Bitte richtig rechnen

Wer länger Krankengeld bezieht, wird sich vielleicht für dieses Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf interessieren. Eine Krankenkasse hatte dem Versicherten weiteres Krankengeld versagt, weil dieser die Folgebescheinigung über seine Arbeitsunfähigkeit angeblich einen Tag zu spät eingereicht hatte. Dabei ist es allerdings die Krankenkasse, die nicht rechnen kann.

Die Wochenfrist zur Vorlage der Bescheinigung beginnt nämlich, so das Sozialgericht Düsseldorf, nicht schon mit dem ersten Tag der weiteren Arbeitsunfähigkeit. Vielmehr sehe die gesetzliche Regelung im Sozialgesetzbuch – den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches folgend – einen Fristbeginn erst zum Ablauf des ersten Tages der Arbeitsunfähigkeit vor. Anders ausgedrückt: Der erste Tag der weiteren Arbeitsunfähigkeit zählt bei der Wochenfrist nicht mit. Nach diesem Maßstab hatte der Kläger seine Bescheinigung noch rechtzeitig vorgelegt, wenn auch am letzten möglichen Tag (Aktenzeichen S 9 KR 589/19).

Ein Telefonat. Pro Monat.

Mein Mandant sitzt in Untersuchungshaft. Eine Staatsanwaltschaft in Bayern hat mir 1 (in Worten: ein) unüberwachtes Telefonat mit meinem Mandanten genehmigt.

Pro Monat.

Die Justizvollzugsanstalt hat sich übrigens komplett quergestellt. Tenor: Telefonate mit Verteidigern – wo kommen wir denn dahin? Insoweit muss ich der Staatsanwältin danken, die sich sogar ins Zeug gelegt hat. Halt im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Allerdings gibt es auch Bundesländer, die Telefonate mit dem Verteidiger deutlich liberaler als Bayern handhaben. So gut wie alle anderen, um genau zu sein.

Bloß viel zu schnell – oder schon Straftäter?

Wer sich mitunter flott im Straßenverkehr bewegt, sollte an eins denken: Mit der Einführung des „Raserparagrafen“ (§ 315d StGB) drohen längst nicht mehr nur Fahrverbot und happige Bußgelder, sondern auch Gefängnisstrafen – ohne dass irgendjemand konkret gefährdet oder gar verletzt wurde.

Das Landgericht Köln bejaht beispielsweise einen dringenden Tatverdacht gegen einen Autofahrer, der im unmittelbaren Bereich von Schulen 72 km/h statt der erlaubten 30 km/h gefahren sein soll – wenn auch mit abgefahrenen Reifen. Dem Mann wird nun die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen und er muss sich einem Strafverfahren stellen. Höchststrafe: 2 Jahre Gefängnis.

Knackpunkt ist in diesem Fällen die Frage, ob so jemand tatsächlich gehandelt hat, ob er tatsächlich „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“ gehandelt hat und überdies, „um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen“. Dies fordert das Gesetz. Die Überschrift des Paragrafen lautet – sicher nicht ohne Grund – „Verbotenes Autorennen“. Die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung kann also nicht ausschlaggebend sein. Darauf wird auch immer wieder hingewiesen, etwa von Krumm im Anwaltskommentar StGB:

Strafbar soll sein, wer „objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt“.* Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kraftfahrzeugverkehr und ein Überholvorgang regelmäßig dem „möglichst“ schnellen Vorankommen dient, so dass zum bloßen zügigen Überholen ein Fahren mit Renncharakter hinzukommen muss. Ein Renncharakter ist gegeben, wenn der Fahrer sein Fahrzeug bis an die technischen und physikalischen Grenzen ausfährt. Nach hier vertretener Ansicht wird es kaum ausschließlich um das Erreichen der höchstmöglichen Fahrzeuggeschwindigkeit gehen können. Es wird wohl auf die zur Tatzeit auf der Fahrstrecke überhaupt aus Tätersicht ohne Unfallverursachung erzielbare Höchstgeschwindigkeit abzustellen sein.

Die Entscheidung des Landgerichts Köln geht aber eindeutig in die Richtung, dass bloßes „Rasen“ ausreicht, um nicht nur den Führerschein zu riskieren, sondern auch eine strafrechtliche Verurteilung (Aktenzeichen 101 Qs 8/20).

