Die Reichsdeutschen

Geschichten, die das Leben schreibt.

Am Montagabend kontrollierten Beamte der Polizeiinspektion Fahndung aus Traunstein auf der Autobahn einen Pkw mit zwei Insassen. Beide händigten neben ihren nationalen Ausweisen auch noch solche des "Deutschen Reichs" aus.

Der Fahrer, ein 54-jähriger Österreicher, kam der Aufforderung sich auszuweisen sogleich nach. Doch paradoxerweise händigte er zwei Personalausweise aus: einen österreichischen und einen „Personalausweis des Deutschen Reichs“. Der Mann
erklärte den Beamten, der österreichische Ausweis sei falsch und nur der „Reichsausweis“ echt.

Dass es sich bei dem „Reichsausweis“ um ein Phantasiedokument handelte, welches selbst hergestellt wurde, war offensichtlich. Desweiteren überreichte der Fahrer auch noch einen selbst hergestellten Führerschein des „Deutschen Reichs“.

Bei der 46-jährigen Beifahrerin, welche zunächst ihren regulären deutschen Personalausweis aushändigte, wurden in der Handtasche ebenfalls ein solcher Dokumentensatz, bestehend aus einem „Reichsausweis“ und einem „Reichsführerschein“ sowie ein Stempelsiegel des „Reichsland Österreich“ gefunden.

Die anschließende polizeiliche Aufarbeitung brachte noch einige Überraschungen zu Tage. Kaum waren die Beamten auf der Wache eingetroffen, meldeten sich nacheinander telefonisch zwei Damen, welche behaupteten, sie seien von der „Staatsanwaltschaft – Deutsches Reich“ sowie der „Generalstaatsanwaltschaft in Berlin“.

Sie seien mit dem polizeilichen Einschreiten gegen die Fahrzeuginsassen nicht einverstanden. Eine Internetrecherche ergab, dass es sich bei den „Reichsdeutschen“ um eine Vereinigung handelt, welche der Idee anhängt, dass die Reichsverfassung der Weimarer Republik durch die Wiedervereinigung der DDR mit der BRD wieder in Kraft getreten ist.

Die Phantasieausweise und das Siegel wurden einbehalten, um zu verhindern, dass sie zukünftig im Rechtsverkehr eingesetzt werden.

Durch Tracking der eingehenden Anrufe konnten die beiden Anschlussinhaberinnen ausfindig gemacht werden. Nach Rücksprache mit dem „echten“ Staatsanwalt in Rosenheim wird nun gegen die beiden Frauen wegen Amtsanmaßung ermittelt.

Pressemitteilung der bayerischen Polizei

Extremismusklausel scheitert vor Gericht

Nur mit einer “Einverständniserklärung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung” können sich Vereine und Verbände Zuwendungen aus dem Bundesprogramm “Toleranz fördern – Kompetenz stärken” sichern, mit dem das Familienministerium Akzente gegen Rechts setzen will. Die Extremismusklausel stößt nun auch auf juristischen Widerstand. Das Verwaltungsgericht Dresden erklärte das Zwangsbekenntnis zum Grundgesetz heute für rechtswidrig. 

Das Gericht verhandelte die Klage eines gemeinnützigen Vereins. Diesem war für das Jahr 2011 eine Förderung in Höhe von 600,00 Euro zugebilligt worden. Die Unterstützung war allerdings an die Bedingung geknüpft, dass der Verein eine als Formblatt beigefügte Erklärung unterzeichnet.

In dieser Erklärung sollte der Verein nicht nur erklären, dass er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleistet . Der Verein sollte darüber hinaus bestätigen, im Rahmen seiner Möglichkeiten und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen und Referenten sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten. Außerdem war die Verpflichtung enthalten, nicht einmal den Anschein zu erwecken, dass der Verein extremistische Strukturen unterstützt.

Der Verein sah einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Außerdem werde durch so einen Bekenntniszwang Misstrauen gesät. Überdies würde Bespitzelung Tür und Tor geöffnet.

Das Verwaltungsgericht Dresden sah die gesamte Klausel nach Angaben der Pressestelle als nichtig an. Das Urteil liegt nicht schriftlich vor, so dass die genaue Argumentationslinie des Gerichts derzeit nur teilweise bekannt ist. Die Klausel, wonach der Verein auch Verantwortung für Dritte übernimmt, hält das Gericht laut offizieller Mitteilung jedenfalls für zu unbestimmt. Überdies werde nicht klar, wie sich der Verein konkret verhalten solle.

