Die Freundin meint auch, es war ein Joint

Manche Strafanzeigen kommen wirklich von einem anderen Stern. Zum Beispiel jene einer Berufsschülerin, die ihren Lehrer beim Genuss eines Joints ertappt haben will. Im pandemiebedingten Online-Unterricht, zu Beginn der zweiten Schulstunde um 8.51 Uhr.

Als Beleg präsentierte sie auf der Polizeiwache einen sehr verwaschenen Screenshot. Dieser zeigt meinen Mandanten in der Tat mit etwas in der Hand, das man üblicherweise raucht. Sie sei sicher, das war ein Joint, erklärte die Zeugin dem Polizeibeamten. Ihre beste Freundin meine auch, es könne sich nur um Drogen gehandelt haben. Außerdem wisse sowieso jeder in der Schule, dass der Lehrer in zwielichtigen Lokalen verkehrt.

Gut, immerhin kam es nicht zu einer Hausdurchsuchung, vielleicht, weil das Geruchsfernsehen noch nicht erfunden und die sonstige „Beweis“kette doch eher große Löcher hat. Ich habe folgende Stellungnahme abgegeben:

Mein Mandant konsumiert keine Betäubungsmittel.

Es handelte sich um eine selbstgedrehte Zigarette.

Leider ist meinem Mandanten in der Situation entgangen, dass die Online-Übertragung für die zweite Schulstunde schon lief, deshalb war er ganz kurz mit der Zigarette zu sehen. Selbstverständlich achtet mein Mandant darauf, dass er während des Online-Unterrichts nicht rauchend zu sehen ist. Dass ihm dies gelingt zeigt sich ja auch daran, dass die Anzeigenerstatterin selbst nur einen Vorfall präsentiert; ansonsten hätte sie sicher mehr Screenshots präsentiert.

Da es sich nicht um Betäubungsmittel handelte, hat sich mein Mandant sich nicht strafbar gemacht.

Im übrigen ist selbst der – sofortige – Konsum von Betäubungsmitteln nicht strafbar.

Die sonstigen lebhaften Spekulationen der Zeugin sollen nicht kommentiert werden. Sie sprechen für sich, auch wenn mein Mandant nicht weiß, was er der Zeugin getan hat.

Einstellung mangels Tatverdachts.

Kommt Zeit, kommt Rat

Manchmal erschreckt der Blick in den Terminkalender. Wie soll ich das alles schaffen? Oder sagen wir, das war einmal. Nach nun fast drei Jahrzehnten als Strafverteidiger kann ich es mit Fug und Recht so machen, wie es beispielsweise Airlines mit Überbuchungen halten. So wie (fast) niemals alle Passagiere erscheinen, so sicher fällt auch ein Drittel bis zur Hälfte der angesetzten Termine ohnehin kurzfristig aus.

Das liegt nicht nur an der Pandemie, auch wenn das Phänomen ein Turbo für die Aufhebungsquote war. Hier ein kleines Beispiel für einen typischen Ablauf. In einem Verfahren gegen zwei angebliche Schläger verteidige ich einen der Angeklagten. Fünf Tage vor dem Verhandlungstermin erfuhr ich über einen Verbindungsbeschluss, dass dem Verfahren andere Vorwürfe angehängt werden. Und zwar zwei Anklagen, die wohl auch noch gegen den anderen Angeklagten liefen. Diese sollen offenbar nun der Einfachheit halber mit erledigt werden.

Nun ja, wenn Verfahren verbunden werden, dann kann ich als Verteidiger nicht sagen: Gericht und Staatsanwaltschaft versichern dir, dass die neuen Vorwürfe gar nicht deinen Mandanten betreffen. Das muss ich schon selbst überprüfen – dafür gibt es ein Akteneinsichtsrecht. Außerdem soll ich ja die ganze Zeit dabei sitzen, wenn die anderen Sachen nun in unserem Verfahren verhandelt werden. Da würde ich schon gerne wissen, um was es geht. Ich verband meinen Verlegungsantrag natürlich mit einem Akteneinsichtsgesuch. Der Termin wurde wenig überraschend aufgehoben.

