Bearbeitungsgebühr, ja klar

Ein Ersatzakku für mein Unterwegs-Notebook wäre nicht schlecht. Dachte ich die Tage am Landgericht Berlin, als ich nach vier Stunden Verhandlung vor dem Protokollführer auf die Knie fallen und unter seinen Tisch robben musste – dort befand sich die einzige freie Steckdose im Sitzungssaal.

Also schaute ich auf der Homepage des Computerfabrikanten nach Ersatzakkus. 130 Euro berechnet die Firma für einen Akku. Ein ziemlich stolzer Preis, der mich prompt auf Abwege brachte. Warum nicht mal bei ebay schauen? Mir war schon klar, dass es dort nur billige Nachbauten gibt. Aber hey, selbst wenn der Akku nur die Hälfte der normalen Leistung bringt, als Reserve reicht das allemal.

Ich investierte moderate 45 Euro zuzüglich Versandkosten und bekam heute den Akku geschickt. Leider ließ ich mich von der anständigen Verpackung täuschen und steckte die Batterie einfach so ins Gerät. Hätte ich besser nicht machen sollen, denn die Kontaktschlitze am neuen Akku saßen völlig schief.

Was dazu führte, dass sich zwei Batteriekontakte im Notebook verbogen. Obwohl ich sonst zwei linke Hände habe, kriegte ich die Kontakte mit einer Pinzette wieder gerade gebogen. Noch mal gut gegangen, aber im Geiste hatte ich zwecks Frustvermeidung schon ein neues Notebook per Express geordert.

Nun ja, keine Aufregung. Immerhin habe ich den Akku ja privat bestellt und somit steht mir sogar ein Widerrufsrecht zu. Ich muss mich also gar nicht mit dem Verkäufer streiten, ob nun sein Akku oder mein Notebook eine Macke hat. Allerdings scheint der Geschäftsmann, Sitz ist in Berlin,  eine stattliche Zahl an Widerrufen zu haben. Denn in seiner Rechnung fand ich folgenden Hinweis:

Im Falle eines wirksamen Widerrufs und der anschließenden Erstattung des Kaufpreises werden 4,00 Euro Bearbeitungsgebühr abgezogen.  

Schon erstaunlich, was sich Firmen so ausdenken. Eine Bearbeitungsgebühr ist bei sogenannten Fernabsatzgeschäften unzulässig. Der Käufer soll durch den Widerruf gerade keinen Verlust haben. Also muss ihm auch der vollständige Preis erstattet werden. Bearbeitungs- oder Stornogebühren sind deshalb nicht erlaubt.

Man muss diese Rechtslage nicht gut heißen und kann es auch lächerlich finden, sich wegen vier Euro überhaupt Gedanken zu machen. Ich finde es aber trotzdem ziemlich dreist, wie ein gewerblicher ebay-Verkäufer mit weit über 10.000 Bewertungen (die ich besser mal vorher gelesen hätte) sich einfach so übers Gesetz stellt. Wahrscheinlich kommt er bei einer stattlichen Zahl von Kunden sogar damit durch. Dreistigkeit siegt ja bekanntlich.

Na ja, ich habe mich im Gegenzug auch auf meine Rechte besonnen. Im Widerrufsschreiben weise ich deshalb nicht nur freundlich darauf hin, dass ich die Bearbeitungsgebühr nicht akzeptieren werde. Sondern dass ich auch die 6,90 Euro haben möchte, die mich die Rücksendung des schrottigen Akkus kostet. Bei einem Verkaufspreis von mehr als 40 Euro trägt nämlich der Verkäufer auch die Kosten der Rücksendung.

Normalerweise hätte ich die Rücksendung selbst bezahlt. Aber nach Lektüre der Klausel mit der Bearbeitungsgebühr war mir irgendwie so, als müsste dem guten Händler mal jemand auf die Füße treten. Wahrscheinlich höre ich mich schon mal besser nach einem Zivilrechtsanwalt in Berlin um, der auch vor kleinen Fällen nicht fies ist.

“Was in Ihrem Umfeld vor sich geht”

Wer öfter in Frankfurt abfliegt, hat den Raum sicher schon gesehen. Wenn man in der Warteschlange vor den Durchleuchtungsbändern steht, liegt er auf der linken Seite. Die Türen sind meist offen, durch halbwegs transparente Fenster ist eine gewisse Geschäftigkeit zu erkennen. Drinnen stehen Apparate, die an medizinische Geräte erinnern.

Ein Blogleser wurde nach dem Sicherheitscheck vor kurzem in eben diesen Raum gebeten. “Routinekontrolle” wurde ihm als Begründung gesagt. Der Mitarbeiter hatte schon das Notebook des Lesers in der Hand und klappte es auf – ohne um Erlaubnis zu fragen. Der Leser durfte dabei zuschauen, wie der Mann mit einem weichen Pad über das Notebook wischte.

