Grenzwert für MPU sinkt drastisch

Der „Idiotentest“ ist für Alkoholsünder eine gefürchtete, oft sogar unüberwindliche Hürde, wenn sie ihren Führerschein wiederbekommen wollen. Künftig wird das Ganze auf jeden Fall nicht einfacher – die maßgebliche Promillegrenze sinkt drastisch. Das Bundesverwaltungsgericht gibt in einem aktuellen Urteil den Straßenverkehrsämtern grünes Licht, wenn sie künftig schon ab 1,1 Promille einen Idiotentest verlangen.

Bislang lag die Grenze bei 1,6 Promille. Nur wer sich darüber getrunken hatte und dennoch am Steuer erwischt wurde, musste im Regelfall vor Wiedererteilung der Fahrerlaubnis die Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU) bestehen. Nun kann diese Untersuchung schon ab 1,1 Promille verlangt werden, sofern die Polizei beim Alkoholsünder keine Ausfallerscheinungen festgestellt hat.

Die Betonung im letzten Satz liegt auf KEINE. Insoweit benutzt das Bundesverwaltungsgericht den von ihm entschiedenen Fall regelrecht als Steilvorlage. Ein Autofahrer hatte sich gegen die MPU-Anordnung gewehrt mit der Begründung, er habe lediglich 1,3 Promille im Blut gehabt – und überdies keinerlei Ausfallerscheinungen gezeigt. Die Polizei und der Arzt hatten bei der Verkehrskontrolle insoweit ausdrücklich festgehalten, dass der Alkoholkonsum dem Mann nicht anzumerken war.

Genau dieser Punkt, so das Bundesverwaltungsgericht, spreche aber für eine erhöhte „Giftfestigkeit“ des Betroffenen. Wer mit mehr als 1,1 Promille nach außen fit wirke und sich auch so fühle, müsse entsprechend alkoholgewöhnt sein. Das wiederum spreche dafür, dass der Betroffene zwischen Trinken und Fahren nicht mehr sicher trennen könne. In so einem Fall sei die MPU schon ab 1,1 Promille (Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit) zulässig.

Für Betroffene kann es im Bereich von 1,1 bis 1,6 Promille also künftig besser sein, wenn Polizei und Arzt festhalten, dass sie deutlich unter Alkoholeinfluss standen. Möglicherweise wird dadurch vielleicht die Fahrerlaubnis etwas länger entzogen und die Strafe höher – aber es kommt noch nicht zur Anordnung der MPU. Andererseits kann es auch mächtig nach hinten losgehen, wenn man sich besoffener gibt, als man ist. Unterhalb der Grenzen 1,1 und insbesondere 0,5 Promille führen festgestellte Ausfallerscheinungen nämlich wieder zu juristischen Nachteilen in Form härterer Strafen und längerer Sperren.

Besonders spannend ist jetzt natürlich, wie die Straßenverkehrsämter reagieren. Bei noch laufenden Antragsverfahren auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis haben sie auf jeden Fall die höchstrichterliche Rückendeckung, nun auch standardmäßig im Bereich zwischen 1,1 und 1,6 Promille eine MPU zu verlangen. Damit könnten bundesweit auf viele hundert, wenn nicht tausende Betroffene schwere Zeiten zukommen (Aktenzeichen 3 C 3.20).

Komplett durchleuchtet

Wer nach dem 11. September 2001 in die USA gereist ist, wird auch mit der Border Control Bekanntschaft gemacht haben. Die Mitarbeiter fragen am Flughafen in den USA und teilweise auch schon vor dem Abflug in der EU, warum man in die USA reise, wie lange man bleibe usw. Ziel ist es unter anderem, potenzielle Terroristen*innen aufzuspüren.

Ob dieses Ziel so erreicht werden kann, mag bezweifelt werden, aber die Border Control versteht wirklich keinen Spaß und wenn man ein Interesse hat, tatsächlich in die USA einzureisen, wird man wohl antworten müssen. Anfang Februar hat nun ein amerikanisches Gericht ausdrückliich festgestellt, dass Border Control ohne jeden gerichtlichen Beschluss Handys und Laptops durchsuchen darf, was das Sichten der Daten, aber auch das Kopieren beinhaltet. Das Gericht stützt sich dabei auf eine Ausnahme der US-Verfassung.