Die Extremismusklausel war schon vorher auf harsche Kritik gestoßen. Die SPD spricht zum Beispiel davon, Initiativen gegen Rechtsextremismus müssten vom Gedanken des Vertrauens getragen sein. Dies kehre Ministerin Schröder ins Gegenteil um. Indem sie ein aktives Bekenntnis verlange, stelle sie Engagement unter den Generalverdacht der Verfassungsfeindlichkeit. 

Verwaltungsgericht Dresden, Urteil vom 25. April 2012, Aktenzeichen Az. 1 K 1755/11

Der unvorbereitete Anwalt

Der Richter hatte sieben Zeugen bestellt, aber schon nach einer Viertelstunde durfte er sie wieder nach Hause schicken. Einfach, weil auch ich mir nicht jedes Spielchen gefallen lasse…

In dem Verfahren geht es um drei Delikte. In einem ersten Gerichtstermin hatte ich eine angeregte Diskussion mit dem Richter. Diese endete damit, dass die Anklagepunkte 2 und 3 vorläufig eingestellt wurden. Selbst der Staatsanwalt in der Sitzung hatte es so beantragt. Die Punkte 2 und 3 waren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

Das Verhalten des Staatsanwalts im Gericht gefiel seiner Kollegin, welche die Akte eigentlich bearbeitet, ganz und gar nicht. Sie beantragte deshalb schriftlich beim Richter, die Anklagepunkte 2 und 3 wieder aufzurollen. Ich erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Von der Gelegenheit machte ich keinen Gebrauch.

Seitdem war Ruhe an der Front. Einige Termine platzten. Einmal hatte ich Urlaub, beim nächsten Mal war der Richter krank. So ging seit der letzten Verhandlung ein Jahr ins Land.

Nun marschierte ich nach so langer Zeit mit meinem Mandanten frohgemut ins Gericht. Dort empfing uns der Vorsitzende allerdings mit einer lapidaren Nachricht:

Nur zur Klarstellung, es geht heute wieder um alle Anklagepunkte.

Wie bitte? Ich erlaubte mir den Hinweis, die Fälle 2 und 3 seien in der letzten Verhandlung eingestellt worden. Bis heute sei mir kein Gerichtsbeschluss bekannt, der das rückgängig macht. Der Richter blätterte daraufhin zwar hektisch in seiner Akte. Einen Beschluss konnte er damit aber auch nicht herbeizaubern.

Ich beantragte dann auch gleich, das Verfahren zu vertagen. Begründung: Ich habe naturgemäß nur den verbliebenen Anklagepunkt vorbereitet. (Warum sollte ich mir auch Gedanken zu Komplexen machen, die derzeit als erledigt gelten?) Bei den Delikten 2 und 3 handele es sich um ziemlich komplizierte Sachverhalte, bei denen sich auch schwierige technische Fragen stellen. (Es geht um Onlinekriminalität.) Demgemäß sei ausreichend Zeit erforderlich, um auch diese Aspekte aufzuarbeiten. Ansonsten sei eine ordentliche Verteidigung unmöglich.

Der Richter hielt mir vor, ich müsse stets auf alle Anklagevorwürfe vorbereitet sein. Immerhin würde ich doch auch das Schreiben der Staatsanwältin kennen. Das stritt ich ja auch gar nicht ab. Aber es fehlte ja an einem Gerichtsbeschluss, welcher der Anregung der Staatsanwältin stattgibt. Diesen Beschluss zu verfassen und an mich zu schicken, dafür wäre ja nun auch ausreichend Zeit gewesen. Nämlich ein gutes Jahr.

Hätte ich den Beschluss gehabt, wäre ich natürlich auch auf die anderen Teile vorbereitet gewesen. Da das “Sie konnten es doch ahnen”-Argument nicht fruchtete, versuchte es der Richter allgemeiner. Es gehöre doch zu den Pflichten eines Anwalts, die ganze Akte zu lesen. Ob ich das denn unterlassen habe?

