen. Er hat höchstens welche konsumiert. Das ist ein gravierender Unterschied. Denn der Konsum als solcher ist in Deutschland nicht strafbar, der Besitz aber schon. Wer also an einem fremden Joint zieht, an Ort und Stelle fremdes Kokain schnupft oder an der Bong eines anderen mitraucht, begeht keine Straftat.

Dem zuständigen Staatsanwalt war die Rechtslage natürlich bekannt. Er stellte das Verfahren gleich von sich aus ein. Richtigerweise hätten die Beamten aber gleich einen Anfangsverdacht gegen meinen Mandanten verneinen und von einer Anzeige absehen müssen. Das ist keine Lappalie, denn nun gelangt die Akte womöglich zum Straßenverkehrsamt. In einer Kommune mit Nulltoleranzpolitik kann das den Führerschein kosten, selbst wenn mein Mandant gar nicht mit dem Auto unterwegs war. Wäre natürlich nicht so super, für einen angehenden Mechatroniker.

Kommt Zeit, kommt Einstellung

Wie die Zeit vergeht. Im Januar 2020 musste mein Mandant eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen. Die Polizei nahm seinen Desktop-Rechner, ein Tablet, externe Festplatten und Speicherkarten mit. Wie in solchen Fällen üblich, fragten die Polizisten vor Ort nach den Passwörtern für die Hardware. Allerdings kannte mein Mandant seine Rechte. Er sagte überhaupt nichts zur Sache. Zugangsdaten gab er schon gar nicht raus. Auch verweigerte er jede Auskunft darüber, ob und wie seine Datenträger verschlüsselt sind.

Wir erhielten Akteneinsicht und stellten fest, dass es für den Tatvorwurf keine tragfähigen Beweise gibt. Bislang. Es kam also im Zweifel darauf an, was sich auf den beschlagnahmten Datenträgern befand. Die allerdings hatte mein Mandant verschlüsselt. Er meinte zwar, dass er an sich nichts zu verbergen hat, weil er die fragliche Straftat nicht begangen hat. Andererseits hatte er aber keinerlei Lust, dass sich die Polizei durch das digitale Abbild seine Lebens wühlt.

Nach drei Jahren liegt nun das Ergebnis der Ermittlungen vor. Im Februar 2023 schaute sich ein Auswerter bei der Kriminalpolizei erstmals die Datenträger an. Bis dahin hatten sie wohl in einem der vielen Kartons geschlummert, die auf vielen Polizeidienststellen rumstehen. Der Beamte stellte fest: Die Datenträger sind ja verschlüsselt. Er rief darauf hin den Staatsanwalt an, der folgendes zu Papier brachte:

Eine erste Auswertung hat nach Angaben von Kriminalkommissar J. ergeben, dass alle Datenträger verschlüsselt sind. Im Hinblick auf den Zeitablauf und den nicht sonderlich schweren Vorwurf ist eine kosten- und zeitaufwendige Entschlüsselung – sofern überhaupt möglich – nicht verhältnismäßig. Das Verfahren wird nach nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Was am Anfang noch für eine Hausdurchsuchung reichte, ist nach so langer Zeit halt nur noch lästiger Ballast, der das sonstige Tagesgeschäft zum Stocken bringt. Die Zeit ist mitunter der beste Verbündete eines Beschuldigten. Ihr glaubt gar nicht, mit welcher Engelsgeduld ich das mittlerweile meinen Mandanten erkläre.

Richterin soll ins Gefängnis

Die Strafrichter am Landgericht Stade springen nicht gerade zimperlich mit einer Kollegin um. Sie verurteilten eine Amtsrichterin wegen Rechtsbeugung ( § 339 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. So eine Strafe kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Außerdem würde die Richterin neben ihrem Amt auch alle Pensionsansprüche verlieren.

Die Juristin soll in mindestens 15 Fällen Betroffene in die Psychiatrie eingewiesen haben, ohne sie vorher persönlich anzuhören. Dabei ist eine Anhörung zwingend vorgeschrieben (§ 332 FamFG). Sie darf nur bei besonderer Dringlichkeit unterbleiben. Aber selbst dann muss die Anhörung unverzüglich nachgeholt werden. In vielen Fällen hatte die Richterin die Betroffenen aber gar nicht angehört, einige erst nach etlicher Zeit (20 bzw. 50 Tage).

Die Richterin berief sich auf hohe Arbeitsbelastung. Deshalb habe sie nicht vorsätzlich gehandelt. Der Vorsatz ist der Knackpunkt. Richtern kann zwar oft eine fehlerhafte Rechtsanwendung vorgeworfen werden. Das bedeutet aber nicht, dass ihnen auch bewusst war, dass sie den Boden des Gesetzes komplett verlassen haben und dies auch wollen. Auch in dem Fall in Stade war dies das Kernproblem. Deshalb plädierte sogar die Staatsanwaltschaft für einen Freispruch.

