Gericht kann lange Corona-Pause machen

Die Corona-Pandemie hat auch Auswirkungen auf die Dauer von Strafprozessen. Immer bedeutsamer wird die Möglichkeit, das Verfahren wegen Schutzmaßnahmen für zwei Monate komplett auf Eis zu legen – auch in an sich eilbedürftigen Haftsachen. Die neue Regelung ist sehr weitgehend, das zeigt ein aktueller Beschluss des Bundesgerichtshofs.

Der Ehemann einer Schöffin (ehrenamtliche Richterin) musste sich am 14. April einer Herz-OP unterziehen. Ein Arzt hatte bestätigt, dass eine Corona-Infektion bei dem Patienten riskant wäre. Mit Rücksicht auf den Ehemann der Schöffin machte das Landgericht Bielefeld in dem Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs eine längere Pause.

Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, die angeordnete Verhandlungspause sei laut dem Gesetz unanfechtbar (§ 10 EGStPO). Das Rechtsmittelgericht dürfe deshalb nur prüfen, ob die Anordnung willkürlich erfolgte, das heißt ohne jeden sachlichen Grund. Dieser Fall liege hier nicht vor, die ärztliche Empfehlung sei nachvollziehbar. Es spiele auch keine Rolle, dass nur der Ehemann gefährdet sei, nicht die Schöffin selbst.

In der Praxis kann die Pause sogar länger als zwei Monate dauern. Es kommen nämlich nach dem Gesetz noch 10 Tage dazu, bis die Frist dnan tatsächlich abläuft. Außerdem gelten die normalen Unterbrechungsfristen weiter (§ 229 StPO). Zwischen zwei Verhandlungstagen dürfen nach dieser Regelung ohnehin drei Wochen liegen (Aktenzeichen 4 StR 431/20).

Kartoffeln gegen Kinder

Heute mal wieder ein Fall, den das Lebens schreibt. Eine Frau war von Nachbarskindern so genervt, dass sie die spielenden Kinder mit Kartoffeln bewarf. Sie traf einen Achtjährigen am Rücken. An einem anderen Tag hielt sie den Jungen am Arm fest und zog daran, was das Kind zum Weinen brachte . Außerdem hatte das Kind laut seinen Eltern am nächsten Tag Schlafschwierigkeiten.

Das alles landete vor Gericht. Der Vertreter des Jungen beantragte nämlich ein Annäherungs- und Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz.

Das Amtsgericht Frankfurt am Main lehnte den Antrag ab. Das Bewerfen mit der Kartoffel sei keine vorsätzliche Körperverletzung, denn (mangels Wirkungstreffer) seien die Körperfunktionen des Jungen nicht beeinträchtigt worden. Genau das setzte eine Körperverletzung jedoch voraus. Gleiches gilt laut dem Gericht für das Zerren am Arm. Dies sei kein erheblicher Eingriff in die körperliche Integrität des Jungen.

Die Probleme beim Einschlafen seien zwar eine sich körperlich auswirkende Form psychischer Gewalt; diesbezüglich habe die Frau aber keinen Vorsatz gehabt. Außerdem stelle das Ziehen am Arm weder eine Freiheitsberaubung noch eine Drohung dar. In Betracht komme zwar eine Nötigung, diese rechtfertige aber keine Gewaltschutzanordnung.

In der Tat gibt § 1 Abs. 1 S. 1 GewaltSchG dem Gericht nur die Möglichkeit, Anordnungen zu treffen, wenn eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt. Zumindest beim Kartoffelwurf hätte man mit einigem Wohlwollen aber auch eine körperliche Misshandlung annehmen können. Diese setzt lediglich voraus, dass eine üble und unangemessene Behandlung vorliegt, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Eine Beeinträchtigung der Körperfunktionen bedarf es dafür gerade nicht. So ist schon ein Anspucken von manchen Gerichten als Körperverletzung gewertet worden, und das vor Corona.

Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Womöglich ist das letzt Wort in der Sache also noch nicht gesprochen (AG Frankfurt 456 F 5230/20 EAGS).

Autor: RA Dr. André Bohn

Neue Anwaltsgebühren

Ab 1. Januar freuen wir Anwälte uns über eine Gebührenreform. Es gibt mehr Geld.