Anscheinend muss man bei Reisen in die USA wohl ernsthaft damit rechnen, dass am Ende alle Daten von Notebook, Handy und Tablet ohne großen Aufhebens auf Festplatten der US-Behörden landen können. So eine komplette Durchleuchtung ist bei uns jedenfalls undenkbar – noch.

Bericht zum Thema

RA Dr. André Bohn

Lohnt sich das?

Einsätze der Bundespolizei tragen sich hinsichtlich der Kosten nicht selbst. Tatsächlich ist der Verwaltungsaufwand fünf Mal größer als die Einnahmen wegen der Einsätze. Im Oktober 2019 wurde eine „Gebührenordnung“ für Handeln der Bundespolizei eingeführt. Hintergrund ist unter anderem, dass die von einem Einsatz „Betroffenen“ oft nicht zahlungsfähig oder zahlungswillig sind.

Da die Erhebung der Gebühren zwingend ist, werden auch in ziemlich hoffnungslosen Fällen Bundespolizisten und Verwaltungskräfte gebunden – obwohl kaum die Aussicht besteht, dass die Beträge gezahlt werden, berichtet Spiegel Online.

Natürlich kann man Polizeiarbeit und damit die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung schlecht rein fiskalisch betrachten. Ganz außer Betracht lassen sollte man die finanzielle Seite aber auch nicht, insbesondere wenn es um Bagatelldelikte geht, deren Verletzung das Normvertrauen, das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung und sie Sicherheit allgemein nicht wirklich beeinträchtigen.

Man könnte in vielen Bereichen auch mal entkriminalisieren, damit die Polizei mehr Ressourcen auf die wirklich wichtigen Fälle lenken kann.

RA Dr. André Bohn

Kontaktperson der Kontaktperson

Das Land Baden-Württemberg wollte zur Vermeidung von Corona-Ansteckungen auch „Kontaktpersonen von Kontaktpersonen“ in Quarantäne schicken. Das hätte zum Beispiel für Eltern gegolten, deren Kinder in der Schule gemeinsam Unterricht mit einem infizierten Kind hatten – ohne dass eine Ansteckung festgestellt werden konnte.

Gegen die Regelung haben eine Staatsanwältin und ein Rechtsanwalt geklagt. Sie haben drei minderjährige Kinder und machten geltend, die Regelung sei unverhältnismäßig. Bei einer zehnköpfigen Schüler oder Kita-Gruppe führe die „Cluster“-Regelung dazu, dass mit einem Schlag schon mal 40 Personen in Quarantäne müssten, und das auf bloßen Verdacht und pauschale Anordnung der Behörden.

Der Verwaltungsgerichtshof des Landes erklärte die Regelung jetzt für rechtswidrig. Bei unmittelbaren Kontaktpersonen könne von einer Ansteckungsgefahr ausgegangen werden. Das gelte aber nicht für „Kontaktpersonen der Kontaktpersonen“. Eine so weitgehende Kette überschreite die juristischen Möglichkeiten, welche das Infektionsschutzgesetz einräume. Alleine die Haushaltszugehörigkeit reiche jedenfalls nicht aus (Aktenzeichen 1 S 751/21).

In Hessen geraten die Corona-Beschränkungen für den Einzelhandel unter Druck. Eine Verkäuferin von Grills und Grillzubehör hatte sich gegen strenge Auflagen gewehrt mit der Begründung, der wenige Meter entfernt liegende Baumarkt dürfe viel mehr Kunden gleichzeitig bedienen, und das auch noch ohne die ansonsten vorgeschriebene Voranmeldung. Das Verwaltungsgericht Frankfurt gab der Geschäftsfrau recht (Aktenzeichen 5 L 623/21 F).

Die Maskenpflicht in Erholungsgebieten des Oberharz ist rechtswidrig, so das Verwaltungsgericht Braunschweig in einem Eilbeschluss. Ein Mann aus Hildesheim hatte sich gegen die Maskenpflicht auf Freizeitflächen (z.B. Ski- und Rodelhänge am Bocksberg, Wurmberg und Matthias-Schmidt-Berg) gewandt. Der Landkreis Goslar hat es laut dem Gericht versäumt, eine Karte mit den Flächen zu veröffentlichen, auf denen die Maskenpflicht gelten soll. Der Bürger könne schon deshalb gar nicht wissen, wo die Beschränkungen gelten.

