AVP – was’n das?

Die Gerichtskasse Düsseldorf schreibt, bei einer Überweisung sei der „Verwendungszweck fehlerhaft bzw. fehlt, so dass hier keine ordnungsgemäße Zubuchung erfolgen kann“.

Wir hatten zum Aktenzeichen 12,00 Euro eingezahlt mit dem Zusatz „AVP“. Diese Abkürzung steht nach meiner bescheidenen Kenntnis für „Aktenversendungspauschale“. Aber selbst wenn man das bei einer Gerichtskasse, die täglich sicher hunderte dieser Gebühren verbucht, nicht weiß, wäre doch eines jedenfalls unschwer feststzustellen gewesen: dass gegen unser Anwaltsbüro in diesem Verfahren nur eine Position offen ist – eben jene 12,00 € für die Aktenversendung.

Mit etwas Mut hätte man den Betrag also schon buchen können, AVP hin, AVP her.

Heinsberger Straftäter bleibt frei

Ein als gefährlich eingestufter Sexualstraftäter, der seine Haftstrafen abgesessen hat, bleibt auf freiem Fuß. Der Bundesgerichtshof entschied nun, dass gegen den Mann nachträglich keine Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann, weil seit seiner Verurteilung keine neuen Umstände aufgetreten sind, die seine Gefährlichkeit betreffen. Der Fall macht seit geraumer Zeit Schlagzeilen, weil der Mann bei seinem Bruder in Heinsberg wohnt und Anwohner für seinen Wegzug demonstrieren.

Der 58-Jährige war 1995 zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Das Gericht ordnete damals keine Sicherungsverwahrung an. Kurz vor Ende der Freiheitsstrafe beantragte die Staatsanwaltschaft München nachträgliche Sicherungsverwahrung. Diese lehnte das Oberlandesgericht München ab.

Nun hatte der Bundesgerichtshof über die Revision der Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Im Ergebnis bestätigen die Bundesrichter, dass eine nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht in Betracht kommt, und zwar aus folgenden Gründen:

Der Verurteilung aus dem Jahre 1995 (sog. Anlassverurteilung) lag ein schweres Sexualverbrechen zugrunde. Der Verurteilte missbrauchte während einer Nacht im April 1994 zwei vierzehn und fünfzehn Jahre alte Anhalterinnen in seinem speziell hierfür präpariertem VW-Bus. Die Tat hatte der Verurteilte zuvor genau geplant. Über mehrere Stunden hinweg vergewaltigte er die Opfer unter Beifügung von besonders entwürdigenden und schmerzhaften Verletzungen. Er versetzte sie unter Bedrohung mit einer Pistole in Todesangst, verklebte zudem deren Mund und fesselte sie.

Bei der Anlassverurteilung im Jahre 1995 war die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß 66 StGB allerdings nicht möglich. Die vom Gesetz nach § 66 StGB geforderten Vorverurteilungen – lagen nicht vor.

Die Strafkammer, die 1995 zu entscheiden hatte, sah zudem auch die materiellen Voraussetzungen für die primäre Sicherungsverwahrung nicht als gegeben an. Entsprechend der Empfehlung des damals gehörten Sachverständigen verneinte sie einen Hang des Verurteilten zu erheblichen Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, wodurch er für die Allgemeinheit hätte gefährlich werden können.

Die Strafkammer, die nunmehr über die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB zu entscheiden hatte, stellte – wiederum sachverständig beraten – nunmehr doch einen Hang fest. Sie kam zu dem Ergebnis, dass vom Verurteilten sehr wohl erhebliche Sexualstraftaten zu erwarten sind. Deshalb sei er für die Allgemeinheit gefährlich. Diese abweichende Beurteilung des Hanges und der Gefährlichkeit beruht allerdings allein auf einer Neubewertung der bereits damals bekannten Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten.

Somit fehlte eine Voraussetzung für die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die das Gesetz ausdrücklich vorsieht: Es müssen vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen für die Gefährlichkeit des Verurteilten erkennbar werden. Hierbei muss es sich um neue Tatsachen handeln.