Eine knappe Woche vor dem Termin habe ich jetzt die Akte noch mal durchgesehen. Und stellte fest, dass ich immer noch keine Akteneinsicht erhalten habe. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als das Versäumnis erneut zu rügen. Mit der Folge, dass mit einiger Sicherheit nicht verhandelt werden kann. Diesen Termin kann ich also schon mal in Gedanken abhaken. Die betreffende Woche sieht da schon deutlich weniger abschreckend aus, und morgen ist ja auch noch ein Tag…

Versager, Feiglinge, Dummköpfe, Faulenzer

Der Münchner Rechtsanwalt und frühere BGH-Vorsitzende Thomas Fischer nimmt sich das Enthüllungswerk eines Amtsrichters aus Dinslaken vor. Des Richters neues Buch heißt „Wo unsere Justiz versagt – Von Messerstechern, Kinderschändern und Polizistenmördern. Ein Richter deckt auf“. Es ist das Nachfolgewerk einer ersten Aufklärungsschrift des betreffenden Richters aus dem Jahr 2019. Diese trug den Titel „Urteil: ungerecht. Ein Richter deckt auf, warum unsere Justiz versagt“.

Fischer bricht das neu Buch und wohl auch gleichzeitig das alte, auf seinen wesentlichen Inhalt herunter:

Streng blickt Richter Schleif dem Feind ins Auge. … Das Landgericht Duisburg, das Herrn Amtsrichter Schleif instanzmäßig übergeordnete Gericht, besteht, soweit es seine Strafkammern betrifft, durchweg aus Versagern, Feiglingen, Dummköpfen und Faulenzern. Diese produzieren „gequirlte Scheiße“ ohne Unterlass, fördern das Verbrechen, statt es zu bekämpfen, und zerstören das Ansehen der Justiz. Ein letztes Bollwerk gegen das Chaos sind Richter Schleif und die ihm dankbare Polizei. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!

Auch ansonsten ist die Rezension zwar sehr lang, aber ebenso vergnüglich zu lesen: hier.

Mit Bargeld beworfen

In der Gemeinde Pfinztal (Landkreis Karlsruhe) wurde im September 2021 ein Lokalpolitiker attackiert. Mitten in der Sitzung des Gemeinderates warf ein Mann Gegenstände auf den CDU-Politiker und traf ihn nach dessen Angaben „mit einer ziemlichen Wucht“. Besonders an dem Fall ist das Tatwerkzeug. Der Angreifer warf mit säuberlich gebündelten 20.000 Euro.

Etwas überraschend stellte die Polizei fest, bei den Geldscheinen handelt sich um echtes Geld. Dass das Bargeld dem Täter rechtmäßig gehört, steht ebenso außer Frage. Wie der Lokalpresse zu entnehmen ist, ist das Motiv des Mannes unklar. Er soll psychisch auffällig sein, so dass es in dem Prozess um eine Unterbringung gehen dürfte. Ansonsten müssten eine weitgehend folgenlose Körperverletzung und ein möglicher Hausfriedensbruch kaum vor dem Landgericht verhandelt werden.

Juristisch interessant ist, was mit den Geldscheinen passiert. Die sind recht unzweifelhaft ein Tatwerkzeug, und Tatwerkzeuge können nach aktuellem Recht ziemlich problemlos eingezogen bzw. hier im wahrsten Sinne des Wortes einkassiert werden. Der Protest könnte also deutlich teurer werden, als es sich der Betroffene vielleicht ausgemalt hat. Aber vielleicht hilft dem Verdächtigen noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 74f StGB). Die Einziehung darf nämlich nicht zu einer übermäßigen Härte führen. Das wiederum kann man natürlich so, aber auch ganz anders sehen.

Wechselwirkung

Wenn das Gericht gegen den Angeklagten Sicherungsverwahrung verhängt, muss es zumindest über eine niedrigere Freiheitsstrafe nachdenken. Laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs besteht zwischen Strafe und Sicherungsverwahrung eine Wechselwirkung, die „in den Blick genommen“ werden müsse.

Wegen Vergewaltigung einer 11-jährigen, bei der er eine Wolfsmaske trug, war ein Mann vom Landgericht München zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden, zuzüglich Sicherungsverwahrung. Im Urteil finden sich aber keine Ausführungen dazu, in welchem Verhältnis die Anordnungen stehen. Das sei aber erforderlich, so das Karlsruher Gericht. Fehle die Abwägung, sei nicht auszuschließen, dass die Strafe zu hoch ausfalle. Die Rechtsfolgen des Urteils müssen nun vom Landgericht München neu festgesetzt werden (Aktenzeichen 1 StR 455/21).

Muss man einen Ausweis dabei haben?

Heute rief mich ein Mandant an, der eine Diskussion mit einem Bundespolizisten hatte. Der Beamte wollte meinen Mandanten am Hauptbahnhof kontrollieren, aber der hatte seinen Perso nicht dabei. Und auch kein sonstiges Ausweispapier. Das gehe so nicht, erfuhr mein Mandant. Er könne von Glück reden, dass er nicht wegen Verstoßes gegen die Ausweispflicht aufgeschrieben werde, denn das könne teuer werden.