Der Landkreis hatte sich auch damit verteidigt, die Maskenpflicht habe sich schon wegen des heraufziehenden Frühlings erledigt. Jedoch kann das Gericht der Anordnung nicht entnehmen, dass die Verfügung nur bei ausreichend Schnee und Eis gelten sollte (Aktenzeichen 4 B 51/21).

Doppeltes Versagen

Rund ums laufende Jura-Examen in Baden-Württemberg gibt es derzeit mächtig Zoff. Erst gab es eine Prüfungspanne, und auf diese soll dann noch mehr als fragwürdig reagiert worden sein. Ausbaden dürfen es nun 871 Studenten, die ihre Strafrechtsklausur neu schreiben sollen.

Am 1. März sollte in Konstanz eigentlich die Klausur im Öffentlichen Recht geschrieben werden. Weil jemand das Datum verwechselte, teilten die Aufsichten aber die Aufgabe für die sechste und letzte Prüfung (Strafrecht) aus, die erst einige Tage später dran war. Allerdings soll der Fehler bemerkt worden sein, bevor die Studenten die Aufgabentexte rumdrehen durften. Die Texte wurden schnell wieder eingesammelt – und dann tatsächlich am 4. März für die Strafrechtsprüfung verwendet.

Dumm nur, dass sich später etwas anderes herausstellte. Ein Klausurtext für das Strafrecht soll nämlich doch nicht sofort zurückgegeben worden sein, sondern erst einige Zeit nach Beginn der Klausur. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Kandidaten die Texte für die an sich anstehende Klausur im Öffentlichen Recht aber schon rumdrehen dürfen. Auch wenn drei Aufsichten auf 50 Prüflinge kamen, war nun keineswegs mehr „sicher“, dass die Strafrechtsaufgaben nicht doch geleakt werden konnten.

Das alles kam aber erst raus, nachdem die Klausur am 4. März gestellt wurde – mit den ursprünglichen Aufgaben. Die Betroffenen kritisieren nun vehement das offenkundige Versagen des Prüfungsamtes. Immerhin hätte man am 4. März ja vorsorglich eine andere Klausur anbieten können. Wie die Legal Tribune Online berichtet, gibt es auch schon eine Petition von 2.600 Jurastudenten. Der Ausgang ist noch offen. Der Nachschreibetermin soll erst für April festgesetzt werden.

Nachtrag: Gibt es keine Alternative zur Klauswiederholung? Ein Artikel beleuchtet die Rechtslage

Zu schnell? Oder falsch geblitzt?

Ein in Deutschland bei Geschwindigkeitskontrollen vielhundertfach eingesetztes Lasermessgerät steht im Verdacht, fehlerhafte Ergebnisse zu liefern. Es geht um das Messgerät „Leivtec XV3“. Der Hersteller zieht jetzt die Notbremse. Er hat alle Behörden gebeten, das Gerät nicht mehr einzusetzen.

Bei Kontrollmessungen – mit mehreren gleichen Geräten am selben Ort – sollen Sachverständige erhebliche Abweichungen festgestellt haben. Während ein Leivtec XV3 beispielsweise 125 Stundenkilometer gemessen habe, sei das andere auf 141 Stundenkilometer gekommen. Als mögliche Ursache werden insbesondere (zulässige) Reflektorstreifen genannt, die Autos außen und innen verzieren.

Noch ist nicht klar, ob Ordnungsämter und Polizeibehörden von sich aus die Verfahren einstellen. Wichtig ist auf jeden Fall, gegen eventuelle Bußgeldbescheide noch Einspruch einzulegen – das geht wirksam allerdings nur maximal zwei Wochen nach Zustellung des Bescheids. Wenn der Bußgeldbescheid schon rechtskräftig geworden ist, braucht man sich nicht zu viel Hoffnung zu machen. Die Wiederaufnahme eines Bußgeldverfahrens scheitert schon meist daran, dass dies nur bei Bußgelgeldern ab 250 Euro möglich ist (§ 85 OWiG).