Tatsachen sind aber jedenfalls dann nicht „neu“, wenn sie bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar oder sogar schon bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts sind Tatsachen insbesondere dann nicht „neu“, wenn der Hang und die Gefährlichkeit aufgrund bereits damals bekannter und unverändert gebliebener Tatsachen lediglich anders bewertet werden. Andere „neu“ bekannt gewordene Tatsachen, insbesondere während des Strafvollzugs, auf welche die Gefährlichkeit gestützt werden könnte, hat das Landgericht nicht festgestellt.

Damit waren die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht gegeben.

Urteil vom 13. Januar 2010 – 1 StR 372/09

Oberstaatsanwalt verweigert die Aussage

So umstritten und schillernd das Strafverfahren gegen Harald Friedrich (Grüne), den ehemaligen Abteilungsleiter des NRW-Umweltministeriums, bislang schon war – das bislang bizarrste Bild zeichnete jetzt der Wuppertaler Oberstaatsanwalt Ralf Meyer in seiner Zeugenaussage vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Meyer hatte zwar schon im Mai und August vorigen Jahres die schlimmen Vorwürfe der Untreue und des Geheimisverrat wegen erwiesener Unschuld eingestellt – ist aber bis heute der festen Meinung, das hätte nie passieren dürfen. Denn: „Ich bin dazu mehrfach schriftlich von der Generalstaatsanwalt Düsseldorf angewiesen worden!“

Diesen neuen und offenen Justizwiderspruch nahm der Untersuchungsausschuss interessiert zur Kenntnis, verwickelte Meyer aber auch in andere. Der betonte zwar, das von der CDU geführte Umweltministerium habe „nie versucht, uns in irgendeiner Weise zu beeinflussen“. Danach räumte Meyer allerdings insbesondere auf Fragen des Ausschussvorsitzenden Thomas Kutschaty (SPD) ein, eine Ministerialrätin habe Friedrich schwer belastet, weil sie ihn nicht mehr im Dienst sehen wollte.

Ob denn jemals ein neutraler Gutachter zum Vorwurf „freihändiger Vergaben von Aufträgen“ durch Friedrich gehört worden sei, wollte Kutschaty wissen. „Sachverständig waren für mich die Stellungnahmen des Ministeriums“, bekräftigte Meyer den Verdacht von SPD und Grünen, die strafrechtlichen Ermittlungen seien womöglich aus politischen Motiven vom Ministerium befeuert worden.

Kutschaty stocherte weiter – der Oberstaatsanwalt musste sich sagen lassen, dass mit seiner Billigung ausgerechnet Ministeriumsstaatssekretär Alexander Schink den ganzen Fragenkatalog weit vor seiner Zeugenvernehmung bekam. „Da besteht doch die Gefahr, dass Aussagen mit anderen abgestimmt werden können“, rügte Kutschaty. Meyer hatte daran „keine Erinnerung mehr“.

Erstaunliche Gedächtnislücken zeigte vor drei Monaten auch Hans-Jürgen H., der Personalchef des Umweltministeriums. Der hatte sich bei seiner ersten Zeugenvernehmung vor dem Untersuchungsausschuss noch ahnungslos gegeben, wollte nichts mitbekommen haben von Strafanzeigen und anderen Aktivitäten des Ministeriums gegen Friedrich. Nun erschien er mit einem Rechtsanwalt im Landtag, um seine falschen Aussagen zu berichtigen.

Er stellte zwar klar, dass er vom reichlichen Schriftverkehr des Ministeriums mit dem Landeskriminalamt gewusst hat. Auch Reisekostenabrechnungen des einst der Korruption verdächtigen Friedrich habe er – entgegen seiner früheren Angaben – gesehen. Doch zeitweise rechtfertigte sich der hoch dotierte Personalchef wie ein ertappter Junge: „Ich habe die Kopien und nicht die Originale gesehen“, behauptete er, konnte aber auf drängende Fragen von SPD und Grünen den inhaltlichen Unterschied nicht erklären.

Auf Granit biss der Untersuchungsausschuss zum Ende seines 16. Sitzungstages bei dem Zeugen Alfons Grevener. Der 62-jährige Vizechef der Wuppertaler Staatsanwaltschaft ließ durch seinen Anwalt Sven Thomas erklären, er verweigere jede Aussage vor den Parlamentariern.