Nun ja, der Mandant wirkte offenbar nicht so wahnsinnig verdächtig. Er durfte einfach so gehen. Doch das mit der angeblichen Ausweispflicht ging ihm nicht aus dem Sinn, so dass er lieber mal bei mir nachfragte.

Ich will es kurz machen. Tatsächlich gibt es in Deutschland eine Ausweispflicht. Das heißt, jeder muss ein gültiges Ausweispapier vorzeigen können. Das sind bei Deutschen entweder Personalausweis oder Reisepass, bei Ausländern deren Papiere aus dem Heimatstaat oder ggf. ein Ausweisersatzpapier (Duldung etc.).

Die Ausweispflicht bedeutet aber entgegen landläufiger Meinung nicht, dass man außerhalb der eigenen vier Wände stets Perso oder Pass dabei haben muss. Das heißt, es ist keine Straftat, wenn man ohne Papiere angetroffen wird. Es ist auch keine Ordnungswidrigkeit, das heißt es kann nicht mal ein Bußgeld dafür geben. Einige Ausnahmen gibt es allerdings für diverse Berufe, zum Beispiel bei Arbeitnehmern in Schwarzarbeitsdomänen, etwa Gastronomie und Bau.

Aber für Privatleute sieht das Gesetz keine Sanktionen vor, wenn man sich nicht ausweisen kann. Das Risiko besteht allenfalls darin, dass man ggf. mit auf die Wache kommen muss, dann werden die Personalien dort geprüft. Datenbanken gibt es ja genug. Das Ganze kann natürlich einige Zeit dauern. Die Beamten können einen auch nach Hause kutschieren, wenn der Ausweis dort liegt. Dann kann ihn der Betreffende die Papiere zeigen – und zwar vor seiner Wohnungstür.

Ausweispflicht also ja, aber es gibt keine Mitführungspflicht für die Personalpapiere. Ich berechne dem Mandanten nichts, immerhin lieferte er mir die Idee für diesen Blogeintrag.

Die sehr geheime Bankverbindung

Mein Mandant soll bei der Ausfahrt aus einem Parkhaus die Schranke beschädigt haben. Angeblich vorsätzlich, deshalb erstattete die Firma eine Strafanzeige. Allerdings kann man ja auch fahrlässig was kaputt machen – und fahrlässige Sachbschädigung ist interessanterweise nicht strafbar.

Das sah offensichtlich auch der zuständige Strafrichter. Er gab sich nach meiner schriftlichen Stellungnahme salomonisch. Sein Vorschlag: Mein Mandant ersetzt den Schaden, das Verfahren wird daraufhin ohne Komplikationen eingestellt. Keine schlechte Idee auch für meinen Auftraggeber. Immerhin lösen sich damit auch die eventuellen Schadensersatzansprüche der Firma in Luft auf. Eventuelle Zivilsache also sofort miterledigt.

Die Sache wäre nun schnell ad acta zu legen gewesen – wenn mein Mandant sein Geld loswerden könnte. Auf der Internetseite der Firma wird die Bankverbindung nicht genannt. Auch Google findet nichts. Ich rief also bei der Firma an. Und scheiterte wirklich kläglich. Zwar verband mich die Zentrale mit insgesamt drei Mitarbeitern. Einmal Buchhaltung, einmal Controlling und ganz zum Schluss mit dem Parkplatzwärter vor Ort, weil sich in der Geschäftsführung niemand meldete. Keiner hatte jedoch die Chuzpe, mir die Bankverbindung zu sagen. Dafür weiß ich jetzt viel über hausinterne Vorschriften, Datenschutz und dass man ja nicht wissen könne, wer ich jetzt genau bin und was ich mit einer IBAN alles anstelle könnte.

Das klang irgendwie stark danach, dass auch ein Brief von mir im Zweifel unbeantwortet bleibt. Damit sich die Sache jetzt noch nicht Monate zieht, habe ich den Richter gebeten, dass er die Attacke mit amtlichem Briefkopf und Dienstsiegel führt. Ich schätze seine Erfolgsaussichten auf etwa 50 %.