Das empfand ich dann doch als billig. Mit dem Lesen allein ist es doch nicht getan. Vielmehr geht die Arbeit danach erst los. Eine Verteidigungsstrategie will erarbeitet werden. Dabei denke ich in alle Richtungen nach, zum Beispiel über Beweisanträge. Die Zeit soll ich prophylaktisch auch für Teilaspekte aufwenden, die derzeit gar nicht mehr aktuell sind? Und das alles vor dem Hintergrund, dass der Mandant meine Zeit bezahlt…

Ich glaube, irgendwann schwante auch dem Richter, dass er die Folgen eines eigenen Versäumnisses nicht auf den Angeklagten abwälzen kann. Er erklärte sich also bereit, die Sache neu anzugehen. Allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er meine Argumente nicht für stichhaltig hält. Aber halt auch nicht weiß, ob es das Revisionsgericht nicht vielleicht doch anders sieht.

Voraussichtlich im Herbst geht es nun weiter. Ich werde vorbereitet sein.

Keine Rockerkleidung im Gerichtsgebäude

In Gerichtsgebäuden darf das Tragen von Rockerkleidung untersagt werden. Das Bundesverfassungsgericht hält ein faires Verfahren auch dann für möglich, wenn Angeklagte, Zeugen, Besucher und sonstige Personen im Gerichtsgebäude sich nicht durch Kleidung als Angehörige von Motorradclubs “ausweisen” dürfen.

Anlass für die Entscheidung ist ein Verbot des Landgerichts Potsdam. Es richtete sich vornehmlich gegen “Kutten”, die Rocker gerne tragen. Grund für die Anordnung war ein Prozess, in dem sich Angehörige der Hells Angels wegen räuberischer Erpressung und anderer Straftaten verantworten mussten. Der Gerichtspräsident wollte keine Kutten und sonstigen rockertypischen Symbole im Gebäude sehen. Rocker, die beim Prozess zuschauen wollten, sollten ihre Kutten außerhalb des Gerichtsgebäudes deponieren.

Gegen die Anordnung beschwerte sich einer der Angeklagten. Er sah sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt. Außerdem war er der Meinung, die gesetzlich vorgeschrieben Öffentlichkeit der Verhandlung sei nicht gewährleistet.

Das Bundesverfassungsgericht hält die Maßnahme dagegen für zulässig:

Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung nur unwesentlich erschweren und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach bestimmten persönlichen Merkmalen vermeiden, sind zulässig, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht. … Des Weiteren ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Einschätzung und Bewertung sowohl einer möglichen Beeinträchtigung der Hauptverhandlung durch das Tragen bestimmter Kleidung oder Abzeichen als auch der zur Abwehr dieser Gefahr geeigneten und erforderlichen Maßnahmen verfassungsrechtlich bedenklich wären.

Auch den Grundsatz der Öffentlichkeit sieht das Gericht nicht beeinträchtigt. Die Maßnahmen verhinderten nicht den Zugang zum Gerichtssaal. Jeder Besucher könne sich leicht an die Vorschriften halten und werde dann eingelassen. Es handele sich nur um eine “ganz geringfügige Beschränkung”.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25. April 2012, Aktenzeichen 2 BvR 2405/11

Rechtsextremer Ladendiebstahl

Ob die Gerichte die Straftat eines Rechtsextremisten auch so einordnen – es reicht NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) nicht. Er will den Täter und dessen Motiv durchleuchtet wissen: Eine Straftat, und sei es ein Ladendiebstahl, müsse dem Rechtsextremismus zugerechnet und entsprechend datenmäßig erfasst werden, wenn der Täter beispielsweise der NPD angehört.

Diese Forderung erneuerte Jäger bei einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) in Düsseldorf. Ob die Tat selbst direkt politisch motiviert war, interessiert den Minister eher weniger.

Außerdem dürfe keinem Rechtsextremisten der Besitz einer Waffe erlaubt sein. Die charakterliche Eignung spreche dagegen. Er sei mit seinen Forderungen noch nicht bei allen Kollegen der Innenministerkonferenz und beim Bundesinnenminister durchgedrungen, räumte Jäger ein.  „Aber ich bohre da dicke Bretter!“ (pbd)

500 Euro für einen Monat Sicherungsverwahrung

Wegen überlanger Sicherungsverwahrung hat das Landgericht Karlsruhe heute das Land Baden-Württemberg in vier Fällen zu Entschädigungszahlungen in Höhe von insgesamt 240.000 € verurteilt.