Das Gericht verwies jedoch darauf, dass die Angeklagte nachweislich von Kollegen auf die zwingende Praxis hingewiesen wurde. Sie soll darauf aber gesagt haben, sie vertrete eine andere Auffassung und habe einfach weitergemacht. Hieraus leitet das Gericht ein „systematisches Vorgehen“ ab, aus dem sich ein Vorsatz begründen lässt.

Gegen das Urteil kann die Noch-Richterin Revision einlegen.

Bericht in der Legal Tribune Online

Fristen gelten bis zum letzten Tag

Eigentlich wollte sich ein Leistungsempfänger gegen einen Bußgeldbescheid des Jobcenters wehren. Dafür hatte er zwei Wochen Zeit. Am Tag des Fristablaufs erkrankte er jedoch nachweislich so heftig, dass er den Einspruch nicht mehr einlegen konnte. Er musste sich bis zum Bundesverfassungsgericht hochklagen, damit er seine Rechte nicht verliert.

Grundsätzlich kann man Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhalten, wenn man eine Frist unverschuldet versäumt hat. Krankheit ist der klassische Grund. Das Jobcenter wehrte sich jedoch mit der Begründung, es habe ja niemand den Mann gezwungen, bis zum letzten Tag zu warten. So sah es auch das Amtsgericht Diepholz.

Das Bundesverfassungsgericht stellt sich dem entgegen. Fristen seien zwar wichtig, um rechtliche Sachverhalte abschließend zu klären. Allerdings habe der Bürger umgekehrt das Recht, Fristen bis zum Schluss zu nutzen. Dem Mann könne also gerade nicht vorgehalten werden, er hätte sich früher um den Einspruch kümmern können. Das sei mit einem effektiven Rechtsschutz nicht zu vereinbaren.

Wenn man eine Frist unverschuldet versäumt, muss man schnellstmöglich Wiedereinsetzung beantragen, in dem man den Einspruch oder den zulässigen Rechtsbehelf nachholt. Gleichzeitig muss man die widrigen Umstände glaubhaft machen, hier zum Beispiel durch ein Attest. Das Ganze muss im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht innerhalb von einer Woche nachgeholt werden. Diese Nachholfrist beginnt in dem Augenblick, in dem der Grund für die Verhinderung wegfällt (Aktenzeichen 2 BvR 653/20).

Derzeit unverbesserlich

Erstmals sind Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. Konkret ging es um eine Straßenblockade in Heilbronn im Februar. Zwei der Angeklagten hatten schon früher Straßen blockiert und dafür Geldstrafen kassiert. Deshalb sah das Amtsgericht Heilbronn keine Möglichkeit, noch einmal Bewährung zu geben.

An sich sollen kurze Freiheitsstrafen unter sechs Monaten gar nicht verhängt werden. So regelt es § 47 StGB. Selbst wenn eine Freiheitsstrafe also naheliegt, kann und soll unter Berufung auf diese Vorschrift die Haftstrafe in eine Geldstrafe umgewandelt werden. Soweit die Regel. Diese gilt aber nur, wenn nicht die besonderen Umstände der Tat oder die Persönlichkeit des Täters „die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich macht“.

Bei den beiden Angeklagten bejaht das Amtsgericht diesen Ausnahmefall. Die Männer hatten vor Gericht erklärt, dass sie mit ihren Aktionen weitermachen wollen. In der Tat setzte sich einer der Angeklagten nach dem Urteil gleich wieder auf eine Straße. Da bleibt insgesamt dann auch wenig Spielraum für eine Strafaussetzung zur Bewährung. Es wird interessant, ob andere Gerichte ebenfalls so schnell eskalieren.

Moderater geht der Marburger Oberbürgermeister Thomas Spies mit der Letzten Generation um. Tatsächlich kauft er seine Stadt von weiteren Blockaden frei, indem er Forderungen der Gruppe erfüllt. Die Letzte Generation hatte von ihm, aber auch von anderen Kommunen verlangt, ihre Forderungen in einem Brief an alle Bundestagsfraktionen zu unterstützen. Spies befürwortete also die Forderungen nach dem 9-Euro-Ticket, einem Tempolimit auf Autobahnen und die Schaffung eines Bürger- und Gesellschaftsrates mit zufällig ausgewählten Mitgliedern. Dieses Gremium soll „die Frage beraten, wie wir in Deutschland Nullemissionen bis 2030 erreichen“.

Der SPD-Bürgermeister verteidigt seinen Brief damit, er bringe ohnehin nur zum Ausdruck, „was in der Universitätsstadt Marburg Beschlusslage ist“. Das ändert aber nichts daran, dass sich der Oberbürgermeister faktisch erpressen lässt. Fragt sich nur, wie er sich verhält, wenn die Letzte Generation erst mal die wirklich harten Forderungen stellt.