Nachtrag: Das Amtsgericht Villingen-Schwenningen hält den neuen Raserparagrafen für verfassungswidrig, weil zu unbestimmt. Es hat die Vorschrift deshalb dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt, siehe auch diesen Beitrag in der Legal Tribune Online. Danke an die zahlreichen Leser, die mich auf den Vorlagebeschluss hingewiesen haben.

Explosion in der Hosentasche

Wenn deine E-Zigarette in der Hosentasche explodiert, ist das unerfreulich. Nach dem ersten Schreck stellt sich natürlich die Frage, wen man dafür zur Kasse bitten könnte – möglicherweise die gesetzliche Unfallversicherung? Genau das versuchte die Mitarbeiterin einer Firma in Nordrhein-Westfalen, allerdings mit mäßigem Erfolg.

Die Arbeitnehmerin argumentierte so: Sie müsse in der Firma den Müll rausbringen. Dazu habe sie den Dienstschlüssel in ihre Hosentasche gesteckt. Dort befand sich auch der Ersatzakku ihrer E-Zigarette. Durch den Kontakt mit dem Schlüssel soll ein Kurzschluss entstanden sein, in dessen Folge sich der Akku entzündete und die Hose der Betroffenen (nicht die Betroffene selbst) in Brand setzte.

Das Sozialgericht Düsseldorf konnte hier keinen Arbeitsunfall erkennen. Der Schlüssel sei zwar mitursächlich für den Brand gewesen, doch von ihm sei keine Gefahr ausgegangen. Denn Schlüssel ließen sich nicht anzünden. Die Brandgefahr sei lediglich vom Akku ausgegangen, und diesen habe die Klägerin aus rein privaten Gründen dabei gehabt. Ein Arbeitsunfall liege deshalb nicht vor (Aktenzeichen S 6 U 491/16).

Ferienzeit

Ich wusste, mir etwas entfallen. Nämlich die Mitteilung, dass ich wie jedes Jahr die Karnevalszeit für einen Urlaub nutze.

Das hole ich jetzt gerne nach. Spätestens ab Donnerstag, 5. Freitag, 6. März, ist wieder mit neuen Beiträgen zu rechnen. Bis dahin.

Ein Obstkorb

Manche Mandatsanbahnungen sind, nun ja, etwas kompliziert. Zum Beispiel soll ich jemanden in einem Prozess vor dem Amtsgericht vertreten. In Norddeutschland. Dazu erreicht mich folgende Nachricht:

Ich möchte Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass ich auf Ihren Namen für Sie Hotel C. buchen werde, und ein geniales Frühstück dazu. In Ihrer Suite erwartet sie ein Obstkorb und Getränke, um Ihnen einen gemütlichen Aufenthalt zu gewähren. Die Kosten übernehme ich selbstverständlich!

Das ist ja sehr nett, ein Obstkorb und Getränke sind wirklich auch was sehr Schönes, gerade wenn man eine lange Anfahrt hinter sich hat. Dennoch vermisse ich eine Aussage dazu, ob ich auch mit der Zahlung meines Honorars rechnen kann – und nicht nur eines Teils der Spesen. Da werde ich wohl noch mal höflich nachhaken müssen…

Je höher der Schaden, desto besser

Jemand baut großen Mist, dann kann das durchaus passieren: eine „Kumulation von Schadensersatzansprüchen“. Diese prasseln dann etwa auf eine Firma nieder, beuteln diese juristisch und letztlich auch finanziell. Wie zum Beispiel die Volkswagen AG, von der man nach einer Vielzahl von Gerichtsurteilen wohl sagen kann, dass sie mit den Abschaltvorrichtungen in ihren Dieselfahrzeugen nach Strich und Faden betrogen hat.

Um sich der daraus resultierenden Haftung zu entziehen, beruft sich Volkswagen in laufenden Prozessen auf die schon erwähnte „Kumulation von Schadensersatzansprüchen“. Aus dieser interessanten Rechtsfigur leitet das Unternehmen her, man müsse schon deshalb nichts bezahlen, weil es am Ende teuer wird. Oder, zu Ende gedacht, VW vielleicht sogar in die Pleite treibt.