Auf die Frage, was eigentlich genau passiert, sagte der Mitarbeiter, es handele sich um einen chemischen Abstrich. “Damit wir wissen, was in Ihrem Umfeld vor sich geht.” Weitere Erklärungen erhielt der Leser nicht. Vielmehr wurde er eilig aus dem Raum komplimentiert, als das Ergebnis anzeigt wurde. Darum war der Leser auch froh, denn für seinen Abflug war es höchste Zeit.

Die nebulöse Auskunft wurmte den Leser allerdings. Immerhin braucht man ja nur eine Minute zu googeln, um festzustellen, dass es sich bei der Aktion um einen Sprengstofftest handelt. Entweder wusste der betreffende Mitarbeiter selbst nicht Bescheid, was er eigentlich macht. Oder er hielt es nicht für nötig, eine vernünftige Auskunft zu geben.

Die nötigen Informationen erhielt der Leser später von der Bundespolizei. Die antwortete nämlich sehr freundlich und detailliert auf seine Anfrage, was denn genau bei der Kontrolle passiert.

Mit dem Wischtest, so heißt es in dem Schreiben, würden Staub und sonstige Rückstände vom Notebook entnommen. Ein Sprengstoffdetektionsgerät untersuche die Probe auf “Sprengstoffspuren im Staubpartikelbereich”. Jedes Pad werde maximal drei Mal eingesetzt. Die gesonderte Kontrolle von Notebooks sei nach der einschlägigen EU-Verordnung in Verbindung mit dem Luftsicherheitsgesetz ausdrücklich zugelassen.

Der Detektor untersucht nach Angaben der Bundespolizei die Probe ausschließlich auf Sprengstoff. Wörtlich:

DNA-Spuren sowie andere personenbezogene Daten werden nicht erhoben.  Eine Speicherung von Daten erfolgt nicht.

Dementsprechend interessiere sich bei dieser Kontrolle auch niemand dafür, was im “Umfeld” des Reisenden vor sich geht. Für diese “unbedachte Äußerung” des Mitarbeiters entschuldigt sich die Bundespolizei dann auch ausdrücklich.

Facebook-Nutzer können gelassen bleiben

Seit gestern gibt es viele Schlagzeilen für eine “Facebook-Abmahnung” der besonderen Art. Ein Facebook-Nutzer soll ein Anwaltsschreiben mit Unterlassungsaufforderung und Schadensersatzdrohungen erhalten haben, weil in seinem Profil ein urheberrechtlich geschütztes Bild zu sehen gewesen sein soll.

Müssen Facebook-Nutzer nun Panik haben?

Die Antwort lautet ganz klar nein. Und das hat gute Gründe:

Die Pinnwand gehört zu jedem Profil standardmäßig dazu. Auf die Inhalte der Pinnwand hat der Nutzer praktisch keinen Einfluss. Sie ist ein Feedback-Kanal, dessen Inhalte allenfalls von Facebook gesteuert werden.  

Es handelt sich also, genau besehen, schon gar nicht um ein eigenes Angebot des Facebook-Nutzers. Deshalb haftet er hierfür nicht.

Aber selbst wenn man die optische Integration der Pinnwand ins Profil so wertet, dass die Pinnwand auch ein Angebot des Nutzers ist, kommt man zu keinem anderen Ergebnis.

In diesem Fall wäre die Pinnwand nämlich zu vergleichen mit der Kommentarfunktion eines Blogs oder den Diskussionsmöglichkeiten eines Forums. Hierfür gibt es mittlerweile recht klare Regeln, die auch gerichtlich bestätigt sind.

Der Blogger oder Forenbetreiber haftet grundsätzlich nicht für Inhalte, die seine Leser bzw. Nutzer auf der Webseite platzieren. Erst wenn er über rechtswidrige Inhalte informiert wurde und sie trotz dieser Kenntnis nicht entfernt, kann ihn eine eigene Verantwortung treffen. Für die erste Information kann der Rechteinhaber auch kein Geld verlangen, insbesondere keine Anwaltsgebühren.

Für mich ist nicht mal ansatzweise erkennbar, warum für die Pinnwand bei Facebook plötzlich andere Regeln gelten sollten. Facebook-Nutzer können Abmahnungen also schon mit dem Argument abwehren, dass nicht sie, sondern Facebook die Informationen auf der Pinnwand zur Verfügung stellt. Und selbst wenn das nicht zuträfe, kämen ihnen noch die gleichen Haftungserleichterungen zu Gute wie Bloggern oder Forenbetreibern.