Ansonsten fiel mir bei der Lektüre des neuen Vergütungsgesetzes ein besonders wohlformulierter Paragraf ins Auge (§ 15a neu RVG):

Bei Wertgebühren darf der Gesamtbetrag der Anrechnung jedoch denjenigen Anrechnungsbetrag nicht übersteigen, der sich ergeben würde, wenn eine Gebühr anzurechnen wäre, die sich aus dem Gesamtbetrag der betroffenen Wertteile nach
dem höchsten für die Anrechnungen einschlägigen Gebührensatz berechnet.

Weißte Bescheid.

Der falsche Kalender

Fristsachen auf den den letzten Drück erledigen – habe ich mir sehr früh abgewöhnt. Aber mitunter bleibt es halt nicht aus, dass die Frist ausgeschöpft werden muss. Zum Beispiel weil noch Informationen fehlen. Oder weil ich meinen guten Vorsätzen untreu werde.

Konkret geht es um eine Gerichsentscheidung, die mir am 31. Januar 2020 zugestellt wurde. Rechtsmittelfrist: 1 Monat. Am 01. März 2020 hatte ich den Schriftsatz fertig und faxte ihn auch noch am gleichen Tag ans Gericht. Was die zuständige Richterin zu folgendem euphorischen Schreiben veranlasste (weil sie meinte, um die Entscheidung der Sache rumgekommen zu sein):

… weist das Gericht darauf hin, dass der Antrag verfristet ist. Zugestellt wurde die Entscheidung am 31. Januar 2020. Deshalb endete die Monatsfrist am 28. Februar 2020. Das Rechtsmittel ging am 01. März 2020 ein und somit nach Ablauf der Frist. Verwerfung ist beabsichtigt, Sie erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Ich weiß jetzt nicht, in welchen Kalender die Richterin geguckt hat. Der von 2020 dürfte es eher nicht gewesen sein. Dann wäre ihr vermutlich ins Auge gesprungen, dass es in diesem Jahr auch einen 29. Februar gab, was ja ab und zu vorkommen soll. Das spielt zugegebenermaßen keine Rolle, wenn das Rechtsmittel erst am 01. März ans Gericht gesendet wird. Denn die Monatsfrist endet ja immer mit dem Tag des Folgemonats, der die gleiche Zahl hat. Sollte der Folgemonat weniger Tage haben (also nur 29 oder gar 28 statt 31), endet eine Monatsfrist – im Unterschied zur Vier-Wochen-Frist – mit Ablauf des letzten Tages in diesem Monat.

Aber der Blick in den falschen – welchen auch immer – Kalender hatte wohl auch zur Folge, dass die Richterin ein entscheidendes Detail übersah. Der 29. Februar 2020 war ein Samstag. Wenn eine Frist aber an einem Samstag oder Sonntag endet, verlängert sie sich bis zum nächsten Werktag. Ich hatte also sogar bis Montag (02. März) Zeit, um den Schriftsatz einzureichen und hätte nicht unbedingt am Sonntag ins Büro gemusst.

Ich habe die Richterin angerufen und ihr meine Sicht der Dinge näher gebracht. Ist immer noch besser als ein oberlehrerhaftes Schreiben, das dann bei anderen Richtern oder Mitarbeitern, welche die Akte auch zu Gesicht bekommen, zu Lachanfällen führt. Die Fristversäumnis war in der Folgezeit übrigens kein Thema mehr. Die Sache selbst haben wir mittlerweile gewonnen, so dass ich mal davon erzählen kann. Dass ich bei dem ersten Hinweis auf die angeblich versäumte Frist gefühlt um Jahre gealtert bin, ist halt Berufsrisiko.

Der neue Kollege, den keiner kennt

Fahrradpolizisten gibt’s ja nicht so viele. So wunderten sich jedenfalls echte Beamte der Frankfurter Fahrradstaffel über einen Kollegen im Einsatz, den sie noch nie gesehen hatten.

Auch wenn die Jacke des Mannes mit der Aufschrift „Polizei“ von einer echten nicht zu unterscheiden war, stand natürlich schnell ein gewisser Verdacht im Raum. Während der unvermeidlichen Unterredung zu diesem Thema hielt ein Autofahrer, um ausgerechnet den Polizisten nach dem Weg zu fragen, der zu diesem Zeitpunkt wohl schon eher als Beschuldigter galt. Für den Autofahrer gab’s aber keine Auskunft, sondern nur die Aufforderung, er solle schleunigst den Radweg freimachen. Dem soll der Autofahrer nachgekommen sein, mutmaßlich zur Freude des falschen Polizisten. Die echten dürften sich gefreut haben, dass ihnen der vermeintliche Kollege den Tatnachweis live erbrachte.