Eine etwas weinerliche Argumentation, aber womöglich fällt der Firma mittlerweile auch nichts Besseres mehr ein. Bei den Gerichten scheint allerdings wenig Neigung zu bestehen, über das von VW hingehaltene Stöckchen zu springen. So weist jetzt das Oberlandesgericht Koblen in einem aktuellen Urteil eher knapp auf folgendes hin: Es sei widersinnig, dass ein Schädiger sich ausgerechnet mit dem Hinweis entlasten könnte, dass er viele Betroffene geschädigt hat.

Außerdem merken die Richter an, dass bislang eher wenige betrogene VW-Kunden geklagt hätten. Sowohl die Einzelklagen als auch die Beteiligten an der Sammelklage machten nur einen geringen Teil der Kunden aus, die potenziell betroffen sind. Das Gericht spielt damit auf die harte und damit abschreckende Haltung ab, die VW bislang in den weitaus meisten Prozessen gezeigt hat. Auch hier besteht offenbar keine Bereitschaft, VW davon auch noch profitieren zu lassen (Aktenzeichen 10 U 731/19).

Der Freitag, an dem niemand kommt

Der Tag nach Altweiber ist hier in Düsseldorf (und sicher auch in Köln) übrigens der Tag, für den du als Anwalt besser keine Besprechungstermine mit Mandanten vereinbaren solltest.

Das Interesse ist zwar da, weil viele an diesem Freitag frei haben. Allerdings, das weiß ich aus langjähriger: Es kommt am Ende niemand. Kein einziger. Gewissenhafte Mandanten rufen vielleicht noch an und sagen ab („Kopfschmerzen“). Von anderen hörst du frühestens am Aschermittwoch, wenn sie aus dem Koma erwachen und sich nach einem Ausweichtermin erkundigen.

Deshalb halte ich mir diesen Freitag immer wohlweislich offen. Aber natürlich auch ein bisschen, weil ja nicht absehbar ist, wie lustig es heute abend noch wird.

We speak in English

Als die Zeugin, der deutschen Sprache nicht mächtig, auf Vorladung bei der Polizei zur Vernehmung erschien, wäre das normalerweise ein Problem gewesen. Nicht aber bei Kriminalkommissarin N. Die ist so fit in der englischen Sprache, dass sie die gesamte Vernehmung auf Englisch führte – und auch so niederschrieb.

Das liest sich – auszugsweise – so:

We speak in English, ist that ok for you? … You feel good? … What did you found out? … Did your daughter told you, when this happened? … Did she told you … This is waht she told me …

Leider kann ich die richtigen Klöpse wegen des Bezugs zur Sache nicht niederschreiben, aber der anderthalbseitige Text ist wirklich eine Art Gesamtkunstwerk. Dabei wären die paar Euro für einen Dolmetscher mutmaßlich im Etat des Innenministers noch vorhanden gewesen. Und besonders eilig war die Sache nun auch wieder nicht.

Nebenbei: Die Gerichtssprache ist deutsch (§ 184 GVG). Früher oder später wird man also um eine Übersetzung ohnehin nicht herumkommen, weil kein Richter in ein Urteil reinschreiben wird, dass er sich auf eine nicht ordnungsgemäß übersetzte Zeugenaussage verlassen hat. Bis dahin freust du dich als Verteidiger schon mal über die originelle Art und Weise, mit der man ganz ohne deine Mitwirkung ein belastendes Beweismittel gründlich ruiniert hat.

Fax ans Gericht – für 4,6 Cent pro Minute

Post von einem Amtsgericht im schönen Unterfranken, datiert auf den 11.02.2020:

Eine kostenpflichtige Faxnummer bei einer Behörde? So was gab’s eine Zeitlang bei der einen oder anderen ARGE, aber bei einem Gericht habe ich das noch nicht gesehen. Auch wenn der Minutenpreis vielleicht nicht exorbitant ist, eröffnet so ein „Service“ juristisch interessante Perspektiven. Gerade im Fall von Fristversäumnissen. Denn sicherlich muss kein Rechtssuchender, der zum Beispiel Einspruch gegen einen Strafbefehl per Fax einlegen möchte, hierfür auch noch extra zahlen. Vielleicht kann er es sich auch gar nicht leisten oder nutzt einen Faxdienst, bei dem kostenpflichtige Rufnummern gar nicht gehen.

Abgesehen davon ist der Gebührenhinweis auf einen Nettobetrag natürlich ziemlich riskant. In der freien Wirtschaft würde es keine zehn Minuten dauern, bis ein Konkurrent so was abmahnt. Derartige Stutenbissigkeit ist unter Gerichten allerdings eher nicht zu erwarten.