Geklagt hatten vier Straftäter, die zwischen 1970 und 1989 wegen Vergewaltigung und teilweise weiterer Straftaten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. In den Urteilen war wegen der Gefährlichkeit der Täter die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet worden, die zum damaligen Zeitpunkt jedoch höchstens zehn Jahre andauern durfte. Nachdem diese Zehnjahres-Höchstgrenze 1998 vom Gesetzgeber aufgehoben wurde, blieben die Betroffenen über diese zehn Jahre hinaus weitere acht bis zwölf Jahre in der JVA Freiburg in Sicherungsverwahrung.

Im Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Die Kläger, die daraufhin im Jahr 2010 aus der Sicherungsverwahrung entlassen wurden, haben mit ihren Klagen Entschädigungen für die Dauer der zehn Jahre übersteigenden Sicherungsverwahrung gefordert.

Das Landgericht Karlsruhe hat den Klägern Entschädigungen zugesprochen, blieb dabei aber in der Höhe deutlich hinter den Klagforderungen zurück. Die Kammer betont in ihren Urteilen, dass dem Land und seiner Justiz zwar kein Vorwurf gemacht werden könne, da die Vollstreckungsgerichte, die die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die zuvor geltende Zehnjahresfrist hinaus anordneten, das damals geltende Bundesrecht pflichtgemäß anwandten.

Eine Verurteilung des Landes hatte dennoch zu erfolgen, da die rückwirkende Aufhebung der Zehnjahresfrist gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstieß und diese bei konventionswidriger Freiheitsentziehung einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch vorsieht.

Für die Höhe des den ehemaligen Sicherungsverwahrten zustehenden Entschädigungsanspruchs legten die Richter einen monatlichen Betrag von 500 € zugrunde, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst in vergleichbaren Fällen zuerkennt. Damit sprach das Gericht den Klägern knapp die Hälfte bis zwei Drittel der jeweils eingeklagten Beträge zu, im Einzelnen 65.000 €, 49.000 €, 53.000 € und 73.000 €.

Landgericht Karlsruhe, Urteile vom 24. April 2012, Aktenzeichen: 2 O 278/11, 2O 279/11, 2 O 316/11, 2 O 330/11

Studenten rollen Verfahren neu auf

Der Justizskandal um Harald Friedrich, den ehemaligen Abteilungsleiter des NRW-Umweltministeriums, wird noch einmal aufgerollt. Aber nicht von der Justiz, sondern von Studenten. Deren Dokumentation öffnet einen Blick auf heikle Details des Falls.

Gegen den 60-jährigen Friedrich (Bündnis 90/Grüne) hatten vor vier Jahren das Landeskriminalamt und die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal jahrelang ermittelt. Nach einer Strafanzeige aus dem seinerzeit von der CDU geführten Ministerium waren ihm und 15 anderen Personen banden- und gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen worden.

Das Verfahren endete jedoch nahezu sang- und klanglos mit einer Einstellung. Nachdem schon ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Landtags den politischen Einfluss auf die Ermittlungen untersucht hatte, wollte es Medienprofessor Johannes Ludwig (62) noch genauer wissen;: „Was steckt eigentlich hinter der Geschichte, gibt es noch unbekannte Hintergründe?“

Diese Fragen ließ er sechs Studentinnen und vier Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg erkunden. Die angehenden Akademiker sichteten bislang rund 20.000 Dokumente, befragten Zeugen und erforschten in 6 Semesterwochen auch abstrus klingende Verbindungen von handelnden Personen: „Wo wohnt denn eigentlich der ehemalige CDU-Minister Eckhard Uhlenberg? Etwa in einer nachbarschaftlichen Beziehung zum Chefermittler Ralf M. von der für Korruption zuständigen Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal?“

Johannes Ludwig, einst selber investigativer Journalist, will bei den Studentinnen und Studenten einen Lerneffekt erreichen: „Es ging um das Schicksal eines Menschen – wie funktioniert da die Justiz? Konnte die Staatsanwaltschaft unabhängig arbeiten?“

In jeweils vier Gruppen arbeiteten die Studenten die Knackpunkte auf. Die eine kümmerte sich um den Bereich „Wasser“ (zum Unmut von Minister Uhlenberg hatte Harald Friedrich auf scharfe Vorschriften zur Reinhaltung der Ruhr gedrungen), die andere um den aufwendigen Lauschangriff (mehr als 1.000 Telefonate waren abgehört worden). Die dritte Gruppe nahm die Arbeit der Justiz ins Visier (Oberstaatsanwalt Ralf M. hatte die Arbeit des Landeskriminalamtes nur nachlässig begleitet). Die Vierte schließlich durchleuchtete entstandene Konflikte (etwa gegenteilige rechtliche Bewertungen von M. und der ihm vorgesetzten Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf).