Es gibt also gar keinen Grund, jetzt hektisch Pinnwände zu zensieren oder gar zu schließen – sofern Facebook dies überhaupt zulässt.

Benzin (fast) zum Nulltarif

Erst mal orientieren mussten sich Streifenpolizisten, die am Gründonnerstag nachts zu einer Tankstelle in Wanne-Eickel gerufen wurden. Dort trafen sie gegen 0.40 Uhr auf einen Autofahrer. Doch dieser gehörte – fast wider Erwarten – nicht zur Sorte jener, die sich um eine hohe Benzinrechnung drücken wollen. Vielmehr standen der Mann und sein Auto mutterseelenallein auf der Tankstelle. Es war niemand da, bei dem der Autofahrer seine Tankrechnung begleichen konnte.

Benzin hatte der Mann noch problemlos bekommen. Aber dann fingen die Probleme an. Das Kassenhaus war verschlossen, das Licht aus; einen Tankautomaten gab es nicht. Offenbar waren der Pächter oder sein Mitarbeiter in den Feierabend gegangen, ohne die acht Zapfsäulen auszuschalten. An jeder Säule hätte problemlos getankt werden können.

Da die Beamten niemanden von der Tankstelle erreichten, griffen sie zur Selbsthilfe. Sie besorgten einen Kanister, tankten an jeder Säule eine geringe Menge und hängten die Zapfhähne sofort wieder ein. Damit war die Gefahr gebannt, dass sich die Sache rumspricht und Nachtschwärmer zu einem Benzindiebstahl verführt werden. Denn, so die Polizei, die Säulen ließen sich nur aus dem Kassenraum wieder freischalten. Nach dem Tankvorgang waren sie blockiert.

Die Beamten haben auch an jeder Säule denselben Kraftstoff in den Kanister gefüllt, damit der Schaden für den Pächter möglichst gering ist. Das Benzin zum Gesamtpreis von 2,21 Euro konnte sich der Tankstellenbetreiber auf der Wache abholen.

Keine vorzeitige Haftentlassung für Chefarzt

Ein ehemaliger Chefarzt, der Operationswunden und Geschwüre seiner Patienten mit Zitronensaft behandelt hatte, kann derzeit nicht auf eine vorzeitige Haftentlassung hoffen. Das Oberlandesgericht Köln lehnte es jetzt ab, den auf Bewährung zu entlassen, nachdem er die Hälfte seiner Freiheitsstrafe abgesessen hat.

Der Arzt hatte, so das rechtskräftige Urteil, nicht indizierte medizinische Eingriffe vorgenommen, zum Teil die erforderliche Aufklärung über die Eingriffe unterlassen und Patienten mit nicht anerkannten Methoden behandelt. Unter anderem hatte er
Operationswunden und Geschwüre mit frisch gepresstem Zitronensaft behandelt. Er wurde in mehreren Fällen der Körperverletzung mit Todesfolge, der fahrlässigen Tötung und wegen einfacher Körperverletzung zu vier Jahren Haft verurteilt.

Weil das Verfahren sehr lange dauerte, galten elf Monate direkt als verbüßt. Im Dezember 2011 hatte der Mann dann rechnerisch die Hälfte seiner Strafe hinter sich und beantragte, nun auf Bewährung rauszukommen. Das ist juristisch möglich, kam aber nach Auffassung des Oberlandesgerichts Köln in diesem Fall nicht in Frage.

Die Richter wollen dem Arzt nicht zu Gute halten, er habe ja nur in heilender Absicht und nicht aus wirtschaftlichen Gründen gehandelt. Sie attestieren ihm vielmehr, in einer Mischung aus Selbstüberschätzung, Überforderung und Blindheit gegenüber den Belangen seiner Patienten vorgegangen zu sein.

Der Mediziner habe seine ärztlichen Berufspflichten in vielfacher Weise grob verletzt und den Tod von vier Patienten verursacht, die sich ihm als Arzt in herausgehobener Position anvertraut hatten. Sein Verhalten sei geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität des Arztberufes ernstlich zu beschädigen.

Außerdem kreiden die Richter dem Mann an, seine Haftpflichtversicherung habe erst in einem Fall Entschädigung geleistet. Er selbst habe überhaupt keine Bemühungen nachgewiesen, die Opfer zu entschädigen.

Insgesamt, so das Oberlandesgericht, sei eine Entlassung aus der Haft bereits nach der Hälfte der Zeit für die Allgemeinheit unverständlich. Der Betroffene kann es jetzt noch mal probieren, wenn er zwei Drittel seiner Haft abgesessen hat. Dann sind die Voraussetzungen auch nicht mehr ganz so streng.