Auf der Webseite der bayerischen Justiz wird übrigens die übliche Festnetznummer als Faxadresse genannt.

Bosbachs Freundschaftsdienst

Für Rücktrittsforderungen sorgt eine private Gefälligkeit, mit welcher der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach einem bekannten Sportreporter aus der Patsche geholfen haben soll.

Der Journalist hatte Bosbach erzählt, er habe am Vortag unter Alkoholeinfluss einen Autounfall mit erheblichem Sachschaden gebaut, jetzt wolle der Geschädigte 20.000 Euro von ihm, um die Polizei rauszuhalten. Bosbach borgte dem Reporter 5.000 Euro, bekam diese aber nicht wieder. Mittlerweile hat Bosbach den Reporter angezeigt, weil er davon ausgeht, dass dieser sich das Geld erschwindelt hat – den Unfall hat es womöglich nicht gegeben. Näheres kann man in der Welt nachlesen.

Wenn Bosbach erst am Tag nach dem Unfall eingeweiht wurde, hat er sich jedenfalls nicht selbst strafbar gemacht. Wer nach einer möglichen Tat von dieser erfährt, muss gar nichts machen. Es gibt keine Anzeigepflicht für geschehene Straftaten, nur für geplante (§ 138 StGB). Für eine Strafvereitelung reicht es auch nicht. Die Gewährung eines Darlehens zur Abwendung juristischer „Probleme“ ist noch ein sozialüblicher Vorgang. Das gilt jedenfalls so lange der Darlehensgeber ansonsten nicht involviert ist. Was Bosbach offenbar nicht war.

Eine andere Dimension ist natürlich die Politische. Bosbach ist in Nordrhein-Westfalen Vorsitzender der sogenannten Sicherheitskommission, die unter anderem Maßnahmen gegen die Organisierte Kriminalität ausarbeitet. Da mag es schon eine Rolle spielen, dass sowohl die Alkoholfahrt als auch die Gefährdung des Straßenverkehrs (als solche kann ein fahrlässig begangener Vekehrsunfall durchaus eine strafbare Sachbeschädigung sein) keine Antragsdelikte sind. Das heißt, im Ergebnis kann der staatliche Strafanspruch auch mit freundlicher Unterstützung des Politikers ins Leere gelaufen sein. War das noch ein Freundschaftsdienst oder schon anrüchige Kungelei? Über einen Rauswurf Bosbachs wird wohl letztlich der NRW-Ministerpräsident entscheiden.

Kräftig sparen mit Schwarzarbeit …

Schwarzarbeit ist im wahrsten Sinne des Wortes Vertrauenssache, und der Auftraggeber sitzt in den allermeisten Fällen am längeren Hebel. Das zeigt ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Die Richter verwehren einem Bauunternehmer 275.000 Euro Honorar, weil dieser Geld am Finanzamt vorbeischleusen wollte.

Während der Arbeiten hatte der Unternehmer seinen Kunden per WhatsApp gebeten, Zahlungen auf zwei Konten aufzuteilen – „damit nicht so viel an die Augen von F?. kommt“. Mit „F?“ sei das Finanzamt gemeint gewesen, befinden die Richter. Eine Schwarzgeldabrede habe aber die zwingende Folge, dass der Lohnanspruch des Auftragnehmers erlischt. Der Kunde, der dem Gericht die Nachricht präsentierte, muss also schon deswegen nichts zahlen.

Aber auch für den Auftraggeber hat eine Schwarzgeldabrede Nachteile. So erlischt meist das Gewährleistungsrecht, das heißt bei Mängeln schaut der Kunde in die Röhre (Aktenzeichen I-21 U 34/19).

Nur Werbung soll „Werbung“ sein

Influencer haben seit geraumer Zeit das Problem, dass praktische jede ihrer Äußerungen unter Generalverdacht steht. Dem der bezahlten Werbung, die als solche gekennzeichnet sein muss. Die Sorge vor Abmahnungen und Gerichtsverfahren führt nun schon seit längerem dazu, dass Influencer oft einfach alle Beiträge als Werbung kennzeichnen. Darin erkennt das Bundesjustizministerium einen Missstand – und möchte gegensteuern.