„Wir bewerten das alles nicht“, betont Professor Johannes Ludwig, das Ergebnis solle „für sich sprechen“. Die Dokumentation ist online nachlesbar. (pbd)

Regierung darf nicht vor E-Zigarette warnen

Die nordrhein-westfälische Landesregierung darf nicht durch Pressemitteilungen vor der E-Zigarette warnen. Das Oberverwaltungsgericht Münster erließ heute eine einstweilige Verfügung, weil die Angaben des Gesundheitsministeriums rechtswidrig sind.

In einer Pressemitteilung hatte das Gesundheitsministerium vor nikotinhaltigen E-Zigaretten gewarnt. E-Zigaretten seien Arzneimittel. Mangels Zulassung sei der Handel strafbar. Am selben Tag informierte das Ministerium die Bezirksregierungen über die angebliche Rechtslage. Nikotin sei eine pharmakologisch wirkende Substanz und nikotinhaltige Liquids, die in E-Zigaretten verdunstet werden, unterlägen als Funktionsarzneimittel dem Arzneimittelrecht. Die E-Zigarette als Applikator unterliege dem Medizinproduktegesetz. Der Erlass wurde auch allen Apotheken im Bereich der Apothekerkammer Nordrhein übersandt mit dem Zusatz „Bitte informieren Sie auch Ihre Mitarbeiter/innen“.

Hiergegen wehrte sich eine Herstellerin von E-Zigaretten. Das Verwaltungsgericht lehnte ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster hatte die Firma nun Erfolg.

Das Oberverwaltungsgericht hält die Äußerungen der Landesregierung für rechtswidrig. Die E-Zigarette und ein nikotinhaltiges Liquid unterfielen weder dem Arzneimittelgesetz noch dem Medizinproduktegesetz. Das Liquid erfülle nicht die gesetzlich normierten Voraussetzungen eines Arzneimittels. Es stehe nicht die Entwöhnung vom Nikotinkonsum oder die Linderung einer Nikotinabhängigkeit im Vordergrund. Die E-Zigarette nebst Zubehör habe auch keine für ein Arzneimittel erforderliche therapeutische oder prophylaktische Zweckbestimmung.

Der Landesregierung müssten die Äußerungen auch untersagt werden. Wegen der Autorität der Behörden liefen diese Angaben nämlich auf ein praktisches Verbot der E-Zigarette hinaus.

Die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin reagiert auf eigentümliche Weise auf die Entscheidung des Gerichts. Sie warnt weiter vor der E-Zigarette.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 23. April 2012, Aktenzeichen 13 B 127/12

Dezentes Blau

Wie es aussieht, schlägt womöglich der weißen Krawatte im Gerichtssaal das letzte Stündchen. Viele Anwälte verweigern sich ja schon geraume Zeit dieser Tradition. Die schwarze Robe ist in Strafsachen weiß Gott Verkleidung genug. An heißen Tagen auch Qual. Außerdem ist man dann für den Rest des Tages ziemlich albern verkleidet.

Heute habe ich aber – zumindest bewusst – den ersten Staatsanwalt erlebt, der mit einer Krawatte in dezentem Blau zum Sitzungsdienst erschien. Auch er scheint keine Lust auf alte Zöpfe zu haben. Der Qualität seiner Arbeit tat dies übrigens keinen Abbruch. Was ich persönlich nicht überraschend fand. Jetzt warte ich nur darauf, dass sich der Mann Anhänger findet und demnächst vielleicht sogar Richter mal Farbe bekennen.

Im  Anschluss gehen wir dann die Sache mit der Robe an.

Kompetenzgerangel unter Strafverfolgern

Der schon länger schwelende Kompetenzstreit unter Strafverfolgern nimmt neue Dimensionen an. Während Kriminalbeamte mehr Befugnisse fordern, pochen Staatsanwälte auf ihren gesetzlichen Auftrag. Sollen Kriminalbeamte etwa Strafverfahren einstellen dürfen? So hat es der Duisburger Kriminaldirektor Rolf Jäger jetzt verlangt.

Nein, für so was sind erst mal wir da, hieß es jetzt einhellig beim 3. nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaftstag, veranstaltet vom Deutschen Richterbund in Mülheim. Die Polizei könne und dürfe nicht über rechtliche Fragen entscheiden, dafür sei sie zu oft politisch gelenkt. Wenn die Polizei allein eine Befugnis der Sachleitung bekomme, so heißt es, „gibt es nur noch eine bestimmte Art von Kriminalität“.