Immerhin soll der falsche Beamte ein durchaus nachvollziehbares Motiv gehabt haben: zugestellte Fahrradwege. Dennoch muss er sich jetzt wegen Amtsanmaßung und Titelmissbrauchs verantworten. Ob er die Jacke als Beweismittel da lassen oder sie zumindest wenden musste, berichtet die Frankfurter Rundschau leider nicht.

Autor: RA Dr. André Bohn

Die Bibel als Rechtfertigungsgrund

Die Polizei hielt vor einigen Tagen in München eine Frau an, weil diese trotz Maskenpflicht ihr Gesicht zeigte. So weit so alltäglich.

Allerdings berief sich die 74-Jährige nicht auf Vergesslichkeit, was ja normalerweise die größte Chance bietet, ohne Bußgeld aus der Sache rauszukommen. Vielmehr sah sich die Frau definitiv im Recht, wobei sie ihre Legitimation von höchster Stelle ableitete. Sie verfüge, notierten die Beamten im Protokoll, über eine Befreiung „direkt von Gott, dem Allmächtigen“. Als Beleg legte die Frau Bibelpsalm 91 vor, wo es tatsächlich heißt:

Selbst wenn die Pest im Dunkeln zuschlägt und am hellen Tag das Fieber wütet, musst du dich doch nicht fürchten. Wenn tausend neben dir tot umfallen, ja, wenn zehntausend um dich herum sterben, dich selbst trifft es nicht!

Ein Bußgeld in Höhe von 150 € verhängte die Polizei trotzdem, und es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass selbst im christlich geprägten Bayern die Bibel eine Corona-Schutzverordnung schlägt. Letztlich würde das Gericht bei aller zu erwartender Bibelfestigkeit nämlich im Wege der Auslegung auch zu berücksichtigen haben, dass die Corona-Maske auf jeden Fall mit verhindern soll, dass die anderen „neben dir“ tot umfallen. Was ja keiner will, schon gar nicht Gott. So hätte man es der Frau vielleicht erklären können, obwohl…

Autor: RA Dr. André Bohn

„… haben wir Sie aufzufordern“

Zivilrechtlich tätige Anwälte sind da mehr gewohnt. Für mich als Strafverteidiger ist es eher ein seltenes Vergnügen, dass mir eine Frist gesetzt wird, und zwar mit deutlichen Worten:

Zur Übersendung der Dokumente haben wir Sie bis zum 30.12.2020 aufzufordern.

Ausnahmsweise fühle ich mich aber unschuldig. Es geht um den Fall eines jungen, aber volljährigen Mannes, den ich in einem Strafverfahren verteidige. Der Betreffende wohnte seinerzeit zu Hause bei seiner Mutter, weshalb bei der Durchsuchung Sachen mitgenommen wurden, die möglicherweise der Mutter gehören. Darunter Computer und Tablets, die dann wohl auch ausgewertet wurden.

Ich kann ja verstehen, dass die Mutter dies alles nicht gut findet und deshalb gerne Akteneinsicht bzw. nähere Informationen haben möchte. Aber doch bitte nicht von mir. Schon deswegen, weil ich als Verteidiger ihres Sohnes Dritten keine Beschlagnahmeprotokolle und erst recht keine Auswerteberichte übersenden darf – was sie aber unbedingt möchte. Auch die Mutter ist Dritte im Sinne des Gesetzes. Und vor allem auch deswegen, weil die Ermittlungen in diversen Komplexen noch andauern. Ich kann und will gar nicht beurteilen, welche Rolle die Mutter vielleicht spielte. Ein Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung gegen mich selbst brauche ich nun auch nicht unbedingt zum Jahresausklang.

Das habe ich der Mutter nun schon mehrfach erklärt. Anscheinend erfolglos, denn die Mutter ging nun zu einer Anwältin. Die Kollegin ruft nicht erst mal an, sondern setzt mir gleich schriftlich eingangs zitierte Frist, um ihr Kopien aller Unterlagen aus der Ermittlungsakte zu übersenden. Rechtlich hat sie ihr Begehren nicht näher begründet. Was im Hinblick auf § 32f Abs. 5 StPO aber auch sehr schwierig wäre. Denn diese Vorschrift verbietet es mir als Verteidiger wie gesagt ausdrücklich, Aktenteile durch die Welt zu schicken.