„Die Meinungsfreiheit gilt selbstverständlich auch für Influencer“, heißt es aus dem Ministerium. Auch Influencer hätten das Recht, zu informieren und an der Meinungsbildung mitzuwirken, ohne sich als käuflich darstellen zu müssen, obwohl sie überhaupt kein Geld erhalten haben. Deshalb soll eine Klarstellung in das Gesetz eingefügt werden, wonach Beiträge auf Social Media nur dann als Werbung gelten, wenn tatsächlich Geld oder geldwerte Leistungen geflossen sind. Im Zweifel sollen Influencer zum Beispiel durch eine Bestätigung des vermeintlichen Werbepartners belegen können, dass sie nicht bezahlt wurden.

Das Ministerium sieht auch Vorteile für die User, denn diese könnten echte Werbung dann auch wieder leichter erkennen. Der Gesetzentwurf ist noch in der Startphase. Er soll zunächst diskutiert werden.

Was man nicht so alles in Kauf nimmt

Falls ihr einen Torserver betreibt, wird euch die folgende Geschichte interessieren. Und möglicherweise etwas Angst einjagen. Falls das der Fall ist, lest bitte bis zum Ende. Dort wartet eine Art Happy End.

Die Anklage legte meinem Mandanten folgendes zur Last:

Der Angeschuldigte … betrieb … einen Tornetzwerkserver. … Über diesen Service des Angeschuldigten stellten unbekannt gebliebene Nutzer an vier verschiedenen Zeitpunkten kinderpornografische Videodateien auf der Plattform 4chan.org für die Öffentlichkeit im Internet zur Verfügung.

Dem Angeschuldigten war in allen Fällen bewusst, dass die Nutzer des Tornetzwerks dieses und seine Server auch zur Verbreitung und Beschaffung kinderpornografischer Dateien nutzen, was er in Kauf nahm.

Ich habe schon im Vorfeld darauf hingewiesen, dass man mit dieser Argumentation auch die Verantwortlichen von Vodafone, Telekom, 02 und unzählige weitere Internetdienstleister wegsperren müsste. Weniger polemisch erlaubte ich mir darauf hinzuweisen, dass genau deshalb in diversen Gesetzen ein Providerprivileg festgeschrieben ist. Es folgten die Gesetzestexte.

Doch die Anklagebehörde blieb stur, das Amtsgericht ließ die Anklage zu. Es gab insgesamt drei Verhandlungstage, wobei das Amtsgericht immerhin schon am zweiten Tag durchblicken ließ, dass die Auffassung der Verteidigung der geltenden Rechtslage wohl eher gerecht wird als die der Staatsanwaltschaft. Es wäre deshalb auf einen Freispruch hinausgelaufen.

Dumm nur für den Mandanten, dass er wegen dieser Sache eine Hausdurchsuchung hatte – und bei der Gelegenheit wurde was Belastendes gefunden, das mit dem Torserver nichts das Geringste zu tun hat. Für den Mandanten war die Einstellung des Verfahrens zu sehr sozialverträglichen Konditionen dann letztlich attraktiver als ein glorreicher Teilfreispruch wegen Tor und eine Verurteilung wegen der anderen Sache. Insofern hat er aus guten Gründen darauf verzichtet, einen Präzedenzfall zu schaffen. Wobei er nach so langer Zeit auch einfach mal wieder Ruhe haben wollte. Die Geschichte hat jetzt rund drei Jahre an seinen Nerven gezehrt, und nicht zuletzt auch an seinem Geldbeutel.

Ein Blick ins Gesetz … ist nicht immer leicht

Gerade die Bitte eines Mandanten hier aus dem Land erfüllt, ihm einen Gesetzestext in den Knast zu schicken:

das Untersuchungshaftvollzugesetz Nordrhein-Westfalen (UVollzG NRW)

In der Bibliothek der Anstalt, wo er gerade in Untersuchungshaft sitzt, gibt es nur eine Ausgabe der Vollzugsvorschriften aus dem Jahr 1985. Diese Fassung ist, vorsichtig formuliert, nicht mehr ganz aktuell. Auch auf Nachfrage hin sah sich niemand in der Anstalt in der Lage, den Mandanten mal ins Gesetz schauen zu lassen.

Der Rechtsstaat bewährt sich auch im Kleinen. Falls das wider Erwarten noch niemand so gesagt hat, tue ich es einfach mal.