Die umfangreiche Begründung mündet in zwei Ansichten: Ein Staatsanwalt lasse sich und nie immer bei seiner Arbeit auch nur irgendwie beeinflussen. Und zweitens: Er sei ein Vorgesetzter. Und wenn so einer nur irgendwie in den Verdacht gerate, er lasse Untergebene eine rechtswidrige Straftat begehen, sei das strafbar. Also stehe ihm das Recht zu, die Aussage umfassend zu verweigern.

Das sieht der Parlamentarische Untersuchungsausschuss anders: Er wird beim Oberlandesgericht Düsseldorf ein Ordnungsgeld gegen Grevener beantragen – und will ihn damit zur Aussage zwingen. (pbd)

Polizei weckt Mann

Es sind immer wieder auch die Alltagsgeschichten, die Polizisten vor Situationen stellen, die Fingerspitzengefühl, eine gute Portion Gelassenheit und Ideen für sehr einfache und pragmatische Lösungen erfordern. So geschehen in der Nacht zum Dienstag in Weiterstadt.

Kurz nach Mitternacht ereilte der Hilferuf einer Vierundzwanzigjährigen die Einsatzzentrale im Polizeipräsidium. Was die Frau in ihrer Not zu berichten hatte, ließ die Beamten aufhorchen. Die mitteilsame Anruferin, weder schüchtern noch ganz nüchtern, erzählte, dass sie Hilfe brauche und auch gleich warum. Ihr Bekannter sei vor dem Sex eingeschlafen und wohl auch nicht mehr aktivierbar. Nun wolle sie ihn aus ihrer Wohnung haben.

Offenbar fiel ihr als einziger Ausweg die Ordnungshüter ein. Der freundliche Polizist bei der Einsatzzentrale versprach ihr, sich um diesen bedeutsamen Fall zu kümmern und informierte das zuständige Revier in Arheilgen. Auch dort staunten seine Kollegen nicht schlecht, als sie den sehr außergewöhnlichen Auftrag entgegennahmen. Mit der Weisheit „Nichts Menschliches ist mir fremd“ fuhr die Polizeistreife zum angegebenen Tatort.

Was die Polizisten dort vorfanden, bestätigte zumindest in Teilen das Gesagte. Der Mann schlief – dies immer noch und fest. Also musste eine Lösung her und die bestand darin, ihn zu wecken, was auch ohne große Mühe gelang. Anschließend machte er sich auf den Weg in sein Domizil – im selben Haus, eine Etage über der Wohnung der Vierundzwanzigjährigen.

Die dabei eventuell stattgefunden Dialoge zwischen dem Geweckten und der Missgestimmten sind nicht verbürgt. Der Frau konnte jedenfalls geholfen werden, möglicherweise auch dem Müden.

Bis dato kam es zu keinem weiteren Polizeieinsatz in dieser heiklen, aber erfolgreichen Mission.

Polizeipresse / Danke an Patrick Nitsch für den Hinweis

Vielleicht sind wir ja doch blöd

Sich möglicherweise selbst überlistet haben Kunden des Media Markts. Dabei hielten sie sich für besonders schlau: Weil Media Markt jeden zehnten Einkauf umsonst gewährte, kauften sie einfach etliche Male ein. Jene Einkäufe, die nicht umsonst waren, wollten sie einfach wieder umtauschen und ihr Geld zurückerhalten.

Doch einige Media Märkte sollen in diesen Fällen nur Gutscheine für die zurückgebrachten Einkäufe ausgestellt haben, berichtet Der Westen. Ob Media Markt eine Pflicht zur Geldrückzahlung hat, soll nun juristisch geklärt werden. Auf der Webseite von mediamarkt.de heißt es:

Umtausch: Da machen Sie garantiert nichts falsch. Sollte Ihnen ein bei uns gekaufter Artikel nicht gefallen, können Sie ihn innerhalb von 14 Tagen zurückgeben. Wir tauschen um. Ohne Wenn und Aber.