Eine Entlassung nach der Hälfte der Freiheitsstrafe ist heute ohnehin selten. Die meisten Gerichte raffen sich dazu nur auf, wenn der Verurteilte auch im Knast ein absoluter Musterknabe ist, extrem viel Einsichtsfähigkeit zeigt und wirklich hervorragende Aussichten bestehen, dass er im Leben wieder Fuß fasst. Realistisch ist für die absolute Mehrzahl von Gefangenen nur eine Entlassung nach zwei Dritteln.

Oberlandesgericht Köln, Beschluss vom 27. März 2012, Aktenzeichen 2 Ws 223/12

Saloppe bis derbe Redensart

Wann ist ein Richter befangen? Wir sind in dieser Frage um eine Erkenntnis reicher: Die Äußerung, der Beklagte ziehe den Schwanz ein, macht einen Vorsitzenden am Landgericht noch nicht untragbar. So hat es das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden.

In einem Prozess wollte der Richter die Streithähne persönlich sprechen, um die Sache nach Möglichkeit gütlich beizulegen. Der Beklagte sagte jedoch vor dem Termin ab, weil er unaufschiebbare Termine in Indien habe. Das verärgerte den Richter. Er sagte zum Anwalt des Beklagten, dieser wäre besser erschienen statt den Schwanz einzuziehen.

Das wollte der Beklagte nicht auf sich sitzen lassen. Er lehnte den Richter als befangen ab. Sein Anwalt führte auch einige Präzedenzfälle an, die ziemlich ähnlich klingen:

Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben Sie auf allem sitzen.

Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit solchen Kinkerlitzchen aufzuhalten.

Jetzt reicht es mir! Halten Sie endlich den Mund! Jetzt rede ich!

Bei diesen Äußerungen waren die Richter jeweils als befangen angesehen worden.

Das Oberlandesgericht Stuttgart sieht aber denn noch einen Unterschied. Es bescheinigt dem Richter zwar eine “saloppe bis derbe Redensart”. Allerdings müsse halt immer geguckt werden, in welchem Zusammenhang sich ein Richter vom fraglos dezenteren Juristendeutsch entfernt.

Der Spruch sei jedenfalls nicht aus dem Nichts gekommen. Der Richter sei vielmehr zu Recht verärgert gewesen, dass sich der Beklagte nicht sehen ließ. Immerhin habe der Termin drei Monate Vorlaufzeit gehabt.

Die Äußerung kritisiere zwar das Verhalten des Beklagten. Allerdings lasse sich hieraus noch nicht schließen, dass der Richter insgesamt voreingenommen gegenüber der vielbeschäftigten Prozesspartei ist. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, der Richter könne seine Verärgerung so verarbeiten, dass er womöglich unsachlich zu Lasten des Beklagten entscheidet.

Es hat also nicht ganz gereicht. Aber immerhin ist die Liste Checkliste “Befangen – ja oder nein” um einen Punkt reicher.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss vom 19. März 2012, Aktenzeichen 14 W 2/12

In den Tiefen der Polizeicomputer

Es ist schon interessant, was die Polizei so alles an Daten in ihren Computern hortet. Am Beispiel eines Mannes, der in Berlin ein Kind in einer Schule missbraucht haben soll, wird dies mal wieder deutlich.

Spiegel online berichtet von den Vorbelastungen des Mannes:

Laut Staatsanwaltschaft ist der 30-Jährige bereits wegen Betrugs und Körperverletzung vorbestraft. Auch war er laut Polizei bereits früher mit einer exhibitionistischen Handlung aufgefallen. Das Verfahren gegen den damals noch nicht Volljährigen sei aber eingestellt worden.

Man beachte die Quellen. Die Staatsanwaltschaft weiß etwas von Vorstrafen. Vermutlich hat sie das Bundeszentralregister, die Kartei für verurteilte Straftäter,  abgefragt. Die Polizei weiß aber darüber hinaus, dass vor mindestens zwölf, möglicherweise aber auch mehr Jahren gegen den Mann wegen Exhibitionismus ermittelt wurde. Nur ermittelt wie gesagt, zu einer Verurteilung kam es nicht.

Weil gegen den Mann kein Urteil erging, durfte der mögliche Exhibitionismus logischerweise in kein öffentliches Register eingetragen werden. Also insbesondere auch nicht in das Erziehungsregister, in dem Urteile des Jugendgerichts festgehalten werden. 