„Keine Werbung einwerfen“

Der Hinweis „Bitte keine Werbung einwerfen“ ist nicht wörtlich zu nehmen. Vielmehr bringt der Briefkastenbesitzer damit rechtsverbindlich zum Ausdruck, dass er auch sonst im Eingangsbereich des Hauses keine Werbung wünscht, so das Amtsgericht München. Konkret ging es um Flyer einer Umzugsfirma, diese waren in eine Ritze zwischen den Briefkästen eines Mietshauses und der Briefkastenanlage geklemmt.

Gegen wild abgelegte Flyer können sich laut dem Gericht auch Mieter wehren, nicht nur der Hauseigentümer. Niemand müsse sich Werbung aufdrängen lassen, das Abwehrrecht gelte auch „außerhalb“ des eigenen Briefkastens (Aktenzeichen 142 C 12408/21).

Klausuren fallen unter die DSGVO

Nach der Datenschutz-Grundverordnung hat jeder Anspruch auf Auskunft darüber, welche Daten über ihn gespeichert sind. Hiervon sind auch Examensklausuren nicht ausgeschlossen, stellt das Bundesverwaltungsgericht klar. Das Land Nordrhein-Westfalen muss einem Rechtsassesor die Klausuren komplett zur Verfügung stellen – und zwar kostenlos.

Auch Prüfungsleistungen sind nach dem Urteil personenbezogene Daten. Nach geltender Rechtslage kann man bei Firmen, Organisationen und Behörden jederzeit sämtliche gespeicherten Informationen anfordern, sofern die Auskunft zumutbar ist. Gebühren dürfen dafür nicht berechnet werden. Das Land Nordrhein-Westfalen wollte von dem Kandidaten dagegen 69,70 € auf der Grundlage der Gebühren des Justizausbildungsgesetzes haben.

Laut dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist die Übermittlung der Klausuren kein großer Aufwand, auch wenn es in dem Fall um 348 Seiten ging. Ausschlussfristen im Prüfungsrecht schränken den datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch laut dem Urteil ebenfalls nicht ein (Aktenzeichen 6 C 10.21).

Beilenker auf dem E-Scooter

Fast schon tragisch ist das Schicksal eines (mutmaßlich jungen) Mannes, der als Sozius auf einem E-Scooter mitfuhr. Er stand also hinter dem Fahrer, hielt sich aber mit am Lenker fest. Weil beide um 4.05 Uhr morgens auf einem Radweg in unzulässiger Richtung fuhren, nahm das Unglück seinen Lauf.

Der Beilenker musste eine Blutprobe abgeben. 1,2 Promille. Damit war er absolut fahruntüchtig – wenn er gemäß § 316 StGB als „Führer“ des Scooters anzusehen ist. Das Landgericht Oldenburg hat daran keinen Zweifel. Ein Fahrzeug führe jeder, der für die zielgerichtete Fortbewegung des Vehikels sorge. Dazu gehöre auch das Lenken bzw. Festhalten am Lenker, selbst wenn der Betroffene selbst die Fahrtrichtung nicht verändert habe.

Die Fahrerlaubnis des Mannes durfte also vorläufig entzogen werden. Zu der Frage, ob der eigentliche Fahrer nüchtern war, schweigt sich der Gerichtsbeschluss aus, es würde in rechtlicher Hinsicht aber wohl auch nichts ändern.

Polizistin scheitert mit Beschwerde

Polizisten können zum Tragen von Namensschildern verpflichtet werden. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde einer Kommissarin aus Brandenburg zurück. Diese befürchtete, dass ihr Name nach dem Einsatz gegoogelt wird und ihr dadurch Nachteile entstehen.

Wie schon die Verwaltungsgerichte weisen die Verfassungsrichter darauf hin, dass jeden Tag auch eine Vielzahl anderer Beamte ihren Namen preisgeben, wenn sie mit Bürgern sprechen, Briefe rausschicken und Bescheide erlassen. Die Polizistin habe nicht nachvollziehbar dargelegt, wieso sie stärker gefährdet sei als viele andere Angehörige des öffentlichen Dienstes.

Die Polizistin wandte außerdem ein, eine Dienstnummer reiche im Zweifel aus. Allerdings, so das Bundesverfassungsgericht, gehe es den Polizeibehörden auch um Bürgernähe. Dieses Ziel werde mit einer Dienstnummer eher nicht erreicht. Letztlich weisen die Verfassungsrichter darauf hin, dass die Beamtin mit entsprechenden Privatsphäreeinstellungen in sozialen Netzwerken und einer Sperre ihrer Meldedaten selbst den von ihr befürchteten „Google“-Effekt mindern könne (Aktenzeichen 2 BvR 2202/19).