Freispruch – aber nicht schriftlich

Ein Freispruch ist immer eine erfreuliche Sache. Jedenfalls für den Angeklagten und seinen Verteidiger. Auch wenn das Urteil am Ende der Hauptverhandlung verkündet und vom Richter (mündlich) begründet wird, werden sich die meisten Angeklagten natürlich auch für die schriftliche Begründung interessieren, ebenso der Verteidiger. Das bedeutet aber keineswegs, dass der Angeklagte die schriftlichen Urteilsgründe erhält. Im Gegenteil…

… gibt es interessanterweise keine Regelung, welche das Gericht oder eine andere Stelle verpflichtet, dem freigesprochenen Angeklagten die schriftliche Urteilsbegründung zukommen lassen. Selbst dann nicht, wenn die Staatsanwaltschaft und eventuell sogar ein Nebenkläger Berufung oder Revision eingelegt haben und das Rechtsmittelverfahren damit munter läuft.

Seltsamerweise muss der freigesprochene Angeklagte auch nicht darüber informiert werden, ob die Staatsanwaltschaft oder ein Nebenkläger Rechtsmittel eingelegt haben. In der Praxis passiert das auch dann meist nicht. Wenn der Angeklagte also nicht aktiv nachhakt, kann es sein, dass das Rechtsmittelverfahren munter im Hintergrund läuft – während er sich noch über seinen Freispruch freut. Es kann Monate dauern, bis dann überraschend die Ladung zu einer Berufungsverhandlung eintrudelt. Oder das Revisionsgericht dem Angeklagten die Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft zustellt – mit der vom Gesetz widerum sehr üppig bemessenen Stellungnahmefrist von einer Woche.

Wenn man als Angeklagter nicht auf die Nase fallen will, sollte man im Falle eines Freispruchs also am Ball bleiben. Und eine Kopie der Urteilsgründe beantragen. Auf Antrag muss das Urteil dann nämlich übersandt werden, und das sogar gratis. Ohnehin kann es ja nicht schaden, wenn man es auch für die Zukunft schwarz auf weiß hat, dass sich die Anklage im positiven Sinne erledigt hat.

Handy´s sind so viel mehr

Als Richter bzw. Justizverwaltung hat man halt auch die Deutungshoheit darüber, was was ist und was Besucher nicht ins Gerichtsgebäude mitbringen dürfen. So heißt es im Begleitschreiben zu einer Terminsladung etwa:

Ist halt alles Auslegungssache. Über die Schreibweise von „Handy`s“ in einem Formular, das täglich wahrscheinlich dutzende Male verschickt wird, schweigen wir ohnehin besser. Wenn der Zusatz verschwindet, ist die Corona-Pandemie übrigens offiziell vorbei.

Punktlandung

Wenn ich am Landgericht Düsseldorf Termine habe, bin ich nicht aufs Auto angewiesen. Die Straßenbahn fährt bei uns direkt vor der Tür ab, und sie spuckt mich nach Minuten am Oberbilker Markt aus, wo das Gericht nun schon etliche Jahre angesiedelt ist. So musste einige Zeit vergehen, damit ich mitbekomme, dass man es mit dem Feierabend gerade im angeschlossenen Parkhaus sehr ernst nimmt.

Pünktlich um 19 Uhr gibt’s dort für „normale“ Kunden keinen Zugang mehr. Was ich neulich schmerzhaft zu spüren bekam, weil sich eine Verhandlung bis weit nach 20 Uhr streckte. Ich war ausnahmsweise mit dem Auto da, fand aber das Parkhaus verrammelt und verriegelt vor. Immerhin rettete mich und die anderen Zuspätgekommenen der Protokollführer unserer Verhandlung. Der hat als Mitarbeiter einen Chip, mit dem er jederzeit ins Parkhaus gelangen kann.

Heute hatte ich einen ähnlichen Termin, für kurz nach 18 Uhr war die Urteilsverkündung angesetzt. Nach fünf Verhandlungstagen lag es durchaus nahe, dass der Vorsitzende einige Zeit für die Begründung braucht. Ich fragte deshalb vorher nach, ob er noch zehn Minuten warten kann, bis ich mein Auto umgeparkt habe. Nicht nötig, meinte er. Und hielt dann tatsächlich auch Wort. Um 18.46 Uhr war er mit der Begründung fertig.

So lässt sich’s arbeiten.

Gerichte: Strafzinsen sind unzulässig

Zu den größten Ärgernissen für Sparer gehört derzeit der Umstand, dass Bankguthaben von selbst schrumpfen. Denn die meisten Banken berechnen neuerding auf Guthaben ein sogenanntes „Verwahrentgelt“, also einen Strafzins von meist 0,5 % pro Jahr. Die Freibeträge betragen mitunter gerade mal 5.000 €. Doch die Banken spüren auch juristischen Gegenwind. Nach dem Landgericht Berlin hat auch das Landgericht Düsseldorf den Strafzins für unwirksam erklärt (Aktenzeichen 12 O 34/21).