Alle Einträge im Erziehungsregister müssen überdies mit Vollendung des 24. Lebensjahres gelöscht werden, wenn gegen den Beschuldigten nur milde Sanktionen ausgesprochen wurden. Ein Beispiel sind die bekannten Arbeitsstunden. Spätestens mit dem 24. Lebensjahr hätte die Exhibitionismus-Sache also aus dem Erziehungsregister raus sein müssen – selbst wenn der Verdächtige überhaupt verurteilt worden wäre. Die Eintragung dürfte dem Mann auch dann nicht mehr entgegengehalten werden, wenn sie aus Versehen doch noch im Register stünde.

Aber die Berliner Polizei weiß halt mehr als die an sich zuständigen Stellen. Sie hat die Daten über ein eingestelltes Verfahren offenbar noch im Computer, obwohl mindestens zwölf Jahre vergangen sind und das Verfahren sich gegen einen Jugendlichen richtete. Wenig überraschend: Nach den Vorschriften der Strafprozessordnung dürften diese Daten eigentlich gar nicht mehr vorhanden sein.

Aber selbst wenn sie rechtzeitig und pflichtgemäß “gelöscht” worden sein sollten, heißt das bei unserer Gesetzeslage noch nicht, dass die Daten auch wirklich nicht mehr vorhanden sind. Gut möglich ist nämlich, dass die Informationen aus der sogenannten Vorgangsverwaltung stammen. Diese besondere Datei hält, und das ist wirklich bizarr, auch Daten zu Verfahren fest, die es eigentlich gar nicht mehr geben darf.

Das geschieht offiziell zu Archivzwecken. Mitunter aber auch schlicht, um bei passenden Anlass Löschfristen umgehen zu können. Der Berliner Fall könnte hierfür ein Beispiel sein.

Polizei: Namensschild ja, aber…

Polizisten in Sachsen-Anhalt müssen seit dem 1. April Namensschilder tragen. Innnenminister Holger Stahlknecht hat die Kennzeichnungspflicht angeordnet. Was sich auf dem Papier erst mal gut anhört, hat einen Haken: Bei “gefährlichen Einsätzen” dürfen Polizeibeamte auf die Namensschilder verzichten. Dazu gehören auch Demonstrationen…

Es ist natürlich prima, wenn Bürger ihren Bezirksbeamten, der zu Fuß im Viertel seine Runde dreht, künftig mit Namen ansprechen können. Ebenso toll ist es, wenn die Gäste eines Eiscafés nun wissen, wie die Beamten der Zweierstreife heißen, die für die gesamte Wache Fruchtbecher holen. Das schafft Vertrauen, das macht sympathisch. Von Offenheit und Transparenz spricht demgemäß auch der Innenminister.

Nur: Ist der “normale Dienst” ausgerechnet die Situation, in welcher der Bürger wissen möchte, mit wem er es konkret auf Seiten der Staatsmacht zu tun hat? Passieren Übergriffe und sonstiges Fehlverhalten von Polizeibeamten nicht eher ausgerechnet in jenen Lagen, für welche die Kennzeichnungspflicht auch künftig gerade nicht gilt?

Nun friemeln Sachsen-Anhalts Polizeibeamte also das Namensschild wieder von der Uniform, bevor sie sich auf Demo-Einsatz begeben, eine Razzia durchführen oder einem Notruf folgen. Schon der Umstand, dass ihnen ausgerechnet in den Situationen wieder weitestmögliche Anonymität zugestanden wird, in denen das Namensschild seinen Zweck erfüllen könnte, zeigt, um was es wirklich geht: den Placebo-Effekt.

Begründet werden die Ausnahmen interessanterweise damit, bei gefährlichen Einsätzen wachse die Gefahr falscher Anzeigen. Und das Risiko, dass Beamte oder ihre Angehörigen privat gestalkt werden.

Das erste Argument ist aberwitzig. Man gibt Beamten also bewusst Deckung, weil sie ja zu Unrecht beschuldigt werden könnten. Deshalb nimmt man es halt auch in Kauf, dass durchaus berechtigte Anzeigen ins Leere laufen, weil sich Polizisten einfach in der Anonymität verbergen können. Besser kann man sein abgrundtiefes Misstrauen gegen den Bürger und  ein gespaltenes Verhältnis zum Rechtsstaat kaum dokumentieren.

Die Gefahr des Stalkings ist da schon realer. Ich frage mich nur, wieso das Innenministerium von Sachsen-Anhalt ausgerechnet auf Namensschildern besteht. Ist die Idee, Beamte zwischen einem Namensschild und einer eindeutigen Nummer wählen zu lassen, dort noch nicht angekommen? Berlin hat sich jedenfalls für diese Lösung entschieden, eben weil sie Beamte mit seltenen Namen nicht googelbar macht.

Man kann es drehen und wenden, aber Transparenz und Offenheit sehen anders aus.