„Im Wahlkampf werden Einbruchsdiebstähle gerne aufgeklärt“, so ein Beispiel, „die andere Arbeit bleibt liegen.” Oder: Wenn ein Rauschgiftkommissariat, wie in Aachen wohl geschehen, keine Dienstfahrzeuge hat, gebe es auch keine entsprechenden Taten. Andererseits: „Die Polizei hat mehr Personal, ein umfangreiches Datennetzwerk, ist technisch besser ausgerüstet und hat einen riesigen Informationsvorsprung“, lobte der Kölner Oberstaatsanwalt Egbert Bülles voller Neid.

Um unmittelbar danach in Richtung von Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) zu kritisieren: „Wir sind das Armenhaus der Justiz!“ Die Staatsanwaltschaften hätten nur einen Anteil von 2,7 Prozent im Landeshaushalt.

Allerdings gab es auch Verständnis für die Kripo: „Da müssen sich Beamte kinderpornografische Bilder zu Beweissicherung anschauen – und sind frustriert, wenn wir das Verfahren aus rechtlichen Gründen einstellen“, berichtete ein Düsseldorfer Staatsanwältin. Dennoch sei das richtig. „Wir sind juristisch die Herren des Verfahrens“, so die Botschaft, „und wollen es auch bleiben!“ (pbd)

Polizistin nutzt Facebook als Pranger

Persönlichkeitsrechte? Datenschutz? Viel kann die Polizeikommissarin und Spitzensportlerin Ariane Friedrich darüber in ihrer Ausbildung nicht gelernt haben. Sonst würde die Hochspringerin nicht auf die Idee kommen, die persönlichen Daten eines Mannes zu veröffentlichen, der ihr eine anzügliche Mail geschickt hat.

Doch genau das hat Friedrich getan. Den möglichen Absender einer Mail, der ihr ein Foto seines Geschlechtsteils angeboten hatte, stellte sie jetzt auf Facebook bloß. Sie nannte den Vornamen, Nachnamen und den Wohnort des Mannes. Außerdem stellte sie den Wortlaut der Mail ins Netz.

Man muss sich nur mal vorstellen, dass der Absender der Mail gefälscht ist. Das könnte dann sehr, sehr teuer für Frau Friedrich werden. Aber selbst wenn es tatsächlich den “Richtigen” trifft – was Friedrich zu beweisen hätte – , ist das An-den-Pranger-stellen unrechtmäßig. Wenn der Betroffene zum Anwalt geht, kann das immer noch ziemlich teuer und unangenehm für die Kommissarin werden.

In den Kommentaren weist ein Leser darauf hin, dass alleine telefonbuch.de für die betreffende Stadt zwei Personen gleichen Namens aufweist, auf die Friedrichs Eintrag passt. Ob sich die Sportlerin darüber im Klaren ist, was sie jedenfalls dem völlig Unbeteiligten antut?

Friedrich selbst bezeichnet ihren Schritt als ein “Herausnehmen aus der Anonymität”, der beweise, dass sie bereit sei, aktiv zu handeln. Wörtlich:

Es ist Zeit zu handeln, es ist Zeit, mich zu wehren. Und das tue ich. Nicht mehr und nicht wenger.

Aus meiner Sicht beweist das alles nur, dass Friedrich in der Polizeischule nicht richtig aufgepasst hat. Ein gutes Vorbild ist sie damit sicher nicht. Und was man davon halten soll, dass selbst eine Polizistin der Polizei offenbar nicht zutraut, ihren Job zu machen, ist noch eine ganz andere Frage. Strafanzeige will Friedrich laut den Berichten nämlich erst noch erstatten.

Bericht auf Focus online

Technische Probleme

Das law blog hat seit einer Downtime gestern technische Probleme. Ich weiß aus Lesermitteilungen, dass es ein Problem mit ständigen Reloads, ominösem Javascript, teilweise nicht aufrufbaren Seiten und den RSS-Feeds gibt. Florian Holzhauer, der Mann im Maschinenraum, war schon gestern am Ball und versucht derzeit auch weiter alles, damit der Server wieder rund läuft.

Bitte habt bis dahin etwas Geduld.