Das alles lässt viel Interpretationsraum für die (Zivil-)Juristen. Ganz so aussichtslos scheint mir die rechtliche Situation der Kunden aber nicht zu sein. Vorausgesetzt die Zusage gilt auch für Media Märkte vor Ort, geht sie vom Wortlaut her doch in Richtung Geldrückzahlung. Schließlich soll der Kunde ja garantiert nichts falsch machen können. Wobei ein Einkaufsgutschein statt des gezahlten Bargelds ja doch schon ein mittelgroßes Übel ist.

Zwingend geboten

Anspruch auf einen Pflichtverteidiger besteht, wenn „ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann”. Eine meiner Mandantinnen war nicht nur betreut, sondern laut ihren Ärzten auch schlicht unfähig, „sich von vernünftigen Motiven leiten zu lassen“. Trotzdem weigerte sich das Amtsgericht Düsseldorf, mich als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Diese Entscheidung hat das Landgericht Düsseldorf nun korrigiert. Aus der Begründung:

Die Notwendigkeit der Verteidigung folgt aus der Unfähigkeit der ehemaligen Angeklagten zur Selbstverteidigung. Die Verteidigungsfähigkeit richtet sich hierbei nach den geistigen Fähigkeiten und dem Gesundheitszustand der ehemaligen Angeklagten sowie den sonstigen Umständen des Falles.

Die ehemalige Angeklagte stand bereits seit dem Jahr 2006 unter Betreuung. Zudem leidet die ehemalige Angeklagte ausweislich eines durch den Verteidiger vorgelegten Gutachtens an einer nicht nur vorübergehenden, krankhaften Störung der Geistestätigkeit. Insbesondere bei der Regelung von finanziellen und kaufvertraglichen Angelegenheiten sei die ehemalige Angeklagte ausweislich des Gutachtens nicht in der Lage, sich von vernünftigen Motiven leiten zu lassen.

Eine Unfähigkeit der Selbstverteidigung und somit ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO kann dann vorliegen, wenn an der Fähigkeit der Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vgl. OLG Frankfurt, StV 1984, 370), ist aber in jedem Fall anzunehmen, wenn die ehemalige Angeklagte – wie vorliegend – unter Betreuung steht (vgl. OLG Hamm NJW 2003, 3286) und ausweislich des Gutachtens einen bedürftigen Eindruck macht. …

Die Beiordnung eines Verteidigers erscheint der Kammer daher zwingend geboten.

(LG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Januar 2010, 001 Qs-105/09)

In Gedanken

Schon die Anzeige wegen Körperverletzung klang merkwürdig. Ein Mann schilderte der Polizei, er sei seinem Nachbarn im Eingangsbereich des Hauses begegnet. Der Nachbar sei einfach auf ihn zugegangen und habe ihn heftig in den Unterleib gestoßen. Dann habe der Nachbar, mein Mandant, nur bedrohlich geguckt und sei weggegangen.

Nach einigem Hin und Her stellt sich der Sachverhalt nun so dar:

Anzeigenerstatter verlässt mit einer Bierkiste in der Hand das Haus. Mandant kommt im gleichen Augenblick in Gedanken heran. Er hat zwei Einkaufstüten in der Hand. Anzeigenerstatter und Mandant sind in Gedanken und rasseln zusammen. Mandant erschreckt, reißt eine der Einkaufstüten hoch. So unglücklich, dass die Tüte den Anzeigenerstatter in die Weichteile trifft.

Immerhin bewies der zuständige Staatsanwalt Augenmaß. Er stellte das Verfahren ein und verwies den „Geschädigten“ auf den Privatklageweg. So was ist beim Schiedsmann auch deutlich besser aufgehoben.

Das Sommerloch im Winter

Die flächendeckende Katastrophe ist ausgeblieben. Trotzdem hat Daisy eine Katastrophe mitgebracht – für die Medien, welche die Schneehölle ausgerufen haben. Jörg Kachelmann fasst in einem Gastbeitrag für Stefan Niggemeier zusammen, was falsch gelaufen ist:

Wir haben gelernt, dass wir Hamsterkäufe machen sollen, wir wurden aber nicht gehindert, Autofahrten in die Schneeverwehungen zu machen. Dadurch bleiben in der Nacht viele Autofahrer an Straßenrändern liegen und werden nicht oder nur notdürftig versorgt. Die Autofahrer sind losgefahren, weil sie von 95% der Bevölkerung erfahren haben, dass Daisy nicht so schlimm sei. Zu viel(e) gewarnt ist so schlimm wie nicht gewarnt. Dafür gibt es Bilder eingeschlossener Autofahrer. Der DWD wird zufrieden feststellen, dass er schon immer gesagt hätte, dass es (irgendwo) schlimm würde. Es gibt Bilder von eingeschlossenen Autofahrern und verwehten Autobahnen. Der Weltuntergang, der meteorologisch nicht stattfand, wird durch die Hintertuer teileingeführt, weil man die Strassen einfach offen und Leute in die Schneewehen fahren lässt.