Bericht des MDR

Justiz-Inkasso beim Inkasso-Anwalt

“Verbrechen lohnt sich doch” So kolportierte eine Lokalzeitung den Inhalt eines Auto-Aufklebers. Dieser soll ausgerechnet am Fahrzeug eines Osnabrückers Anwalts geprangt haben. Allerdings handelte es sich nicht um irgendeinen Rechtsanwalt, sondern einen berüchtigten Inkasso-Juristen. Diesem Anwalt wird derzeit nicht nur der Prozess gemacht, nun trifft ihn seine frühere Tätigkeit auch finanziell. Das Landgericht Landshut hat sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt – insgesamt macht die Justiz 4,6 Millionen Euro geltend.

Jahrelang stand der Jurist im Dienste sogenannter Abofallen. Tausende Bürger, die sich meist ahnungslos auf den vermeintlich kostenlosen Webseiten angemeldet hatten, erhielten von ihm Zahlungsaufforderungen und Mahnschreiben. Die Abofallen und die Tätigkeit des Anwalts wertet die Staatsanwaltschaft Landshut als Betrug. Gegen etliche Verdächtige laufen derzeit Ermittlungsverfahren.

Bereits am 6. Februar hat das Landgericht Landshut einen dinglichen Arrest in das Vermögen des Anwalts verhängt. Das ist ein Haftbefehl für sein Vermögen. Auf Grundlage dieser Anordnung können seine Konten gepfändet und konkrete Vermögenswerte in Untersuchungshaft genommen werden. Gestern wurde die Maßnahme ganz offiziell im Bundesanzeiger veröffentlicht.

Im Bundesanzeiger ist auch vermerkt, welche Vermögenswerte des Anwalts bislang gesichert werden konnten. Die Ermittler stellten 520 Euro Bargeld sicher, außerdem eine Herrenuhr Rolex “Collini”. Auf Immobilien des Anwalts trugen sie außerdem Hypotheken über 560.000 Euro ein. Die Konten des Juristen hatten ein Plus von 75.273,20 Euro. Auch dieser Betrag wurde beschlagnahmt.

Das sichergestellte Vermögen steht Geschädigten zur Verfügung, sofern der Beschuldigte rechtskräftig verurteilt wird. Insgesamt geht die Staatsanwaltschaft Landshut offenbar davon aus, dass der Anwalt mindestens 4,6 Millionen Euro für die Abofallen eingenommen hat.

Geschädigte können die Forderung aber nicht einfach bei der Staatsanwaltschaft Landshut (Aktenzeichen 4 Js 4156/10) anmelden. Sie müssen vielmehr selbst erst mal einen zivilrechtlichen Titel gegen den Anwalt erwirken. Sobald dieser vorliegt, können sie dann in das gesicherte Vermögen vollstrecken. Ohne eigenes Gerichtsurteil oder einen Vollstreckungsbescheid kann man als Geschädigter nicht von den sichergestellten Werten profitieren.

Zehn haben gewonnen

Nun stehen auch die Gewinner der kleinen Verlosung fest. Es gab 10 x das Buch “Habt Ihr nichts Besseres zu tun?” von Tim Oliver Feicke zu gewinnen. Das Losglück fiel auf folgende Leser:

jansalterego

ColdSphinx

souli

Frank

DWFi

Melanie

Andreas Netscher

pvx

Sanne

Malgos

Die Gewinner haben bereits eine E-Mail erhalten. Sie bekommen ihr Buch zugeschickt, sobald die Versandadresse vorliegt. Danke allen Teilnehmern und natürlich auch an den Autor, der die Bücher spendiert.

DriZ 2012-07 Volljurist

Cartoon: Tim Oliver Feicke

Die 13-Euro-Frage

Die können doch gar nicht anders. Siehe Gesetz. So lauteten Kommentare zu einem Beitrag im law blog, in dem ich leise Kritik am Bundesamt für Justiz übte. Nun, so einfach ist es nicht. Selbst in der Justiz wird Kundenfreundlichkeit größer geschrieben als mancher denkt. Zumindest wenn man sich ganz oben beschwert…

Zur Vorgeschichte: Das Bundesamt für Justiz stellt die Führungszeugnisse aus. Das Führungszeugnis meines Mandanten wies einen Fehler auf. Die Behörde wollte das Zeugnis zwar berichtigen. Allerdings forderte sie, dass mein Mandant nicht nur 13 Euro für das richtige Zeugnis zahlt. Vielmehr wollte sie auch die 13 Euro behalten, die mein Mandant bereits für das falsche Zeugnis entrichtet hatte.