Der Verbraucherzentrale Bundesverband hatte gegen ein Verwahrentgelt der Volksbank Rhein-Lippe geklagt – und bekam nun recht. Die Richter halten den Strafzins neben den normalen Kontoführungsgebühren für unzulässig. Die Bank erbringe nur eine Leistung, verlange aber faktisch eine doppelte Gegenleistung. Den Kunden bleibe auch keine Wahl, ob sie die „Zusatzleistung“ des Verwahrentgelts annehmen oder nicht.

Auch das Landgericht Berlin hat Verwahrentgelte schon beanstandet, nämlich die der Sparda-Bank (Aktenzeichen 16 O 43/21),. Auch hier hatten die Verbraucherschützer geklagt. Die Urteile aus Düsseldorf und Berlin sind noch nicht rechtskräftig, andere Gerichte haben Strafzinsen auch schon als möglich eingestuft. Am Ende wird wohl der Bundesgerichtshof Klarheit schaffen müssen. Bis dahin dürfte aber noch einige Zeit vergehen.

Antrag auf Hafbefehl

Manche Anwälte verhalten sich merkwürdig. Auch gegenüber den eigenen Mandanten. Ich erlebe es immer wieder (meist, nachdem ich die Sache zu einem späteren Zeitpunkt übernommen habe), dass Verteidiger ihre eigenen Auftraggeber im Unklaren lassen. Und zwar über den Inhalt der Verfahrensakte, in die sie ja im Auftrag des Mandanten Einsicht genommen haben.

Aber vielleicht geht es den betreffenden Kollegen ja gar nicht darum, die Deutungshoheit über den Tatvorwurf exklusiv für sich zu behalten. Oder einige Cent Euro für die Anfertigung einer Fotokopie oder zumindest eines PDF zu sparen. Vielleicht sind sie auch nur vorsichtig – wie ein aktueller Fall aus Thüringen zeigt.

Da war Folgendes passiert: In einem Ermittlungsverfahren ging es um Drogen, die Wohnung des Beschuldigten wurde durchsucht. Die Verteidigerin beantragte Akteneinsicht, die sie auch erhielt. In Form eines Aktendoppels. In den Unterlagen enthalten war auch der Entwurf auf den Erlass eines Haftbefehls drin. Diesen Haftbefehl sollte das Amtsgericht Erfurt erlassen. Deshalb war die Originalakte dorthin geschickt worden.

Als dann der mittlerweile erlassene Haftbefehl vollstreckt werden sollte, war der Beschuldigte nicht mehr auffindbar. Auf seinem Wohnzimmertisch fanden die Ermittler einen Ausdruck des Haftbefehlsantrags. Was der Anwältin zwei Verfahren einbrachte. Wegen Strafvereiteilung. Außerdem sollte sie als Pflichtverteidigerin vom Verfahren ausgeschlossen werden. Entsprechende Anträge hatten zunächst auch Erfolg.

Erst das Oberlandesgericht Erfurt hat diesem Spuk nun ein Ende bearbeitet. Denn in dem Verhalten der Anwältin können die Richter überhaupt keinen Pflichtverstoß erkennen. Vielmehr weisen sie darauf hin, dass der Verteidiger nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, seinen Mandanten über alle verfahrensrelevanten Umstände zu informieren. Das geschieht eben auch dadurch, dass der Verteidiger dem Mandanten die Verfahrensakten in Kopie geben darf. Und zur Akte gehören nun mal alle Unterlagen, auch der Haftbefehlsentwurf. Wenn dieser geheimgehalten werden sollte, hätte er eben nicht mitgeschickt werden dürfen.

Etwas anderes würde laut dem Oberlandesgericht nur gelten, wenn sich der Anwalt die Unterlagen „unredlich“ verschafft hat. Aber für Trickserei erkennen die Richter keinerlei Anhaltspunkt. Dass der Beschuldigte nur die zwei Seiten des Haftbefehlsantrags auf seinem Wohnzimmertisch hatte, sage nichts aus. Denn diese könnte er sich einfach ausgedruckt haben. Dazu hatte die Verteidigerin erklärt, dass sie ihren Mandanten die Dokumente als Webakte zum Download zur Verfügung stellt.

Im Ergebnis darf / muss der Verteidiger also alle Unterlagen an den Mandanten weiterleiten, die er selbst erhalten hat. Die Verteidigerin musste in dem konkreten Fall auch nicht vorsorglich grübeln, ob die Übersendung des Haftbefehlsantrags vielleicht ein Versehen der Staatsanwaltschaft war.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist hier nachzulesen.