Selfie mit Schlüssel

Ein Praktikant hat in der Justizvollzugsansstalt Heidering in Brandenburg einen Schaden von 50.000 € verursacht. Der Praktikant hatte aus der JVA ein Selfie versendet – dabei hatte er einen ihm anvertrauten Generalschlüssel in der Hand. Es soll wohl möglich sein, den Schlüssel allein aufgrund dieses Fotos nachzumachen. Sicherheitsrisiko. Die JVA tauschte alle Schließzylinder aus…

Aber nicht nur das. Das Praktikum war zu Ende, der junge Mann erhielt ein Hausverbot. Immerhin wurde er nicht eingesperrt. Aber die Gefängnisleitung zieht in Betracht, den Schaden bei dem jungen Mann zu liquidieren. Wobei natürlich auch einige Grundsätze des Arbeitsrechts zu berücksichtigen sind, zum Beispiel jener, dass nicht jede Fahrlässigkeit gleich zu einer Haftung führt und der Arbeitnehmer nicht in den völligen Ruin getrieben werden darf.

Nun kann man natürlich einwenden, dass schon ziemlich viele Umstände zusammenkommen müssen, damit jemand aufgrund des Fotos aus der JVA fliehen kann: Die Chatnachricht müsste abgefangen oder weitergegeben werden, und zwar an eine Person, die aufgrund des Fotos einen solchen Schlüssel fertigen kann, diese Person müsste den Schlüssel anfertigen und der Schlüssel müsste dann irgendwie an den Kontrollen vorbei in die JVA gelangen.

Sollten diese Umstände aber wirklich zusammenfallen, wäre das ein Skandal, für den die Leitung der JVA aber vielleicht auch der Justizminister die Verantwortung tragen würden. Dafür müsste noch nicht einmal ein besonders gefährlicher Insasse ausbrechen. Ich kann daher verstehen, dass man dieses Risiko nicht eingehen wollte.

Eine andere Frage stellt sich mir aber. Bei meinem Praktikum in einer Justizvollzugsanstalt musste ich das Handy ausschalten und ganz vorne am Eingang abgeben. Darauf wurde penibel geachtet. Wäre vielleicht interessant, wieso es hier offenbar anders war.

Pressebericht

RA Dr. André Bohn

Copyright Challenge

Die „Jerusalema Challenge“, bei der Personen unaufgefordert zu einem Lied von den südafrikanischen Künstlern DJ Master KG und Nomcebo Zikode tanzten und sich dabei natürlich filmen ließen, um Mitmenschen in der Corona-Pandemie aufzumuntern, kostet nun Steuergelder.

Polizisten aus Nordrhein-Westfalen haben sich jedenfalls an der Challenge beteiligt. Das Video ist nach wie vor auf Youtube zu sehen. Das Innenministerium NRW hat nun 2675,00 Euro Lizenzgebühren an Warner Music bezahlt (Bericht auf ntv).

Interessant wäre zu wissen, ob bei den Behörden überhaupt jemand vorher über Copyrights nachgedacht hat. Immerhin halten sich die Kosten von 2675,00 Euro in Grenzen – auch mit strafrechtlichen Ermittlungen ist nun ja weniger zu rechnen. Diese wiederum wären allerdings auch wieder wesentlich teurer als die Lizenzgebühren selbst, so dass sich der Steuerzahler letztlich nur eingeschränkt beschweren sollte…

RA Dr. André Bohn

Notstand?

Vor kurzem verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz einen Angeklagten in einem der ersten Strafprozesse wegen Foltervorwürfen in Syrien zu vier Jahren und sechs Monaten Haft wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Laut dem Urteil ist der Angeklagte Agent des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes in Syrien gewesen und hat Gräueltaten begangen.

Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert und sich auf einen sogenannten „entschuldigenden Notstand“ berufen. Hätte sich der Mann den Befehlen seiner Vorgesetzten widersetzt, wäre er nach der Dynamik des syrischen Regimes selbst in Lebensgefahr geraten – so zumindest die Verteidigung.

Der entschuldigende Notstand ist in § 35 StGB geregelt. Nach dieser Vorschrift handelt ohne Schuld, wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer anderen ihm nahestehenden Person abzuwenden. Dies gilt nach § 35 Abs. 1 S. 2 StGB aber nicht, soweit dem Täter nach den Umständen, namentlich weil er die Gefahr selbst verursacht hat oder weil er in einem besonderen Rechtsverhältnis stand, zugemutet werden konnte, die Gefahr hinzunehmen.