Die Anwaltskollegin hätte ihrer Mandnatin womöglich effektiver geholfen, wenn sie in der Strafprozessordnung etwas weiter geblättert hätte. Fast bis ganz nach hinten, zugegeben. Denn auch Drittbetroffene von Durchsuchungen haben einen Anspruch auf Einsicht in die maßgeblichen Unterlagen, damit sie eventuelle Ansprüche durchsetzen können. Das steht in § 475 StPO. Ein klassischer Fall für so ein berechtigtes Interesse ist etwa der Vermieter, dessen Haustür bei einer Durchsuchung zu Schaden kam und der jetzt sehen muss, von wem er den Schaden ersetzt bekommt.

Ich habe der Rechtsanwältin den Paragrafen mal rübergeschickt. Vielleicht hilft es ihr bei Bearbeitung des Falles weiter. Sie könnte ein entsprechendes Gesuch an die Staatsanwaltschaft formulieren und darin sogar ihre Fristsetzungs-Floskel recyclen. Mit einem Dankeschön rechne ich nicht, mir genügt das Gefühl, die „Frist“ im Kalender doppeldick als erledigt markieren zu können.

„Behördliches Informationshandeln“

Dem Arzt Mark S. wird gewerbsmäßige und teilweise bandenmäßige Anwendung
verbotener Dopingmethoden bzw. Beihilfe dazu vorgeworfen. Sein Anwalt konnte nun vor dem Verwaltungsgericht wegen der Pressearbeit der Staatsanwaltschaft einen Teilerfolg erzielen, der sich auch auf das momentan laufende Strafverfahren auswirken könnte.

Vor rund einem Jahr hatte die Münchener Schwerpunktstaatsanwaltschaft eine detaillierte Pressekonferenz zu den Ermittlungen und zur Anklage gegeben. Einige Stunden später folgte eine entsprechende Presseerklärung. Allerdings hielt es die Staatsanwaltschaft nicht für nötig, die Verteidiger frühzeitig über die Anklage zu informieren. Diese erhielten die Anklage weniger als zwei Stunden vor der Pressemitteilung.

So etwas verstößt nach Auffassung des Verwaltungsgerichts München gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft hätte den Verteidigern durch entsprechend frühzeitige Information „zeitlich die Möglichkeit einräumen müssen, angemessen auf das behördliche Informationshandeln reagieren zu können“.

Wenn man so eine aggressive Pressearbeit der Ermittlungsbehörden verhindern möchte müsste das Strafgericht solche Umstände aus dem Vorfeld spürbar strafmildernd berücksichtigen können, auch wenn es nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lediglich darauf ankommt, ob das Verfahren in seiner „Gesamtschau“ fair war.

Bericht auf Spiegel Online

Autor: RA Dr. André Bohn

Mein Auto – ein öffentlicher Raum?

Man hört jetzt öfter von Fällen, in denen die Polizei oder das Ordnungsamt Autofahrer oder Autofahrerinnen anhielt und ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Corona-Abstandsgebot verhängte – wenn noch weitere Personen im Auto waren.

Die Abstandsgebote in den Corona-Schutzverordnungen beziehen sich aber nur auf den öffentlichen oder auf öffentlich zugängliche Räume. Wie Rechtsanwalt Werner Siebers berichtet, https://ungereimtheiten.wordpress.com/2020/12/15/wie-offentlich-ist-eigentlich-mein-pkw-in-corona-zeiten/) haben schon mehrere Gerichte festgestellt: Ein privat genutzter Pkw bewegt sich zwar im öffentlichen Raum. Er ist aber selbst kein öffentlicher Raum. Das klingt sehr nachvollziehbar. Außerdem stellt sich natürlich die berechtigte Frage, wie in einem normalen Pkw der Mindestabstand überhaupt eingehalten werden kann, ähnlich wie in einem vollen Bus oder einer Bahn. Auch in diesen Fällen darf der Mindestabstand ja unterschritten werden.

Wie die Fälle zeigen, muss man sich aber gegebenenfalls vor Gericht wehren.

Autor: RA Dr. André Bohn

Tödlicher Unfall: Bewährungsstrafe für Polizisten

Vor einigen Wochen hatten wir hier darüber berichtet, dass sich ein Berliner Polizist vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen fahrlässiger Tötung angeklagt verantworten muss. Er hatte war mit rund 130 km/h in der Innenstadt den Wagen einer jungen Frau gerammt. Das Opfer starb.