Tschechische Drogen

Wegen eines ebay-Betrugs hat mein Mandant Strafanzeige erstattet. Wie viele andere auch bestellte der Mandant gegen Vorkasse hochwertige Hifi-Komponenten – die nie geliefert wurden. Der damalige „Verkäufer“ ist schon seit geraumer Zeit nicht auffindbar. Wenn es diese Person überhaupt jemals gegeben hat. Sieht ganz so aus, als würden der Mandant und seine Leidensgenossen auf dem satten Schaden sitzenbleiben.

Aber damit nicht genug. Mein Mandant hat für seine Strafanzeige einige Unterlagen nachgereicht, um welche ihn der zuständige Kommissar bat. Unter anderem wollte der Beamte „eine Kopie Ihrer Kontoauszüge bei PayPal für den fraglichen Zeitraum (mit allen Zahlungen).“

Sehr gerne, der Mandant schickte ein PDF mit seinem Kontoverlauf bei PayPal für rund drei Monate. Das hätte er besser so nicht getan. Gut sechs Wochen später hatte er nämliche einen Anhörungsbogen der Polizei in der Post. Absender war nicht das Betrugsdezernet. Sondern die Drogenfahndung. „Sie werden beschuldigt, am 27. April 2021 folgende Straftat/en begangen zu haben“, heißt es in dem Schreiben. „Einfuhr, Handel mit Betäubungsmitteln, vermutlich Crystal Meth / Amphetamine.“

Mein Mandant fiel natürlich aus allen Wolken und malte sich einen sehr tiefen Sturz aus. Immerhin ist er selbst Beamter. Trotz seines überschaubaren Einkommens bessert er dieses definitiv nicht auf die unterstellte Weise auf. Eine Erklärung für den Vorwurf hatte er dementsprechend nicht. Auch aus dem Anhörungsschreiben ging mit keinem Wort hervor, worauf sich der Tatverdacht stützen soll.

Nun ja, Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft half weiter. Am 26. April 2021 war mein Mandant mit einigen Arbeitskollegen abends noch was essen. Ein Kollege hatte sein Portmonee im Büro liegenlassen. Der Mandant half ihm im Restaurant mit 31,24 € aus. Wie zugesagt, schickte der Kollege meinem Mandanten am nächsten Tag den Betrag mit der Geld-senden-Funktion von PayPal. Als Verwendungszweck schrieb er:

Tschechische Drogen

Das wiederum fiel dem Fahnder im ebay-Fall ins Auge. Der setzte seine Kollegen vom BtM-Dezernat in Kenntnis. Diese sahen von einer Hausdurchsuchung „zunächst aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ ab. Immerhin. Der Staatsanwalt erkannte nicht mal die Notwendigkeit, dass ich für meinen Mandanten irgendwas klarstelle. Er schickte die Akte gleich mit der Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdachts. Ich zitiere:

Es gibt keinerlei weitere Geldbwegungen auf dem vorliegenden PayPal-Konto des Beschuldigten, die auf Drogenhandel schließen lassen. Es spricht nach der Lebenserfahrung alles dafür, dass hier auf einfachem Wege eine private Schuld beglichen wurde, wobei sich der Absender humorvoll zeigen wollte. Ähnliches ist dem Dezernenten aus Bußgeldverfahren bekannt. Dort kommt es immer wieder vor, dass Strafzettel mit dem Betreff „sexuelle Gefälligkeiten“ o.ä. bezahlt werden. ohne dass hieran etwas dran ist.

Gerade noch mal gut gegangen…

Keine Beischläferinnen

Ein Vorsitzender, zwei Schöffen. So ist eine kleine Strafkammer am Landgericht besetzt. Die Schöffen sind ehrenamtliche Richter und in der Regel keine Juristen. An sich keine Frage, wer an so einem Schöffen(straf)gericht die Fäden in der Hand hält. Deshalb heißt eine nette Justizserie auf Amazon Prime „Der Beischläfer“. Was die Sache im Regelfall recht gut auf den Punkt bringt.

Aber mitunter ist es halt auch anders. Ganz anders. Das erlebte ich neulich an einer kleinen Strafkammer des Landgerichts. Da verhandelt ein Berufsrichter über die Berufungen gegen Strafurteile des Amtsgerichts. Flankiert wird er von zwei Schöffen. Schöffinnen in unserem Fall. Fünf Verhandlungstage waren angesetzt. Also ausreichend Zeit, damit sich alle etwas kennenlernen.