In der Praxis kommt es relativ selten vor, dass sich Angeklagte auf den entschuldigenden Notstand berufen. War es aber wirklich so, dass der Angeklagte sich faktisch nicht weigern konnte, Befehle auszuführen, ohne in akute Lebensgefahr zu gelangen, käme die Anwendung des § 35 StGB in Betracht. Bekannt ist die Argumentation insbesondere aus Prozessen gegen NS-Personal. Allerdings gehen gerade die neueren Urteile zu diesen Fällen davon aus, dass die Weigerung, etwa in einem Konzentrationslager zu arbeiten, gerade nicht mit lebensgefährlichen Konseqenzen verbunden war. Im Syrien-Fall wird kaum ein milderer Maßstab gelten.

Berichte zu dem Fall in der Legal Tribune Online und in der taz

RA Dr. Andre Bohn

Hausinterne Amnestie

In Leipzig steht ein KSK-Soldat vor Gericht, weil er in seinem Garten Munition, eine Waffe und Sprengstoff aus dienstlichen Beständen vergraben haben soll.

Das ist schon interessant genug. Ich möchte jedoch auf ein Detail hinweisen, bei dem mir dann doch der Atem stockt. So kam in dem Prozess heraus, dass alle KSK-Soldaten Anfang 2020 Munition, die sie zuvor hatten mitgehen lassen, zurückgeben konnten – ohne dass sie irgendwelche Sanktionen zu befürchten hatten. Also eine behördeninterne „Amnestie“, und zwar offenkundig in größerem Stil.

Da stellt sich schon die Frage, ob die Behördenleitung nicht verpflichtet gewesen wäre, solche Vorfälle nicht unter den Teppich zu kehren. Immerhin reden wir hier über handfeste Straftaten, angefangen bei Unterschlagung/Diebstahl bis zu handfesten Verstößen gegen das Waffenrecht.

Gesetzlich vorgesehen ist so ein amtliches Wegsehen jedenfalls nicht. Im Gegenteil. So bestimmt beispielsweise Art. 59 Abs. 2 der Landesverfassung in Nordrhein-Westfalen, dass Amnestien nur aufgrund eines (formellen) Parlamentsgesetzes erfolgen dürfen. Das gesamte Gnadenrecht ist darauf ausgerichtet, in Ausnahmefällen juristische Gerechtigkeit durch wohldosierte Menschlichkeit zu ersetzen. Aber auch erst, nachdem sich die Strafjustiz damit beschäftigt hat, wobei ja auch diese viele Möglichkeiten hat Augenmaß zu beweisen (zum Beispiel durch Verfahrenseinstellung bei geringer Schuld oder tätiger Reue). Derart krasse Missstände unter den Teppich zu kehren, ist vor diesem Hintergrund schon ein starkes Stück.

Bericht in der Zeit.

RA Dr. André Bohn

Papa hört mit

Weil er sich um die Leistungsbewertung und die Integration seiner Tochter in der Schule sorgte, bat ein ein Vater sein Kind, während eines Gesprächs mit der Lehrerin die Bluetooth-Kopfhörer eingeschaltet zu lassen, damit er das Gespräch mithören konnte.

Dafür kassierte der Vater nun einen Strafbefehl (25 Tagessätze zu je 70 €). Rausgekommen war das Ganze, weil der Vater in E-Mails an die Schule teilweise wörtlich aus dem Gespräch zwischen seiner Tochter und der Lehrerin zitiert hatte.

Strafrechtlich stellt sich das Abhören als Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes nach § 201 Abs. 2 Nr. 1 StGB dar, wonach bestraft wird, wer das nicht zu seiner Kenntnis bestimmte nichtöffentlich gesprochene Wort abhört. Dass die Tochter eventuell zugestimmt hat, ist unerheblich, weil zumindest die Lehrerin nichts von der Aktion wusste.

Eine Strafbarkeit der 13-jährigen Tochter scheitert bereits an der Strafunmündigkeit nach §19 StGB, siehe auch diesen Beitrag von gestern. Außerdem erfordert § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Aufnahme des nichtöffentlich gesprochenen Wortes auf einen Tonträger, was bei einer reinen Übertragung nicht der Fall ist.

Bericht auf Spiegel Online

RA Dr. André Bohn

Kinder hinter Gittern

Kinder in Deutschland sind im Verhältnis zu Kindern anderswo in vielen Bereichen privilegiert. Dies gilt auch im Strafrecht – gerade bei der Strafunmündigkeit. Nach § 19 StGB sind Kinder unter 14 Jahren nämlich strafunmündig und damit ohne wenn und aber schuldunfähig. Sie können nicht bestraft werden, egal was sie „getan“ haben.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass unter 14-Jährige regelmäßig nicht in der Lage sind, Unrecht zu erkennen und danach zu handeln. Bis zum Lebensalter von 21 Jahren gilt dann das Jugendstrafrecht, das geprägt ist vom Grundsatz „Erziehung statt Strafe“. Die Untergrenze von 14 Jahren steht im Einklang mit Empfehlungen der Vereinten Nationen.