Mit dem Tretroller unterwegs

Auch wenn die Dinger heutzutage an jeder Ecke stehen, sollte man in angeschickertem Zustand die Finger von E-Scootern lassen. Die Nutzung kann den Führerschein kosten und (Geld-)Strafen nach sich ziehen. Aber ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht, wie ein aktuelles Urteil des Landgerichts Hildesheim zeigt.

Ein Mann war nach einigen Joints mit einem unversicherten E-Scooter unterwegs. Allerdings funktionierte der Antrieb nicht, so dass der Betroffene das Gefährt mit bloßer Muskelkraft bewegte. Es handelte sich also um einen E-Scooter, der als Tretroller genutzt wurde. Laut Gericht hat sich der Tretrollerfahrer nicht strafbar gemacht, denn sein Gefährt habe er nur damit jedenfalls nicht als Kraftfahrzeug genutzt. Fürs Tretrollerfahren bedürfe es aber keiner Versicherung, keiner Fahrerlaubnis – und die Regeln übers Fahren unter Drogeneinfluss seien auch nicht anwendbar.

In dem Prozess konnte der Mann belegen, dass er den defekten Roller gerade in die Werkstatt bringen wollte. Das half ihm sehr (Aktenzeichen 13 Ns 40 Js 25077/21).

„Faktische Öffentlichkeit“

Bei Polizeieinsätzen kommen Betroffene und Zuschauer aus naheliegenden Gründen auf den Gedanken, den Vorfall zu filmen oder zumindest den Wortwechsel aufzunehmen. Ob und inwieweit Tonaufnahmen bei Polizeieinsätzen in der Öffentlichkeit zulässig sind, damit hat sich nun das Oberlandesgericht Düsseldorf beschäftigt. Laut dem Urteil kann es jedenfalls nicht grundsätzlich unzulässig, Gespräche mit Polizeibeamten aufzunehmen (Aktenzeichen 3 RVs 28/22).

Am Rande einer Kundgebung in Wuppertal wurde eine Teilnehmerin von der Polizei kontrolliert. Sie soll gegen das Vermummungsverbot verstoßen haben, weil sie ihre Kapuze hochgezogen hatte. (Von diesem Vorwurf wurde sie später freigesprochen, weil sie sagte, sie habe an dem kalten Novembertag an den Ohren gefroren.) Während des Gesprächs mit den Polizeibeamten ließ sie ihr Smartphone laufen, welches aber nur den Ton aufnahm. Die Beamten hatten die Frau zwar etwas zur Seite genommen, diese hatte andere Teilnehmer aber darauf aufmerksam gemacht, so dass – möglicherweise – mehrere Personen zuhörten.

Bei dieser Ausgangssituation ist die Tonaufzeichnung keine Straftat nach § 201 StGB, so das Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Richter vergleichen die Situation mit einem Stammtisch in einem Gasthaus. Wer da lauter rede, mache seine Worte auch öffentlich, selbst wenn er diese nur an seine Stammtischbrüder richte. Es gebe eine „faktische Öffentlichkeit“ jedenfalls dann, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, in denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden könne. Ob die Polizeibeamten tatsächlich wussten, dass Dritte zuhören, spiele keine Rolle.

Mit dem Begriff der „faktischen Öffentlichkeit“ wird man in solchen Fällen künftig gut arbeiten können. Allerdings gibt es auch schon diverse Gerichtsentscheidungen, die in eine völlig andere Richtung gehen. Hier wurde Polizeibeamten der Schutz vor Ton- und Bildaufnahmen zugebilligt.

Strafgerichte verurteilen weniger Menschen

Im Jahr 2021 wurden 662.100 Menschen von deutschen Strafgerichten verurteilt. Das sind 37.200 weniger als im Vorjahr, was einen Rückgang von 5,3 % bedeutet. Damit setzt sich der schon seit Jahren rückläufige Trend bei den Verurteilungen fort, informierte heute das Statistische Bundesamt.

Die weitaus meisten Verurteilungen resultieren aus Straftaten im Straßenverkehr (157.500), wobei den größten Anteil hieran Verurteilungen wegen Fahrerflucht haben. Eigentums- und Vermögensdelikte stehen auf Platz 2 mit 117.900 Verurteilungen. Auch hier ist ein Rückgang von 5,6 % zu verzeichnen.

Angestiegen ist die Zahl der Verurteilungen wegen Beileidigung (27.900, + 3,8 %). Auch bei den Sexualdelikten gab es eine Zunahme um 10,1 %. Hier weisen die Statistiker allerdings darauf hin, dass in diesem Bereich neue Straftatbestände geschaffen und bestehende (meist) verschärft wurden. 79,2 % der Verurteilungen resultieren in Geldstrafen, der Rest sind Freiheits- oder Jugendstrafen.