Der Vorsitzende war erkennbar null geneigt, die Verurteilung abzuändern, die mein Mandant in erster Instanz kassiert hatte. Wohl aber die Schöffinnen. Bei der Vernehmung etlicher Zeugen war immer mehr zu erkennen, dass sie meinem Mandanten glaubten. Und somit an dessen Unschuld. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber nach meiner Meinung hatten die Schöffinnen hierzu ziemlich guten Grund. Das von der Anklage kunstvoll errichtete Anklage-Bauwerk geriet von Stunde zu Stunde gehörig ins Wanken.

Sichtlich unbeeindruckt davon blieb aber der Vorsitzende. Allerdings saß er am kürzeren Hebel. Denn Ehrenamt hin, fehlende juristische Ausbildung her: Am Gericht sind alle Richter gleich. Das heißt, die Stimme der Schöffen zählt ebenso wie die eines Berufsrichters. Somit stand es in dem Gremium erkennbar 2:1. Da die Schöffinnen jedenfalls nicht als justizielle Beischläferinnen gelten wollten, blieben sie sogar bei der Urteilsberatung standhaft und überstimmten den Richter knallhart (was wegen des Beratungsgeheimnisses allerdings letzlich nicht belegbar ist). Dennoch verkündete der Richter sauertöpfisch ein Ergebnis, das auf meine Vermutung passt: Freispruch.

An der mündlichen Urteilsbegründung kam der Richter natürlich nicht vorbei. Schon diese empfand ich als wenig souverän. Statt die tragenden Gründe für den Freispruch zu erklären, zählte er alles auf, was aus seiner Sicht die Schuld meines Mandanten belegt. Zum Freispruch selbst fand er dann nur folgende Worte: „Dennoch hat sich das Gericht nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugen können. Die Sitzung ist beendet.“ Das ist jetzt offenkundig nicht unbedingt das, was sich der Gesetzgeber von der „Eröffnung der Urteilsgründe“ am Ende der Hauptverhandlung erhofft (§ 268 StPO). Die vorgeschriebene Mitteilung des „wesentlichen Inhalts der Urteilsgründe“ meint ja eher die Gründe, die den Freispruch tragen, nicht Umstände, die fürs Gegenteil taugen.

Geschenkt könnte man sagen, schlechte Verlierer gibt’s überall. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Da die doch etwas geschockte Staatsanwaltschaft und der natürlich höchst erboste Nebenkläger wenig überraschend fristgerecht Revision eingelegt haben, muss das Gericht eine ausführliche schriftliche Urteilsbegründung vorlegen. Diese Begründung muss den Anforderungen des § 267 Abs. 5 StPO genügen, also nachvollziehbar darlegen, wieso der Angeklagte freigesprochen wurde.

Die Urteilsgründe bringt einer ganz allein zu Papier: der Vorsitzende der kleinen Strafkammer. Meine Lieblingsschöffinnen haben damit nichts mehr zu tun. Problematisch ist natürlich, dass das Revisionsgericht den Freispruch nicht anhand des Verlaufs der Hauptverhandlung auf Validität abklopft. Grundlage der Prüfung sind nur die schriftlichen Urteilsgründe. Also das, was der Vorsitzende nun zu Papier bringen muss – obwohl es vermutlich seiner Überzeugung zuwider läuft. Sicher keine leichte Aufgabe. Aber halt eine, die man als Richter auch mal bewältigen muss. Jedenfalls wenn man die Verpflichtung ernst nimmt, Urteile „Im Namen des Volkes“ zu sprechen.

Für die schriftliche Urteilsbegründung hatte der Richter sieben Wochen Zeit (§ 275 StPO). Die sieben Wochen sind nun um, eine Urteilsbegründung halte ich aber immer noch nicht in Händen. Das muss kein Grund zur Panik sein. Denn es kommt für die Siebenwochenfrist auf dem Tag an, an dem der Richter sein Urteil auf der Geschäftsstelle des Gerichts abgibt. Die Ausfertigung und Zustellung kann auch noch später erfolgen.

Mein Mandant macht sich allerdings verständlicherweise schon größte Sorgen. Es besteht ja auch die Möglichkeit, dass ein Richter die Urteilsabsetzungsfrist einfach verstreichen lässt. Mit der Folge, dass die Entscheidung dann mehr oder weniger zwingend vom Revisionsgericht aufzuheben ist, weil ein glasklarer Revisionsgrund vorliegt. Ich beruhige den Mandanten mit dem Hinweis, dass ich mir es schlichtweg nicht vorstellen kann, dass ein gestandener Richter sich so eine Blöße geben würde. Zumal versemmelte Fristen für ihn disziplinarrechtliche Konsequenzen haben können. So ein Fauxpas ist nicht von der richterlichen Unabhängigkeit gedeckt. Letztlich schließlich stünde ja sogar etwas wie Rechtsbeugung (§ 339 StPO) im Raum. Für mich, den Berufsoptimisten, fast unvorstellbar.