Das Amtsgericht hat den Polizisten nun wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Polizist war mit Sonderrechten wegen eines vermeintlichen Raubes unterwegs. Allerdings war dies ein Fehlalarm. Laut dem Gericht war der Beamte unverantwortlich schnell unterwegs. Er hätte auch mit Blaulicht jedenfalls nicht 130 km/h fahren dürfen.

Die Verteidigung sagte im Plädoyer es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Opfer fahrlässig gehandelt habe, die junge Frau habe beim Abbiegen nicht geblinkt und womöglich auf ihr Handy geguckt. Das betrachtete das Gericht aber als Spekulation.

Gegen den Beamten stand auch der Vorwurf der Trunkenheit im Raum. Allerdings war das Gericht nicht bereit, die von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Patientenakte des Polizisten zu verwerten. Bei dessen Behandlung nach dem Unfall soll wohl auch Alkohol eine Rolle gespielt haben. Das Gericht meint aber, es liege ein Beweisverwertungsverbot für die Patientenakte vor (ärztliche Schweigepflicht).

Ausdrücklich wies der Richter auf die desolate Arbeit der Polizei am Unfallort hin. Der Angeklagte habe unter anderem nach dem Unfall am Tatort rumlaufen können, obwohl er sofort als Beschuldigter hätte behandelt werden müssen. Details zu dem Fall schildert Spiegel Online.

Autor: RA Dr. Andr´e Bohn

Anhusten führt zu Schmerzensgeld

Das absichtliche Anhusten rechtfertigt ein Schmerzensgeld – jedenfalls in Zeiten der Corona-Pandemie. Das Amtsgericht Braunchweig verurteilte einen Mann, der im April auf dem Altstadtmarkt in Braunschweig einen städtischen Security-Mitarbeiter absichtlich angehustet hat, der auf Einhaltung der Abstandsregeln bestand.

In einer verbalen Auseinandersetzung zeigte sich der Beklagte nicht nur uneinsichtig. Er wurde auch ausfallend, dann trat er nah an das Gesicht des Klägers heran und hustete diesem bewusst ins Gesicht.

Nach Abwägung aller Umstände sah das Amtsgericht Braunschweig einen Schmerzensgeldanspruch des Klägers in Höhe von 250,00 Euro als begründet an. Das absichtliche Anhusten in Zeiten der beginnenden Corona-Pandemie war laut dem Urteil als vorsätzliche Gesundheits- und Körperverletzung zu qualifizieren. Die Bagatellgrenze sei deutlich überschritten. So bestand nicht nur die hohe Gefahr einer Infektion des Gegenübers mit einer möglicherweise schweren bis potenziell tödlich verlaufenden Krankheit, sondern auch eine erhebliche psychische Beeinträchtigung des Klägers aufgrund der Sorge über eine mögliche Ansteckung.

Ob einer der beiden Beteiligten tatsächlich mit dem Sars-CoV2-Virus infiziert war, ist nicht bekannt, da aufgrund mangelnder Testkapazitäten bei fehlenden Symptomen eine Testung nicht durchgeführt wurde. Dem Kläger verlieb nur, sich nach dem Vorfall für zwei Wochen in Quarantäne zu begeben. Das Zivilgericht urteilte nur über das Schmerzensgeld, um eine eventuelle Strafbarkeit des Husters ging es nicht.

Viel Kritik an schärferem Sexualstrafrecht

Eigentlich kann man die Expertenanhörungen zu Gesetzesänderungen im Bundestag meist als zahnlose Tiger bezeichnen. Die Sachverständigen werden von den Parteien nach den Mehrheitsverhältnissen bestimmt. Das heißt, dass die Expertinnen meist danach benannt werden, ob sie erwartungsgemäß die gleiche Meinung wie die benennende Partei hinsichtlich der Gesetzesänderung vertreten.

Selbst wenn es dann in der Anhörung zu Kritik an der Gesetzesinitiative kommt, ist diese (natürlich) für die Ausschüsse und letztlich bei der Abstimmung nicht bindend. Insofern führen die Anhörungen häufig zu keinen wegweisenden Impulsen.