Dazu ein passender Leserkommentar zum Beitrag:

Wir saßen zu Beginn des Sponge-Bob-Alarms vor ein paar Tagen zusammen und haben in alten Familienfotos aus den Fünfzigern gestöbert. Als wir die Winterfotos von Männern sahen, die einem Postbus und dem Milchauto den Weg frei schaufelten, links und rechts türmten sich etwa 1,20 Meter mittelgebirgischer Schnee, kannte unsere Belustigung über die 10-Zentimeter-Schneewarnung des DWD keine Grenzen mehr. Auch meine Kindheitserinnerungen sagen mir, dass selbst bei 30 Zentimeter Neuschnee innerhalb weniger Stunden kein Mensch durchdreht. Aber das beste war der Blick in die alte Fotokiste. Lachende Männergesichter mit Schaufeln und Mützen. Jemand reichte von rechts eine Thermoskanne ins Bild. Die Relativierung von frisch angesagten „Katastrophen” liegt oft in einer Schuhschachtel und wartet darauf, wieder mal entdeckt zu werden.

Dresdner Gerichtsmord: Meinung nicht erwünscht

Weil sie sich kritisch über das Verhalten eines Polizisten beim Dresdner Gerichtsmord geäußert hat, soll die Medien- und Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer bestraft werden. Bekanntlich hatte ein hinzugerufener Polizist nicht den Messerstecher festgenommen, sondern dem Ehemann des Opfers ins Bein geschossen.

Hierzu hatte Schiffer in mehreren Interviews geäußert, es kämen – unbewusste – rassistische Motive in Betracht. Gegenüber einem türkischen Radiosender soll sie dies sogar mit der Wertung „sicherlich“ untermauert haben.

Die Münchner Staatsanwaltschaft sah in den Erwägungen keine zulässige Meinungsäußerung, sondern eine Beleidigung. Folge: Der Wissenschaftlerin wurde ein Strafbefehl zugestellt.

Gegen den sie sich hoffentlich wehrt.

Näheres in der Berliner Zeitung.

OLG Köln: Familien-Stasi schützt Musikindustrie

Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Filesharing-Prozess eine Frau aus Oberbayern verurteilt, 2.380,00 Euro Abmahnkosten nebst Zinsen an vier führende deutsche Musikfirmen zu zahlen.

Im August 2005 waren vom Internetanschluss der Frau insgesamt 964 Musiktitel als MP3-Dateien unerlaubt zum Download angeboten worden, darunter auch viele ältere Titel wie z. B. von der Rockgruppe „The Who“.

Nachdem die IP‑Adresse des Internetanschlusses aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft der Bayerin zugeordnet worden war, ließen die Musikfirmen sie durch ihren Anwalt abmahnen, worauf sie sich zur Unterlassung weiterer Urheberrechtsverletzungen verpflichtete. Daraufhin nahmen die Musikfirmen sie auf Zahlung der Anwaltskosten für die Abmahnung in Anspruch. Die Anschlussinhaberin bestritt, dass sie selbst Musikstücke im Internet angeboten habe. Neben ihr haben noch ihr Ehemann sowie ihre damals 10 und 13 Jahre alten Jungen Zugang zu dem Computer gehabt.

Der für Urheberrechtsfragen speziell zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat den klagenden Musikfirmen einen Anspruch auf Ersatz ihrer Abmahnkosten zuerkannt. Dabei hat der Senat offengelassen, inwieweit der Inhaber eines Internetanschlusses überwachen muss, dass andere Personen keine Urheberrechtsverletzungen über seinen Anschluss begehen.