Rassismus darf mit SS-Vergleich gekontert werden

Darf die Hautfarbe ein Kriterium für Polizeikontrollen sein? Diese Frage hat das Verwaltungsgericht Koblenz vor kurzem bejaht. Die Richter segneten damit die Berufsauffassung eines Bundespolizisten ab, der offen zugab, Zugreisende auch wegen ihrer Hautfarbe unter die Lupe zu nehmen. Dieser offenen Billigung von Rassismus treten nun andere Richter, nämlich am Oberlandesgericht Frankfurt, im gleichen Fall wenigstens indirekt entgegen. Sie haben entschieden, dass der Betroffene dann dem Beamten auch ins Gesicht sagen durfte, das Verhalten  erinnere ihn an die Methoden der SS.

Am Oberlandesgericht Frankfurt war der 25-jährige Student, der dunkler Hautfarbe ist, wegen Beleidigung angeklagt. Das Amtsgericht Kassel hatte ihn bereits zu einer Geldstrafe verurteilt; dagegen ging der Mann in Revision. Aus dem Urteil erfahren wir zunächst, was sich im Zug ereignet hat:

Der Angeklagte (wurde) am 3.12.2010 durch Beamte der Bundespolizei im Regionalexpress auf der Strecke zwischen Kassel und Frankfurt/ Main angesprochen und darum gebeten sich auszuweisen. Dem lag zugrunde, dass aus Anlass von Anschlagsdrohungen islamistischer Kreise verstärktes Augenmerk auf Personen mit anderer Hautfarbe gerichtet wurde.

Der Angeklagte reagierte aggressiv und verweigerte sich auszuweisen. Nachdem die Beamten ihm zu seinem Sitzplatz gefolgt waren und einer der Beamten nach seinem Rucksack griff, erklärte der Angeklagte, dass ihn das an etwas erinnere. Auf Nachfrage des Beamten, woran ihn das erinnere, erklärte der Angeklagte, das erinnere ihn an Methoden der SS, es erinnere ihn an die SS.

Auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle, verneinte dieser. Der Beamte forderte ihn nun mit den Worten auf: „dann sagen Sie doch, dass ich ein Nazi bin“, woraufhin der Angeklagte entgegnete: „Nein, das sage ich nicht“.

Das Oberlandesgericht meint, die Äußerungen seien geeignet gewesen, den Polizisten in seiner Ehre herabzusetzen. Allerdings seien die Worte des 25-Jährigen letztlich gerechtfertigt gewesen. Aus dem Urteil:

Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich die Kritik in erste Linie gegen die angewendeten Maßnahmen, insbesondere die gezielte Auswahl der Person des Angeklagten mit dunkler Hautfarbe sowie die Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises richtete.

Der Angeklagte, der das dienstliche Vorgehen jedenfalls subjektiv als Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe und demgemäß als Unrecht empfand und dies auch nach den Feststellungen gegenüber den Beamten sowie Mitreisenden zum Ausdruck brachte und um Solidarität warb, durfte das polizeiliche Vorgehen daher unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung mit stark polemisierender Wortwahl unterziehen.

Indem er ausdrücklich den Polizisten nicht als Nazi bezeichnete, habe der Angeklagte hinreichend gezeigt, dass er zwischen der fragwürdigen Maßnahme und der Person unterscheide. Somit liege keine Diffamierung des Beamten vor, sondern eine noch zulässige Kritik an den Methoden der Bundespolizei.

Dabei spiele es auch keine Rolle, ob die Personenkontrolle rechtmäßig war. Selbst wenn man dies annehme, habe der Betroffene das polizeiliche Vorgehen kritisch würdigen dürfen – auch mit “polemisierender Wortwahl”.

Erfreulich zu sehen, dass es Richter gibt, welche nachfühlen können, wie sich ein Mensch dunkler Hautfarbe in deutschen Zügen und auf deutschen Bahnhöfen fühlt. Gegenüber Publikative.org hat der Betroffene erklärt, er sei vorher schon  dutzendfach in Zügen kontrolliert worden, Freunde mit weißer Hautfarbe jedoch nie.

Immerhin wird einem Betroffenen nicht auch noch zugemutet, seine nachvollziehbare Empörung nur in biederer Form zu äußern. Den Schuh müssen sich die Bundespolizisten nun anziehen. Ebenso aber auch die Richter am Verwaltungsgericht Koblenz, die offenen Rassismus auch noch gutheißen.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 20. März 2012, Aktenzeichen 2 Ss 329/11