Von so einem Geschäftsmodell dürften auch andere träumen. Der Bringdienst etwa kriegt Geld für Pizza, die er gar nicht geliefert hat. Weitere Beispiele gern in den Kommentaren. Wir haben zwar Stuss bescheinigt, lautete die Auskunft der Behörde. Aber da wir für den Stuss inhaltlich nicht verantwortlich sind, weil wir die Daten von Gerichten und Staatsanwaltschaften gemeldet kriegen, musst du als Bürger eben in den sauren Apfel beißen. 

Mein Mandant fühlte sich verschaukelt. Er gab deshalb nicht auf, sondern schrieb ans Bundesjustizministerium. Dort lachte offenbar niemand über die 13-Euro-Frage. Jedenfalls meldet sich ein Mitarbeiter, der betont, im direkten Auftrag von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu schreiben. Der Brief ist kurz, hat aber einen erfreulichen Inhalt:

Es entspricht der üblichen Handhabung des Bundesamtes für Justiz, ein Führungszeugnis gebührenfrei neu zu erteilen, wenn Eintragungen, die auf fehlerhaften Mitteilungen beruhen, berichtigt werden. Soweit Ihnen mit dem Schreiben vom 27. Februar 2012 etwas anderes mitgeteilt wurde, beruht dies auf einem bedauerlichen Büroversehen.

Damit mein Mandant sich jetzt nicht wieder neu mit dem Bundesamt rumschlagen muss, fügt das Justizministerium das berichtigte Führungszeugnis gleich bei. Im Bundesamt für Justiz muss jetzt zumindest ein Beamter seine Textbausteine anpassen.

Die Paragrafen der Anderen

Koinzidenz der Ereignisse, und alles kein Aprilscherz: Der hessische Justizminister möchte Datenhehlerei strafbar machen. Damit soll insbesondere der Verkauf digitaler Identitäten (Adressdaten, Passwörter, Kontoinformationen) wirksamer bekämpft werden. Das Bundesland möchte damit eine Strafbarkeitslücke schließen, berichtet heise online. Womöglich zeigt sich diese Lücke gerade augenfällig an anderer Stelle. Die Schweiz hat Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder erlassen, weil sie den Ankauf von Steuer-Sünder-CDs organisierten.

Die Bankdaten lösten in Deutschland eine Masse an Selbstanzeigen und Steuerstrafverfahren aus. Sie brachten dem Staat jedenfalls ein Vielfaches des Geldes, als er für die Informationen gezahlt hat. Auch wenn sich der Rummel um das Verhalten der deutschen Steuerfahndung mittlerweile gelegt hat, ist eine Tatsache nach wie vor präsent: Die Steuerfahnder erwarben die Daten von illegalen Quellen, meist waren es abtrünnige Bankangestellte. Der deutsche Staat dealte also mit Datendieben.

Allerdings, so viel war ebenfalls schnell klar, ist der Erwerb von solchen Daten in Deutschland wohl kaum strafbar. Blieb nur die Frage, ob das anrüchige Verhalten der Steuerbehörden wenigstens dazu führt, dass Gerichte die Beweise nicht verwerten dürfen. Auch hier handelten die Finanzämter taktisch klug. Sie dealten schon wieder. Die ertappten Steuersünder konnten und können in der Regel ihren Kopf zu günstigen Konditionen aus der Schlinge ziehen. Das heißt, es gibt allenfalls Bewährungsstrafen. Und somit hat kaum einer der glimpflich Davongekommenen Grund, die höheren Gerichte mit der Frage nach einem Verwertungsverbot zu behelligen. Und wenn, dann wurde die Praxis abgenickt.

So viel zum deutschen Recht. In der Schweiz sieht es etwas anders aus. Dort ist Wirtschaftsspionage und damit Datenhehlerei strafbar; ebenso die Verletzung des Bankgeheimnisses. Deshalb haben Schweizer Behörden nun das gemacht, wozu sie nach schweizer Recht jedenfalls angehalten sind: Sie verfolgen die Datenhehler aus Deutschland – unabhängig von ihrem Amt.

Natürlich hängt dies alles auch damit zusammen, dass ein Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz auf der Kippe steht. Mit dem Abkommen soll eine Abgeltungssteuer für in der Schweiz geparktes, unversteuertes Vermögen eingeführt werden. Und auch rückwirkend sollen die Schweizer Banken anonym Steuern für ihre Kunden nachzahlen, die – wichtig für den Bankplatz Schweiz – dafür im Normalfall anonym bleiben dürfen. Also schon wieder ein merkwürdiger Deal.