Im konkreten Fall habe die Frau jedenfalls nichts dazu vorgetragen, wer nach ihrer Kenntnis den Verstoß begangen haben könnte. Dazu wäre sie nach prozessualen Grundsätzen aber verpflichtet gewesen. So habe es etwa nicht ferngelegen, dass ihr Ehemann den Anschluss benutzt habe, da vielfach auch ältere Titel zum Download angeboten worden seien. Es sei darüber hinaus auch unklar geblieben, welches der Kinder den Anschluss genutzt haben könnte.

Auch habe die Anschlussinhaberin nicht erläutert, ob hinreichende technische Sicherungen an ihrem Computer eingerichtet gewesen seien, wie etwa eine Firewall, die einen Download hätte verhindern können, oder die Einrichtung von Benutzerkonten mit beschränkten Rechten.

Die Mutter der beiden Jungen habe im Prozess auch nicht deutlich machen können, dass sie ihren elterlichen Kontrollpflichten nachgekommen sei. Das bloße Verbot, keine Musik aus dem Internet downzuloaden und an Internet-Tauschbörsen teilzunehmen, genüge zur Vermeidung von Rechtsverletzungen durch die Kinder nicht, wenn dies praktisch nicht überwacht und den Kindern freie Hand gelassen werde. Daher sei die Anschlussinhaberin letztlich als verantwortlich anzusehen und hafte für die Urheberrechtsverletzungen.

Bei der Berechnung der anwaltlichen Abmahnkosten, die sich nach dem Gegenstandswert der Sache richten, hat der Senat das hohe Interesse der Musikfirmen an der Vermeidung weiterer Urheberrechtsverletzungen vom konkreten Anschluss aus betont.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Urteil vom 23. Dezember 2009, 6 U 101/09.

Der haftunfähige Hausarzt

Für einen Mandanten haben wir vor einiger Zeit einen niedergelassenen Arzt verklagt und den Prozess gewonnen. Die Zwangsvollstreckung erwies sich als kompliziert. Laut Gerichtsvollzieher ist der Arzt „amtsbekannt fruchtlos“ eingerichtet. Die Bankverbindung läuft über seine Tochter. Die Kassenärztliche Vereinigung, bei der er Honorare liquidiert, wehrte sich gegen eine Pfändung. Privatpatienten sind zwar vorhanden, haben dann aber offensichtlich nach Erhalt eines Pfändungs- und Überweisungbeschlusses den Arzt gewechselt. Oder ab sofort bar bezahlt.

Nur die eidesstattliche Versicherung, den Offenbarungseid, hat der Arzt noch nicht abgegeben. Nachdem wir sogar einen Haftbefehl erwirkten, kam wenigstens etwas Bewegung in die Sache. Der Doktor übersandte ein Attest, wonach er „haftunfähig“ ist. Interessanterweise ist die wenige Zeilen lange Stellungnahme von einer Amtsärztin beim zuständigen Landrat ausgestellt.

Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass die Behörde keineswegs von sich aus oder auf Antrag des Vollstreckungsgerichts tätig geworden ist. Sondern auf Bitten des Schuldners. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage das geschah, wollte man uns bislang nicht sagen. Riecht nach Gefälligkeitsgutachten für einen alten Freund.

Nachdem wir nun beim Vollstreckungsgericht nachgehakt haben, wird endlich ein ordentliches Gutachten über die Haftfähigkeit des Mediziners eingeholt. Ich frage mich nur, wie er in seinem angeblich so bedauernswerten psychischen Zustand noch in der Lage ist, Tag für Tag seine Praxis zu öffnen. Was er wohl tut.

Abgesehen davon ist die Sache ohnehin eine Farce. In Haft müsste der Schuldner ja nur, wenn und so lange er die angeordnete eidesstattliche Versicherung verweigert. Sobald er das Vermögensverzeichnis ausgefüllt und die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, wäre der Haftbefehl gegenstandslos. Die Frage müsste also eher lauten, ob der Schuldner gesundheitlich in der Lage ist, mit Hilfe des Gerichtsvollziehers ein simples Formular auszufüllen.

Immerhin hat der Druck nun schon so zugenommen, dass sich der Arzt einen eigenen Anwalt genommen hat. Der kündigt nun ein „Entschuldungsangebot“ an. Sein Mandant möchte gern weiter arbeiten und brauche eine „Lebensperspektive“.