In Australien, Großbritannien und auch bei den Nachbarn in der Schweiz liegt die Grenze deutlich niedriger, konkret bei 10 Jahren. Diese Spanne kann einen großen Unterschied ausmachen, gerade wenn auch noch Rassismus oder soziale Ungleichheit hineinspielen. Ein lesenswerter Bericht mit dem Schwerpunkt auf der Situation in Australien findet sich hier.

RA Dr. André Bohn

Prozess platzt wegen Sportstudio-Bekanntschaft

In Bremen ist ein großer Drogenprozess schon am ersten Tag geplatzt. Grund: Einer der Schöffen (ehrenamtlicher Richter) kennt vier der fünf Angeklagten – sie haben wohl alle im gleichen Sportstudio trainiert.

Der Schöffe hatte vorher wohl nicht gewusst, gegen wen verhandelt wird. Das wird den ehrenamtlichen Richtern oft auch vorher nicht mitgeteilt. Deshalb kam es im Gerichtssaal zu der unerwarteten Begegnung. Es war übrigens die Staatsanwaltschaft, die den Schöffen dann als befangen ablehnte. Das Gericht folgte der Einschätzung.

Dazu muss man wissen, dass nicht jede persönliche Bekanntschaft von vornherein ausreicht, um einen Richter befangen zu machen. Vielmehr bedarf es schon einer persönlichen Nähe, die über das sozial übliche Maß unverbindlicher Bekanntschaften hinausgeht. Wie eng die Sportler tatsächlich waren, lässt deshalb Raum für Spekulationen.

Ebenso, dass die Verteidiger den Schöffen wohl gerne weiter auf der Gerichtsbank gesehen hätten. Sie wollten jedenfalls keine Befangenheitsanträge stellen. Der Prozess wird nun Mitte des Monats neu beginnen.

Bericht

Impfgerechtigkeit auf anderem Weg

Vor Kurzem brachte das Kunstkollektiv Peng! Plakate vor den Niederlassungen der Firma BionTech in Mainz und Marburg an. „Deine Arbeit kann Leben retten – oder Profite maximieren“ und „Leake den BioNtech Impfstoff“ ist auf dem Plakat zu lesen, es folgt ein Link zu Whistleblower-Seiten.

Das Künstlerkollektiv begründet die Aktion, in der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie sei es legitim sei, zum Leaken der Wirkstoffformel aufzurufen – das rette Menschenleben. Wenn da nicht der Schutz des geistigen Eigentums wäre…

So könnte ein Wirkstoffformel-Leak nach § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen strafbar sein. Fraglich ist, ob die besonderen subjektiven Voraussetzungen dieser Norm vorlägen. Strafbar ist ein Verhalten nach § 23 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen nämlich unter anderem nur dann, wenn subjektiv zur Förderung des eigenen oder fremden Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht, dem Inhaber eines Unternehmens Schaden zuzufügen, gehandelt wird. In Betracht käme allenfalls das Handeln zugunsten eines Dritten.

Daneben kommt noch eine Strafbarkeit wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB in Betracht. § 203 StGB ist aber ein sogenanntes Sonderdelikt. Täter kann nur jemand aus den in § 203 StGB genannten (Berufs-)Gruppen sein. Darunter fallen keine Mitarbeiter*innen von Pharmaunternehmen.

Selbst wenn man aber zu einer Strafbarkeit gelangt, müsste man sich wegen der Pandemielage mit einer Rechtfertigung durch Notwehr oder Notstand nach den §§ 32 und 34 StGB auseinandersetzen. Insgesamt handelt es sich aus meiner Sicht um eine in der Sache erst mal nachvollziehbare Aufforderung, deren Strafbarkeit nicht so klar ist, wie sie beim ersten Lesen zu sein scheint. Das alles natürlich unabhängig von der Frage, ob die Macher ihren Aufruf tatsächlich wörtlich meinen – oder letztlich nur eine ethische Debatte anstoßen wollen.

Dazu auch ein Artikel in der Zeit.

RA Dr. André Bohn