Die Haftbefehle aus der Schweiz stoßen in Deutschland auf vehemente Kritik. Die Steuerfahnder hätten nur ihre Pflicht erfüllt heißt es. Sie seien doch keine Täter. Ja, vielleicht nicht in Deutschland. Aber womöglich in der Schweiz, wo es nun mal auch Gesetze gibt, an die sich sogar deutsche Finanzbeamte “im Auslandseinsatz” halten müssen, so lange sie keinen Freibrief der Justiz des Nachbarlandes in der Tasche haben.

Nur einer hat bislang so viel Mumm zuzugeben, dass das deutsche Recht nur bis zum Bodensee und nicht in Zürich gilt. Es ist Wolfgang Schäuble. Der Bundesfinanzminister sagte, er könne die Haftbefehle inhaltlich nachvollziehen. Die Justiz in der Schweiz sei ebenso unabhängig wie die deutsche Justiz. Word.

Es wird sich auch schwerlich behaupten lassen, die nun gegen die Steuerfahnder angewandten Vorschriften der Schweiz seien nicht rechtsstaatlich oder verletzten gar die Grundrechte.

Das wiederum belegt schön der hessische Gesetzesvorschlag, der nun wirklich punktgenau bekanntgeworden ist.

Das zweite Opfer

In Emden gibt es jetzt bereits zwei Opfer. Das 11-jährige Mädchen, welches ermordet worden ist. Und einen 17-Jährigen, den die Polizei nach derzeitigem Stand zu Unrecht verdächtigt hat und der jetzt zunächst vor dem Scherbenhaufen seiner jungen Existenz steht. Er dürfte nämlich kaum in der Lage sein, sein normales Leben weiter zu führen.

Schon bei der Verhaftung des 17-Jährigen konnte auffallen, wie dünn die Beweislage gewesen sein muss. Zum Tatverdacht hieß es nämlich recht karg, der Beschuldigte habe sich bei Angaben über sein Alibi in Widersprüche verstrickt. Das klang ein wenig sehr nach “Wer einmal lügt, dem glaubt nicht”. Dumm nur, dass man nicht unbedingt der Täter sein muss, wenn man kein Alibi hat.

Wenn die Polizei vorrangig aus diesen “Widersprüchen” wirklich ihre Überzeugung schöpfte, hätte sie zumindest bedenklich dick aufgetragen, als sie mit ihrer Erfolgsmeldung an die Öffentlichkeit ging. Immerhin klang das Fazit der Pressekonferenz so, man sei sich schon ziemlich sicher den Täter zu haben – auch wenn der Staatsanwalt pflichtgemäß auf die Unschuldsvermutung verwies. In vielen Medienberichten schlug sich das in der bemerkenswerten Formulierung nieder: “Nur ein Geständnis hat er bislang nicht abgelegt.”

Apropos dick auftragen. Die Polizei hat sich wohl selbst in die Verlegenheit gebracht, eine schnelle Erfolgsmeldung präsentieren zu müssen. Die Festnahme des 17-Jährigen soll ein ziemlich bombastischer Polizeieinsatz gewesen sein. Den Anwohnern dürfte schon wegen der räumlichen Nähe von knapp 500 Metern zum Tatort klar gewesen sein, dass der Zugriff nicht einem Kleindealer gilt.

Schon gestern wies der Kriminologe Christian Pfeiffer darauf hin, dass die Polizei das verhängnisvolle Echo insbesondere auf Facebook und den Menschenauflauf vor der Polizeiwache mit den “Hängt ihn auf”-Rufen faktisch selbst provoziert hat. Wären die Beamten etwas dezenter vorgegangen, hätten sie den Mob nicht mobilisiert und wären nicht zu einer übereilten Erfolgsmeldung gezwungen gewesen.

Ohne den Druck der Straße hätte die Polizei 17-Jährigen vielmehr in Ruhe überprüfen können. Mit aller Wahrscheinlichkeit wären dann sein Name und seine Adresse heute nicht jedermann bekannt, der drei Suchwörter googeln kann. Der bislang Beschuldigte hätte trotz seiner Festnahme in sein normales Leben zurückkehren können. Damit ist nun wohl nicht mehr zu rechnen.

Man mag den Emdener Beamten zu Gute halten, dass sie vielleicht selbst nicht übersahen, was sie mit ihrem Einsatz lostraten. Ob und inwieweit mit ihnen nach der Festnahme des Jugendlichen die Pferde durchgingen und sie sich von “kriminalistischer Erfahrung” übertölpeln ließen, werden wir ohnehin nicht erfahren. Das offensichtliche Versagen wird allenfalls in einige warme Worte gekleidet werden. Hoffentlich reicht es wenigstens noch zu einer Entschuldigung gegenüber dem jungen Mann. 

Für die Zukunft könnte man aus der Sache aber was lernen. Und damit unnötige Opfer vermeiden.

Zum gleichen Thema ein Beitrag im beck-blog