Schauen wir mal.

Neue Riesen-JVA in Bielefeld

So groß wie etwa 38 Fußballfelder ist die Fläche am Rande von Bielefeld. Sie reicht in den Kreis Paderborn und bis kurz vor Münster. Auf diesem Areal leben in Ostwestfalen rund 1.720 Menschen. Doch hier regiert kein Bürgermeister. Der 46-jährige Uwe Nell-Cornelsen leitet die neue Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, die jetzt mit der JVA
Bielefeld-Brackwede II vereint worden ist. Sie kann sich damit größte offene Vollzugsanstalt Europas nennen.

„Der Vollzug ist hier seit 102 Jahren gewachsen, kultiviert worden, die Bevölkerung akzeptiert ihn“, lobt Nell-Cornelsen. Er meint damit die „hervorragende Beschäftigunsgquote von 90 Prozent“ für die 1.663 männlichen und 53 weiblichen Gefangenen. Die arbeiten zumeist nicht hinter Gittern, sondern im regionalen Handwerk, Handel, in Industriebetrieben oder gar freiberuflich.

Das Konzept dient der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, setzt aber die Eignung dafür voraus. Dabei helfen therapeutische Beratung, soziales Leben und die Entwöhnung von Drogen. Ein vorbestrafter Schriftsteller beispielsweise könnte außerhalb der Anstalt mit seiner Arbeit eigenes Geld verdienen. Damit vielleicht Schulden tilgen. Nach Abzug der monatlichen Miete von 30 Euro für die Übernachtung in der neuen JVA.

Wer die Idee zur Fusion der beiden Gefängnisse hatte, ist wohl nicht mehr genau auszumachen. Sie kam, erinnert sich Nell-Cornelsen, im vorigen Sommer aus dem
Justizministerium in Düsseldorf. Helfer war Klaus Jäkel, der Landesvorsitzende des
Bunds der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD). Er bemüht für die
Zusammenlegung der beiden Anstalten gar die deutsche Wiedervereinigung: „Das
alles muss und wird auch in den Köpfen zusammenwachsen, weil es vereint gehört.“

Für viele der Kolleginnen und Kollegen, fürchtet Jäkel, fallen gewohnte Funktionen weg. Aber: Es werde keine Entlassungen geben, so habe es
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) versprochen. Andererseits
könne sich der Steuerzahler freuen. Wenigstens zehn bislang gut dotierte Stellen werden eingespart. Dazu gehört der ehemalige Chefposten der JVA Brackwede II. Der ist erst gar nicht mehr besetzt worden, als von dort Uwe Nell-Cornelsen nach Bielefeld-Senne wechselte.

Dort sieht er nach einer „Riesen-Apparate-Fusion, wie es sie in Deutschland noch nicht gab“, ähnlich wie Jäkel die Ängste der Kollegenschaft „vor Veränderungen“. Ansonsten stimme das Konzept. Durch den Bau zusätzlicher Werkhallen mit einer Fläche von insgesamt rund 12.000 Quadratmeter ist laut Justizministerium das Arbeitsplatzangebot für Gefangene erheblich verbessert worden.

Außerdem wird überlegt, den (geschlossenen) Zugangsbereich der zusammengelegten Anstalt zu erweitern. Nach den Pannen in NRW-Gefängnissen liegt die Frage nahe, ob es in einem solchen Riesenladen noch den richtigen Überblick geben kann? Ulrich Hermanski, Sprecher des Ministeriums, kontert knapp: „Weder das Justizministerium noch der Anstaltsleiter sehen Risiken in der Fusion.“ Schließlich habe es allein in
der JVA Bielefeld-Senne schon oft eine Belegung über der jetzt neu
entstehenden Größe gegeben. Das habe sich als „sehr gut regierbar“ erwiesen.

Die Unsicherheit bleibt. Das weiss auch Uwe Nell-Cornelsen. Er hat keine Angst vor
dem Strafvollzug. Denn den sieht er als „Berufsrisiko“ – einen Umgang mit
mehr als 1.000 Menschen, „die einst draußen schon nicht klar gekommen sind“.
(pbd)