Ich frage in den nächsten Tagen mal nach, wo das Urteil bleibt. Ein bisschen gespannt bin ich jetzt doch.

Woanders ganz anders

Die Justiz arbeitet fleißig am papierlosen Büro. In Zivilsachen müssen Anwälte seit Jahresanfang so gut wie alle Schriftsätze elektronisch einreichen, also das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nutzen (§ 130d ZPO). Briefe oder Faxe bleiben im schlimmsten Fall unbeachtet; Fristversäumnisse nicht ausgeschlossen. Ähnliche Regelungen gelten seit dem Jahresanfang auch vor den Sozial-, Arbeits- und Verwaltungsgerichten. Ohne beA läuft praktisch nichts mehr. Immerhin funktioniert das beA nun im Großen und Ganzen.

In Strafsachen, mein Gebiet, nähert man sich dem Ziel allerdings etappenweise. Und zwar über den neuen § 32d StPO. Dieser erlaubt Verteidigern nach wie vor die Nutzung von Briefpost und Fax. Aber nicht für Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage. Diese Erklärungen müssen als elektronisches Dokument eingereicht werden. Wer’s nicht weiß oder gerade nicht dran denkt, kann da ganz schön auf die Nase fallen.

Zumal es woanders dann wieder ganz anders läuft. Zum Beispiel am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das ist über das beA gar nicht zu erreichen. Das Gericht sieht sich, wie es auch in einer Entscheidung festgehalten hat, zur Entgegennahme von beA-Nachrichten außerstande. Das gilt auch für die praktisch wichtigsten Eingaben, nämlich Verfassungsbeschwerden. Zur Begründung heißt es, § 22 BVerfGG sehe in seiner gültigen Fassung nun mal die Schriftform vor. Wir halten also fest: Fast überall können Rechtsbehelfe nur noch elektronisch eingelegt werden. Nur beim Bundesverfassungsgericht ist es – genau umgekehrt. Keine Ahnung, wer sich so was ausdenkt.

Der Treppenwitz bei der täglichen Arbeit ist, dass gerade Verfassungsbeschwerden oft sehr textlastig sind. Überdies müssen alle angefochtenen Entscheidungen und sonstigen Anlagen beigefügt werden. Da kommen schnell hunderte Seiten zusammen, die man schon sehr bequem übers beA schicken könnte. Toll, wenn – wie so oft – die Frist ohnehin nur knapp eingehalten werden kann und der gute alte Brief somit nicht mehr möglich ist. Fürs späte Faxen hat das Verfassungsgericht übrigens mal fürsorglich entschieden, dass man als Anwalt nicht bis zur letzten Minute warten darf. Spätestens um 23.30 Uhr müsse mit dem Faxen begonnen werden, denn Übermittlungsprobleme seien einzuplanen.

Einfacher wird es auch nicht dadurch, dass der reguläre Faxanschluss des Bundesverfassungsgerichts legendär überlastet ist. Für diesen Fall habe ich allerdings einen kleinen Tipp. Ganz unten auf der Homepage des Gerichts findet sich der Hinweis, dass es noch zwei zusätzliche Faxnummern gibt. Vielleicht hilft diese Information ja mal einem Kollegen, der an der normalen Faxnummer verzweifelt.

Interessant finde ich, dass die zusätzlichen Faxnummern offenbar nach Berlin geschaltet sind. Ich nehme mal an, zu einem externen Dienstleister. Wäre interessant, ob der eingehende Faxe tatsächlich beim Eingang sofort ausdruckt. Oder sie womöglich nur als Datei nach Karlsruhe weiterleitet (am Ende noch per Mail!). Das Gericht betont nämlich stets, Faxe seien ja nur deshalb zulässig, weil sofort bei der Übermittlung ein „körperliches Schriftstück“ entsteht. (Deshalb muss man als Anwalt wiederum aufpassen, dass die Sendung nicht so wirkt wie ein Computerfax mit lediglich eingescannter Unterschrift. Das kann auch zur Unwirksamkeit führen, weil es ja beim Anwalt die Sendung nicht in Papierform gibt.)

Dieser Beitrag entsteht, weil ich noch auf die Übermittlung meines heutigen Faxes an das Bundesverfassungsgericht warte. Just in diesem Augenblick hat’s über eine der Berliner Rufnummern des Gerichts geklappt.

1 Stunde und vier Minuten für 104 Seiten.

Ich gehe jetzt nach Hause.