Dies könnte nun hinsichtlich der geplanten weiteren Verschärfung des Sexualstrafrechts anders sein. Nach durchgehender Kritik an den geplanten Änderungen im Rahmen der Expertenanhörung in der letzten Woche heißt es nun, dass die Gesetzesänderung nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, noch dieses Jahr auf den Weg gebracht wird.

Kritisiert wurde unter anderem die Qualifikation jeder
Form des Kindesmissbrauchs als Gewalt und die Streichung sogenannter minder schwerer Fälle. Ein ausführlicher Bericht findet sich in der Legal Tribune Online.

Autor: RA Dr. André Bohn

Anwaltshonorar verflüssigt sich

Telefonnotiz:

Anruf von Frau W. Das offene Honorar sollte ein Nachbar überweisen, weil sie nicht zur Bank kann. Aus bekannten Gründen. Online-Banking funktioniert bei ihr nicht.

Der Nachbar hat das Geld aber versoffen. Können wir die Zahlung auf den 04. oder 05. Januar verschieben, weil der Nachbar dann erst wieder Geld bekommt?

Ach Gott, es ist Weihnachten. Und für die Idee für einen Blogbeitrag sollte ich ja ohnehin einen Rabatt gewähren…

Narr klagt gegen Narren

Das Carneval Comitee Wuppertal streitet sich mit seinem aktuellen Karnevalsprinzen vor Gericht. Die Jecken haben den Mann gefeuert, weil von ihm Selfies aufgetaucht sind. Die Bilder zeigen den Prinzen in seinem närrischen Ornat; untenrum hat er allerdings nichts an.

Der Prinz leugnet die Fotos nicht. Diese habe er zu Hause gemacht und lediglich seinem Ex-Freund zugeschickt. Zum Spaß. Auf welchem Wege auch immer wurden die Bilder aber dem Carneval Comitee zugespielt.

Vor dem Amtsgericht geht es nun darum, ob der „Prinzenvertrag“ des Jecken fristlos gekündigt werden durfte. Begründet hatte der Narrenchef den Rauswurf so:

Du bist im Prinzenornat in unmöglicher, schamverletzender, fast pornografischer Pose und damit eines Prinzen der Stadt Wuppertal unwürdiger Art abgebildet.

Wann das Gericht entscheidet, ist wohl noch offen.

In der Tiefgarage

Gerichtsverhandlungen, die sich mit dem Missbrauch von Kindern beschäftigen, bringen für alle Beteiligte große Belastungen mit sich. Dieser Druck geht natürlich nicht mit dem Urteilsspruch weg. Deshalb habe ich es auch vor einigen Tagen mit Fassung genommen, als mir die Mutter eines missbrauchten Kindes, ich kann es nicht anders sagen, nach dem Gerichtstermin in der Tiefgarage des Gerichts auflauerte.

Ihre Vorwürfe habe ich mir angehört. Auch die Beschimpfungen. Und zwar nicht mit dem Vorsatz, Letztere mit einem Strafantrag zu kontern. Bei den Todesdrohungen, die sie mir von ihrem Mann ausrichten sollte, kam ich etwas ins Schwanken. Aber nun ja, immerhin kam ich dann auch mal zu Wort und fragte die Frau, wie sie es denn mit ihrem eigenen Anwalt bzw. dem ihrer Tochter hält. Dem Nebenklagevertreter, der jeden Verhandlungstag an ihrer Seite saß. Und mit dem sie so gut klar kam. Und von dem sie offenkundig sehr viel hält.

Zu Recht. Der Kollege ist ein gestandener Strafverteidiger. Ich erzählte der Frau von einer Konstellation aus dem Frühherbst. Da habe ich die Nebenklage vertreten. Es ging um ziemlich schwere Straftaten gegenüber einem elfjährigen Jungen. Wer saß da neben dem Angeklagten und legte sich für diesen ins Zeug, nach allen Regeln der Kunst? Genau jener Anwalt, den die Mutter dann als Nebenklagevertreter mit ins Boot holte.

Vielleicht hat sie ein wenig verstanden, was meine Rolle in so einem Verfahren ist. Insbesondere dass es für den Anwalt letztlich von Zufällen abhängt, ob er von einem Angeklagten beauftragt wird. Oder vom mutmaßlichen Opfer.

Wir trennten uns dann fürs Erste friedlich, jedenfalls nach den Umständen. Jetzt muss ich nur noch hoffen, nicht in nächster Zeit vom Laster umgefahren zu werden.